“Aufeinander achthaben und uns anreizen”

Glaube - Liebe - Hoffnung

Predigttext: Hebräer 10,19-25
Kirche / Ort: Schornsheim/Udenheim (Rheinhessen)
Datum: 2.12.2007
Kirchenjahr: 1. Sonntag im Advent
Autor/in: Pfarrer Kurt Rainer Klein

Predigttext: Hebräer 10,19-25 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

19 Weil wir denn nun, liebe Brüder, durch das Blut Jesu die Freiheit haben zum Eingang in das Heiligtum, 20 den er uns aufgetan hat als neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang, das ist: durch das Opfer seines Leibes, 21 und haben einen Hohenpriester über das Haus Gottes, 22 so laßt uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen in vollkommenem Glauben, besprengt in unsern Herzen und los von dem bösen Gewissen und gewaschen am Leib mit reinem Wasser. 23 Laßt uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat; 24 und laßt uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken, 25 und nicht verlassen unsre Versammlungen, wie einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen, und das um so mehr, als ihr seht, daß sich der Tag naht.

Vorbemerkungen

Die Sprache und Vorstellungswelt des Hebräerbriefes, die kultischen Anklänge und Metaphorik sind für unsere heutigen Predigthörer/innen nicht mehr verständlich. Erläuternde Einzelheiten dazu entnehme man den einschlägigen Kommentaren. Die Situation des Hebräerbriefes, die aus Hebräer 10,19-25 zu erschließen ist, deutet darauf hin, dass eine gewisse Glaubensmüdigkeit und Resignation vorhanden ist, dass es Rückzug aus der Gemeinde gibt, dass das Bekenntnis in Frage gestellt wird. Dies können wir auch in unseren Gemeinden feststellen. Mithilfe des - positiv gesehenen - adventlich-weihnachtlichen Brauchtums sollen die abstrakten Aussagen des Hebräerbriefes in unserer Zeit verständlich werden. Die aus dem Text zu erschließende Trias "Glaube, Hoffnung, Liebe" bzw. die drei Kohortative "hinzutreten, festhalten, achthaben" dienen der Gliederung und Konkretion.

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Lasst uns hinzutreten – Glaube

Unsere Kinder öffnen heute das zweite Türchen an ihrem Adventskalender. Wie groß ist ihre Freude dabei! Nicht nur, weil sich hinter dem Türchen ein Stück Schokolade verbirgt, sondern auch weil das Weihnachtsfest sichtbar näher rückt. Damit sind schon zwei Türchen geöffnet, 22 Tage verbleiben noch, bis es endlich so weit ist und Heilig Abend ‘vor der Tür steht’. Welch eine Spannung liegt in dieser Adventszeit – zumindest für unsere Kinder. Aus meiner eigenen Kindheit weiß ich noch, mit welch einem Kribbeln unter der Haut ich diese Zeit erlebte. Mit jedem Türchen, das ich geöffnet habe, wurde offensichtlich, wie das Fest immer näher kam. Die Adventszeit war eine unbeschreiblich spannungs- und erwartungsvolle Zeit.

Ich möchte wieder Kind sein in diesen Tagen und Wochen! Ein Kind, das staunen kann, ob der vielen Dinge, die sich in der Adventszeit zeigen: Da werden Plätzchen gebacken, Lebkuchen und Marzipan erfreuen den Gaumen. Der Adventskranz mit seinen Kerzen erhellt die Stube. Zu mancher Gelegenheit erklingen Advents- und Weihnachtslieder. Nikolaus bringt Süßigkeiten und Christkind wird noch erwartet. Wer die Weihnachtsmärkte besucht, sieht Selbstgebasteltes und Wundersames. Das Fernsehen zeigt Filme, in denen Engel zur Erde kommen und in Menschengestalt gute Taten vollbringen. In Kindergarten und Schule werden Krippen mit den bekannten Figuren gebastelt und man hört wunderbare Geschichten.

Ganz ähnlich klingen die Worte des Hebräerbriefes. Auch wenn die Sätze, die wir gerade vernommen haben, so fremd erscheinen. Und auf Anhieb in unserem Verstehenshorizont unverständlich bleiben. Wenn ich seine Botschaft aber in unsere Zeit hinein übersetze, dann höre ich Folgendes: Es ist ein lebhafter Weg durch die Adventszeit. Neue Möglichkeiten werden in diesen Tagen offenbar. Christus selbst ist es, der uns eine Tür öffnet. Wir haben die Freiheit einzutreten und uns auf eine wunderbare Zeit einzulassen. Er ermöglicht, dass wir staunen können. Nichts hält uns mehr zurück, dem Christkind zu begegnen. So finden wir in der Hütte Gottes einen Platz. Weil die Liebe Gottes in Christus unsere Herzen gewinnt. Alle inneren Widerstände verlieren ihre Bedeutung. Denn Christus kommt zur Welt und der Himmel auf die Erde. Unser Herz wird angerührt. Und wir können sehen und staunen! Lasst uns eintreten und uns berühren!

