Wunderbare Entdeckung

Jeder Mensch hat mehr als der andere braucht

Predigttext: Lukas 9,10-17
Kirche / Ort: Schornsheim/Udenheim (Rheinhessen)
Datum: 22.07.2007
Kirchenjahr: 7. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Kurt Rainer Klein

Predigttext: Lukas 9,10-17 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

10 Und die Apostel kamen zurück und erzählten Jesus, wie große Dinge sie getan hatten. Und er nahm sie zu sich, und er zog sich mit ihnen allein in die Stadt zurück, die heißt Betsaida. 11 Als die Menge das merkte, zog sie ihm nach. Und er ließ sie zu sich und sprach zu ihnen vom Reich Gottes und machte gesund, die der Heilung bedurften. 12 Aber der Tag fing an, sich zu neigen. Da traten die Zwölf zu ihm und sprachen: Laß das Volk gehen, damit sie hingehen in die Dörfer und Höfe ringsum und Herberge und Essen finden; denn wir sind hier in der Wüste. 13 Er aber sprach zu ihnen: Gebt ihr ihnen zu essen. Sie sprachen: Wir haben nicht mehr als fünf Brote und zwei Fische, es sei denn, daß wir hingehen sollen und für alle diese Leute Essen kaufen. 14 Denn es waren etwa fünftausend Mann. Er sprach aber zu seinen Jüngern: Laßt sie sich setzen in Gruppen zu je fünfzig. 15 Und sie taten das und ließen alle sich setzen. 16 Da nahm er die fünf Brote und zwei Fische und sah auf zum Himmel und dankte, brach sie und gab sie den Jüngern, damit sie dem Volk austeilten. 17 Und sie aßen und wurden alle satt; und es wurde aufgesammelt, was sie an Brocken übrigließen, zwölf Körbe voll.

Exegetische Vorbemerkungen

Der Perikope von der Speisung der Fünftausend (Luk 9,10-17) geht die Frage des Herodes "Wer ist aber dieser, über den ich solches höre?" (V. 9) voraus. Es folgt der Speisungs-Perikope die Frage Jesu: "Wer sagen die Leute, dass ich sei?" (V. 18). Zugespitzt kulminiert die Fragestellung in der Frage Jesu an seine Jünger: "Wer sagt ihr aber, dass ich sei?" (V. 20). Die Speisungs-Perikope mag für Lukas eine wesentliche Argumentationshilfe in der Beantwortung dieser christologischen Frage sein. Auffallend ist zunächst, dass die Erzählung des Lukas gegenüber der Markus-Version gestrafft ist. Das Hirtenmotiv bei Markus lässt Lukas weg. Hier bei Lukas kehren die Jünger von ihrer Missionstätigkeit zurück, zu der sie Jesus ausgesandt hatte "zu predigen das Reich Gottes und die Kranken zu heilen" (V. 2). Diese Tätigkeit ist in der Speisungs-Perikope wieder aufgenommen als Tun Jesu: "... und sprach zu ihnen vom Reich Gottes und machte gesund, die der Heilung bedurften" (V. 11). Als es Abend wird, werden die Zwölf aktiv, indem sie Jesus auf das Essensproblem der Menge, die ihm gefolgt ist, aufmerksam machen. Jesus antwortet ihnen mit der Autorisierung: "Gebt ihr ihnen zu essen". Doch wie sollen sie das mit fünf Broten und zwei Fischen (man beachte: 5 + 2 = 7 - eine symbolische Zahl) bewerkstelligen? Jesus weist die Jünger an, die Menge "in Gruppen zu je fünfzig" sich setzen zu lassen. Daraufhin segnet Jesus Brot und Fische, indem er sie nimmt, zum Himmel aufsieht, dafür dankt, sie bricht und seinen Jüngern mit dem Auftrag des Verteilens weiter gibt. Kurz und knapp wird am Ende der Perikope festgehalten: Die Essenden werden alle satt. Und darüber hinaus bleiben "zwölf Körbe" (vgl. zwölf Jünger) voll an Brocken übrig. Zur Predigt des Reiches Gottes und Heilung der Kranken kommt hier die Speisung der Hungrigen als weitere Antwort auf die eingangs genannte Fragestellung (in dreifacher Variante). Die Speisung wird von den Jüngern angestoßen (V. 12), von Jesus initiiert (V. 14 + 16a) und seinen Jüngern durchgeführt (V. 13 + 16b). (Einen Bezug zum Abendmahl sehe ich in dieser Perikope nur entfernt!) Aus der nachösterlichen Perspektive betrachtet autorisiert Jesu Tun seine Nachfolger/innen zu "sättigendem Handeln" in der Menge derer, die Hunger haben. Es gehört zum anbrechenden Reich Gottes, dass alle satt (zufrieden) werden sollen und trotzdem noch genug übrig bleiben wird als Zeichen überbordender Lebensfülle. Und es gehört zum Auftrag der Jesusnachfolger/innen, an dieser Sättigung Anteil zu nehmen, sie in der Welt anzuregen, wo nötig und in der Wüste durchzuführen, soweit möglich.

