Gardinenpredigt einer Motte

Schätzesammeln?

Predigttext: Matthäus 6,19-23
Kirche / Ort: Arche / Heidelberg-Kirchheim
Datum: 30.09.2007
Kirchenjahr: Erntedankfest
Autor/in: Pfarrer Dr.Vincenzo Petracca

Predigttext: Matthäus 6,19-23 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

19 Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen. 20 Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen. 21 Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. 22 Das Auge ist das Licht des Leibes. Wenn dein Auge lauter ist, so wird dein ganzer Leib licht sein. 23 Wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!

Exegetische Überlegungen

VV 19f: Mit „Schätzesammeln auf Erden“ meint Matthäus Akkumulation von Reichtum auf Kosten anderer. Dem wird positiv das „Schätzesammeln im Himmel“ gegenübergestellt, was primär Wohltätigkeit und Armenfürsorge meint. Die Motte ist in der Bibel ein symbolisches Tier für irdische Vergänglichkeit (Jes 51,8; Sir 42,13;Jak 5,2). Ob mit „Fresser“ (V 19f) ein Wurm (so Einheitsübersetzung) oder der Rost (so Luther; vgl. Jak 5,3) gemeint ist, ist in der Exegese umstritten. VV 22f: Der Text geht entsprechend antikem Verständnis davon aus, dass das Auge eine eigene Lichtquelle besitzt. Die Augen sind in VV 22f freilich nur eine Metapher für die moralische Qualität des Menschen, denn in den Augen spiegelt sich der Charakter. VV 22f meint: „Die Integrität und Geradlinigkeit des menschlichen Handelns; insbesondere des Umgangs mit seinem Besitz, entscheidet über das, was der Mensch als ganzer ist“ (Luz, S. 467). Mt 6,19-23 ist Teil der größeren Perikope 6,19-34 und sollte im Gesamtkontext interpretiert werden: Es geht um die falsche und rechte Sorge und um die Frage, ob man sein Herz an das Sammeln vergänglicher Schätze hängt, die von Motten und Rost zerfressen und von Dieben gestohlen werden können, oder an unvergängliche, himmlische Schätze. Der falschen Sorge um Essen und Kleidung (25-31) wird die richtige Sorge nach dem Reich und der Gerechtigkeit Gottes entgegengesetzt (32-34). Gipfelpunkt der Perikope ist das berühmte Mammonwort in V 24. Der Mammon ist nur scheinbar eine Sache, die man besitzt, in Wirklichkeit ist er ein Götze, der von Menschen (und Gesellschaften) Besitz ergreift. Er erhebt wie Gott den Anspruch auf die völlige Hingabe des Menschen und gaukelt dem Menschen Sicherheit durch eigensüchtige Anhäufung von Geld und Vermögenswerten vor. Ist der Mammon durch Sicherheitsstreben, Suchtverhalten, Gier, Egomanie und Überfluss für wenige gekennzeichnet, so ist die Gerechtigkeit Gottes durch Vertrauen, Freiheit, Sinnstiftung, Solidarität und Genug für alle charakterisiert.

Literatur:

Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus, EKK 1/1, Neukirchen 52002, S. 461-487.- Ulrich Duchrow, Reinhold Bianchi, René Krüger, Vincenzo Petracca, Solidarisch Mensch werden - Psychische und soziale Destruktion im Neoliberalismus. Wege zu ihrer Überwindung, Hamburg 2006, S. 317-321.

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Liebe Gemeinde!

Was würde eine Motte aus der Zeit Jesu wohl predigen

Als ich über den Predigttext nachsinnte, da flog eine winzige Motte vorbei. Direkt vor meinen Augen flog sie einen kunstvollen Looping. Sieh da, eine Motte! Was würde sie wohl zu diesen Worten sagen, fragte ich mich. Sozusagen als Direktbetroffene. Was würde eine Motte aus der Zeit Jesu wohl predigen an meiner Stelle? Vielleicht so:

Liebe Erntedank-Gemeinde, verzeiht einer Motte dies offene Wort. Aber, Ihr Menschen seid schon seltsame Wesen! Ihr haltet mich für häßlich: Mit meinen winzigen, gelbglänzenden Flügeln. Bewimpert. Dachartig über den Rücken gefaltet. Für Euch bin ich ein Schädling, kein Schmetterling. Etwas nach dem man schlägt. Euch dagegen haltet Ihr für die Krone der Schöpfung, aber seid ihr tatsächlich die Krönung?

