Zug des Lebens

Begegnung mit einem Totenzug

Predigttext: Lukas 7,11-16
Kirche / Ort: 09322 Penig
Datum: 23.09.2007
Kirchenjahr: 16. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Ursula Bürger

Predigttext: Lk 7,11-16 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

11 Und es begab sich danach, daß er in eine Stadt mit Namen Nain ging; und seine Jünger gingen mit ihm und eine große Menge. 12 Als er aber nahe an das Stadttor kam, siehe, da trug man einen Toten heraus, der der einzige Sohn seiner Mutter war, und sie war eine Witwe; und eine große Menge aus der Stadt ging mit ihr. 13 Und als sie der Herr sah, jammerte sie ihn, und er sprach zu ihr: Weine nicht! 14 Und trat hinzu und berührte den Sarg, und die Träger blieben stehen. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, steh auf! 15 Und der Tote richtete sich auf und fing an zu reden, und Jesus gab ihn seiner Mutter. 16 Und Furcht ergriff sie alle, und sie priesen Gott und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns aufgestanden, und: Gott hat sein Volk besucht.

Zum Predigttext (I.) und zur Predigt (II.)

I. Exegetische Überlegungen zum Bibeltext Die Geschichte um die Erweckung des Jünglings zu Nain gehört zum lukanischen Sondergut. Jesus ist wieder auf der Wanderung. Das Wunder wird hier noch gesteigert gegenüber der Heilung des sterbenden Sklaven des Centurio Lk7, 2. Und der Jüngling bedeutet ungleich mehr für seine verwitwete Mutter. Diese Erzählung bereitet die Täuferfrage Lk7, 20,22 vor. Der Witwe wird zeichenhaft geholfen wie zu Elias Zeiten der Witwe zu Zarpat. Die Darstellung ist ähnlich bis in den Wortlaut: Lk7, 15 + 1Kön 17, 23. Sie hat auch Ähnlichkeit mit einer Elisa-geschichte:2Kön 4, 32-37. Noch näher steht sie einer Erzählung von einer Totenauferweckung durch Apollonius v.Tyana, nach der dieser eine scheintote Braut, die zu Grabe getragen wird, auferweckt und ihrem Bräutigam zurückgibt. Diese Parallelen geben zu denken. Sicher wollten die Christen, indem sie ähnliches von Jesus erzählten, sagen: Unser Herr ist genauso mächtig und kann genausolche Wunder tun, wie die anderen Wundermänner. V.11: Nach Lk6, 12ff wird Jesus wieder wandernd mit seinen Jüngern gezeigt. „unmittelbar danach“ (8-9 Wegstunden von Kapernaum entfernt!) nach der Heilung des Leibsklaven des Centurio. Mit dieser Bemerkung werden die beiden Geschichten zeitlich zusammengefaßt. Nain bedeutet nach rabbinischer Überlieferung „die liebliche“. Es waren die Jünger mit Jesus und eine große Menge Leute. V.12: Der Zug des Lebens – Jesus mit seinen Anhängern – begegnet einem Totenzug. Die Beisetzungszeit war der späte Nachmittag am Sterbetag. „exekomizeto tetnekos“ = einen Toten hinaustragen, ein nur hier im NT verwendeter Terminus technikus, bei antiken Schriftstellern aber häufig gebraucht. Dieser Tote ist der einziggeborene Sohn seiner Mutter, die inzwischen verwitwet ist. Diese Zuordnung läßt seine Bedeutung für die Mutter erkennen. Ohne ihn ist sie recht- und schutzlos und ohne Versorgung. Da der Sohn noch jung ist, dürfte auch der Vater in noch jüngeren Jahren verstorben sein. Dann gilt er nach jüdischem Recht als Sünder (früher Tod ist die Folge schwerer Sünde). Das trifft nun auch auf den Sohn zu. Wenn er noch unter 20 ist, dann wird an seinem Tod elterliche Schuld sichtbar. Für die Zeitgenossen wird am Schicksal der Witwe Gottes Gericht deutlich. Dennoch ist der Leichenzug groß, denn Totengeleit gilt nach jüdischem Recht als verdienstliches Werk. V.13: Die