Für sie alle ist Platz
Sehnsucht nach einem Himmel, der mein Leben überwölbt, und nach einer Erde, die mich trägt
Predigttext: Markus 13,31-37 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(31) Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. (32) Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater. (33) Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. (34) Wie bei einem Menschen, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinen Knechten Vollmacht, einem jeden seine Arbeit, und gebot dem Türhüter, er solle wachen: (35) so wacht nun; denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen, (36) damit er euch nicht schlafend finde, wenn er plötzlich kommt. (37) Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!Exegetisch-homiletische Vorüberlegungen
Annäherung und Widerpart – eine Meditation am Anfang der Gedanken Was war mein Leben? Was war mein Leben, wenn es heut soll enden? Verträumt? Verloren? Nein, es war ein Ring Von stillen Freuden, die mit vollen Händen Ich nahm und weitergab und neu empfing. Es war ein Liebesbund mit dieser Erde, Die mich mit ihrer Schönheit tief beglückt Und immer doch mit mächtiger Gebärde Mein Ziel hinaus ins Ewige gerückt. Es war mit Wasser, Bergeswind und Fluren Ein brüderlicher Bund, der niemals brach, Mit allen Wolken, die im Blauen fuhren Und deren Lied von unsrer Heimat sprach. Mit ihren großen ewigen Gewalten Hab ich in Treue Brüderschaft gehalten; Und meine Sünde war in all den Jahren, Daß sie mir lieber als die Menschen waren. Hermann Hesse (in: Die Gedichte, stb 381, Frankfurt 1977, S. 757) Der Text und seine Predigt Markus 13,1-37 ist eine, die „eschatologische Mahnrede Jesu“. Ob der Predigttext glücklich (heraus)geschnitten ist? Es ist zumindest hilfreich, das ganze Kapitel wahrzunehmen. Neben apokalyptischen Motiven und Vorstellungen, für die Quellen gesucht werden können, finden sich geradezu anti-apokalyptische Gegenbewegungen. Nach Joachim Gnilka widmet sich der Abschnitt 13,28-32 der Frage, wann das Ende kommt. Unsere Perikope setzt mittendrin ein: mit Vers 31. Ein – unvorbereiteter und unvermittelter – markanter Einstieg. Der Abschnitt 13,33-37 ist dann ein Aufruf zur Wachsamkeit an Jünger und Gemeinde. Wichtiger als Berechnung und Berechenbarkeit – Grundanliegen apokalyptischen Denkens – ist die „eschatologische Bewährung“ (Gnilka), die Bewährung also, die dem letzten Wort Jesu entspricht. Vers 31, ursprünglich wohl ein einzeln überliefertes Logion, wurde von Markus mit Vers 30 (und dem Kontext) verbunden und stellt den Schlüssel dar: Die Worte Jesu vergehen nicht. Im Kontext einer „eschatologischen Mahnrede“ hat Jesus hier das letzte Wort. Gewisse Vorbilder hat das Logion zwar in der alttestamentlichen und jüdischen Vorstellung, dass die Thora nicht vergeht. Aber es wird auch daran zu denken sein, dass Gottes Wort selbst, weil es die Schöpfung hervorbringt, also auch Himmel und Erde, nicht der Zeit unterworfen ist, die von Menschen gezählt, berechnet und gestaltet werden kann. Vers 32 ist ein Höhepunkt. Tag und Stunde zielen auf die Erscheinung/Parusie des Menschensohnes (vgl. 13,26). Dabei ist schon im Wort „Tag“ der Gerichtstag mitzuhören, der die letzte Entscheidung bringt, das abschließende Urteil. V. 35 umgibt die „Stunde“ mit den vier Nachtwachen. „Tag“ und „Stunde“ aber lassen sich nicht in der eigenen Zeit festmachen oder mit einem Datum versehen. Dabei wird im Hintergrund die Sehnsucht der Menschen deutlich, die auf ihren Herrn – in auch bedrängender Zeit – warten. Für sie „komponiert“ Markus im Rahmen seines Evangeliums die „eschatologische Mahnrede“, die von dem engen Blick auf Zeiten und Fristen befreit. Ist das Nichtwissen des Sohnes (Vers 32b) ein Problem? In der Textüberlieferung wurde die Stelle gelegentlich gestrichen. Lukas bringt das Wort verändert in Apg. 1,7. Der „absolute“ Sohnestitel („der Sohn“) zeigt aber, dass wir schon im Markusevangelium eine gereifte Christologie vorfinden (vgl.