Nicht mal fliegen könnt Ihr. Und dabei nehmt Ihr Euch so wichtig. Bodenständig wie Ihr seid, sorgt Ihr Euch vor allem um das Schätzesammeln. Ihr hortet Kleider. Wie schon zu meiner Zeit. Damals waren kostbare Stoffe und prächtige Gewänder ausgesprochene Wertgegenstände. Reiche Frauen bekamen ihre Aussteuer in luxuriösen Schleiern, Umhängen, Schals, Kopftüchern, Schleppen, Festkleidern. Hmmm, welch ein leckerer Fraß!

Übrigens, ich bin eine königliche Motte! In der Kleiderkammer des Königs Herodes bin ich geschlüpft. Mit vielen, vielen anderen. Nahrung gab es für uns alle mehr als genug! Ihr könnt es Euch gar nicht vorstellen: diese Unzahl an Prunkgewändern voller Gold und Edelsteine. Der König besorgte sich Kleider wie Lehm. Was fraß ich als Raupe am liebsten? Kostbaren Linnen und Purpur, das war delikat! Der große Herodes hatte nur Interesse an Macht, Einfluß und Reichtum. In der königlichen Kleiderkammer häufte er edle Stoffe an – und wir Kleingetier haben sie einfach vertilgt! Bizarr.

Jesus hat recht: Was habt Ihr Menschen davon, wenn Ihr Kleider anhäuft, die wir Motten zerfressen? Und mit den anderen Schätzen ist es ähnlich: Ihr rafft Schätze zusammen, dann plötzlich bricht ein Dieb ein und raubt sie, oder sie werden ein Fraß des Rostes. Was habt Ihr dann vom Schätzesammeln?

Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.

Ja, was habt Ihr eigentlich vom Schätzesammeln? Diese Frage hat mir fast einmal das Leben gekostet! Das war so: Eines Tages hörte ich ein schreckliches Wehklagen. Neugierig flog ich hin, um nachzusehen. Unter einem Maulbeerbaum kniete ein kleiner Mann mit einem purpurnen Gewand. Er starrte auf ein finsteres Loch und heulte vor Kummer. „Menschenkind, warum weinst du“, fragte ich und fixierte dabei das kostbare Gewand, das eine magische Anziehungskraft auf mich ausübte.

Er erzählte mir, dass er sein Gold unter diesem Baum vergraben hatte. Einmal in der Woche kam er und grub das Gold aus. Er kam immer heimlich und gab genau acht, dass ihm niemand folgte. „Und doch muss mich jemand beobachtet haben“, rief er elend. „Denn heute fand ich nur dies leere Loch!“ In seiner Verzweiflung zerriss er sein Prunkgewand. Ich beobachtete ihn gebannt. Schließlich sagte ich mitleidig „Für was hast du denn das Gold gebraucht?“ „Ich habe es angeschaut“, antwortete er zu meiner Überraschung. „Jede Woche habe ich es ausgegraben und betrachtet. Stundenlang. Meist legte ich neue Goldmünzen hinzu. So wuchs mein Schatz.“

„Nur zum Anschauen hast Du das Gold gebraucht?“ Er nickte, ohne die Verwunderung in meiner Stimme zu bemerken. Nachdem das Erstaunen verebbt war, dachte mein winziger Mottenverstand nach. Ich glaubte, die Lösung gefunden zu haben, immerhin bin ich Spezialistin für Löcher: „Nun, wenn du das Gold nicht direkt brauchst, kannst du doch genauso gut weiterhin jede Woche herkommen und einfach nur das Loch anschauen“.

Die Augen des Mannes funkelten böse. Mit zornroten Händen schlug er plötzlich nach mir. Klatsch! Zum Glück bin ich ihm entkommen… Ist das nicht absonderlich? Er häufte Gold an, nur um es anzuschauen. Er besaß das Gold nicht, in Wirklichkeit hatte das Gold von ihm Besitz ergriffen. Wie sagte Jesus? Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. Der Schatz macht deutlich, was dir am wichtigsten ist. Was in deinem Zentrum steht. Bei diesem Reichen stand das Gold in der Mitte. Als sein Schatz fort war, war sein Herz leer. Entscheidet selbst: War er nicht ein Narr?

