Vorschein einer neuen Welt

Zeichen und Wunder

Predigttext: Johannes 5,1-18
Kirche / Ort: 32479 Hille-Hartum b. Minden/W.
Datum: 14.10.2007
Kirchenjahr: 19. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Hartmut Frische

Predigttext: Johannes 5,1-18 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1 Danach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. 2 Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heißt auf Hebräisch Bethesda. Dort sind fünf Hallen; 3 in denen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte. (Sie warteten darauf, dass sich das Wasser bewegte. 4 Denn der Engel des Herrn fuhr herab von Zeit zu Zeit herab in den Teich und bewegte das Wasser. Wer nun zuerst hinein stieg, nachdem sich das Wasser bewegt hatte, der wurde gesund, an welcher Krankheit er auch litt.) 5 Es war aber dort ein Mensch, der lag achtunddreißig Jahre krank. 6 Als Jesus den liegen sah und vernahm, dass er schon lange gelegen hatte, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden? 7 Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein. 8 Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! 9 Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin. Es war aber an dem Tage Sabbat. 10 Da sprachen die Juden zu dem, der gesund geworden war: Es ist heute Sabbat; du darfst dein Bett nicht tragen. 11 Er antwortete ihnen: Der mich gesund gemacht hat, sprach zu mir: Nimm dein Bett und geh hin! 12 Da fragten sie ihn: Wer ist der Mensch, der zu dir gesagt hat: Nimm dein Bett und geh hin? 13 Der aber gesund geworden war, wusste nicht, wer es war; denn Jesus war entwichen, da so viel Volk an dem Ort war. 14 Danach fand ihn Jesus im Tempel und sprach zu ihm: Siehe, du bist gesund geworden; sündige hinfort nicht mehr, dass dir nicht etwas Schlimmeres widerfahre. 15 Der Mensch ging hin und berichtete den Juden, es sei Jesus, der ihn gesund gemacht habe. 16 Darum verfolgten die Juden Jesus, weil er dies am Sabbat getan hatte. 17 Jesus aber antwortete ihnen: Mein Vater wirkt bis auf diesen Tag, und ich wirke auch. 18 Darum trachteten die Juden noch viel mehr danach, ihn zu töten, weil er nicht allein den Sabbat brach, sondern auch sagte, Gott sei sein Vater, und machte sich selbst Gott gleich.

Vorbemerkungen

Auch die Heilung des Kranken am Teich Bethesda ist ein Zeichen, durch das Jesus seine Herrlichkeit offenbart. „V.4 ist nach dem in den alten Bibeln erhaltenen Bestand des Textes schwerlich von Johannes geschrieben worden, sondern die Bemerkung eines Späteren, der die vom Kranken Jesus gegebene Antwort so erläutert hat.“ (Adolf Schlatter, Erläuterungen zum Neuen Testament, 1. Band, Die Evangelien und die Apostelgeschichte, Stuttgart 1936, S.88) Man muss das Provokative dieses Predigttextes sehen und in der Predigt zur Sprache bringen. Hierzu vergleiche man die Sätze von Gottfried Voigt zu der Frage Jesu in V.6: „Willst du gesund werden?“: „Dann kommt die Frage, die das kurze Gespräch eröffnet … Sie ist Appell an den Glauben des Kranken, ja, sie will diesen Glauben provozieren, d.h. in diesem Fall ihn aus dem Nichts ‚hervorrufen’, dass er sei (vgl. Röm 4,17)“. (Gottfried Voigt, Die bessere Gerechtigkeit, homiletische Auslegung der Predigttexte der Reihe V, Berlin 1982, S.416) Gottfried Voigt zu V. 8: „Man hat den Eindruck, dass Jesus, indem er den Mann sein Bett aufnehmen und wegtragen heißt, den Konflikt geradezu vom Zaune bricht (so jedenfalls nach dem jetzigen Zustand der Perikope).“ (a.a.O., S. 417) Man beachte, wie die Führungsschicht des jüdischen Volkes damals gegenüber Jesus zunehmend kritischer wird (Joh 2,18.20; 5,16.18; 6,41; 7,44; 11,50; 19,12) „Was Jesu Erlösungswerk für die Welt bedeutet, ist in den Zeichen und Herrlichkeitsoffenbarungen des irdischen Jesus als Vorschein schon immer wieder aufgeleuchtet.“ Gisela Kittel, Der Name über alle Namen II, Biblische Theologie/NT, Göttingen 1996, 2. Auflage, S.165

Lieder:

„Gott des Himmels und der Erde“ (EG 445,1-5) „Sollt ich meinem Gott nicht singen“ (EG 325,1+4+8) „Ich freu mich in dem Herren“ (EG 349) „Wir haben Gottes Spuren festgestellt“ (EG 648) „Bewahre uns Gott“ (EG 171) „Die Herrlichkeit des Herrn“ (EG 640)

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Liebe Gemeinde,

Aufgerüttelt und zum Fragen gebracht

Jesus konnte provozieren, und er hat provoziert. Mehrere Male hat er ganz bewusst die Menschen gereizt und herausgefordert. Als er sich über die Kaufleute und Geldwechsler im Tempel erregte, die nur an ihr Geschäft dachten, machte er sich eine Geißel aus Stricken und schlug heftig drein (Johannes 2). Als er die jüdischen Menschen beim Laubhüttenfest in Jerusalem sah, wie sie sich um eine besondere Wassergabe versammelten, stellte er sich gut sichtbar hin und rief: „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen“ (Johannes 7).

Hier in der Geschichte von der Heilung des Kranken am Teich Bethesda sagt Jesus am Sabbat zu diesem gerade gesund Gewordenen: „Nimm dein Bett und gehe hin!“ Diese Schlafmatte, auf der der Kranke 38 Jahre lang gelegen hatte, die hätte er auch getrost bis zum nächsten Tag dort liegen lassen können. Die hätte keiner weggenommen. Jesus provozierte also bewusst. Jesus hat öfter Menschen gereizt, aufgerüttelt und zum Fragen gebracht.

Jesus provoziert den Kranken

Die Juden feiern eins ihrer großen Feste. Von allen Seiten her pilgern die Menschen nach Jerusalem. Dicht gedrängt bewegen sich die Massen durch die Gassen der Altstadt. Und natürlich strömen immer neu viele, viele zum Tempel. Jesus aber geht zu der großen Schar der Kranken am Teich Bethesda. Er geht dorthin, wo das Elend wohnt. Noch heute ist dieser Teich eine Ausgrabungsstelle und eine Touristenattraktion. Ich bin selbst dort gewesen. Bethesda heißt „Haus des Erbarmens“. Dieser Teich wurde damals umrankt von einem im Volk weiter gereichten Wunderglauben: Wenn sich das Wasser bewegt, wird der erste, der hinein geht, gesund. So hatten sich viele Kranke, Behinderte und Lahme hier hin begeben. Es herrschte eine Atmosphäre wie in einem Sanatorium. Doch galt: Nicht erst den Letzten, sondern schon den zweiten beißen die Hunde.

Jesus sieht sie alle, und er wählt einen aus. Einen der ärmsten. 38 Jahre lang lag er krank hier in den Hallen rund um diesen Teich. Es hatte ihn hart getroffen. Aber es ist ja auch hart, wenn heute der Arzt sagt: „Krebs!“ Oder wenn einem der Vorgesetzte eröffnet: „Sie sind entlassen!“ Oder wenn der Ehepartner sagt: „Ich will nicht mehr!“

38 Jahre lang hatte der Kranke in dem Wechselbad der Gefühle gesteckt. Immer neu hatte er Hoffnung geschöpft, und dann war er wieder enttäuscht worden. Wer dies über eine so lange Zeit hinweg erlebt, der stumpft leicht ab. Da gewöhnt man sich an die Not, an das Alleinsein und an die Schmerzen. Die Not wird einem so vertraut, wie ein alter Mantel. Er hat zwar Flecken bekommen und ist staubig. Er ist an mehreren Stellen eingerissen und sieht wirklich nicht mehr schön aus. Und doch wärmt er. Er ist zur zweiten Haut geworden.

Jesus geht auf diesen Menschen zu und fragt ihn: „Willst du gesund werden!“ (V.6) Jesus spricht ihn an. Er fordert ihn heraus. Er provoziert ihn. – Warum stellt Jesus diese Frage? Alle wollen doch hier gesund werden. Jeder möchte der erste sein, wenn sich das Wasser bewegt! Ist die Antwort des Kranken nicht selbstverständlich – und die Frage Jesu unnötig und verletzend?

