“Komm, Erlöser der Völker”

Liedpredigt zum Adventslied „Nun komm, der Heiden Heiland“ (EG 4) in Verbindung mit der Choralphantasie von Nicolaus Bruhns

Predigttext: Lied "Nun komm, der Heiden Heiland" (EG 4)
Kirche / Ort: Karlsruhe
Datum: 23.12.2007
Kirchenjahr: 4. Sonntag im Advent
Autor/in: Kirchenrat Pfarrer Heinz Janssen

Vorbemerkung

Unsere Kirchenlieder sind wesenhaft wie die Psalmen Gebete: Lob Gottes, Dank, Klage vor Gott, Bitte und Anbetung. „Doppelt betet, wer singt“, sagte Martin Luther. Nicht immer scheint diese Dimension in unseren Gemeinden bewusst zu sein. Und bedenken wir immer, was wir singen? Die Liedinhalte werden vermutlich zu wenig bedacht und interpretiert. Lieder gehören eben zum Gottesdienst. Vollziehen wir im Liedersingen das doppelte Gebet, wie Martin Luther das (geistliche) Singen verstand? Darum kommt der Liedpredigt eine besondere Bedeutung zu. Eine Liedpredigt kann sich am 4.Advent, in diesem Jahr ein Tag vor Heiligabend, gut eignen und in die Festfreude einstimmen. Diese Predigtform kann auch „entlastend“ für die Pfarrerin/den Pfarrer sein, indem sie ihn/sie in das Beten hineinnimmt. Und sie bietet eine optimale Chance des Zusammenwirkens zwischen Liturg/in und Kirchenmusiker/in. Die Choralphantasie von Nicolaus Bruhns, mit der ich diese Liedpredigt verbinde, kann, wenn life nicht möglich, anhand eines leicht zugänglichen Tonträgers eingespielt werden. Als Lesung schlage ich den für den 4.Advent vorgesehenen wunderbaren Predigttext Jesaja 52,7-10, vor –die Worte „dass aller Welt Enden sehen das Heil unseres Gottes“ (V.10) klingt in der ersten Liedstrophe an „dass sich wunder alle Welt“. Der hier vorliegende Text der Liedpredigt ist gegenüber der Veröffentichung in Pastoralblätter, 147.Jg., Stuttgart 2007, S.882-885, leicht verändert und um die Vorbemerkung erweitert.

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Liebe Gemeinde!

“Der kommende Erlöser” ist das Thema im Advent. Die Verheißung seiner Ankunft will uns Menschen aufrufen, ihm entgegenzugehen. Die Adventslieder lassen in Melodie und Text die Hoffnung auf Erlösung, die Erwartung auf eine letzte Befreiung, anklingen. Das Adventslied “Nun komm der Heiden Heiland” stammt von dem im 4. Jahrhundert in Trier geborenen Bischof von Mailand, Aurelius Ambrosius. Die Melodie verdanken wir Martin Luther; er schuf sie aber nicht neu, sondern griff auf einen mittelalterlichen Hymnus zurück und übersetzte den ursprünglich lateinischen Text. Die deutsche Übersetzung ist nicht nur für Jugendliche schwer verständlich. “Nun komm, der Heiden Heiland…” – das ist nicht mehr unsere Sprache und Grammatik. Wir müssen heute den Text neu übersetzen, unsere Sprache finden. Ich möchte einen solchen Verstehensversuch mit einer Choralphantasie für Orgel von Nicolaus Bruhns verbinden. Der 1665 in Schwabstedt/Husum geborene Komponist war Schüler von Dietrich Buxtehude. Was mag den Komponisten bei diesem Adventslied bewegt haben? In seiner Choralphantasie folgt er den vier Liedzeilen der 1. Strophe, denen jetzt unsere besondere Aufmerksamkeit gilt:

Nun komm, der Heiden Heiland,
der Jungfrau Kind erkannt,
daß sich wunder alle Welt,
Gott solch Geburt ihm bestellt.

Auffällig ist, dass Nicolaus Bruhns sich nur der 1.Strophe widmete. Seine Choralphantasie klingt wie ein Versuch, den Inhalt musikalisch zu umspielen und zu deuten. Vielleicht hat er in 1.Strophe die eigentliche Mitte des Liedes gesehen. Singen wir die 1.Strophe.

„Veni redemptor gentium“ heißt die erste Liedzeile im Originaltext, wörtlich übersetzt: Komm, Erlöser der Völker. Das ist ein Hilferuf, ein Ruf nach Befreiung. Erlösen bedeutet im biblischen Sinn: einen Menschen, der Schulden hatte und sie nicht bezahlen konnte und darum in Schuldknechtschaft fiel, loskaufen, (er)lösen. Wo brauche ich Befreiung, Lösung aus einer Situation, aus der ich aus eigener Kraft nicht herauskomme? Wo brauchen die Völker befreiende, erlösende Hilfe?

