„…dass in der Gemeinde Glaube und Liebe wachse“

Reformation - Gott finden und seine Spuren in unserem Leben wahrnehmen

Predigttext: Micha 6,6-8
Kirche / Ort: 98597 Fambach
Datum: 4.11.2007
Kirchenjahr: 22. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Michael Glöckner

Predigttext: Micha 6,6-8 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

(6) Womit soll ich mich dem HERRN nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? Soll ich mich ihm mit Brandopfern nahen und mit einjährigen Kälbern? (7) Wird wohl der HERR Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? Soll ich meinen Erstgeborenen für meine Übertretung geben, meines Leibes Frucht für meine Sünde?« (8) Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.

Exegetische und homiletische Prolegomena zu Micha 6,6-8

I. Der am 22. Sonntag nach Trinitatis zu predigende Abschnitt aus dem Prophetenbuch des Micha ist Bestandteil einer 6,1-7,7 umfassenden Unheilsankündigung des aus der judäischen Landschaft stammenden Schriftpropheten aus dem achten vorchristlichen Jahrhundert (vgl. E. Zenger u.a., Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 31998, 504ff.; W. Zimmerli, Grundriß der alttestamentlichen Theologie, Stuttgart 71999,175f.). Micha von Moreschet Gat, das ca. 35 Kilometer von Jerusalem in südwestlicher Richtung gelegen ist, war Sippen- bzw. Ortsältester, eine Art Bürgermeister, und hatte von Amts wegen Kontakte mit der Hauptstadt Jerusalem. Er wirkte nicht ohne Erfolg in der Zeit der Könige des Südreiches Jotam (756-741), Ahas (741-725) und Hiskia (728-700, Mi 1,1 (Zahlen nach H. Donner, Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen, Teil 2: Von der Königszeit bis zu Alexander dem Großen. Mit einem Ausblick auf die Geschichte des Judentums bis Bar Kochba, Göttingen 21995, 505) und war als Prophet „[…] nicht nur Zeitkritiker, sondern Bote kommender Tat Jahwes“ (W. Zimmerli, a.a.O., 175). In seinen Unheilsworten übte er „massive Staats- und Gesellschaftskritik, die sich schonungslos mit der für die Kleinbauern ruinösen Wirtschaftsordnung der mittleren Königszeit und der frühnachexilischen Zeit auseinandersetzt“ (E. Zenger, a.a.O., 508). II. Mi 6,6-8 kann inhaltlich nicht losgelöst von dem Kontext 6,1-8 betrachtet werden, wenngleich sich die Auslegung innerhalb der Predigt auf V8 als Quintessenz konzentriert. In Form einer „priesterlichen Unterweisung“ (O. Kaiser, Einleitung in das Alte Testament. Eine Einführung in ihre Ergebnisse und Probleme, Gütersloh 51984, 238), schildert der Prophet, worin Gottes Erwartungen an den Menschen bestehen: „Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist, und was der HERR von dir erwartet: Recht zu tun, Treue lieb zu haben und demütig zu wandeln (Hapax legomenon) mit deinem Gott.“ (V8) So lautet die Antwort auf das Ansinnen des Gottes Nähe suchenden Menschen (V6). Der 22. Sonntag nach Trinitatis thematisiert Gottes rettende Gerechtigkeit und steht damit in engem Zusammenhang mit dem einige Tage zuvor begangenem Reformationsfest. In seiner Beurteilung des Menschen lässt Gott Gnade vor Recht ergehen (vgl. das Evangelium Mt 18,21-35) und erwartet dasselbe von dem seine Nähe suchenden Menschen (Mi 6,6-8). In der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck werden am 4. November 2007 die neu gewählten Kirchenvorstandsmitglieder in ihr Amt eingeführt und die der zurückliegenden Legislatur gewürdigt, was in der vorliegenden Predigt nicht unberücksichtigt bleiben kann. Predigtlied: „Wohl denen, die da wandeln“ vor (EG 295); zum Heiligen Abendmahl: „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herze“ (EG 230).

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Das Bibelwort, auf das wir uns in der Predigt konzentrieren , steht im Buch des Propheten Micha, im 6. Kapitel. Es enthält eine Vielzahl von Fragen, die eine menschliche Sehnsucht thematisieren, und eine Antwort.