“ Menschensohn“ – „der Sohn“). Nach alttestamentlicher Vorstellung hat sich Gott die Zeit der endgültigen Offenbarung vorbehalten. Wesentlich ist, dass die Zurückweisung von Terminberechnungen und „(auf) Zeitspielen“ bewusst die apokalyptische Denkstruktur bricht. Joachim Gnilka formuliert zusammenfassend: „Im Spannungsverhältnis von Naherwartung und Ungewissheit soll man nicht in apokalyptische Aufregung verfallen, sondern allein auf die Worte Jesu bauen und sich auf die Führung des Vaters verlassen. Dies aber bedeutet, wie das Folgende lehrt, sich in der Gegenwart zu bewähren“ (S. 207). In dem Abschnitt VV 33-37 fallen die Imperative auf (VV 33, 35 und 37), die (wohl redaktionell) den paränetischen Tenor der Rede am Ende unterstreichen und unüberhörbar machen. Markus hat zwei, zum Teil fragmentarische, Bildreihen mit einander verbunden: Einmal der „reisende Mann“, der Vollmachten ausstellt (vgl. Mt. 25,14), dann den Mann, der sein Haus (nur) verlässt, aber bei seiner Rückkehr die Tür geöffnet bekommen will (vgl. Lk. 12,36-38). Innerhalb des Schlussteils finden wir einen parallelen Aufbau: 33a: Gebt acht, wachet – 35a: Wachet also 33b: denn ihr wisst nicht – 35b: denn ihr wisst nicht 34c: dass er wache – 36b: dass ihr nicht schlaft. Durch die Verdichtung folgt dem „Nichtwissen“ die „Aufmerksamkeit“. Die ganze Rede begann mit dem Ruf Jesu: Gebt acht! (13, 5). Am Anfang stand die Achtsamkeit, sich nicht verführen zu lassen. Jetzt wird der Anfang noch einmal aufgenommen, alles Gesagte in sich schließend. Dabei ist das seltene Wort „agrupneite“, das mit „graegoreite“ synonym ist, ein Term der Weisheitsliteratur (vgl. LXX Ijob 21,32; Spr. 8,34; Hld. 5,2; Weish. 6,15; Sir. 36,16). Aus der Weisheitsliteratur kommend wird nicht nur der apokalyptische Horizont verändert, sondern auch die Lebenspraxis aufgewertet. Paulus verwendet das Substantiv „agrupnia“ für durchwachte Nächte in 2. Kor. 6,5 und 11,27. Zahlreiche Handschriften fügen in Mk. 13,33 sogar hinzu: „und betet“ (eine Anlehnung an Mk. 14,38?). Ursprünglich meint das Wort „nicht schlafen“. Schon im AT ist es mit der Tür verbunden (vgl. Spr. 8,34, Hld. 5,2). In der markinischen Form gibt es nicht nur einen Herrn, der geht, und einen Türhüter, der bleibt, sondern Knechte mit Vollmachten und eine Sonderstellung für den Türhüter (vgl. Hebr. 13,17). V. 35 durchbricht die Erzählung: die Gemeinde wird direkt angeredet. Vielleicht ist das Haus auch schon Bild für die Gemeinde (Lohmeyer)? Nach jüdischem Verständnis gibt es drei Nachtwachen, nach römischen vier. Die vollständige, sich steigernde Auflistung bei Markus unterstreicht nicht nur die Ungewissheit, sondern spricht auch Menschen an, die als Heiden Christen wurden. Der letzte Vers ist wieder direkte Anrede – an alle: Wachet! Mit diesem Ruf endet die „eschatologische Mahnrede“ Jesu. Gnilka resumiert: „Die Gemeinde sieht dem Tag des Menschensohnes entgegen, aber sie soll nicht untätig auf ihn harren … Vielmehr bedeutet es, die Zeitgeschehnisse aufmerksam zu verfolgen, die vom Herrn übertragenen Vollmachten auszuüben und der Rechenschaft bewusst zu bleiben, die er einverlangen wird. … Das negative Beispiel der schlafenden Jünger im Ölgarten, die zu Wachsamkeit und Gebet ermuntert werden müssen (14,37-39), veranschaulicht das Anliegen des Gleichnisses vom Türhüter… Der einst mit den Wolken kommende Menschensohn geht zuvor den Weg zum Kreuz“ (S. 210f.) Unsere Predigt und der Text Die homiletische Einfühlung beginnt mit der leidigen Frage, wie denn der Sonntag heißt, an dem Mk. 13 zu Wort kommt: Ewigkeits- oder Totensonntag (von dem kath. Christkönigssonntag einmal abgesehen)? Dabei werden wir, auch seelsorglich, ernst nehmen, dass im Gottesdienst die Namen der im letzten Kirchenjahr verstorbenen Menschen aus der Gemeinde vorgelesen werden und der Friedhofsbesuch an diesem Tag dazu gehört. So wichtig es ist, Menschen im Gottesdienst „abzuholen“, sich ihnen an die Seite zu stellen und für sie Worte zu finden, so wichtig ist es, aus Mk. 13 das Leben zu verkünden. Was nach V. 31 heißt: ihm, Jesus, das letzte, in allen Zeiten beständige und alle Zeiten überdauernde Wort zu lassen. Eine Klage über die Vergänglichkeit von Himmel und Erde, eine Klage über die Vergänglichkeit des Lebens ist nicht angesagt. Noch weniger ein re-vitalisierendes apokalyptisches Horrorszenarium. Eine Predigt an diesem Tag mit diesem Text darf aber „aufmerksam“ sein und der Wachsamkeit ein schönes Gesicht geben! Ewigkeitssonntag - auf ihn warten Totensonntag - wach sein Im Leben aufwachen Die Bandbreite von „wachen“ ist groß. Das Wort kommt aus dem Mittelhochdeutschen. Die erste Bedeutung ist: „nicht schlafen“. Ich bin (hell)wach. Dann aber meint das Wort auch – übertragen: wachsam sein, aufmerksam sein, acht auf etwas haben, zuweilen auch mit Dativ: ich will über dir wachen. Zu diesem Verständnis gehört das Kausativum „wecken“. Etwas abgelegener ist, sich „wacker“ zu halten. Diese Blickrichtung führt die Predigt aus der Trauer hinaus, die hier und dort wohl entstehen könnte: bei soviel Trauer um ungelebtes, verlorenes, genommenes Leben. Im Psalm ist Gott selbst Hüter und Wächter. In vielen Liedern wird er auch heute noch so besungen. Es ist ein ebenso schönes wie befreiendes Gottesbild.Liedvorschläge:
325 „Sollt ich meinem Gott nicht singen“ (EG 325) „Mache dich, mein Geist, bereit“ (EG 387) „Laß mich, o.Herr, in allen Dingen“ (EG 414) „Mit meinem Gott“ (EG 474) „Ich liege Herr“ (EG 486) Die Idee, im Gottesdienst auch Abendlieder zu singen, ist nur auf den ersten Blick apart. Weil Gott wacht, können wir wachen, ohne ihn warten wir vergeblich.Literatur:
Ernst Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, KEK 2. Band, Göttingen 17. Aufl. 1967. - Joachim Gnilka, Das Evangelium nach Markus (Mk 8,27 – 16,20), EKK II/2, Zürich-Einsiedeln-Köln und Neukirchen 1979. - Eduard Berger, GPM (96) 2007, S. 473-478. -Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin-New York 22. Auflage 1989. - Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch, 9. vollst. neu bearb. Aufl., hrsg. Henne, Objartel und Kämper-Jensen, Tübingen 1992Lied „Sollt ich meinem Gott nicht singen“, EG 325,1+2
Die Stunde der Trauer
In unserem Gottesdienst haben wir viele Namen verlesen, Namen von Menschen, die in den letzten zwölf Monaten ihren Lebensweg abgeschlossen haben. In unserem Gottesdienst haben wir für jeden eine Kerze entzündet. Ein kleines Zeichen, dass sie unter uns sind. Nicht vergessen. Gott befohlen. Mit jedem Namen ist eine Geschichte verbunden, eine Lebensgeschichte. Auch eine Liebesgeschichte. Oft auch eine Leidensgeschichte. Und keine Geschichte gleicht der anderen. Es sind einmalige Geschichten. Einmalig, wie das Wort sagt, unübertroffen.
Ich denke an die junge Mutter, die an Krebs starb. Zwei kleine Kinder gehen mit ihrem Vater zu einem Grab. Eine unvollendete Geschichte. Der Schmerz ist groß.
Ich denke an den alten Mann, der, wie er sagte, lebenssatt starb. Als er beerdigt wurde, war die Dankbarkeit größer als die Trauer. Von den Gräuel des Krieges hat er oft erzählt. Auch von der Flucht. Aber von bewahrtem und beschenkten Leben auch.
Ich denke an das Mädchen, das mit ihrem jungen Leben nicht fertig wurde und es einfach beendete. Den vielen Fragen hatte sie die Antwort verwehrt. Was blieb, war die Trauer um ersticktes Leben.
