Glaube

Glaube ist klein, immer klein, auch wenn er groß ist

Predigttext: Lukas 17,5-6
Kirche / Ort: Lutherkirche / Baden-Baden
Datum: 16.09.2007
Kirchenjahr: 15. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Eva Böhme

Predigttext: Lukas 17,5-6 (Übersetzung nach Zürcher Bibel, 1971)

5 Und die Apostel sagten zum Herrn: Mehre uns den Glauben. 6 Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet (auch nur so gross) wie ein Senfkorn, so würdet ihr zu diesem Maulbeerfeigenbaum sagen: Entwurzle dich und pflanze dich ins Meer, und er würde euch gehorchen.

Zum Predigttext (I.) und zur Predigt (II.)

I. Exegetische und systematische Überlegungen Die von der Wirkung des Glaubens sprechende Antwort Jesu und die um eine Mehrung (oder Stärkung?) des Glaubens bittende Anfrage der Jünger scheinen auf den ersten Blick nicht gut zusammenzupassen. Besondere Aufmerksamkeit verdient deswegen die Frage, wie der jetzige redaktionelle Zusammenhang zwischen der Bitte der Apostel in V.5 und dem Logion von der Macht des Glaubens in V.6 zu verstehen ist. Die Perikope ist die dritte Sprucheinheit in einer Reihe von Jüngerunterweisungen, deren letzte die Ermahnung zum siebenmaligen Vergeben beinhaltet. Die Bitte der Jünger ist deswegen so etwas wie ein Hilferuf. Der Größe der Aufgabe fühlen sie sich in ihrem Glauben nicht gewachsen. Ob die Bitte der Apostel auf eine Mehrung des Glaubens im Sinne von: „Gib uns mehr davon“ oder ob die Bitte der Apostel auf eine Stärkung des Glaubens im Sinne von: „Gib unserem Glauben Nahrung“ zielt, hängt von der Bedeutung und Übersetzung von prostithenai ab. Beide Übersetzungen werden in den Kommentaren vertreten. Luther übersetzt: Stärke uns den Glauben, die Zürcher Übersetzung entscheidet: Mehre uns den Glauben. Da die Bitte um Mehrung des Glaubens in einem größeren Kontrast zur Antwort steht, orientiere ich mich an der Zürcher Übersetzung. Die Antwort Jesu, das Logion von der Macht des Glaubens lebt aus dem Gegensatz von klein und groß. „Der Vergleich des Glaubens mit einem Senfkorn dient im traditionellen Jesuswort Lk,17,6 dazu, das unfassbar Kleine, nämlich den Glauben, dem unfassbar Großen, nämlich dem, was er bewirkt, also dem Entwurzeln einer Sykomore mit ihren riesigen Wurzeln, gegenüberzustellen.“ (U. Luz zur Parallelstelle Mt. 17, 20) Das zu beachten ist wichtig. Es geht nicht darum, auch in der Predigt nicht darum, einen speziellen Senfkornglauben ausfindig zu machen, um an ihm die Verheißung zu entfalten. Es geht vielmehr um den Glauben schlechthin und der ist immer verschwindend klein und unscheinbar, und das auch dann, wenn er groß ist. Das Besondere des Glaubens besteht an dieser Stelle darin, dass ihm scheinbar Unmögliches verheißen wird. Der Glaube hat Teil und gibt Teil an der weltverändernden Kraft Gottes. Sollte die Bitte der Jünger auf eine Mehrung des Glaubens zielen, bringt die Antwort gerade in ihrer scheinbar unpassenden Weise Klärung (und nährt gerade so den Glauben). Was den Glauben anbelangt gibt es nichts zu mehren. Glaube ist nicht quantifizierbar. Ob nun angefochten oder nicht, ob nun ausgewachsen oder nicht, immer hat der Glaubende nichts in der Hand dafür die Verheißung im Ohr. Die aber sagt, dass der Glaubenden sich nicht mit dem Möglichen abfinden muss, sondern auf das scheinbar Unmögliche hoffen darf. Auf der Handlungsebene bedeutet das: Der Glaubende wagt es, Gott als Kraft zur Erlangung von scheinbar Unmöglichem zu beanspruchen. Er findet sich nicht ab mit der Macht des Möglichen und lässt sich nicht einengen auf die Fortschreibung bestehender Verhältnisse. Glaube bedeutet Veränderung, Bewegung, Aufbruch, Wagnis, Inanspruchnahme der weltbewegenden und weltverändernden Kraft Gottes. II. Der Predigt zugrunde liegende Entscheidungen 1. Eingangspsalm (Psalm 127), Evangelium (Mt. 6,25-34), Wochenspruch (1. Petrus 5,7) und Wochenlied (EG 345 oder 369) durchzieht das Thema der Sorge, bzw. des “Sorget nicht“. In diesen Kontext fügt sich auch die Bitte der Jünger um Mehrung ihres Glaubens angesichts zu erwartender Schwierigkeiten und Probleme. 2. Der Glaubende hat, auch wenn er noch so fest glaubt, nichts in der Hand. Er lebt von der Verheißung. Glaube ist immer Senfkornglaube. 3. So klein der Glaube ist, so groß ist die Verheißung seiner Wirkung. 4. Dass dem Glaubenden scheinbar Unmögliches möglich wird, bedeutet nicht, dass jedem Glaubenden alles scheinbar Unmögliche möglich wird. Aus theologischen und seelsorgerlichen Gründen ist der Vorstellung zu wehren, dass aus der Wirkung des Glaubens Rückschlüsse zu ziehen sind über das Maß an Glauben. 5. Nicht aufgegriffen habe ich Überlegungen, wie sich Allmacht und Liebe zueinander verhalten bzw. wie sich das Jesuslogion von der Macht des Glaubens verhält zu dem Wort des Apostels Paulus in 1. Kor. 13,2 „Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.“ Wer da Anregungen sucht, findet sie bei Gerd Theißen in seinem Predigtband „Lebenszeichen“ 6. Zu spät habe ich gehört, dass ein neues Buch mit Aufzeichnungen von Mutter Theresa erschienen ist, aus dem hervorgeht, dass sie, die so viel bewegt hat, Zweifel kannte (was mich wenig verwundert, aber immer wieder Gemeindeglieder, die sich einfach nicht vorstellen können oder wollen, dass Heiligkeit und Zweifel zusammengehen können.) Vielleicht ein möglicher Predigteinstieg. (Die Bibelzitate in der Predigt sind manchmal eine Mischung aus Lutherübersetzung und Zürcher Übersetzung)

