Jesus, der Retter, als Arzt und Therapeut
Kirche braucht den scharfen Blick von innen
Predigtext: Markus 8, 22-26: ( Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(22) Sie kamen nach Betsaida. Und sie brachten zu ihm einen Blinden und baten ihn, dass er ihn anrühre. (23) Und er nahm den Blinden bei der Hand und führte ihn hinaus vor das Dorf, tat Speichel auf seine Augen, legte seine Hände auf ihn und fragte ihn: Siehst du etwas? (24) Und er sah auf und sprach: Ich sehe die Menschen, als sähe ich Bäume umhergehen. (25) Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und wurde wieder zurechtgebracht, so dass er alles scharf sehen konnte. (26) Und er schickte ihn heim und sprach: Geh nicht hinein in das Dorf!Liebe Gemeinde!
Jesus, der Retter,- als Arzt und Therapeut, das ist die Botschaft unseres heutigen Gottesdienstes.
„Mach Spucke drauf“ – wer kennt nicht diesen Satz aus Kindertagen, wenn ein Schnakenstich, ein Kratzer oder eine sonstige kleine Verletzung das Kinderglück trübten -„Mach Spucke drauf“ – es ist etwas dran an diesem Ratschlag, den Mutter, Vater, ältere Geschwister oder Freunde gaben. Der Speichel enthält Enzyme und wirkt antibakteriell. Meistens hat sie gewirkt diese Spucke. Der Schnakenstich juckte nicht mehr ganz so arg, der Kratzer der Brombeerranke hörte gleich auf zu bluten. Älter geworden schämt man sich ein wenig, dieses probate Hilfsmittel aus Kindertagen selbst anzuwenden, denn Spucke gilt als ekelig und unfein- da greift man lieber zurück auf Mittel aus der Apotheke, dem häuslichen Medizinschränkchen oder geht sogar zum Arzt. „Mach Spucke drauf“- schon Jesus kannte dieses Hilfsmittel. Die Bibel – heute das Markusevangelium – erzählt uns darüber Wunderbares.
(Lesung des Predigttextes)
Einer, der nicht und nichts sieht, wird zu Jesus gebracht. In Betsaida. Zu Deutsch: Haus der Fischerei. Haus der Fischerei – da klingen in mir Worte an wie: „Ich will euch zu Menschenfischern machen“, zu solchen, die Menschen für mich gewinnen, mir nachfolgen. Haben wir es hier etwa mit einem Beispiel von Mission, einer Missionsgeschichte zu tun?
Jesus wird gebeten, den Blinden anzurühren. Die, die den Blinden zu Jesus bringen, wissen anscheinend: Von dem Berührtwerden Jesu geht heilende Kraft aus. Jesus, der Retter, als Arzt und Therapeut. Die Menschen vertrauen darauf: Wenn Jesus dich berührt, anrührt, ändert sich dein Leben. Jesus, der Retter, als Arzt und Therapeut, nimmt den Blinden erst einmal bei der Hand. Er führt ihn aus dem Dorf heraus.
Jesus nimmt den Blinden, nimmt den, der nicht und nichts sieht, mit auf einen gemeinsamen Weg. Hält ihn fest. Hält ihn bei der Hand. Jemanden an der Hand nehmen und führen ist eine Geste großer Nähe, des Vertrauens und der Hingabe. Ich gebe mich in die Hand dessen, der diese meine Hand hält. Kinder fühlen sich an der großen Hand von Mutter oder Vater, Oma oder Opa sicher. Gleichzeitig versichern sich die Großen, dass das Kind keinen unbedachten Schritt tut, keinen falschen Weg einschlägt, plötzlich losrennt, vielleicht in ein Auto. Liebespaare und solche, die es geblieben sind, gehen oft Hand in Hand. Sie zeigen damit: Wir gehören zusammen, wir gehen den gleichen Weg. Ich bin dir und du bist mir nahe. Ich gebe mich in deine Hand. Auch Sterbenden oder Schwerkranken halten wir die Hand, schenken damit Nähe und Geborgenheit, lassen sie spüren: Du bist nicht allein. Wir vermitteln ihnen eine Ahnung davon, was der Zuspruch für sie bedeutet: Du bist in Gottes Hand.
