Aushalten
Überwindung verändert
Predigttext: Offenbarung 3,7-13 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(7) Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: Dies sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der „den Schlüssel Davids hat, der öffnet, und niemand verschließt, der zuschließt und niemand öffnet“ (Jes 22,22): (8) Ich kenne deine Werke! Siehe: mein Geschenk an dich ist eine offene Tür, die niemand zuschließen kann. Du hast eine kleine Kraft – dennoch hast du mein Wort bewahrt und meinen Namen = MICH nicht verleugnet. (9) Siehe - auch das ist meine Gabe: aus der Synagoge des Satans kommen einige und behaupten, sie seien Juden, sind es aber nicht, sondern sind Lügner; Siehe, das ist MEINE Tat: „Man wird kommen und niederfallen vor deinen Füßen“ (Jes 45, 14); und auch das wird man erkennen: „Ich habe dich geliebt“ (Jes 43,4). (10) Weil du das Wort vom Bleiben an mir bewahrt hast, werde ich dich bewahren in der Stunde der Versuchung – und das ist die Zukunft des ganzen bewohnten Erdkreises (universum). Da werden die auf die Probe gestellt, die auf Erden wohnen. (11) (Siehe - Vul) Ich komme schnell. Halte, was du hast, damit dir niemand deinen Siegerkranz abnehmen kann! (12) Wer überwindet, den werde ich zu einer Säule in dem Tempel meines Gottes machen. Und er braucht ihn nicht mehr zu verlassen! Und ich werde auf ihn den Namen meines Gottes und „den Namen der Stadt“ (Ez 48, 35) meines Gottes, den Namen des neuen Jerusalem schreiben – Jerusalem, die aus dem Himmel von meinem Gott herabsteigt, und meinen „Name, den neuen“ werde ich schreiben. (13) Wer Ohren hat, höre, was der Geist den Gemeinden sagt!Zum Predigttext
Ein kryptischer Text mit vielen Äußerungen, die wir Heutigen nicht mehr leicht verstehen werden. Vielleicht ist es hilfreich, diesen Text in seinen literarischen und historischen Zusammenhängen zu verstehen: Der vorliegende Text gehört zu sieben Briefen, die an Gemeinden im Bereich der heutigen Türkei geschrieben wurden und die alle ähnlich aufgebaut sind: Die Vorstellung: Das sagt … Die Charakterisierung: „Ich kenne deine Werke … Die Ankündigung: „Siehe, meine Gabe … Die Verheißung: (Siehe) Ich komme … Die Aussicht: Wer überwindet … Der Hinweis: „Wer Ohren hat … Die sog. Sendschreiben sind wie auch die ganze johannäisch geprägte „Offenbarung“ von dem Seher „Johannes“, aus seiner Verbannung von der Insel Patmos aus geschrieben wor-den - wahrscheinlich unter der Regierung des römischen Kaisers Domitian ca. 95 nC. Also etwa 60 Jahre nach der Auferstehung Jesu Christi. Die Situation ist folgende: die junge, wachsende christliche „Kirche“ ist bereits durch eine blutige Verfolgungszeit gegangen und dezimiert worden. Rom hatte diese Verfolgung ent-fesselt. Der römische Kaiser war der Herr der Welt. Und er bestand darauf, dass in allen Ländern der Kaiserkult gepflegt wurde: d.h. der Kaiser wollte in allen Kultstätten – meist ist Gestalt einer Statue - präsent sein. Dieser formale Befehl musste innerlich nicht befolgt wer-den. Wer allerdings christliche Symbole neben oder sogar vor die kaiserliche Doktrin stellte, begab sich in große Gefahr – und wurde als Ungläubiger, als „Atheist“, verfolgt. Was hat das nun mit unseren „Sendschreiben“ zu tun – insbesondere mit der Post an Philadelphia? Fest steht, dass die Städte in Asia (heute: Türkei) miteinander gewetteifert haben, wer den bedeutendsten Tempel für den Kaiserkult herstellen konnte, also: wer sich der kaiserlichen Linie am besten angeglichen hat. Wir können nur ansatzweise und rudimentär aus den „Sendbriefen“ erheben, was für ein Kaiserkultur in jenen Städten geherrscht hat. So mag in Philadelphia die Tür, das Portal des Tempels eine besondere Bedeutung gehabt haben wie auch die Säulen – oder hat es in jenem Tempel die eine besondere Säule gegeben? Auch das „Auf- und Zuschließen“ mag eine prominente Aufgabe gewesen sein. Prozession und Proskynese gehören zum Ritus eines Tempels. Und mag nicht auch die Beschriftung des Heiligtums