Begegnung mit dem Heiligen

Gottes Liebe und Gnade macht nicht Halt vor unseren Schwächen und unserer Kleinheit

Predigttext: 1.Mose 28,10-19a
Kirche / Ort: 07381 Pössneck
Datum: 9.09.2007
Kirchenjahr: 14. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Jörg Reichmann

Predigttext: 1. Mose 28, 10 -19 a (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

10 Aber Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran 11 und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen. 12 Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. 13 Und der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. 14 Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. 15 Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe. 16 Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wußte es nicht! 17 Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels. 18 Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goß Öl oben darauf 19 und nannte die Stätte Bethel…

Vorbemerkungen

Der Predigttext des Sonntags ist eine mehrschichtige Urvatererzählung, welche die Ätiologie der Kultstätte Beth- El in die Erwählungsgeschichte Jakobs, die in der Vision der Himmelsleiter auf der Flucht vor dem geprellten Esau eine erste Bestätigung erfährt, hineinbringt. Dabei fallen die „Glättungsversuche“ vermutlich späterer Redaktoren auf, die aus der Flucht des Jakob nach seiner Missetat beinahe eine gemütliche Reise zu Verwandten mit väterlichem Auftrag und Segen (!) zu machen versuchen und alle Schuld dem „bösen Weibe“ Rebekka zuschieben wollen wie weiland Eva im Garten Eden. Es wäre schon mehr als fragwürdig, wenn der später unumstritten waltende Patriarch Jakob just hier so fremdbestimmt gewesen wäre. Für uns nachgeborene Menschen in zeitlicher, geografischer, kultureller und nicht zuletzt auch religionsgeschichtlich beträchtlicher Distanz stellt sich die Frage, wie wir einen Einstieg in den Text finden mögen. Zu „heiligen Orten“ oder gar der definierbaren „Bindung“ Gottes an bestimmte geografische Orte haben wir im evangelischen Bereich ein theologisch klar begründbares kritisches Verhältnis. Das gilt auch, wenn das Pilgern langsam wieder Freunde zu finden scheint, denn dieses geschieht aus meiner Sicht eher nach dem Grundsatz „ der Weg ist das Ziel“. Immer deutlicher wird, dass eine steigende Zahl von Menschen überhaupt kein Verhältnis mehr zu „heiligen Orten“ hat, wenn wir unsere bescheidenen Stadt- oder Dorfkirchen einmal aufgrund der Besonderheit ihrer Bestimmung und Architektur so nennen wollen. Selbst Konfirmanden muss mühsam verdeutlicht werden, dass das tief in die Stirn gezogene Base Cap hier fehl am Platze ist, auch Erwachsene in allen mehr oder weniger möglichen Formen von Freizeitkleidung finden sich in Kirchen der Urlaubsregionen. Bleibt eigentlich nur, der ambivalenten und doch gesegneten Figur des Jakob Raum zu geben und dies in einer Form, die der urtümlichen biblischen Überlieferung erzählerisch nachspürt und gerade dadurch den heutigen Hörerinnen und Hörern Anknüpfungspunkte liefern kann.

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Mögen Sie Heldengeschichten, liebe Gemeinde? Von tapferen Menschen, edlen Rittern, die unerschrocken für das Gute kämpfen, die strahlende Vorbilder in einer dunklen Welt sind, so wie in den Märchen der Kindheit? Ich mag diese Geschichten, vor allem dann, wenn das Gute am Ende auch wirklich siegt und der Held den Lohn für seinen Edelmut bekommt. Im wirklichen Leben ist ja meist nicht so klar, wer oder was am Ende siegt, da gibt es nicht nur ganz gut und fürchterlich schlecht, weiß und schwarz, da gibt es auch hellgrau und schattengrau und aschgrau. Und die strahlenden Helden sind irgendwo auch alle nicht reinweiß, haben ihre Fehler und Macken, Schwächen und Unzulänglichkeiten. Von solch einem menschlichen Helden möchte ich Ihnen heute erzählen.