Was macht man mit dem Überfluss?

Nun, gut. Ich sehe es an Euren Gesichtern: Ich habe Euch nicht überzeugt! Lottogewinner, wer wäre das nicht gern? Ein Traum, so glaubt Ihr. Da ist beispielsweise Jack aus West Virginia. Vor fünf Jahren kaufte er für einen Dollar ein Los. Er gewann damals den größten amerikanischen Lotteriegewinn: 314 Millionen Dollar. Doch bald wurde der Traum zum Alptraum: Häufig wurde in seine Autos und sein Haus eingebrochen.

Mit dem Reichtum kamen die Exzesse. Mehrmals wurde Jack betrunken hinter dem Steuer erwischt. Auf einen Bar-Manager hat er eingeprügelt und musste vor den Kadi. Eine Frau zeigt ihn wegen sexueller Attacke an und kassierte viel Geld. Dann Millionenverluste in Kasinos. Drogenparties. Zuletzt starb Jacks geliebte Enkeltochter an einer Überdosis. Ach, wie traurig!

Ob Ihr’s glaubt oder nicht: Die Liste der unglücklichen Lottogewinner ist lang. Die Familien zerbrechen. Es wird gestritten, geprügelt, gestohlen, und am Ende steht die große Einsamkeit. Oder es wird gar gemordet, um an das Geld heranzukommen. Reichtum wird zum Fluch. Und Ihr wünscht Euch da den Jackpot zu knacken? Warum? Glaubt Ihr damit Lebenssicherheit erkaufen zu können? Überhaupt: 314 Millionen Dollar. Eine Summe, bei der mir ganz schwindlig wird!

Aber, damit war Jack noch lange nicht auf der Liste der 400 reichsten Amerikaner. Dazu hätte er 1000 Millionen Dollar mehr gebraucht. Wisst Ihr eigentlich wie viel diese 400 Menschen zusammen besitzen? Eineinhalb Billionen Dollar. Das ist 1 Million mal 1 Million, und dann noch mal 500.000 mal 1 Million Dollar! Und das für 400 Menschen! Es tut mir leid, aber selbst für eine Motte, die in der Kleiderschatzkammer des Herodes groß geworden ist, übersteigt diese Summe bei weitem meinen Mottenverstand. Was macht man denn mit dem ganzen Überfluss? Ja, ja, ich weiß: anschauen. Man schaut seinen Schatz an, himmelt ihn an, wie mein Reicher unter dem Maulbeerbaum. Und vermehrt ihn natürlich.

Schätzesammeln nur um der Schätze und ihrer Vermehrung willen? Was für ein Sammlertrieb! Wo gibt es das sonst bei uns in der Natur? Nirgends. Nicht einmal bei Bruder Hamster. Freilich, Anhäufen um des Anhäufens willen, ist das tatsächlich das Zentrum des Lebens? Nennt mich eine törichte Motte, aber für mich ist das Suchtverhalten. Gewinn-Sucht. Eigen-Sucht. Ich-Sucht. Hab-Sucht. Wer der Sucht des Schätzesammelns verfällt, ist unversehens zum Sklaven seines Schatzes geworden. Verfehlt er aber damit nicht sein Leben?

Seid ihr soviel klüger?

Ach ja, apropos Sklave. Da gibt es noch den Punkt, worüber manche von Euch nicht so gern reden: Woher kommt denn eigentlich der Reichtum? Ist er tatsächlich redlich verdient? Gerecht erworben? Oder wurde Reichtum angehäuft auf Kosten anderer?

Zu meiner Zeit wurden Schätze angesammelt, indem viele regelrecht versklavt wurden. Und wie ist es bei Euch? Viel komplizierter! Da gibt es Steueroasen. Da gibt es Steuerhinterziehung. Da wird der Staat unter Druck gesetzt, um Steuersenkungen für die Reichen zu erreichen. Da gibt es Sozialabbau. Da gibt es Arbeitsplatzverlagerungen nach Südostasien. Da gibt es IWF-Schuldenauflagen. Da gibt es ökologische Kollateralschäden. Da gibt es strukturelle Kostenminimierung im Zeitalter der Globalisierung. Uff, eine kleine, schlichte Motte kommt da gar nicht mehr mit! Schwester Heuschrecke müsste ich sein, um das zu verstehen.