Jesus nimmt den Blinden bei der Hand. Welche Nähe und welche Sicherheit strahlt dieses Bild aus. Jesus führt. Dieser Weg, den Jesus mit dem, der nicht und nichts sieht, geht, führt zuerst einmal weg von den Menschen. Dieser Weg führt weg von Handel und Gewerbe, weg von Neuigkeiten und Klatsch, weg von Sensationslust und Showelementen. Jesus führt vor das Dorf mit dem Namen Haus der Fischerei. Die Missionsgeschichte eines Menschen, der Beginn des Weges mit Jesus führt nach einer ersten Begegnung erst einmal in die Einsamkeit, dorthin, wo Ruhe ist.
In einem Nachrichtenmagazin wurde vor kurzem berichtet, dass immer mehr Konzerne wichtige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu Einkehrtagen mit Stille, Meditation und Gebet in Klöster schicken, die unter evangelischer Leitung stehen. Als erstes werden dort die Mobiltelefone und Laptops der Gäste eingesammelt und verwahrt, bis der Kurs zu Ende ist. Nichts soll die Konzentration auf die Mitte, auf Gott, auf Jesus, stören dürfen. Wer Gott nahe kommen will, darf die Stille nicht fürchten. Dann erst kann das heilende Handeln Jesu, des Retters, als Arzt und Therapeut wirksam werden.
Jesus, der Retter- als Arzt und Therapeut
Das ärztliche Handeln Jesu besteht darin, dass Jesus seinen Speichel dem Blinden auf die Augen streicht. Der Speichel galt in der damaligen Zeit als Heilmittel insbesondere bei Augenkrankheiten. Jesus, der Retter, als Arzt und Therapeut. Aber damit überlässt Jesus den Blinden nicht sich selbst, sondern er legt ihm noch die Hände auf. Wir erinnern uns: Erst nahm Jesus den Blinden bei der Hand und führte ihn, dann die Spucke als Medikament. Jetzt legt Jesus ihm noch die Hände auf. Berührung, Nähe und Heilkunst lässt er den Blinden erfahren. Man kann heute überzeugend zeigen, dass die Nähe, der Zuspruch und die Berührung durch Menschen bei manchen Krankheiten ebenso heilend wirken können wie teuerste Medikamente. Damit erklärt sich zum Teil auch die gesundmachende Wirkung mancher homöopathischer Dosen, die zum Beispiel ein/e Heilpraktiker/in verordnet, Mittel, deren Wirkstoffe aber mit wissenschaftlichen Methoden nicht nachweisbar sind.
Jesus nimmt den Blinden ernst. Er führt mit dem Menschen, der ihm jetzt am Nächsten ist, ein Gespräch. Jesus fragt nach: „Siehst du etwas?“ Die Frage kann meinen: Ist dein Problem gelöst, ist dein Leben in Ordnung, weißt du jetzt, welchen Weg du gehen kannst? Weißt du nun, wer dich rettet? “Ich sehe die Menschen, als sähe ich Bäume umhergehen“, bekommt Jesus zur Antwort. Noch ist der Therapieerfolg nicht vollkommen. Es dauert manchmal lange, bis ein Mensch seinen Weg sieht und klar erkennt, worauf es im Leben ankommt, bis ein Mensch ganz für Gott gewonnen, „zurechtgebracht ist und bekennen kann: Jesus, mein Gott und Herr. Jesus, mein Retter.
Jesus gibt dem Menschen Zeit
Jesus hat Zeit. Jesus gibt dem noch nicht deutlich sehenden Menschen Zeit. Jesus hat die Zeit, ihn nochmals zu berühren, ihm nochmals die Hände aufzulegen, dann erst sieht der Mensch scharf. Wenn Jesus, der Retter, als Arzt und Therapeut mich mitnimmt auf seinen Weg, ist dies ein Weg heraus aus der Geschäftigkeit, heraus aus dem Machbarkeitswahn, heraus aus der Sucht nach Selbstdarstellung. Dann geht es immer darum: Jesus, den Retter, und das eigene Leben, klar und scharf zu sehen. Jesus mutet mir auch Unangenehmes zu. Wer hat schon gern die Spucke eines anderen im Auge?