Heute sind viele Geschichten hier versammelt, Lebensgeschichten, aber auch Todesgeschichten. Geschichten, die mit dem Leben versöhnen, aber auch Geschichten, die tiefe Wunden reißen. Geschichten, die im Dunkeln bleiben müssen, aber auch Geschichten, die zu leuchten anfangen. Für sie alle ist Platz. Unter uns. Vor Gott. Nicht für jede Geschichte haben wir Worte. Aber auch das Schweigen tut gut. In Gottes Nähe.
Lied EG 325,3+4
Was nicht vergeht
Jede Erfahrung, die wir als Menschen mit dem Tod machen, lässt die Frage unter uns aufwachen, was denn bleibt, bleiben kann, bleiben muss. Heute lesen wir im Markusevangelium. Bevor die Geschichte des Leidens und Sterbens Jesu erzählt wird, hören wir seine große Rede. Eine Rede über das, was bleibt. Und eine Rede über das, was uns bleibt. Hören wir in seine Rede hinein.
(Lesung des Predigttextes)
Wir sehen den Himmel mit Staunen. Wir verbinden mit ihm Weite, Licht und Dunkel, Tag und Nacht. Die Sterne können wir nicht zählen, den Wolken nicht folgen. Unvorstellbar, dass der Himmel vergeht. Und wir sehen die Erde. Wir nennen sie: Mutter. Wir warten auf das Grün im Frühling, auf die reifen Früchte im Sommer, auf die bunte Pracht im Herbst, auf die weiße Stille im Winter. Es ist unsere Erde. Unvorstellbar, dass sie vergeht.
Apokalyptische Bilder vom Weltuntergang werden in Filmen immer perfekter inszeniert. Sie schreien zwar laut, wollen aber nur unterhalten, die Nerven kitzeln. Dabei hat die menschliche Fähigkeit, alles kaputt zu machen, was Himmel und Erde ausmachen, sich längst die erste Seite der Zeitung erobert. Der Mensch ist nicht nur des Menschen Wolf, er frisst auch die Atmosphäre mit großem Appetit und genüsslich kleinen Happen. Gelebt wird, als sei das das letzte Wort: Nach uns die Sintflut. Das ist ein weiter Blick. Auch ein Blick, der weh tut. Dabei vergehen einem Menschen Himmel und Erde auch, wenn er stirbt. Nicht nur für ihn. Auch für die anderen Menschen. Mag äußerlich alles gleich bleiben, am Morgen die Sonne auf- und am Abend untergehen, der heiß geliebte Rosenstock zu blühen anfangen und aus kahlen Sträuchern bunte Schönheiten werden: Jeder Tod fügt dem Himmel Schmerzen zu und vergreift sich an der Erde. Weil ich sie verliere, gehen Himmel und Erde mit mir unter. Mit meiner Sehnsucht nach einem Himmel, der mein Leben überwölbt, nach einer Erde, die mich trägt.
In dieser Situation, fein abgesteckt von Lebensmöglichkeiten und –verstrickungen, von Träumen und Schuldigwerden, hören wir Jesu Wort. Sein Wort muss den Tod nicht fürchten. Sein Wort hält. Es besteht in seiner schöpferischen Kraft. In seiner grenzenlosen Barmherzigkeit. In seiner Todes verachtenden Liebe. Ja, es ist sogar so: Himmel und Erde ruhen in seinem Wort. Wir werden an die Schöpfung erinnert. Wir schauen auf den Anfang. Das erste, was von Gott überhaupt überliefert wird, ist, dass er spricht. Aus seinem Wort kommt das Licht, Himmel und Erde, am sechsten Tag dann auch Mann und Frau, umgeben von kleinen und großen Tieren – und ganz auf der Höhe, als alles vollendet und gut war, wird der Sabbat gesegnet. Die Ruhe Gottes. Die Krone der Schöpfung. Der Tod hatte da noch keinen Fuß in der Tür und sollte ihn auch nicht behalten!