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Literarische Vorstellungen

„Es war dunkel geworden, für viele zu spät, den weiten Heimweg anzutreten. Es stellte sich heraus, daß die meisten nicht damit gerechnet hatten, keine Unterkunft zu finden und keine offenen Läden. Sie hatten Hunger. Jehuda sagte: Rabbi, das Volk hungert! Er sagte es vorwurfsvoll, als sei es Jeschuas Schuld, und er sagte es herausfordernd. Er gab nicht auf. Was der Rabbi auch sagen mochte: die große Aufgabe blieb ihm. “Das Volk hungert”, das hieß: Gib du ihm Brot! Und das hieß: Übernimm endlich deine Rolle. Rabbi, was tun? Wir können die Leute nicht heimschicken. Es sind Kinder dabei, die hungern.
Jeschua sagte: Wieviel Vorrat haben wir?
Vorrat? Was für Vorrat? Einen Korb voll mit Fladenbrot und einen mit getrocknetem Fisch. Gerade soviel, wie wir für uns brauchen.
Bringt die Körbe! Und jetzt teilt aus!
Austeilen?
Teilt aus!
Wir teilten also aus: kleine Stücke Fladen und kleine Fetzen Trockenfisch. Ein hoffnungsloses Tun. Wir teilten weiter aus und weiter. Da sahen wir, daß die, die etwas bekamen, es noch einmal teilten, und viele legten etwas dazu aus ihrem eigenen Mundvorrat, und so ging das Teilen fort, keiner bekam viel, doch jeder bekam etwas, und zuletzt fanden auch wir selber noch einen Rest in den Körben. Wir wußten nicht, wie das zugegangen war.“ So erzählt Luise Rinser in ihrem Roman ‘Mirjam’ die Speisung der Fünftausend (Luise Rinser, Mirjam – S. 123f).

Menschliche Sehnsüchte

Hunger ist ein Signal, das einen Mangel anzeigt. Es fehlt etwas, was als fehlend erkannt wird. Dabei ist es nicht nur das Bedürfnis, etwas essen zu müssen. Es steckt darin auch nicht allein das Ziel, satt zu werden. Mit dem Hunger verbunden ist die Lust auf etwas ganz Bestimmtes. Manchmal steckt sogar ein regelrechter Heißhunger dahinter. Wie mag es wohl in den Herzen der Fünftausend ausgesehen haben? Welchen Hunger hatten sie? Worauf vielleicht auch einen Heißhunger?