Das heilende Handeln braucht Zeit. Eine Zeit, in der ich im Gespräch mit Jesus bleibe und er mit mir. Anders gesagt: Jedes Reden mit Jesus, dem Retter, hat therapeutische Wirkung. Ihm kann ich offen alles sagen, er schenkt mir seine Nähe. Wenn mein Leben „zurechtgebracht“ ist und ich „alles scharf sehen kann“, auch Ihn, Jesus, als meinen Retter, meinen Arzt und Therapeuten, jagt Jesus mich nicht gleich unter die Leute, um etwa Großartiges zu verkünden. Der Evangelist Markus erzählt: „Und er schickte ihn heim und sprach: Geh nicht hinein in das Dorf!“
Große Seelsorge
Während meines Urlaubs hatte ich die Gelegenheit, einen Band von Rudolf Bohren zu lesen – „Große Seelsorger- Große Heilige“. Es ist die Veröffentlichung einer Vorlesung, die Professor Bohren im Sommersemester 1980 an der Universität Heidelberg über Seelsorge hielt. Hier erzählt er z. B. vom Heiligen Antonius. Nach Bohren einer der größten Seelsorger der noch jungen Kirche, gleich nach Jesus und Paulus. Antonius, angeblich 251 n. Chr. geboren, wächst begütert in Ägypten auf. Seine Eltern sterben früh. Er ist ein wohlhabender junger Mann. Da trifft ihn während eines Gottesdienstes die Lesung vom reichen Jüngling wie ein Blitz. Er geht, verschenkt seinen Besitz an die Bewohner seines Dorfes und wird Eremit. Er zieht sich in die Wüste zurück und lässt sich in einer Höhle einmauern. Nur zweimal im Jahr bekommt er ein paar Brote gebracht. Nach zwanzig Jahren brechen die Leute die Mauer auf. Nicht weil Antonius von seiner Einsamkeit genug hat, sondern weil Menschen seine Nähe suchen. Von ihm ging eine Ausstrahlung und ein Leuchten aus, dass die Menschen in Scharen die Nähe des Antonius suchten.
Das Beispiel des Antonius kann uns zeigen, was Jesus mit der Anweisung an den Geheilten – „Geh heim, geh nicht ins Dorf“ – wollte und was unserer Kirche heute fehlt. Die Leuchtkraft, die Strahlkraft, der scharfe Blick – sie kommen von innen, nicht künstlich durch mediale Tricks, sondern durch den Heiligen Geist. Das spüren die Menschen und suchen danach. Kirchenleitende Gremien werden nicht müde zu betonen, dass in unserer Zeit sogenannte „Leuchttürme“, so etwas wie Beispiel- und Vorzeigegemeinden, entstehen müssten. Diese werden dann mit viel Geld und hauptamtlichen Mitarbeitern unterstützt und unterhalten. Heute wird erwartet, dass die Gemeinde, die Pfarrerinnen und Pfarrer, sich präsentieren, das Profil ihrer Gemeinde darstellen, der Öffentlichkeit zeigen, was „so Tolles in der Gemeinde abgeht“. Homepage und Internetauftritt sind gefordert. Das mag alles wichtig sein. Sehr schnell merken aber die Menschen, was authentisch ist und wo mehr der Schein blendet als Substanz da ist, die wirklich trägt im Leben und im Sterben.
Wesentliches
Der biblische Befund für das Wesentliche, das Ausstrahlende, zeigt einen anderen Weg als die mediale Präsenz: Geh gleich heim, sagt Jesu zu dem Geheilten, der inzwischen scharf sehen kann. Nicht ins Dorf, nicht auf den Marktplatz soll der Geheilte gehen, wo die neuesten Neuigkeiten ausgetauscht werden. Du musst dich nicht vor anderen präsentieren, musst nicht zum Mittelpunkt und Star werden und mit dem, was du erlebt hast, hausieren gehen. Geh heim, zurück in die Geborgenheit der eigenen vier Wände, denn du siehst jetzt genau, was im Leben wirklich zählt.
Lassen wir uns von Jesus an die Hand nehmen und in die Stille führen. Lassen wir zu, dass Jesus uns auch das Unangenehme unseres Lebens vor Augen führt, uns aber damit nicht allein lässt, sondern mit uns geht und uns „zurechtbringt“. Vor allem lassen wir uns von ihm anrühren, berühren, damit wir heil werden und scharf, deutlich und klar sehen, wer allein unser einziger Trost im Leben und im Sterben ist: Jesus, unser Retter, unser Arzt und Therapeut.
Amen