(Lesung des Predigttextes)

Liebe Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher, liebe Gemeinde!

„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Kein Geringerer als der berühmte deutsche Schriftsteller, Drehbuchautor und Kabarettist Erich Kästner ist es, von dem diese wahren Worte stammen. Wenn wir heute die Mitglieder des Kirchenvorstands der zurückliegenden Legislatur dankbar entlassen und die für die nächsten sechs Jahre gewählten und berufenen Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher begrüßen und in ihr Amt einführen werden, haben wir über viel Gutes zu reden. Darum werde ich im Anschluss an die Predigt um das Versprechen der Mitglieder unserer neuen Gemeindeleitung bitten und fragen: „Gelobt Ihr, Euer Amt als Kirchenvorsteher gemäß dem Evangelium zu führen, die Ordnungen der Kirche zu achten und nach Kräften dazu beisteuern, dass in der Gemeinde Glaube und Liebe wachse?“ Und sie werden antworten: „Ja, ich gelobe es vor Gott“. Denn um das Gute geht es, wenn das Evangelium verkündigt wird, wenn sich Menschen an den Ordnungen unserer Kirche orientieren und Glaube und Liebe in der Gemeinde wachsen. Dafür hat sich der Kirchenvorstand immer wieder eingesetzt und Mittel und Wege gefunden, dass dies geschehen kann. Nun liegt es an den neuen Mitgliedern, sich der gewiss nicht leichten Aufgabe zu stellen.

Die Frage nach dem, was gut ist und damit selbstverständlich auch die Gegenfrage nach den Sinnwidrigen und Abträglichen, dem Bösen, gehört zu den Grundfragen der Menschheit. Das Wissen um das Gute ist dem Menschen von Gott gewissermaßen in die Wiege gelegt. „[…], und siehe, es war sehr gut.“, so sprach Gott, nachdem er am sechsten Tag den Menschen zu seinem Bilde geschaffen hatte (Gen 1,31). Der Mensch ist nicht nur gut, er weiß auch um das Gute, und diese Gottebenbildlichkeit gibt ihm seine besondere Würde und zeichnet ihn vor allen anderen Geschöpfen aus.

Doch die Freude am Guten währte nicht lange, so dass die Ermunterung der Schlange an Eva traurige Realität für die gesamte Menschheit wurde: „[…] an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“ (Gen 3,5) Nach dem Genuss der verbotenen Frucht an besagtem Baum hat der Mensch nicht nur ein Wissen über das Gute, sondern auch über das Böse.

Nun gehört zu den uns eigenen Erfahrungen, was der Apostel Paulus beschreibt, und wir nehmen sie oft voller Bitterkeit wahr: „Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich“ (Röm 7,18f.).

Erfrischend und aufmunternd wirkt dagegen das Wort des Propheten Micha, der im achten Jahrhundert vor Christus die Menschen im Südreich Judäa mit seiner Botschaft wachgerüttelt hat: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, […].“ – Du weißt es doch! Da gibt es nicht so viel zu überlegen, wie du vielleicht glaubst. Du kannst, wenn du nur willst, das Richtige tun – das, „[…] was gut ist und was der HERR von dir fordert, […].“ In drei Handlungsweisen zeigt der Prophet Micha auf, wie es geht und worin es besteht: „Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott“. Werfen wir einen kurzen, aber scharfen Blick auf diese drei Konkretionen und sagen mit dem Propheten Micha erstens:

Gut ist, wer Gottes Wort hält

Legt man den genauen Wortlaut in der Originalsprache, im Hebräischen, zugrunde, so müsste man sagen: Gut ist, wer einem anderen zu seinem Recht verhilft, wer das Rechte tut, denn Gottes Wort verheißt dem Menschen Gerechtigkeit. „Womit soll ich mich dem HERRN nahen, mich beugen vor dem hohen Gott?“ Wir könnten auch fragen: „Wie gelingt es mir, dass ich mit meinem Leben Gott finde, dass ich seine Spuren in meiner Existenz wahrnehme?“ Antwort: Es ist gut, wenn du mit dafür Sorge trägst, dass es Recht und Gerechtigkeit gibt. Das sind große Worte, aber sie sind keine den Juristen und Politikern vorbehaltene Sache. Recht und Gerechtigkeit beginnen regelmäßig ganz im Kleinen, darum ist Recht und Gerechtigkeit im eigenen Umfeld gemeint.