Frau „jammerte“ Jesus. Ihr Leid geht ihm an die Nieren. Er ist emotional berührt und fordert sie auf, nicht zu weinen. Jesus spricht und handelt als „der Herr“. V.14: Er tritt herzu und berührt den Sarg. Es ist an einen offenen Kastensarg (ho soros) zu denken, noch nicht geschlossen, aber bedeckt mit Tüchern. In Palästina wird auf einer offenen Bahre bestattet, hier ist die hellenistische Formung der Geschichte zu sehen. Daß der Herr, der Kyrios, den Sarg berührt, sich damit unrein macht, läßt die Träger still stehen. Er redet den Toten mit „Jüngling“ an und gebraucht das vollmächtige „Ich sage dir“ und gibt den Befehl: „Steh auf“ – im Griechischen ein Verb, egeiro, das auch in den Auferstehungsgeschichten (z.B. Lk24, 6 u.a.) gebraucht wird. So ist auch diese Wundergeschichte nur von Ostern her zu verstehen. Sie will sagen: Der erweckte und auferstandene Herr kann auch andere vom Tod zum Leben führen. V.15: Durch Aufrichten und Reden bekundet der vormals Tote, daß der Befehl gewirkt hat. Jesus gibt der Mutter den nun wieder lebendigen Sohn zurück. V.16: Die Tat Jesu erweckt Furcht bei denen, die es miterleben. Und zugleich preisen sie Gott dafür, daß er einen großen Propheten unter ihnen hat aufstehen lassen. Eine Hoffnung ist in Erfüllung gegangen, die Heilszeit ist angebrochen. Mit diesem Propheten ist Gott selbst zu seinem Volk gekommen. Die Geschichte vom Jüngling zu Nain erfüllt, was verheißen ist: Gott hat nach seinem Volk gesehen. Luther hat übersetzt: Gott hat sein Volk besucht. „Jesu Wirken ist in dieser Geschichte kein Machtkampf mit anderen Kräften und Gewalten, sondern ein Großeinsatz der Liebe Gottes.“ (G.Voigt, Die bessere Gerechtigkeit, Waltrop 2006,S 379). II. Was möchte ich predigen? Jesus und Gott lassen sich erbarmen und sehen nach den Menschen, auch ohne ausdrücklich darum gebeten zu werden. Der Zustand der Witwe geht Jesus „an die Nieren“. Er ist kein geschichts- und gesichtsloses Fatum, dem das Schicksal der Menschen egal ist. Wie können Menschen, die um einen Lieben trauern, diese Geschichte hören? Sie mögen denken: Ja damals in Nain, da hat Jesus geholfen, aber heute, hier bei mir, in unserer Familie? Obwohl auch in den Summarien, z.B. Lk 7,22, immer von vielen erzählt wird, die durch die Begegnung mit Jesus von ihren körperlichen Leiden und vom Tod errettet werden, hat Jesus doch nicht die ganze Menschheit geheilt. Und auch der wiedererweckte Jüngling zu Nain ist später, vielleicht alt und lebenssatt, einmal gestorben.Was also möchte ich mit dieser Geschichte predigen? Gott hat sein Volk so angesehen, daß Luther es als besuchen empfand. Und wer die Zeichen sehen kann, sieht, daß er es bis heute tut. Schlimm ist der Tod. Immer reißt er Lücken und fügt Menschen großen Schmerz zu. Aber genauso schlimm ist die Untröstlichkeit, die Unruhe und Sorge, die die Wunden nicht heilen lassen, die der Tod schlägt. Ich wünsche mir, daß mit dieser Predigt Menschen neu bestärkt werden in ihrem Zutrauen, ihrer Hoffnung auf Jesus Christus, den Auferstandenen, den Herrn über Leben und Tod, daß sie an die Kraft des göttlichen Lebens glauben, daß sie glauben, Gott sieht nach mir, und den Todesmächten in jeder Form keinen Platz in ihrem Leben einräumen, daß wir alle mit einstimmen können in den Lobpreis: In seiner Barmherzigkeit sieht Gott nach uns Menschen, besucht uns, sein Volk und erscheint denen, die in Finsternis und Todesschatten sitzen.(Lk 1,78+79)

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Liebe Gemeinde!