wie auch seiner Besucher ein interessanter Vorgang gewesen sein? Wir können aus unserem Schreiben entnehmen, dass es für die junge christliche Bewegung nicht leicht war, den eigenen Glauben zu leben. Die Stichworte: „bleiben an mir“, „das Wort bewahren“, „auf die Probe stellen“ und last not least „überwinden“ lassen Schwierigkeiten und Probleme der „jungen Gemeinde“ erkennen Der Verfasser der Offenbarung versucht nun, in dieser Situation seinen christlichen Brüdern und Schwestern zu helfen. Wie macht er das? Welche Zeichen und Symbole verwendet er? Die Folie des Autors ist das Alte Testament und daraus die Heilsgeschichte des Exodus. Und dies in beiderlei Richtung: Wie die Ägypter damals werden die Verfolger der Gemeinden ihr Tun nicht aufgeben und weiterhin die Christen bedrängen. Doch das „rote Meer“ wird das „Tier“, also das verfolgende Roms, verschlingen. Die Gemeinde jedoch werden errettet werden – wenn sie „am mir bleiben“ und „mein Wort bewahren“; und in den letzten beiden Kapiteln der Offenbarung wird das Ziel dieses Exodus beschrieben: die Auferstehung der Toten, die endgültige Errichtung des himmlischen Reiches und die Vollendung des neuen, auf Erden herrschenden Jerusalem Mit diesen Bildern will „Johannes“ die Christen seiner Zeit trösten, aufrichten, ermutigen, stärken. Leider haben wir keine Antwort jener Gemeinde aus Asia vorliegen – außer dem lange unterschätzten und auch von M. Luther nicht sonderlich geliebten Werk der Offen-barung. Ich begegne unserem Predigttext in einer Zeit, in der des 11.9. gedacht wird – verbunden mit einem neuen Nachdenken über die Ursachen jener Katastrophe! in der man nicht weiß, wie viel Überwachung der Bürger vor terroristischen Anschlägen schützen kann in der ein Papst Benedikt VI den ethischen und religiösen Niedergang Europas mit dem Schwinden des christlichen Glaubens verbindetLiebe Gemeinde!
Welche Bilder aus unserem Predigttext sprechen uns Christen heute an? Welche ermutigen, stärken uns und geben uns neue Bilder für unsre Hoffnung? Aus den Bildern des Predigttextes für den 2. Advent nehme ich drei Symbole, die mich ansprechen:
„Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan“
„Du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt“
„Wer überwindet, den werde ich zum Pfeiler in meinem Tempel machen“
„Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan“
Dass einem Menschen alle Türen offen stehen, ist ein Bild dafür, dass ihm z.B. alle beruflichen Möglichkeiten offen stehen und er entscheiden kann, was er machen will. Und auch anders herum: eine Tür kann auch ein für alle mal verschlossen sein z.B. nach einer Trennung, weil die Angst vor Verletzungen oder Ehrverlust zu groß ist. Ob ein Haus oder eine Wohnung eine offene Tür hat oder nicht, kann etwas über die Offenheit oder Verschlossenheit eines Menschen aussagen. Die Mobilität von Türen hängt nicht zuletzt mit der Lebensgeschichte eines Menschen, mit seinen Erfahrungen, mit seinem „Schicksal“ zusammen. Und dann ist die Flexibilität einer „Tür“ auch davon abhängig, wie ihre Türangeln „geschmiert“ wurden, welche Schlösser sie hat und aus welchem Material sie besteht.
Im übertragenen Sinn geht es darum, wie ein Mensch seinen Umgang mit den Mitmenschen gestaltet und pflegt, wie er mit Nähe und Kontakt umgeht, wie er mit seiner Grenze umgeht. Freilich hat jeder Mensch an seinen Eltern erste Modelle gelernt, wie man mit der Welt und den Menschen umgehen kann, doch dann macht er auch eigene Erfahrungen, erlebt Ent-Täuschungen, bekommt Verletzungen, aber auch Anerkennung und Lob. Und wie ist es, wenn die Tür des Einen offen steht und der Andere seine Tür verschließt oder aber unberechenbar pendeln lässt? Wie ist es, wenn ich „immer“ offen bin oder mein Nachbar „immer“ verschlossen ist? Wie gehe ich mit Grenzerlebnissen – also um Begegnungen an der Grenze zum anderen Menschen – um? Mithin wird „Tür“ zu einem Symbol für Begegnungen an der Grenze: denn da, wo meine „Tür“ endet, beginnt die „Tür“ des Anderen.