Da war Maria, die ihr erstes Kind in wenigen Wochen erwartete. Sie sehnte sich in diesen Tagen ganz besonders nach Geborgenheit für sich und natürlich für das, was in ihr strampelte und wohl behütet werden musste.
Andreas hatte vor wenigen Tagen erst ein Geschäft im Dorf eröffnet. Er war Sandalenmacher und sehr tüchtig. Seine Sehnsucht bestand darin, dass möglichst viele zu ihm kämen, um seine Dienste in Anspruch zu nehmen und er von seiner Arbeit leben konnte.
Jona war mit seiner Frau neu ins Dorf gezogen. Sie kannten noch niemanden und kamen sich ziemlich fremd vor. Jemanden im Dorf kennen zu lernen, mag nicht allzu schwer sein. Aber Freunde zu finden, wonach er sich sehnte – Menschen, mit denen man auf einer Wellenlänge liegt -, war schon sehr viel schwerer.
Barnabas ging noch zur Schule. Er war ein wissbegieriger Schüler, der überall seine neugierige Nase hinein steckte. Nachmittags strolchte er durchs Dorf und jeden Handwerker musste er befragen, was er, wie und wozu machte und ließ sich alle Kniffs und Tricks erzählen.
Sophia hatte fünf Kinder und mehr als genug den ganzen Tag zu tun. Für sie selbst und ihre Bedürfnisse blieb keine Zeit. Sie sehnte sich nach mehr Verständnis für das, was sie tagtäglich leistete. Wenigstens von ihrem Mann erwartete sie, dass er ihr Lob und Anerkennung entgegen brachte.

Das sind nur Fünf von Fünftausend. Jeder von ihnen hat seinen ganz eigenen Hunger. Es kann auch Heißhunger sein oder wir können es auch Sehnsucht nennen. So lagern Fünftausend inmitten der Wüste. Jeder hat seinen ihm eigenen Hunger mitgebracht. Die Wüste ist der Ort, an dem man seinen Mangel in extremer Weise spürt. In der Kargheit tritt das Fehlende besser zutage. Aber womit sollen sie satt werden? Soll man sie heimschicken, dass sie ihren Hunger zuhause stillen können? Oder sollen die Jünger für sie Geschäfte aufsuchen und einkaufen gehen? Oder soll das reichen, was nun mal da ist: Fünf Brote und zwei Fische?

Himmlische Stillung

Wir sehen Jesus, wie er in souveräner Gelassenheit der ängstlichen Sorge, die nervös wird, ruhig ins Angesicht schaut. Jesus nimmt, was da ist – fünf Brote und zwei Fische – wie mit fünf Fingern und zwei Händen, sieht auf zum Himmel, spricht das Dankgebet, bricht und gibt seinen Jüngern das Vorhandene zum Austeilen. Sie nehmen das Gesegnete und geben es weiter. Sie setzen damit einen Prozess in Gang, der eine unglaubliche Dynamik entwickelt.

Nun, was geschieht? Jeder, der Fünftausend entdeckt bei sich, dass er etwas mitgebracht hat. Wer es genauer betrachtet, stellt an sich fest, dass er gar nicht mir leeren Händen da ist. Alle haben etwas mitgebracht. Eine bietet ihre Begabung, ein Anderer sein Wissen. Jemand schenkt sein Ohr und hört zu, jemand gibt sein Einfühlungsvermögen. Respekt und Anerkennung werden ausgeteilt, Geborgenheit und Zuneigung finden ihr Gegenüber. Aufmerksamkeit und Achtsamkeit treten hervor. Plötzlich haben Menschen Zeit und schenken sie sich. Das ist das große Wunder. Dass auf einmal jede und jeder gibt, wovon sie oder er hat. Niemand hielt es ängstlich zurück. Die Herzen der Menschen öffnen sich auf wundersame Weise. Es treffen sich die, die suchen und die, die finden. Es finden sich die, die hungern und die, die diesen Hunger stillen können. Es kommen zusammen die, die geben und die, die nötig haben.

Am Ende, als alle satt geworden waren, ihr Hunger, ihre Sehnsucht gestillt ist, da ist noch genug übrig: zwölf Körbe an Brocken! Das lässt sie aufhorchen und sie erkennen: Das Verschenkte ist gar nicht restlos aufgebraucht. Sie haben ihre Herzen geöffnet und etwas von sich gegeben, mehr sogar als nötig war – wie das Übriggebliebene auffällig zeigt -, die Sehnsucht zu stillen. Sie haben etwas von der Fülle des Lebens empfangen, was sie zufrieden macht und ihnen wiederum ermöglicht, weiter zu geben, ohne selbst leer zu werden. So haben die Fünftausend die Fülle des Lebens entdeckt, als Jesus gen Himmel schaute und dankte für das, was da ist und es auszuteilen ließ. Sie haben die Fülle des Lebens entdeckt – bei sich und bei denen, die mit ihnen waren. Gott zum Lobe!

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