Wir steigen in seine Geschichte ein, als es gar nicht gut für ihn aussah. Er war auf der Flucht, war weit in die steinige Steppe hinein gerannt, aus Furcht vor seinem älteren Bruder. Der hatte eine Mordswut im wahrsten Sinne des Wortes auf ihn und wäre wohl zu allem fähig, dessen war er sich absolut sicher. Und der Grund dafür? Er hatte ihn schlicht betrogen, fies und hinterlistig die Gutmütigkeit des Bruders ausgenutzt, ihm für´n Appel und ´n Ei oder ´ne Linsensuppe, wie man damals sagte, sein Recht des Erstgeborenen abgeschwatzt. Das war keine Kleinigkeit! Denn nach dem Tod des Vaters war dessen erstgeborener Sohn der legitime Chef der Großfamilie, zentrale Instanz des gemeinschaftlichen Lebens. Dieses Recht hatte nun mal nur der tatsächlich zuerst geborene Sohn. Unser Held aber war der Zweitgeborene. Zwar nur wenige Minuten nach seinem Zwillingsbruder, aber unabänderlich der zweite Sohn, damit Nummer zwei in der Thronfolge, aber nur so lange, bis der Erstgeborene selbst wieder einen Sohn haben würde. Doch unser Held war nicht einer, der das hätte hinnehmen wollen.

Er trieb es noch ärger: Dem älteren Bruder wäre nach seinem Coup immerhin noch eines geblieben, was ihn ein für alle mal über den Zweitgeborenen gestellt und damit seinen rechtmäßigen Anspruch gesichert hätte: der väterliche Segen des hoch betagten Stammvaters. Den galt es zu ergattern und tatsächlich – viele von Ihnen, liebe Gemeinde, kennen diese heimtückische Geschichte – es gelang. Der Tastsinn des fast erblindeten Vaters wurde mit Ziegenfellen getäuscht, und die heiligen Worte waren ausgesprochen, einmalig, wirkkräftig.

Durch Lug und Trug den eigenen Bruder ausgebootet. Für immer und ohne Möglichkeit zur Wiedergutmachung. Eine von vielen bitteren und schuldhaften Familiengeschichten unter Menschen. Und jetzt war er auf der Flucht, fürchtete begründet die Rache des Bruders. Wie weit würde der Arm des Bruders reichen? Wann würde er in Sicherheit sein? Was nützte ihm das gesegnete Erstgeburtsrecht, wenn er es wohl nie würde ausüben können in seiner Familie? Die ganze Lügerei und Trickserei hatte ihm gar nichts gebracht, seine Schandtat war auf ihn zurück geschlagen. Und seine Zukunft? Eben noch der gefälschte Kronprinz, musste er jetzt um sein Leben fürchten. Eine Landschaft, in der man als einzelner kaum Überlebenschancen hatte, Vorräte, die nicht ewig reichten, Rückkehr ausgeschlossen, die Verfolger im Nacken.

Es war Abend geworden. In der Dunkelheit konnte er nun nicht mehr weiter laufen. Er war zu weit draußen, hier kannte er sich kaum noch aus. Außerdem musste er ein wenig schlafen. Also suchte er sich einen scharfkantigen großen Stein, denn andere schwere Waffen besaß er nicht. Nur für den Fall, der Bruder und seine Leute würden ihn aufspüren. Oder ein wildes Tier würde ihn überfallen. Denn er traute sich nicht, ein Feuer zu entzünden, aus Furcht, gesehen werden zu können.

Endlich schlief er ein, nach langem Lauschen in die Nacht. Es war kein Wunder, dass er träumte. Es heißt ja, dass einem die eigenen Missetaten immer wieder im Traum begegnen. Doch was er träumte, war sehr wohl ein Wunder: die Himmelsleiter, die Engel, die Gottesstimme. Jetzt müsste die donnernde Verdammung des Betrügers kommen, oder? Das Gericht über den Gesetzlosen, die gerechte Strafe vom großen Chef persönlich. O ja, das wünschen wir uns, dass das Gute einmal wirklich siegt, dass Gerechtigkeit die Oberhand gewinnt und nicht immer noch eine Hintertür aufgeht, durch die sich der Schweinehund der Verantwortung entziehen kann.