Jene Stimme aus dem Buch der Offenbarung sagt der christlichen Gemeinde, dass „ich vor dir eine Tür aufgetan habe, und niemand kann sie zuschließen“. Die Situation der Tür ist also „von oben“ oder von außerhalb geregelt: „Alle Türen stehen dir offen“. „Heut schleußt er wieder auf die Tür/zum schönen Paradeis“ ist ein großes und beliebtes Motto der Advents-zeit. Offene Türen braucht man nicht mehr einzurennen. Ich kann die Tür, die mir offen steht, nutzen und hindurch- und hineingehen in den neuen Raum. Und sehen, ob dieser Raum gut für mich ist oder nicht.
In der Adventszeit ist die „Tür“ eines der großen Symbole. Der Adventskalender mit seinen 24 Türen zeigt geheimnisvoll an, was uns erwartet. Ein Geheimnis nach dem anderen wird gelüftet. Und jedes Geheimnis fördert und verwöhnt z.B. mit Schokolade den, der sich neugierig hinter die jeweilige Tür begibt – bis schließlich – und jedes Kind weiß das! – hinter der letzten Tür das größte Geschenk „verborgen“ ist: das Geschenk des menschgewordenen Gottes. Es sind Papiertüren, die zu öffnen sind – also gar keine „richtigen“ und abgrenzen-den Türen. Als ob zwischen uns, die wir vor den Türchen stehen und Gott „hinter“ der Tür gar keine eherne Barriere wäre. Advent zeigt uns mithin, dass die Tür zwischen uns offen steht, obwohl sie verschlossen aussieht.
Manches Mal ist dies auch meine Erfahrung von „Tür“, wenn ich an einen Nachbarn denke, mit dem ich Streit wegen eines Vorfalls mit unserem Hund hatte. Lange Zeit habe ich geglaubt, die Tür oder der Zugang zu diesem Mann sei damit ein für allemal zugesperrt – bis ich einmal durch Zufall mit ihm ins Gespräch kam und einen Nachbarn vorfand, der mich angelächelt und mit mir versöhnlich gesprochen hat. Ich hatte mir also umsonst einen Kopf gemacht über unseren Kontakt: eigentlich war es eine Papiertür zwischen uns, auf der – für mich – ein „Betreten verboten!“ stand.
„Du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt“
Das klingt nach Durchhalten, Standhalten statt flüchten. Und vielleicht ist die Erkenntnis, nur eine kleine Kraft zu haben, realistischer, als sich an – auch eigenen – Ansprüchen zu messen: man könne erst etwas erreichen, wenn man Bärenkräfte hätte. Wie viel Kraft brauche ich zum Durchhalten? Wie lange soll ich in einer Beziehung aus- und durchhalten? Wie lange soll ich in meiner beruflichen Situation standhalten? „love it, change it, leave it“ kann eine gute Maxime für mein Durch- und Standhalten sein. Und jedes hat seinen Preis. Wie bin ich bereit – und fähig! – zu integrieren, was mir entgegensteht? Wo beginnt Verbiegung, wo Flexibilität? Vielleicht ist es die KLEINE Kraft und nicht der große und erschöpfende Auf-wand, der mich in einer Entscheidung, einer Aufgabe oder in einem Projekt weiterbringt. Bei einer ausdauernden Sportart ist oft die Dynamik der KLEINEN Kraft gefragt z.B. beim Jog-ging. Und so kann der Sport der Gesundheitsförderung dienen.
Philadelphia hat offenbar in einer bewundernswerten Weise mit ihrer KLEINEN Kraft gegen viele und andauernde Widerstände Ausdauer bewiesen. Vielleicht waren es Anfeindungen wegen ihres „frommen“ christlichen Glaubens, wegen ihrer Treue zu jenem Jesus aus Nazareth. Die Gemeinde habe „mein Wort von der Geduld bewahrt“ – ja gelebt, sagt jene Stimme „von oben“. Und ist Geduld nicht auch die Fähigkeit, „von oben“ zu schauen, dissoziiert, gelassen – eine Fähigkeit von Großeltern, die ihre Enkel ganz anders gewähren lassen können wie die Eltern?
