Ach ja, das Reich Gottes
Das Reich Gottes ist nicht irgendwo, wir können drauf stoßen, wenn wir nur aufmerksam hinschauen
Predigttext: Matthäus 13,44-46 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984
44 Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker. 45 Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, 46 und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.Vorbemerkungen zur Exegese (I) und Predigtsituation (II)
I. Die Verse 44 -46 des 13. Kapitels im Matthäusevangelium werden als Doppelgleichnis betrachtet und gedeutet; sie stehen im Rahmen des Kapitels in einer Art „Aufzählung“ von Gleichnissen, die mit jeweils eigenen Aspekten vom Reich Gottes erzählen. Innerhalb der Gleichnisfolge des 13. Matthäuskapitels haben unsere Verse die engste Verbindung mit dem abschließenden Gleichnis vom Fischnetz. Der Verfasser von Matthäus selbst bietet für einige Gleichnisse des Kapitels allegorische Deutungen an, welches auch für unsere Verse eine entsprechende Möglichkeit eröffnet. Dabei ist sicher bemerkenswert, dass in den Versen 44 -46 weniger die handelnden Personen das Zentrum des Geschehens darstellen, sondern vielmehr der verborgene Schatz bzw. die kostbare Perle, wie Hans Weder betont (H. Weder, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern, Göttingen, 1978, 140) II. Die Predigtsituation am 9. Sonntag nach Trinitatis ist durch die Ferienzeit in allen Bundesländern noch schwieriger einzuschätzen als sonst. In nicht wenigen Gemeinden wird die Zahl der PredigthörerInnen deutlich kleiner sein als an „normalen“ Sonntagen, in den Urlaubsregionen dagegen eher größer, wobei viele „Fremde“ die Gotteshäuser aufsuchen, deren Lebenserfahrungen der/dem PredigerIn unbekannt sein dürfte, so dass das Predigen für eine solche Gemeinde nicht einfacher ist als für „das Häuflein der Vertrauten“. Es gilt also m. E. an diesem Sonntag den Predigteinstieg und den Skopos mit besonderem Bedacht zu wählen, um weder „der Frustration der kleinen Zahl“ noch „der Frustration des Unbekannten“ ungewollt oder unreflektiert Vorschub zu leisten.Gestatten Sie eine Frage, liebe Gemeinde: Spielen Sie Lotto? Diese Frage könnten Sie durchaus mit einer Gegenfrage beantworten: Wer tut es eigentlich nicht? Aber weshalb tun Sie es? Rein rechnerisch gesehen ist die Chance doch verschwindend gering, jemals den großen Gewinn zu ergattern. Und doch zieht die Angabe: „15 Millionen im Jackpot“ noch einmal viel mehr Menschen in die Annahmestellen, die alle das Glück herausfordern wollen.
Das Glück herausfordern – unverhofft zu einem großen Schatz zu kommen, über Nacht so zu sagen in einem völlig anderen Leben zu landen – dieser Faszination kann sich wohl kaum jemand entziehen. Was wäre da alles anders, welche Wünsche würden wahr, welche Sorgen wären ein für alle mal erledigt, wenn dieser Schatz uns zugefallen wäre?
Der Wunsch und die Sehnsucht nach diesem so anderen Leben lassen uns weiter spielen, auch wenn es diese Woche wieder nicht geklappt hat. Die rein mathematische Chance kann noch so klein sein, wir wollen sie nicht verstreichen lassen. Denn „unverhofft kommt oft“, weiß schon der Volksmund dazu zu sagen. Irgendwer gewinnt doch immer¸ oft ist es ein netter Mensch von nebenan, der zum Glückspilz wird.
Von zwei Glückspilzen erzählt uns auch Matthäus, wie wir vorhin gehört haben. Zugegeben: Es sind keine Lottogewinner, denn Lotto gab es damals noch nicht, aber was den beiden geschehen ist, lässt sich sehr wohl mit einem Hauptgewinn vergleichen. Alle beide „erwischte“ das Glück bei der Arbeit. Der eine bestellte offensichtlich als Pächter seinen Acker, als sein Pflug auf den Schatz stieß. Der andere trieb schon jahrelang Handel mit Perlen, mit bester Ware, doch einmal fand er die perfekte, die schönste Perle überhaupt. Und was dann geschah, erinnert uns auch an das, was wir vom Verhalten von Lottogewinnern gehört haben: die beiden Glückspilze reagierten nicht ganz logisch.
Der erste Mann grub den Schatz wieder ein, statt mit ihm zu türmen und woanders ein neues Leben ohne Stress und Feldarbeit zu beginnen. Er kratzte seine ganzen Ersparnisse zusammen, um den Acker zu kaufen, in dem der Schatz versteckt lag. Wo liegt hier die Logik? Matthäus schreibt: „in seiner Freude ging er hin“. Aha, also vor Glück völlig neben sich, dieser Mann. Wozu braucht er den Acker? Weshalb gibt er alles, was er hat, für Acker und Schatz? Nicht besser der Perlenhändler, eher noch schwerer zu verstehen: Für eine einzige Perle gab er alles, seinen gesamten Besitz, verkaufte alle anderen Perlen, raubte sich selbst die Geschäftsgrundlage, hatte nichts mehr außer dieser einen Perle, die er ja ganz bestimmt nicht verkaufen wollte.