Lasst uns festhalten am Bekenntnis – Hoffnung

Es ist zu meiner Kindheit ein Brauch in unserem Haus gewesen, dass an den Tagen vor Weihnachten die Tür zum Wohnzimmer verschlossen wurde. Wir Kinder sollten nicht mitbekommen, was sich darin wirklich tat. So bekamen wir die ganze Weihnachtsvorbereitung auch nicht mit. Die verschlossene Tür ließ das gewöhnliche Zimmer mit einem Male interessant werden. Der Nimbus des Geheimnisvollen umhüllte diesen Raum nun. Wie gerne hätten wir hineingeschaut. Der Blick durch das Schlüsselloch in einem unbeobachteten Moment konnte unsere Neugier nicht stillen. Die Spannung, die Vorfreude auf das Fest wurde so noch gesteigert. Das Geheimnisvolle hatte eine Kraft, die uns motivierte und anspornte, lieb zu sein. Es fiel uns schon mal leichter als zu anderen Zeiten, den Mülleimer auszuleeren oder das Geschirr abzutrocknen, unser Zimmer aufzuräumen oder auf eine Fernsehsendung zu verzichten. Denn wir waren in Erwartung und wollten diese auf keinen Fall schmälern. Wir zweifelten nicht daran, dass das Christkind in diese Stube kommen würde.

So klingt auch der Hebräerbrief in meinen Ohren. Er redet von einer Hoffnung. Wir sprachen gerade von der Erwartung. Darin verbirgt sich Ungenaues, Ungewisses. Was man hofft und erwartet, kann sich erfüllen oder aber auch enttäuscht werden. Hoffen ist ja nicht wissen. Erwarten ist nicht kennen. Und wie unterschiedlich formulieren wir unsere Hoffnung, wenn es um die Zukunft geht. Darum hat die Gemeinde des Hebräerbriefes sich Gedanken gemacht. Man hat die Hoffnung zu Papier gebracht und in einer formelhaften Sprache ausgedrückt. So geschieht das, wenn man etwas auf den Punkt bringen will oder muss. Es sollen ja keine Romane entstehen. Nach Möglichkeit will in knappen Sätzen ausgedrückt sein, was man auswendig lernen und behalten kann. So ist in der Gemeinde des Hebräerbriefes ein Bekenntnis entstanden. Wahrscheinlich war es knapper und kürzer, als das apostolische Bekenntnis, das wir heute in unseren Gottesdiensten gemeinsam sprechen. Dieses Bekenntnis hat die Hoffnung der Gemeinde zur Sprache gebracht. Es hat die Gemeinde zusammengeschweißt. Und wer trotzdem zu zweifeln begann, wurde darauf aufmerksam gemacht, dass man sich an der göttlichen Verheißung orientiert. Und es sollte kein Zweifel sein, dass er, Christus, treu ist, diese Verheißung zu erfüllen.

Lasst uns aufeinander achthaben – Liebe

Im Grunde ist es doch ein schöner Brauch, in der Vorweihnachtszeit an seine Lieben zu denken. Sich mitzuteilen in einem Telefonat oder durch einen informativen Brief, gibt Anteil am eigenen Empfinden und Erleben. Mal zu hören, wie es den Anderen geht, privat oder beruflich, das tut den so Ernstgenommenen gut. Sich ein Geschenk – und wenn es noch so klein ist – auszudenken, zu besorgen oder selbst zu basteln, erfreut und zeigt Wertschätzung. Und wer ist nicht beglückt, wenn er in dieser Zeit – gar manchmal ganz unverhofft – beschenkt wird! Das erwärmt das Herz. Das verbindet miteinander.

An diesem Punkt können wir den Hebräerbrief am ehesten verstehen. Er spricht vom “Achthaben aufeinander”. Doch wir wissen nur zu gut: Das Achthaben gehört nicht gerade zu unseren Stärken. Unser Leben ist oft hektisch. Vieles, was wir gerne tun würden, bleibt auf der Strecke. Schon gar in der Adventszeit. Es ist oft schon viel, wenn wir auf uns selbst achten. Also dafür sorgen, dass wir nicht außer Puste geraten und alles drunter und drüber geht und wir die Kontrolle verlieren. Und dann noch auf Andere achten – wie können wir das nur schaffen?! Vergessen wir nicht, dass wir Menschen ein Beziehungswesen sind. Trotz aller Individualisierungstendenzen, bleiben wir aufeinander angewiesen. Nichts ist schlimmer als Einsamkeit. Nichts ist dramatischer als Vereinsamung. Eine Zeitlang mag das gehen, aber wer holt einen raus, wenn man in einem Stimmungstief ist! Woher kommt der Zuspruch, wenn man nur noch schwarz sieht! Wer baut einen auf in den Krisen des Lebens! Da ist es gut, wenn jemand auf uns Acht hat, wenn jemand hinschaut und sieht, was uns gerade fehlt. Da ist es hilfreich, Menschen um sich zu haben, die achtsam sind. Feinfühlige Menschen also, denen etwas an uns liegt und denen wir nicht egal sind.

Achtsamkeit ist eine Kraft, die aus Individualisten eine Gemeinschaft werden lässt. Eine Gemeinschaft, in der man sich gegenseitig aufbaut und motiviert, in der man sich akzeptiert und toleriert. In der man der Liebe einen Raum gibt zu wirken und neue Möglichkeiten zu erschließen. Es ist eine schöne Formulierung, die der Hebräerbrief gebraucht, wenn er ermuntert: “Lasst uns…anreizen zur Liebe und zu guten Werken”. Da ist jeder bei sich selbst. Jesus hat das mal so ausgedrückt: “Was du willst, das die Leute dir tun sollen, das tu ihnen auch!” Also, jeder fange bei sich selbst an, mit gutem Beispiel voranzugehen. Und dieses Vorangehen mit einem guten Beispiel mag andere reizen, mit ihrer Liebe nicht zu geizen. Ein kleiner positiver Reiz, so unscheinbar er sein mag, was mag er bewirken an großer Wirkung.

“Der Tag naht sich”, weiß der Hebräerbrief. In seinem Licht leben wir: Wir staunen schon jetzt. Wir erwarten das Geheimnisvolle. Wir achten aufeinander. Und das alles, weil Christus kommt und wir ihm begegnen werden.

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