Mit dem Herzen geben
Die Not sehen und helfen
Predigtext: Matthäus 6, 1-4 ( Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Vom Almosengeben (1) Habt acht auf eure Frömmigkeit, daß ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel. (2) Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. (3)Wenn du aber Almosen gibst, so laß deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, (4) damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.Liebe Gemeinde!
„Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb!“ meint so mancher ein Sprichwort zu zitieren, und hat dabei doch schon das verinnerlicht, was kein geringerer als der Apostel Paulus wie eine Zusammenfassung dessen schreibt, was Jesus uns heute als Predigttext mit seinen Worten aus der Bergpredigt eindringlich ans Herz legt.
Es kommt auf die Fröhlichkeit an
Doch halt! Bevor Sie jetzt Ihr Portemonnaie zücken und nachschauen, ob Sie auch genügend Geld dabei haben, lassen Sie uns innehalten, und nachschauen, ob wir auch das Andere dabei haben, unsere Fröhlichkeit. Denn nicht zuerst ums Geld geht es heute, erst Recht nicht um die Höhe des Betrages, den wir beisteuern können oder wollen zur heutigen Kollekte. Nein, zuallererst möchte Jesus, dass wir uns besinnen auf den Reichtum, von dem wir leben, den geschenkten Reichtum der Liebe Gottes zu jedem einzelnen zu uns, der unsere Fröhlichkeit begründet im wahrsten Sinne des Wortes und der mit keinem Geldbetrag der Welt aufzuwiegen ist.
Es kommt auf die Frömmigkeit an
Und so beginnt Jesus denn auch – bevor es ums Geld geht – mit den Worten (Matthäus 6,1):
Habt acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel.
Jesus erinnert uns vor allem anderen daran, dass wir uns – wie er selbst – als Gottes Kinder, als seine Töchter und Söhne begreifen dürfen, die Gott über alles liebt, für die er sorgt und die mit all dem versorgt, was sie zum Leben brauchen. Vom Reichtum seiner Liebe und Fürsorge, von der Größe seines Verstehens und Verzeihens, von seinem Dabei sein auf all unseren Wegen, die wir zu gehen haben, leben wir. Darauf vertrauen wir. Daran glauben wir. Und diesen Glauben leben wir – in unserem Alltag, in unserer Gemeinde und in unserer Welt.
Drei Lebensweisen der Frömmigkeit spricht Jesus im nun Folgenden an. Er redet vom Almosengeben, vom Beten und vom Fasten. Und es wird dabei ganz praktisch und lebendig,
wie der geglaubte Glaube zu gelebtem Glauben werden kann,
wie sich im Gebet die Liebe zu Gott, im Almosengeben die Liebe zum Nächsten und im Fasten die Liebe zu sich selbst Raum und Wirklichkeit verschafft. Sozusagen im Vollzug, im Lebensvollzug, verwandeln sich Gottes Gaben an uns, werden zur Hingabe an Gott und zur Hingabe an die Menschen. Oder wie Martin Luther es knapp und einleuchtend formuliert: „Gute Werke machen nimmermehr einen guten, frommen Mann, sondern ein guter Mann macht gute, fromme Werke“.
Machen wir die Probe aufs Exempel und hören Jesu Worte über das Almosengeben aus dem heutigen Predigttext (Matthäus 6,2-4):
Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.
Wenn du aber Almosen gibst, so laß deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut,
damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.
Nicht Gabe als Angabe
Mit Sicherheit stoßen Jesu kritische Worte in unseren Ohren auf Zustimmung. Zwar haben sich Zeiten und Menschen gewandelt, aber die Missstände, die Jesus vor Augen stehen und als Heuchelei, als Schauspielerei, brandmarkt, sind auch uns vertraut: Da kleidet sich einer in die Maske des Wohltäters, spendet vor aller Augen, in aller Öffentlichkeit, einen hohen Betrag für eine gute Sache oder für einen Not leidenden Menschen – aber eigentlich ist das völlig egal, weil seine Blicke Beifall heischend nach rechts und nach links gerichtet sind. Ob die anderen auch richtig wahrnehmen, wie er gibt? Ob die anderen auch richtig mitzählen – und dann weiter erzählen, was er gibt?