Komm, Erlöser der Völker. Hören wir jetzt den 1.Teil der Choralphantasie. Achten wir auf die drei Unterstimmen, die den Hilferuf aufnehmen, und auf den Sopran, der als freie Oberstimme geführt wird und die Inständigkeit des Gebetsrufes betont.

(Choralphantasie I)

Der Erlöser, der wieder ganz macht, was zerrissen und zerbrochen war, wird in der 2.Liedzeile mit Maria, der Mutter Jesu, in Verbindung gebracht. Es geht um die Erkenntnis dieser Verbundenheit. Für Maria steht das Wort “Jungfrau”. Eine alte Verheißung aus der Bibel Israels klingt in diesem Wort an, die Botschaft des Propheten Jesaja: “Siehe, eine junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel“ – der hebräische Name bedeutet „Gott mit uns“.

„Ostende partum virginis“, Martin Luther übersetzte sehr frei und für uns heute kaum noch verständlich “der Jungfrauen Kind erkannt”, wörtlich: Zeige/ offenbare/ erkläre die Geburt durch die junge Frau. Weil sich menschliche Vernunft den ersehnten Erlöser in einem Menschen nicht vorstellen kann, ergeht die Bitte: Zeige, erweise dich, du Menschenkind, als der Erlöser, auf den wir warten. Lass uns ach so vernünftige Menschen zweifeln an unserer Vernunft, lass uns kritisch werden gegenüber unseren allzugewohnten Denkschemata, an denen wir gerne festhalten. Öffne unsere Augen und Ohren, dass wir sehen und hören.

(Choralphantasie Teil II)

Im 2.Teil der Choralphantasie lassen alle Stimmen das Verlangen nach Klärung und Vergewisserung erklingen. Anschließend gehen sie in ein freies Improvisieren über, es nimmt uns in die Weite der Erkenntnis Gottes hinein. Die Sopranstimme tritt wie in der 1.Liedzeile durch eine besondere Registrierung betont hervor. Dann fallen die Echostellen auf, als ob sie durch uns die Bitte um das Kommen Gottes verstärken wollten.

“Daß sich wunder alle Welt” – mit dieser Übersetzung hält sich Martin Luther ziemlich wörtlich an den lateinischen Text: Miretur omne saeculum – Staunen soll die ganze Welt. Ein “Paradigmawechsel” ist angesagt, ein Umdenken, das den Menschen für Gottes Wege öffnet.

(Choralphantasie Teil III)

Mit einem Taktwechsel scheint der Komponist die neue Denkrichtung anklingen zu lassen. Will er mit der kaum noch zu erkennenden in einer Oberstimme angedeuteten Choralmelodie zum Verlassen der gewohnten und eingefahrenen Bahnen ermutigen? Was Martin Luther mit den Worten “Gott solch Geburt ihm bestellt” übersetzte, lässt sich für uns heute verständlicher sagen. „Talis partus decet deum“ heißt wörtlich: Eine solche Geburt steht Gott gut an. Der angekündigte Erlöser bleibt nicht fern und unerreichbar, sondern kommt uns menschlich ganz nahe. Sein Kommen befreit uns, um einander menschlich näher zu kommen, einander wahrzunehmen, miteinander offen, freimütig und vertrauensvoll umzugehen.

Etwas Befreiendes und zum Aufbruch in die Zukunft Ermutigendes atmet der 4.Teil der Choralphantasie mit lebendigen Verzierungsfiguren, dazwischen immer wieder die Melodie und ein ganz freier virtuoser Schluss, der zum Hinhören auf Gottes wunderbares Handeln aufmuntert.

(Choralphantasie Teil IV)

Während die 1.Strophe ein Gebet ist, nehmen uns die 2. und 3.Strophe mit auf den Weg Jesu, wie er von Gott zu den Menschen kam und wieder zu Gott zurückkehrte. Stimmen wir in beide Strophen ein.

Die 4.Strophe lädt zur Anbetung ein, denn von der Geburt Jesu kommt ins Dunkel der Welt ein himmlischer Glanz, und sie mündet in die Bitte, dass der Glaube immer und ewig im göttlichen Lichtglanz bleibe.

Die 5.Strophe ruft zum staunenden Lob Gottes auf, das nie enden soll. Lassen wir es kräftig erklingen, und lassen wir in Kirche und Gesellschaft einander spüren, dass Gott durch die Geburt Jesu heilsam auf uns zukommt. Singen wir die beiden letzten Strophen.

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