Lied EG 325,5+6
Handlungsvollmacht
Mit dem Wort, das Leben ist, verbindet Jesus in seiner großen Rede eine große Erwartung. Habt Ihr das Evangelium noch im Ohr? Es ist da von der Zeit und von der Stunde die Rede. Von der Zeit, von der Stunde Gottes. Nicht von der Stunde des Todes. Für sie gibt es die Sanduhr, Symbol vergehender, zerrinnender Zeit. Die Zeit Gottes wird aber gefüllt sein, seine Stunde alles umfassen. Die Wahrheit über unser Leben ebenso wie die Liebe, die die Welt verwandelt. Es ist Großes zu erwarten: Gott selbst wird kommen. Für diese Erwartung finden wir im Evangelium ein Gleichnis: Ein wichtiger Mensch geht auf eine große Reise. Die Rückkehr ist noch nicht terminiert. Aber das Leben zu Hause läuft weiter. Muss weiter laufen. Seine Leute – im Gleichnis ist von Knechten die Rede – bekommen Vollmachten, Vollmachten, alles zu entscheiden, was zu entscheiden ist. Vollmachten sind etwas Großes, mit ihnen kann ein Mensch so handeln, als sei er der Chef. Der Verantwortungsbereich mag begrenzt sein, das i.V. ziert einen Namen, das ppa. noch mehr. In der beruflichen Welt ist die Krönung des Lebenswerkes erreicht, besonders wenn prokura erteilt wird. Im Wort steckt: sorgen, sich kümmern, sich angelegen sein lassen … Die Macht, die damit verbunden sein kann – im Wort kommt sie nicht vor. Nur als Macht, hinter der Aufgabe zurückzutreten. Dass jede Vollmacht begrenzt ist und die Pflicht zur Rechenschaft einschließt – wer wollte das übersehen?
In der großen Rede Jesu heißt es immer wieder, nie ermüdend: Wacht! Seid aufmerksam! Und wir bekommen die Vollmacht, in seinem Namen zu handeln, seine Interessen zu vertreten und in seinem Dienst Ansehen zu gewinnen. Das ist im Übrigen die Art Gottes, uns die Zeit zu vertreiben, in der wir auf ihn warten. Als Advokaten (Fürsprecher) für das Leben, als Boten seiner Liebe, als Zeugen seiner Wahrheit werden wir unserer Vollmacht gerecht – und können sie vor Gott und allen Menschen verantworten.
Von Gott heißt es im 121. Psalm:
Siehe, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht.
Der HERR behütet dich;
Der HERR ist dein Schatten über deiner rechten Hand,
dass dich des Tages die Sonne nicht steche
noch der Mond des Nachts.
Der 121. Psalm ist ein Wallfahrtslied. In ihm begegnen wir Menschen, die unterwegs sind. Lange. Viele Tage, viele Nächte. Mit stechender Sonne und eiskaltem Mond. Und kein Dach über dem Kopf. Kein Brunnen. Kein Tisch. Gott wird hier beim Wort genommen: Er ist Hüter und Wächter. Er ist mit uns auf dem Weg. Ja, er ist einer von uns.
Christen wissen an jedem Grab um diese Zuversicht. Und ziehen eine Konsequenz, die selbst aus dem Evangelium kommt: wachsam, aufmerksam bergen sie die Geschichten der Menschen – und ihre eigene – in Gottes Hand. Es ist dann eine Zeit der Barmherzigkeit angesagt, wenn die Bitterkeit das letzte Wort beansprucht. Es ist dann eine Zeit der Hoffnung angesagt, wenn die Resignation Leben erstickt. Und es ist dann eine Zeit des Lebens angesagt, wenn sich der Tod alles nehmen kann. Es ist ein schönes Bild: Wir haben Macht, Vollmacht, Menschen in Gottes Hand zu legen. Er ballt sie nicht zusammen. Er verschließt sie nicht. Was wir dann sehen, ist eine große Freiheit. Vor allem die Freiheit, mit Gott zu rechnen. Dem Anwalt, Fürsprecher und Treugeber des Lebens. Um das Bild aus dem Evangelium aufzunehmen: wir stehen an der Tür des Hauses – und lassen ihn hinein.
Lied EG 325,7+9
Die Stunde des Lebens
Heute hebt diese Zuversicht auch die Trauer auf, lässt Menschen, mit denen wir Leben, Geschichten und Erinnerungen geteilt haben, nicht verloren sein. Matthias Claudius hat im Jahr 1782 in seinem Wandsbecker Boten eine kleine Motette geschrieben:
Der Mensch lebt und bestehet
Nur eine kleine Zeit;
Und alle Welt vergehet
Mit ihrer Herrlichkeit.
Es ist nur Einer ewig und an allen Enden,
Und wir in seinen Händen.
Und der ist allwissend.
Erstes Chor: Halleluja!
Und der ist heilig.
Zweites Chor: Halleluja!
Und der ist allmächtig
Drittes Chor: Halleluja!
Und ist barmherzig.
Alle Chöre:
Ist barmherzig – Halleluja! Amen!
Halleluja ewig ewig ewig seinem Namen!
Ist barmherzig – Halleluja.
Etwas Größeres lässt sich heute nicht sagen: Wir gehören nicht nur zu ihm, tragen nicht nur seinen Namen, wir sind seine Bevollmächtigten. Stellvertreter für eine bescheidene Zeit. Wir behüten und bewachen das Leben.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Lied EG 325,10