Ein Lob, am besten ein öffentliches, dass es alle mitbekommen, oder ein schriftliches, dass es für immer vermerkt ist, ein festes Fundament für den guten Ruf – das ist doch das Mindeste. Und wer weiß, vielleicht wird ihm auch das Höchste zuteil: Wenn der Klang der Posaune ihn vor aller Augen und Ohren als besonders großzügig herausstellt und es – im wahrsten Sinne des Wortes hinausposaunt wird in den letzten Winkel – dann ist er zufrieden. Dann geht es ihm gut, weil ihm andere auf die Schulter klopfen und weil er sich selbst auf die Schulter klopfen kann, wann immer er sich im Spiegel ansieht.
So nachvollziehbar der Wunsch nach öffentlicher Anerkennung, nach einem Grund sich selber loben zu können auch sein mag – wenn es dabei an jener selbstvergessenen Fröhlichkeit, an jener sich Gott verdankender Frömmigkeit fehlt, dann bekommt die Gabe, die gegeben wird, jenen abfälligen, negativen Beigeschmack, den das Wort „Almosen“ in unserer Zeit hat: eine knauserige Gabe, die – gegeben mit einem Hauch von Arroganz – gerade nicht dazu dient, sich der Not oder dem Notleidenden zuzuwenden, sondern Grund ist, sich abzuwenden, seine Beruhigung und nicht zuletzt seine Ruhe zu haben.
…sondern Gabe als Hingabe
Als Antwort auf Gottes Gabe verstanden, entziehen sich unsere Gaben, unsere Almosen und Spenden, jedoch den Augen und auch dem Urteil anderer Menschen. So soll es sein. Und dem trägt ja auch unser System der Kirchensteuer Rechnung, das uns davon entlastet, die Höhe der eigenen Unterstützung kirchlicher und diakonischer Arbeit offen zu legen zu wollen oder zu müssen. Aber ist damit tatsächlich jede Gefahr der Heuchelei gebannt? Oder geraten wir nur in ein neues Dilemma, wenn wir uns darauf einigen: „Über Geld spricht man nicht“? Diesen Luxus können wir uns um Gottes und um der Menschen willen nicht leisten. Denn der Satz geht ja weiter: „Über Geld spricht man nicht. Man hat es“. Der wache Blick in unsere Gemeinde, in unsere Welt, zeigt gerade das Gegenteil, wie oft und wie sehr das Geld gerade fehlt! Das Geld fehlt für die Mitarbeitenden und die Gebäude in unseren Gemeinden. Das Geld fehlt in so vielen Familien, die betroffen sind von Arbeitslosigkeit. Und wo wir schon die Einschnitte hier vor Ort und in nächster Nähe ganz wirklich und ganz schmerzhaft spüren, müssen wir überdies wahrnehmen, dass wir mit unserem Mangel sogar noch zu dem einen Drittel der Menschheit gehören, die weit mehr haben als die Mehrheit, eben zwei Drittel der Weltbevölkerung.
Wie konkret sich das benennen lässt, wurde mit ganz radikal bewusst, als ich in der letzten Woche als Zuhörerin bei einer Podiumsdiskussion über „Verantwortung von Kirche und Politik in der Demokratie des 21. Jahrhunderts“ war. Im Verlauf des Gespräches zwischen Alfred Buß, dem Präses unserer Evangelischen Kirche von Westfalen und Wolfgang Thierse, dem Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, wurde im Nachgang zum Klimagipfel in Heiligendamm die Gleichung festgestellt, dass unsere Evangelische Kirche in Deutschland im Energieverbrauch der Stadt Hannover entspricht. Und dieser Verbrauch ist genauso hoch wie der zweier afrikanischer Staaten, nämlich Kenia und Somalia. Kenia und unseren Predigttext bereits in Gedanken, schoss mir als Weltbürgerin, vor allem aber auch als Christin, die beängstigende Frage durch den Kopf: Und wenn das genauso für das Bruttosozialprodukt gilt?