Gott sprach im Traum zu ihm: „Ich bin der Herr, der Gott deiner Vorfahren Abraham und Isaak. Das Land, auf dem du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Sie werden so unzählbar sein wie der Staub auf der Erde und sich nach allen Seiten ausbreiten, nach West und Ost, nach Nord und Süd. Am Verhalten zu dir und deinen Nachkommen wird sich für alle Menschen Glück und Segen entscheiden. Ich werde dir beistehen. Ich beschütze dich, wo du auch hingehst, und bringe dich in diese Land zurück. Ich lasse dich nicht im Stich und tue alles, was ich dir versprochen habe“.

Das war wohl ganz und gar nicht das, was unser Held erwartet hatte. Schlagartig war er munter, völlig durcheinander von diesem Traum. Erschrocken bis ins Mark und glücklich zugleich. Verstört und beruhigt über seine Zukunft in einem. Es gibt solche Momente im Leben, nach denen es sich nicht so weiter lebt wie vorher. Wo eine Begegnung mit dem Heiligen alles erwartete umwirft. Ein Lebenswendepunkt. Dazu braucht es keine bestimmten Orte, das kann wie bei unserem Held mitten in der Einöde geschehen oder auch ganz woanders. Der Ort und die Gelegenheit, wo es geschehen ist, bleiben uns unauslöschlich in Erinnerung, wenn wir ihr sichtbare und greifbare Hilfen geben. Wie den Stein, den unser Held kurzerhand von der Waffe zum rituell geweihten Gedenkstein umfunktioniert oder auch das helle Sonnenlicht hinter dem wunderschönen Kirchenfenster bei der Trauung oder die Kerzen der Osternacht bei der Taufe.

Jede und jeder, die oder der dem Heiligen begegnete, hat eigene Erinnerungsbilder daran. Wenn es sich um berühmte Menschen handelt wie unseren Helden, dann wollen andere daran teilhaben und dann kann passieren, was geschah, als er längst weiter gezogen war: der Ort wird verehrt und als heilig bezeichnet, obwohl das Ereignis schon längst Geschichte ist.

Aber auch wir sind noch nicht fertig mit dem, was Gott da gesagt hat zu unserem zwielichtigen Helden, auch wenn wir seine Geschichte jetzt hinter uns lassen. Wieso bekommt der Betrüger und gescheiterte Held eine zweite Chance? Den Segen, der viel gewaltiger ist als der vom Vater fälschlich gespendete? Einen Segen, den er nach menschlichen Maßstäben nicht verdient hatte? Weil Gott unberechenbar ist, nicht berechenbar in seiner Liebe und Gnade. Ja, auch der Versager, Gescheiterte, Schuldige kann durch seine Liebe zum Segensträger werden, manchmal sogar ohne dass er etwas von Gottes Liebe weiß und die plötzliche Wandlung zu humanen Bestrebungen ganz anders versteht. Ich denke dabei an den Film „Das Leben der anderen“ der die Geschichte eines solchen Menschen erzählt. Wundervoll, wenn auch wenig realistisch für die, die echten Stasileute kennen lernen mussten. Aber war Jakobs Weg vom heimtückischen kleinen Betrüger zum Stammvater des Volkes Israel realistischer zu seiner Zeit?

Gottes Liebe und Gnade macht nicht Halt vor unseren Schwächen und unserer Kleinheit. Gott erscheint, wann und wo und wem er will, mag´s der Mensch begreifen und so nennen oder nicht. Und Gott schenkt Vergebung und Gnade, wie er will. So fand auch unser Held Jakob den Weg aus der Wüste.

Amen

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