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Liebe Gemeinde!

Die Bitte: Mehre uns den Glauben

Der Glaube(nde) kennt keine Sorge, heißt es, aber wenn man hört, was einen noch so alles im Leben erwartet, und wenn man sieht, wie einem der, dem man nacheifert, uneinholbar weit voraus ist, und wenn man dann noch gesagt bekommt, dass man trotz alledem in seine Fußtapfen treten soll, dann kann einem schon angst und bange werden. Ungefähr so stelle ich mir die Situation der Jünger damals vor. Nicht sehr viel anders sehe ich meine Situation heute und die von uns Christen.

„Folgt mir nach“, hatte Jesus zu seinen Jüngern gesagt, und sie waren ihm gern gefolgt. „Schaut zu, wie das Reich Gottes kommt“, hatte Jesus gesagt, und die Jünger hatten mit Staunen gesehen, wie er Kranke geheilt hatte. „Und nun geht, – predigt und heilt auch ihr“, hatte Jesus gesagt, und das war schon schwieriger gewesen und manchmal ziemlich misslungen. Dann war ihnen so nach und nach bewusst geworden auf was sie sich eingelassen hatten. „Es ist unmöglich, dass keine Verführungen kommen“, hatte Jesus gesagt, und sie hatten sich gefragt, ob sie bestehen würden. Und dann hatte Jesu noch gesagt – und das hatte das Fass zum Überlaufen gebracht: „Wenn dein Bruder sündigt, so weise ihn zurecht, und wenn er es bereut, vergib ihm. Und wenn er siebenmal am Tag an dir sündigen würde und siebenmal wieder zu dir käme und spräche: Es reut mich! So sollst du ihm vergeben.“ „Mein Gott. Siebenmal am selben Tag demselben vergeben. Wer schafft das schon!? Dazu braucht man doch wohl einen großen Glauben.“ So stehen die Jünger jetzt da. Machen sich so ihre Gedanken, auch über ihren Glauben. Und suchen Hilfe. „Mehre uns den Glauben“, sagen sie zu Jesus. Andere behaupten, die Jünger hätten gesagt oder zumindest gemeint: „Stärke uns den Glauben.“ Wie auch immer: Die Jünger werden gespannt gewesen sein, was Jesus antwortet.