Wie wenig ist dann mit unserem Geld getan? Seien die Beträge noch so hoch? Die aufgeführten Problemstellungen lassen es nur allzu deutlich und offensichtlich werden: Man muss wohl über Geld reden, aber das alleine reicht nicht. Die Gebenden – sie würden mutlos, die Empfangenden – sie blieben im letzten hilflos.
Unser finanzieller Einsatz für die Arbeit in unserer Gemeinde, für Familien, die am Existenzminimum leben müssen, für die Menschen und Projekte in den armen Ländern der Welt muss geleitet und begleitet sein vom ehrlichen Interesse aneinander und füreinander: nicht herablassend, sondern einander auf Augenhöhe begegnend. Denn nur, wenn ich dem anderen auf Augenhöhe begegne, kann ich sehen, ihm fehlt. Nur wenn ich ihm mein Ohr leihe und höre, was er sagt, kann ich verstehen, was er braucht. Nur wenn ich mich auf sein Lebensumfeld und seine Situation einlasse, kann ich ihn so unterstützen, wie er es braucht. Was wir geben und wie wir geben, soll helfen, dass auch ein anderer teilhaben kann an einem Leben, das mehr ist als nur Überleben.
… damit durch Teilgabe Teilhabe ermöglicht wird
Offene Augen und offene Ohren brauche ich, um die Antwort auf die Frage zu finden: wem kann ich der Nächste, die Nächste sein? Ein offenes Herz und offene Hände brauche ich, damit ich mir beides immer wieder füllen lassen kann durch den Reichtum der Gaben, die Gott mir schenkt – für mich und für andere. Nicht umsonst ermuntert uns Jesus dazu, unsere linke Hand nicht wissen zu lassen, was die rechte tut. Wenn wir das mal ernsthaft ausprobieren, werden wir feststellen, dass das gar nicht geht. Aber mit seiner fröhlichen Übertreibung führt uns Jesus vor Augen, wie das mit dem fröhlichen Geben gehen kann: als ganz natürliche und selbstverständliche Lebensbewegung, völlig zweckfrei und ganz natürlich, wie unser Atmen oder unser Lachen. Unterstrichen wird dies noch durch die tiefenpsychologische Erkenntnis, dass die gebende Linke für unser Unbewusstes steht, dass einfach so reagiert und handelt wie es angezeigt ist und sich in keiner Weise beeinflussen lässt durch unsere rechte Hand, die für das Bewusste, das Abwägende oder Einwendende steht.
Dass das, was wir einander geben können, nicht immer Geld ist und sein braucht, erfahre ich immer dann, wenn ich mich einlasse auf das, was der eine oder die andere, der nahe oder die ferne Nächste, nötig hat und ihnen gut tut. Dann brauche und dann habe ich das, worum wir Gott zu Beginn unseres Gottesdienstes gebeten haben: Das Wasser, für den der Durst hat, das Wort für den, dem die Worte fehlen oder der einen Trost braucht, die Liebe für den, der einen anderen als Gegenüber oder als Weggefährten braucht. All das kennen wir. All das haben wir. Die geschickten und die fleißigen Hände, die überall in unserer Gemeinde mit tun. Die engagierten und phantasievollen Denkerinnen, die eine Klassenfahrt statt in die Großstadt in ein Zeltlager organisieren, die keine Familie eines Mitschülers finanziell überfordert. Die arbeitseifrigen Jugendlichen, die jeden Sommer unsere Baumärkte durchforsten, um in der Umgebung Tschernobyls Häuser alter Menschen zu restaurieren, die Frauen, die mit selbst gebackenen Kuchen einander in den Häusern besuchen, wenn das Geld fürs Café nicht bei jeder vorhanden ist.
Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb
Dabei geht es eben nicht allein um unser Portemonnaie, sondern es geht um den ganzen Reichtum, den ein jeder von uns von Gott bekommen hat. Es geht um den Menschen, den auch gleich jeder neben sich findet, den er teilhaben lassen kann an dem, was er hat. Wir können sicher sein: Wo wir teilen, was wir haben, wo wir andere an unserem je eigenen Reichtum teilhaben lassen, werden wir den Lohn des Vaters im Himmel empfangen, nicht erst am Ende der Zeit, sondern schon jetzt mitten im eigen Leben und Zusammenleben mit anderen.
Amen.