Aber die Antwort dieses Mannes ist nur: „Ich habe keinen Menschen!“ Aus seinen Worten spricht pure Resignation. Da ist ein Mensch völlig hoffnungslos. Er ist nicht nur äußerlich krank, sondern auch innerlich wie eine verlöschende Flamme. Wie viele Menschen mag es geben, die äußerlich Andachten lesen und Gottesdienste mitfeiern, aber innerlich denken: „Wie es in mir aussieht, das geht keinen Menschen an! Ich habe keinen Menschen! Mich versteht keiner!“

Hier weiß Jesus, dass er keinen anderen als diesen Menschen heilen darf. Er weiß, dass er ein weiteres Zeichen setzen kann. An diesem Menschen soll sich schon vorweg etwas von der heilen Welt Gottes ereignen. So sagt er zu ihm: „Steh auf, nimm dein Bett und geh hin!“

Jesus provoziert an einem Fest

Es ist Sabbat, der Feiertag der Juden. Dazu feiert man in Jerusalem ein besonderes Fest. Wie gesagt: Die Schlafmatte des Kranken hätte getrost für einen Tag da liegen gelassen werden können. Stellen wir uns vor: Nach einem Gottesdienst – die Menschen möchten nach Hause. Da schleppt plötzlich jemand seine alte Matratze vor dem Haupteingang der Kirche her. Das muss Ärger geben. Wir sind überhaupt nicht anders als die Menschen damals.
Für Jesus ist es eine eindrückliche Demonstration: Hier hat jemand die heilende Kraft Gottes erlebt. Was hier gerade geschehen ist, ist ein Vorschein auf die Vollendung des messianischen Reiches. Für die jüdischen Menschen damals war es eine besonders eklatante Übertretung des Feiertagsgebotes. Am Sabbat eine solche Last durch die Straßen Jerusalems tragen? Das geht nicht! Diese staubige Matratze gehört hier nicht hin. So sprechen sie den gerade noch Kranken an. „Es ist heute Sabbat; du darfst dein Bett nicht tragen!“ Ganz treuherzig antwortet der Mann: „Der mich gesund gemacht hat, sprach zu mir: „Nimm dein Bett und gehe hin!“ Sofort wird zurück gefragt: „Wer war der Mensch, der mit dir geredet hat?“ Wo ist die Ursache dieser Störung des Sabbats? Der Mann aber wusste es nicht.

Nun kommt es zu einer erneuten Begegnung zwischen Jesus und diesem Mann, der gerade gesund geworden war, dieses Mal im Tempel. Als Jesus diesen Mann sieht, sagt er ihm. „Siehe, du bist gesund geworden; sündige hinfort nicht mehr.“ Du hast deinen Retter gefunden. Tritt nicht wieder heraus aus der Freiheit, die dir geschenkt wurde. Du bist nicht festgelegt auf deine Vergangenheit. Heute kannst du neu anfangen.

Nun bekennt sich dieser Mann in aller Öffentlichkeit zu Jesus. Jesus hat ihn am Sabbat von seiner langwierigen Krankheit geheilt. Und damit ist die Provokation perfekt: Man ärgert sich in Jerusalem an Jesus. Warum muss er ausgerechnet am Sabbat heilen und dann diesem Mann auch noch gebieten: Pack dein Bett und geh nach Hause? Der Ärger in Jerusalem gegen Jesus wächst. Man stellt ihm nach und lauert ihm auf. Ja, man trachtet ihm nach dem Leben.

Jesus ist bereit für den Weg, den Gott ihn führt.

Jesus betet nicht: Schütze mich! Die wollen mich töten! Gott, Du musst mich bewahren! Schon hier ist Jesus bereit: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ Jesus gibt sich der Wegführung Gottes hin. Er weiß. Sein Weg führt ihn zum Kreuz, und er testet: Was ist jetzt dran? Jesus wartet: Was wird Gott nun tun? Welches weitere Zeichen darf ich jetzt tun? Wann ist meine Stunde gekommen?

Jesus hat so gefragt, als er seine Worte auf dem Laubhüttenfest ausrief. Er hat so gefragt, als er – auch hier an einem Sabbat – den Blindgeborenen heilte. Er hat so gefragt, als er den Lazarus auferweckte. Und er war zu allem bereit, als er auf einem Esel unter dem Jubel der Menschen in Jerusalem einritt. Sein Weg führte ihn zu seinem Leiden und Sterben auf Golgatha und zugleich dem Tag der Auferweckung am Ostermorgen entgegen.

Die Heilung des Kranken am Teich Bethesda ist zugleich ein Wunder Jesu und ein Zeichen seiner Messianität, und ebenso ein Vorschein der neuen Welt Gottes, die dann mit der Auferweckung Jesu anbricht. Was mit diesem einsamen Menschen am Teich Bethesda geschieht, hat seine Folgen für die Geschichte Jesu und für den Fortgang des Reiches Gottes. Deshalb ist es wichtig, dass sich jeder von uns fragt: Will ich gesund werden? Will ich mir die Traurigkeiten meines Lebens anrühren und überwinden lassen? Will ich mir meine Schuld vergeben lassen? Es hat seine Folgen für das Kommen des Reiches Gottes, wie wir diese Fragen stellen und wie wir sie uns beantworten lassen.

(Stille)

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

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