Die Antwort: Ob angefochten oder nicht, Glaube ist immer Glaube

Nur, was sollen sie mit so einer Antwort anfangen? „Wenn ihr Glauben hättet“, antwortet Jesus, „so groß wie ein Senfkorn, so könntet ihr zu diesem Maulbeerfeigenbaum sagen: „Reiß dich aus und versetzt dich ins Meer!“, und er würde euch gehorchen.“ Was für eine Antwort! Sie passt ungefähr so gut auf die Frage wie die Faust aufs Auge. Um ein Mehr hatten die Jünger gebeten. Um ein Mehr an Glauben. Sie hatten vielleicht gehofft, Jesus könnte ihnen Übungen, Praktiken, ja Maßnahmen vorschlagen, um ihren Glauben auszubauen und zu vertiefen. „Jetzt kann ich schon dreimal vergeben, jetzt kann ich schon fünfmal vergeben, jetzt endlich siebenmal“, vielleicht hatten sie sich das so vorgestellt. (Wie eine DVD/ Kassette, die man einlegt, und wenn man alle Anweisungen beachtet und der Stimme bis zum Schluss gefolgt ist, dann ist man am Ziel.) Aber nichts dergleichen. Keine Übungen, keine Praktiken, keine Empfehlungen für vorbeugenden Maßnahmen, nur eine schier unglaubliche Szene. Aus mehr besteht die Antwort nicht. Was sollen die Jünger, was sollen wir, damit anfangen?

(Aber) vielleicht passen Frage und Antwort ja doch zusammen. Vielleicht hat Jesus ja etwas gehört, was er meint nur so und nicht anders beantworten zu können. Wenn ja, was war es, was Jesus gehört hat? Ich glaube, Jesus hat viel guten Willen gehört und er hat die Sorge gehört und er hat ein großes Missverständnis gehört und jetzt möchte er sagen: „Wisst ihr: Glauben könnt ihr nicht so trainieren wie man Muskeln trainieren kann. Ihr könnt wohl die guten Zeiten im Leben in euch aufnehmen und speichern, damit ihr in den schlechten etwas habt, wovon ihr zehren könnt. Das geht. Und das tut auch. Aber euch heute ein Glaubenspolster anlegen, für die Verführungen von morgen, das könnt ihr nicht. Und euch heute schon sicher sein, dass ihr morgen bestehen werdet, das könnt ihr auch nicht. Da hängt ihr tatsächlich in der Luft, da hängt ihr mit eurem Glauben in der Luft. Nur: Das soll euch nicht schrecken. Denn: Glaube ist Glaube und als solcher hängt er an Gott, und gerade so gibt es von ihm schier Unglaubliches zu erzählen.“

„Mehre unseren Glauben“ hatten die Jünger gebeten. Ein paar Hilfestellungen, Ratschläge, Übungen hatten sie sich erwartet. Und jetzt das: Da gibt’s nichts zu üben. Glaube ist Glaube. Er ist kein Können und er ist kein Vermögen und er baut sich nicht auf aus vorbeugenden Maßnahmen. Nein, Glaube ist Glaube. Er lebt von dem, was unerreichbar ist. Er lebt von Gott.

Nicht jedem ist im Glauben alles scheinbar Unmögliche möglich

„Nun gut“, könnte einer sagen: „Wenn das so ist. Dann probier ich das jetzt aus.“ Und geht und stellt sich hin, weil es hier ist, vor eine deutsche Eiche und sagt: „Reiß dich aus und versetze dich in den Rhein“ Was wird geschehen? Nichts wird geschehen. Gar nichts wird geschehen. Noch nie hat der Glaube Bäume entwurzelt und noch nie hat Gottvertrauen Berge versetzt. Höchstens das eine wird geschehen: Der Zweifel wird wachsen. Der Glaube nicht. Es gibt viele Menschen, die schauen nach den Wirkungen ihres Glaubens, sie berufen sich dabei vielleicht sogar auf unseren Predigttext, und wenn sie nichts sehen, wenn sie keine Wirkungen feststellen und keine Erfolge nachweisen können, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass alles so bleibt wie es schon immer war, dann verlässt sie der Mut, und am Ende stehen sie da und wissen nicht einmal mehr, ob das, was sie tun, überhaupt Glaube genannt zu werden verdient. Aber diese an sich und ihrem Glauben zweifelnden Menschen haben etwas gründlich missverstanden, was noch nicht Jesus, dafür aber Paulus sehr bald auch für uns geklärt hat. Paulus sagt nämlich: „O ja, dem Glaubenden ist schier Unmögliches verheißen. Aber das bedeutet doch nicht, dass jedem im Glauben alles Unmögliche erreichbar ist. Vielmehr: Was dem einen geschenkt wird, bleibt dem anderen verwehrt und wozu die eine befähigt wird, das bleibt der anderen unerreichbar.Und deswegen ist es müßig am Leben ablesen zu wollen, wo einer im Glauben steht.“