„Meine Güte, wie können die nur so merkwürdige Dinge tun!“, kann ich Ihre Gedanken förmlich hören, liebe Gemeinde. Es stimmt zwar, dass auch ein großer Glücksmoment einen Menschen aus der Bahn werfen kann, dass er unüberlegte Dinge tut oder sagt, die ihm nicht unbedingt gut bekommen müssen. Aber das, was Matthäus erzählt, ist nicht unüberlegt. Die beiden tun etwas, das entschieden über einen Glücksrausch hinausgeht. Beide müssen ihr Hab und Gut so wohlüberlegt veräußern, dass der Gewinn für Schatz und Perle ausreicht, müssen hartnäckig feilschen und dürfen das Ziel nicht aus den Augen verlieren, für das sie am Ende einen hohen Preis zahlen.
Wer von uns würde allen Ernstes so reagieren wie unsere beiden Glückspilze? Unser Kopfschütteln zeigt eindeutig, was wir davon halten. Ich kann mir gut vorstellen, solch ein Kopfschütteln war auch in der Menge der Menschen zu sehen, denen Jesus selbst damals diese beiden kurzen Gleichnisse erzählte. Sie hatten sicher schon vieles von ihm gehört und doch war da immer wieder jener Punkt, wo sie den Worten Jesu mit dem Horizont ihrer Erfahrungen, in den Grenzen ihrer Welt einfach nicht mehr folgen konnten, genau wie wir heute. Genau darauf legte es Jesus an, denn er wollte damals und uns heute erzählen von etwas, wofür wir weder Erfahrungen noch Begriffe haben. Um uns dahin zu führen, musste er aber bei unseren Erfahrungen, Bildern unserer Welt anknüpfen.
„Das Reich Gottes“, sagt er, „gleicht einem Schatz, verborgen im Acker“.
Das Reich Gottes. Ach ja, das Reich Gottes. Da war doch noch was! Etwas, das nicht zu unserer Welt gehört, unverfügbar für uns, unberechenbar, unheimlich und verlockend zu gleich! Denken wir Menschen von heute überhaupt noch daran? Reden wir darüber? Selbst innerhalb der Kirchenmauern doch eher selten und wenn überhaupt, dann doch meist im Sinne von Trost bei Bestattungen, oder?
Zu Jesu Zeiten muss das anders gewesen sein. Wie viele seiner Gleichnisse erzählen vom Gottesreich, denn die Menschen warteten sehnlich auf seinen Beginn! Endlich keine Not mehr, endlich ewige Gerechtigkeit und ewiger Frieden statt Ausbeutung und Krieg!
Können wir da noch mit? Was ist aus den Hoffnungen von damals geworden? Und haben uns die Versuche der Menschen des letzten Jahrhunderts, ihr jeweiliges Himmelreich auf Erden zu errichten, nicht noch die letzte Hoffnung auf umfassenden Frieden und ausgleichende Gerechtigkeit geraubt? Wir sind abgestumpft. Wir spielen lieber Lotto, da könnte ja noch wenigstens etwas dabei rumkommen. Klar, die meisten von uns setzen sich auch für die Rettung unserer Welt ein. Gott sei Dank gibt es nicht nur Egoisten, und unsere Kirche mischt sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten mehr oder weniger geschickt ein, wenn es um Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung geht. Aber das Reich Gottes haben wir soweit in die Zukunft oder in andere Dimensionen verschoben, dass wir es aus dem Blick verloren haben.
Jesus sieht das völlig anders. Das Reich Gottes ist nicht irgendwo, sondern ein Schatz im Acker. Wir können drauf stoßen, wenn wir nur aufmerksam hinschauen, wahrnehmen, was geschieht wenn Liebe siegt und uns wagen, diese Liebe auch Gottes Liebe zu nennen. Sie ist das Kostbarste, das alles andere überstrahlt und für das sich jeder Einsatz lohnt. Dieser Schatz wird unser Leben verwandeln. Wir bleiben nicht die, die wir vorher waren. Unser Horizont ist nicht mehr zu Ende an der Grenze unserer Machbarkeit und Möglichkeit, unsere Hoffnung erhält zur Wurzel des Glaubens nun auch noch die Flügel der Zukunft Gottes.
Deshalb erzählte Jesus die Gleichnisse, schrieb Matthäus sie auf, wurden sie über die Jahrhunderte wieder und wieder gelesen, besprochen, ausgelegt und als Hoffnungsworte verinnerlicht.