Darin bestand auch das Ziel der Prophetie des Micha aus Moreschet Gat, dem kleinen Ort nicht so weit von Jerusalem. Was er beklagt, klingt in unserem Sprachgebrauch etwas anders, gibt es aber durchaus auch, wenn er beispielsweise zu denen, die das Recht brechen und Menschen unterdrücken, sagt: „[…], ihr schindet ihnen die Haut ab und das Fleisch von ihren Knochen“. (3,2). So kann man unterbezahlte Arbeit unter unwürdigen Bedingungen oder Mobbing in einer Firma umschreiben. An anderer Stelle klagt er über die käuflichen Propheten, „die Heil schreien, wenn sie etwas zu beißen haben, aber den heiligen Krieg gegen die ausrufen, die ihnen nichts ins Maul stecken“ (3,5 in der Übersetzung von W. Zimmerli, a.a.O., 175). Auch solche kann man ohne langes Suchen finden.

Recht und Gerechtigkeit zu der eigenen Sache werden zu lassen, ist darum die erste Möglichkeit, Gott in seinem Leben zu entdecken, denn es ist Gottes Wille, dass es gerecht unter uns zugehe. Zweitens:

Gut ist, wer Liebe übt

Wenn wir von Liebe reden, wie wir sie kennen, wenn wir uns in einen Menschen verlieben, dann befremdet die Aufforderung, Liebe zu üben. Im Normalfall entwickelt sich Liebe, das heißt, sie muss nicht gesondert eingeübt werden und geschieht, weil sie ein Geschenk ist, von ganz alleine. Chaesaed, so lautet das hebräische Wort, das an dieser Stelle steht, meint aber mehr als das. Ihr entspricht, was wir im Deutschen als Gunst oder Gnade bezeichnen, auch Güte oder Barmherzigkeit können gemeint sein. Das ist noch etwas andere als das so oft missverstandene Wort von der „Liebe“.

Es ist die Liebe, mit der Gott uns begegnet, und es ist die Liebe der Menschen zu Gott. Sie wird offenbar, wenn Güte und Barmherzigkeit, wenn Gunst und Gnade das eigene Handeln prägen. Solches Handeln ist darum die zweite Möglichkeit, Gott in seinem Leben zu entdecken, denn wir haben einen Gott, der Gnade vor Recht ergehen lässt. Drittens:

Gut ist, wer demütig mit seinem Gott wandelt

Das ist die genaue Gegenbewegung zu dem, was Eva tat, als sie zu wissen begehrte, was Gott vorbehalten ist, nämlich über das Gute und Böse. Wer mit seinem Leben Gott nahe kommen will, der gibt sich zufrieden und hält es aus, Mensch und eben nicht Gott zu sein. Er lebt aus dem, was Gott ihm gibt und gestaltet die Welt mit entsprechend der Vorgaben, mit denen ihn Gott beteiligt. „Demut“ gehört zu den Wörtern, die sich in unserer Sprache keiner großen Beliebtheit erfreuen. Gesten der Demut sind es aber, die die Welt verändert haben. So ging das Foto vom Kniefall Willy Brandts im Warschauer Ghetto als Zeichen seiner Betroffenheit um die Welt und trug maßgeblich zur Versöhnung zwischen Deutschland und Polen bei. Gut ist, wer demütig mit seinem Gott wandelt – nicht voller Hochmut und Eigensinnigkeit, sondern demütig – in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes.

„Womit soll ich mich dem HERRN nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? Soll ich mich ihm mit Brandopfern nahen und mit einjährigen Kälbern? Wird wohl der HERR Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? Soll ich meinen Erstgeborenen für meine Übertretung geben, meines Leibes Frucht für meine Sünde?“ – Das alles ist nicht erforderlich, sagt Micha, der Prophet, sondern ganz wenig, was es bedarf Gott nahe zu kommen, eben diese drei: „Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott“. Gott helfe uns, so zu leben.

Amen.

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