Die Heuschrecken sind ja bei Euch die Spezialisten der Finanzmärkte. Globale Jongleure mit unersättlichem Appetit. Und Eure Heuschrecken sind im Begriff, sich zu einer ausgewachsenen Plage zu entwickeln… Nun, gut. Ich habe von Reichen und Superreichen Eurer Spezies geredet. Indes, Ihr anderen? Seid Ihr soviel klüger? Warum träumen viele, wie diese Reichen zu sein? Weshalb orientieren sich viele gerade an diesen? Sind sie dann nicht auch Narren wie diese?

Worauf kommt es dann aber an im Leben

Worauf kommt es dann aber an im Leben, fragt Ihr? Jesus sagt: Es kommt auf die himmlischen Schätze an. Diese Schätze kann weder ich noch einen andere Motte fressen. Und auch kein Dieb kann sie stehlen. Kümmert Euch daher zuerst um die Schätze Gottes, seine Gerechtigkeit und sein Reich, alles andere wird Euch dazugeschenkt! Aber, welcher Schatz gilt im Himmel?

Vor Gott zählt nur eine Währung: das Geld, das man mit anderen teilt! Daher: Lebt solidarisch! Teilt Eure Schätze, damit alle genug zum Leben haben! So predigte Jesus. Wer seine Schätze teilt, der teilt auch sein Herz. Denn wo Euer Schatz ist, da ist auch Euer Herz. Vielleicht wird dadurch Euer Herz auch leichter? Ihr Menschen sorgt Euch ja um alles! Nicht nur um Geld und Schätze, sondern auch um Essen. Um Trinken. Um Kleidung.

Manche von Euch werden richtig krank vor lauter Sorge. Als ob Eure Sorgen Euer Leben auch nur um eine Sekunde verlängern könnte! Mein Lieblingswort Jesu ist: Schaut die Blumen auf dem Feld an, wie sie wachsen! Wenn Schwester Lilie blüht in ihrer weißen Pracht, dann ist sie die ganze Zeit über geöffnet. Ihr Duft entfaltet sich des Nachts in besonderer Weise. Ihr müsst sie einmal in einer galiläischen Nacht erleben! Ihr nächtlicher Duft, ihre weiße Farbe im Kontrast zur Dunkelheit!

All das zieht Bruder Habichtsfalter an, der sie bestäubt. Welch ein Zauber! Es gibt keinen Menschen, der jemals so prachtvoll angezogen war wie Schwester Lilie. Und glaubt mir, ich bin eine Fachfrau für Kleidung! Selbst der steinreiche König Salomo war in all seiner Herrlichkeit nicht so vollendet gekleidet wie sie. Wenn nun aber der himmlische Vater schon die Blume auf dem Feld so bekleidet, warum sorgt Ihr menschlichen Geschöpfe Euch? Fürchtet Ihr, er hätte ausgerechnet Euch vergessen?

Schwester Lilie müht sich nicht ab. Sie spinnt und webt auch nicht. Sie lässt sich vom himmlischen Vater beschenken. Und sie dankt ihm. Sie dankt ununterbrochen. Sie dankt für die Sonne, für die Wolken, für den Regen, für den Habichtsfalter, für jeden Tag. Sie dankt dem Vater im Himmel, dass sie so ist, wie sie ist. In all ihrer Schönheit. Und auch ich danke dem himmlischen Vater, dass ich so bin, wie sie bin. In all meiner Unansehnlichkeit.

So einfach ist das für uns. Für Euch Menschen nicht? Schaut Euren Erntedankaltar an! Er ist geschmückt mit vielen Früchten aus Gärten und von Äckern. Obst und Salat. Kartoffeln und Karotten. Korn und Kraut. Blumen und Honig. Traubensaft und Brot. Lernt doch etwas von den Gaben: Gott gibt reichlich in seiner Schöpfung. Dankt daher auch Ihr dem himmlischen Vater! Und habt Vertrauen, denn er sorgt für Euch! Und, bitte, verzeiht einer einfältigen Motte dieses offene Wort.

Amen.

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