Vielleicht hatte diese Gemeinde eine tiefe Gewissheit, dass die „Tür“ offen sei, dass Gott auf ihrer Seite sei, dass „das Wort“ unter ihnen wohne. Und dies konnte sie „geduldig“ machen – auch gegen Stimmen, die zur Aufgabe gedrängt haben mögen, zum Zurückkehren in den Schoß der „alten“ und „richtigen“ Religion, zum Flüchten und Verlassen einer Situation, die oft unangenehm und verletzend gewesen sein mag.
„Wer überwindet, den werde ich zum Pfeiler in meinem Tempel machen“
Aushalten ist das eine und überwinden das andere. Es gibt ein Aushalten, das krank macht, eine Selbstdisziplin, die schließlich die Seele zerstört. Vielleicht hat Philadelphia eine Geduld gelebt, die die Christen dieser kleinen Gemeinde auf eine neue Ebene gehoben hat. Aushalten in einer Beziehung oder in einer beruflichen Situation sollte und kann dazu führen, dass ein Gärungsprozess zu einem „edlen Wein“ führt. Aushalten ohne Veränderung kann zu Starre, Kälte und Panzerung führen. Und dann mag die Seele keine Tür mehr nach draußen finden – zu den Menschen, zur Welt – und zu sich selbst. Doch dann kann eine Überwindung – auch eine Selbst-Überwindung – dazu führen, dass sich eine Tür öffnet, dass eine Möglichkeit wächst und Hoffnung das Leben wert – voll macht.
Überwindung: das hat etwas damit zu tun, über Schatten zu springen – über den eigenen wie auch über den Schatten der Projektionen, den ich auf Menschen und Verhältnisse werfe. Wer überwindet, wird zu einem tragenden Pfeiler. Wer überwindet, integriert, was feindlich, fremd und schattenhaft undeutlich ist. Und dies ist eine große Arbeit, für die ein Mensch eine kleine und ausdauernde Kraft braucht. Es ist wie ein Marathonlauf, an dessen Ende der „Siegeskranz“ winkt.
Neben diesem sportlichen Bild steht das Bild des Heiligtums, der neuen Stadt. Wer über-windet, wird zum Mitglied einer neuen Wirklichkeit, wird zu einem tragenden Element einer neuen Gemeinschaft – ohne, dass er das beabsichtigt hätte. Wer überwindet, ist gewandelt, verändert, nicht mehr wiederzuerkennen. „Das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu ge-worden“. So hatte es vor 40 Jahren schon der Apostel Paulus aus Ephesus (= Izmir) an die Christen in Korinth geschrieben (2 Kor 5,17).
Die Adventszeit bereitet uns auf die Neue Zeit vor. Als Vorbereitungszeit lädt sie ein zu Fasten, Wahrnehmen, Stillewerden, Veränderungen bemerken und Sinne schärfen. Und an Weihnachten wird wieder sichtbar das „Welt ging verloren/Christ ist geboren“ und damit, dass das oder besser: der Neue zur Welt gekommen ist. Weihnachten ist eine Erinnerung an die Zukunft der Welt: „Heut schleußt er wieder auf die Tür/zum schönen Paradeis“! Die Tür IST offen – spätestens seit Gott Mensch geworden ist. der Zugang zu Gott IST frei. Das gilt es zu bewahren (Kernwort in unserem Text!). Daran sollten wir Christen uns halten. Das dürfen wir glauben, weil wir um unsre Zukunft in der Gegenwart wissen.
Es ist wie bei dem Adventskalender: die Tür zu Gott, zum Nächsten und auch zu uns selbst ist wie aus Pappe und nicht aus unzugänglichem Material. Wer etwas anders meint und verkündet, stammt aus der „Synagoge des Satans“. Denn der hat ein Interesse daran, dass sich nichts ändert, dass alles zu bleibt, wie es gewohnt ist, dass keine Veränderung noch Wandlung geschieht. Doch „ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur. Das Alte ist vergangen. Siehe: Es ist alles neu geworden!“ – Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
Amen