Die Fakten des Todes

Ein bekanntes Spiritual besingt die Einsamkeit und Trauer eines leidenden Menschen: Nobody knows the trouble I`ve seen, nobody knows – Niemand kennt das Leid, das ich gesehen, erlebt habe – nur ich allein weiß es, mich reißt es bald auseinander. Vielleicht haben Sie auch schon solche bitteren Erfahrungen machen müssen – Ihnen ist ein lieber Mensch von der Seite gerissen worden. Das kann Ihnen niemand gleich nachempfinden. Zu dieser Trauer kommt nun noch die Einsamkeit. Die anderen, nicht betroffenen, wissen nicht so recht, wie sie sich Ihnen nähern sollen. Alle Beileidsworte scheinen ins Leere zu gehen. Auf Dörfern geht oft die Nachbarschaft mit zur Beerdigung. Man nimmt Anteil. Aber wo ist Hilfe? Die Witwe in Nain hat ihren einzigen Sohn, einen noch jungen Mann, verloren. Nun ist sie ganz allein, auch in ihrer Trauer und Angst. Was soll bloß werden? Die Nachbarn gehen alle mit zur Beerdigung, eine große Schar. Aber es ist alles unklar. Die Fakten des Todes haben jede Hoffnung getötet. Der Zug des Todes ist groß. Viele gehen mit.

Hoffnungsvolle Begegnung

Da begegnet diesem Zug des Todes der Zug des Lebens. Jesus mit seinen Jüngern und Anhängerschar kreuzen den Trauerzug. Bei mir macht sich Hoffnung bemerkbar. Ich kenne zwar die Geschichte vom Jüngling zu Nain schon lange, aber so geht es mir bis heute: Jede noch so verlorene Situation bekommt einen Hoffnungsschimmer, wenn Jesus Christus aufleuchtet. Er erscheint für mich heute im Zeichen des Kreuzes. Wo dieses Zeichen ist, ist nicht mehr alles finster, trübe und traurig. Deshalb stellen und hängen Menschen seit Jahrhunderten überall dort Kreuze hin, wo sie sich Hoffnung und Hilfe erbitten: in Kirchen, Krankenzimmern, auf Friedhöfe, in Schulen, in Wohnzimmer. Und so wird’s auch in der Geschichte erzählt: Durch Jesus wird der Todeszug gestoppt. Der Zustand der Witwe jammert ihn. Dazu muß er sie vorher angesehen haben. Und Jesus sieht, was mit ihr ist. Nobody knows –niemand weiß, but Jesus, „nur Jesus“ geht das Lied weiter. Nur Jesus weiß es, er schaut uns an und weiß, wie es uns geht. Darin besteht seine Göttlichkeit, daß sie sich in tiefster Menschlichkeit äußert. Er ist sich nicht zu fein oder zu ängstlich, sich der Frau, ihrem toten Sohn zu nähern. Er spricht das rettende Wort, weil er sich berühren läßt von dem Elend der Witwe. Er spricht zwei Aufforderungen, die nicht kommentiert oder diskutiert werden. Zur Frau: „Weine nicht!“ Und zum toten Jüngling: „Ich sage dir, steh auf!“

Wo Jesus ist, sieht uns Gott an

Es muß so gewesen sein, wie es in dem Spiritual weiter gesungen wird: „Da tat sich der Himmel auf, und Seine Liebe kam herab. Ich werde den Tag nie vergessen, als Jesus abwusch meine Sünden.“ Der Dichter des Spirituals bringt Licht, Leben, Liebe Gottes mit dem Verschwinden seiner Sünden, der lebensfeindlichen Mächte, in Verbindung. Und weil Jesus die abwaschen kann, diese Mächte des Todes, die wie Pech an uns kleben, deshalb kommt mit ihm Leben, Licht und Freude. Jesus ist der Herr über unsere vielfältigen Beziehungen. In der Geschichte in Nain stiftet er eine neue Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Sohn. Vielleicht kennen Sie die Zeile aus der Nationalhymne der DDR, gedichtet von Joh.R.Becher: „Daß nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint.“ Das ist eine Hoffnung, die besonders die vielen Kriegstoten im Sinn hat, daß nie wieder junge Männer Kanonenfutter sein sollen. Die Menschheit hat seit Urzeiten die Sehnsucht nach dem ewigen Frieden, wie sie bei Jesaja bereits formuliert ist in der Verheißung eines Friedefürsten, der Wunder-Rat, Ewig-Vater, Gott-Held genannt wird. Als solcher wird Jesus uns in der Geschichte um die trauernde Witwe beschrieben, der sogar einen Toten erwecken, auferstehen lassen kann. Das zeigt, dass Jesus stärker ist als alle Mächte des Todes, die uns bedrohen und leiden lassen. Wo Jesus ist, sieht uns Gott an, besucht uns Gott. Und das nicht nur, wenn´s uns gut geht, sondern auch und besonders dann, wenn wir weinen und traurig sind. Er erweckt neue Hoffnung auf den Gott, der uns liebt und glücklich leben lassen will.

Jesus, der Herr, sagt: „Weine nicht, sondern stehe auf von den Toten!“

Amen

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