Das Bild wirken lassen

Und noch etwas muss klar sein. Ein Bild ist ein Bild und es soll auch ein Bild bleiben. Das Bild vom Senfkorn und vom Maulbeerfeigenbaum ist uns gerade nicht zur Nachahmung empfohlen. Es soll sich vielmehr in unsere Seele senken als Anschauung für das, was sich in der Regel nicht abbilden lässt. Hier das Senfkorn. Klein, winzig klein, so klein, dass es mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen ist. Und da der Maulbeerfeigenbaum, groß und stark, fest eingewurzelt und nach 500 bis 600 Jahren nicht mehr von seinem Platz wegzudenken. Und jetzt, was für eine Szene. Ein Jünger, ein Mann oder eine Frau, tritt vor diesen Baum. Und er bringt seinen Glauben. Und der ist klein, weil der Glaube immer klein ist wie ein Senfkorn, auch wenn er groß ist, und weil der Glaubende immer nur Unscheinbares vorzuweisen hat, auch wenn er Unmögliches vollbringt. Und jetzt spricht er ein Wort, spricht er nur ein Wort und die Welt, das was in ihr unverrückbar galt, bewegt und verändert sich.

Was für ein Bild. Was für eine Kraft. Was für eine Verheißung. Dem Glauben, der klein daherkommt, der immer klein und sozusagen mit nichts daherkommt, wird das scheinbar Unmögliche verheißen. „Wenn ihr Glauben habt“, sagt Jesus, „so groß wie ein Senfkorn, so könnt ihr zu diesem Maulbeerfeigenbaum sagen: ‚Reiß dich aus und versetzt dich ins Meer!’, und er wird euch gehorchen.“ Diesem Bild ist nichts mehr hinzuzufügen. Wir sollen es nicht nachahmen. Wir sollen es wirken lassen. Und wir sollen uns daran erinnern, wenn wir mal wieder denken: „Da ist nichts zu machen!“; wenn wir mal wieder dabei sind, uns abzufinden mit dem Möglichen, wenn wir mal wieder dabei sind zurückzuscheuen vor dem Wagnis, alles zu hoffen und dementsprechend zu handeln, auch wenn wir nichts in Händen haben.

Liebe Gemeinde, Sie wollen mehr? Beispiele, Konkretes, Illustrationen. Die schenkt das Leben. Der Alltag sorgt schon dafür, dass wir uns stoßen an dem, was ist und gefragt sind nach dem, was werden könnte, auch durch uns. Es wäre schon viel, wenn es am Ziel und Ende unseres Lebens heißen würde: „Dieser Mensch ist ein ungewöhnlicher Mensch gewesen. Er hat uns etwas geschenkt, was selten ist. Er hat sich mit vielem abfinden müssen im Leben. Und hat sich doch mit einem nie abgefunden. Dass es nämlich Menschen gibt, die behaupten: ‚Gott will, dass alles so ist, wie es ist, und dass es so bleibt wie es ist.’ Es ist besser sich an das Mögliche zu halten, als auf das Unmögliche zu hoffen.“ Nein, es ist nicht besser, liebe Gemeinde. Der Glaube hofft, dass sich noch etwas ändert, auch wenn es schier unmöglich scheint. Und er glaubt, dass das auch durch uns geschieht. Und zwar, weil Gott es so will. Warum um des Himmel willen, sollte uns zum Beispiel nicht möglich sein, was wir für unmöglich halten, dass wir nämlich am selben Tag demselben Menschen siebenmal vergeben?

Und die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Amen

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