Weihnachten – Fest der Gottesliebe
Gott bleibt nicht in der unerreichbaren Transzendenz
Predigttext: 1.Timotheus 3,16 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Und groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.Vorbemerkung zur Predigt
Meine Predigt ist vornehmlich für Erwachsene und Familien mit größeren Kindern gedacht, die die traditionelle Christvesper besuchen. Sie soll darum möglichst allgemeinverständlich sein. Ich beschränke bewusst die Auslegung des Predigttextes auf die beiden Sätze "Und groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch". Meine Erfahrung lehrt mich, dass ungeübte Predigthörer/innen, mit denen ich am Heiligabend besonders rechnen muss, mit einer echten Homilie überfordert sind. Das heißt: Sie sind nur sehr schwer in der Lage, einer Predigt mit mehreren voreinander unabhängigen inhaltlichen Abschnitten zu folgen. Meistens steigen sie dann gedanklich aus, schon dann, wenn es heißt "und zweitens ..." Mein Fazit: Nimm einen einzigen Gedanken heraus und verkündige ihn. Die Predigt ist bewusst eine Themapredigt. Meine Erfahrung lehrt mich, dass es wesentlich einfacher ist, aus der Situation der Hörer/innen heraus auf einen Predigttext zuzugehen und von daher eine einzelne Aussage des Predigttextes herauszugreifen. Bei einer strengen Homilie bestimmt der Predigttext selbst die Abfolge der Fragen und Themen und das wäre gerade im Heiligabendgottesdienst für viele eine Überforderung. Fazit: Beschränke Dich an solch einem Abend auf ein Thema, sonst predigst Du das ganze Glaubensbekenntnis durch.Liebe Gemeinde!
Was ist das Schönste an Weihnachten? Was ist das, das wir in der Vorweihnachtszeit und auch heute Abend am meisten genießen?
Lichter und Geheimnisse
Fragen Sie die Kinder: Was ist das Schönste an Weihnachten? Sie werden Ihnen sagen: Die Geschenke sind natürlich wichtig. Klar. Aber das Wichtigste sind die vielen Lichter und die Heimlichkeiten und das wohlige Gefühl: Hier bin ich daheim. Hier hat mich jemand lieb. Da ist jemand, der etwas Schönes für mich vorbereitet hat – und ich freue mich darauf, es auszupacken und zu entdecken.
Fragen Sie die alten Menschen: Was ist das Schönste für Dich an Weihnachten? Sie werden Ihnen sagen: Geschenke sind für mich schon lange nicht mehr das Wichtigste an diesem Fest. Es ist die Erinnerung an so viele schöne Weihnachten, die ich erlebt habe. Und das Geheimnis, dass mich diese Erinnerungen nicht nur wehmütig stimmen – sondern sie machen mich glücklich und irgendwie wieder jung. Es ist immer jemand da gewesen, der mich liebt. Und, liebe Gemeinde, wenn alte Menschen traurig sind an Weihnachten, dann nur deshalb, weil ihnen das jetzt fehlt: ein Mensch, der ihnen dieses Gefühl gibt, geliebt zu sein.
Fragen Sie sich selbst: Was ist für Sie das Schönste an Weihnachten? Es sind die warmen Lichter, die auf geheimnisvolle Weise meine Seele erwärmen. Es sind die Geheimnisse unter dem Geschenkpapier. Da ist jemand, der sich Gedanken gemacht hat, mir eine Freude zu machen.
Längst weiß jeder von uns – ob nun als Hausfrau oder als Berufstätige/r: So schön das ist, wenn die Wohnung blitzblank und der Haushalt bestens vorbereitet ist; so schön das ist, wenn ein leckeres Festessen gelungen ist und alle sich so schön anziehen wie nur möglich; so schön es ist, wenn der Christbaum rechtzeitig, liebevoll geschmückt im Zimmer steht, und alle Geschenke rechtzeitig in Papier gehüllt auf den Gabentischen liegen — das alles ist nicht das Schönste an Weihnachten. Im Gegenteil, es hat uns auch in diesem Jahr wieder viel Mühe und Kraft gekostet, das alles pünktlich so hinzukriegen. Das Schönste und das Wichtigste an Weihnachten ist etwas anderes: Es ist das Geheimnis der Liebe, das uns glücklich macht.
Das Geheimnis der Liebe
Das ist das Wichtigste an Weihnachten: Dass wir das Geheimnis der Liebe spüren. Und darum kämpfen wir in der Vorweihnachtszeit – das wollen wir erreichen mit all der Mühe und den Vorbereitungen, die wir uns mit diesem Fest machen. Wir wollen anderen unsere Liebe zeigen – und hoffen inständig, dass uns andere zeigen, dass sie uns lieben. Dieses Geheimnis macht das Weihnachtsfest zu dem schönsten Fest des Jahres – und auch zum Schwierigsten, weil Enttäuschungen vorprogrammiert sind.
Dunkelheit und bittere Erkenntnis
Wenn heute Abend jemand unter uns ist, der unglücklich ist oder traurig, fragen Sie ihn, warum er unglücklich ist. Er wird ihnen sagen: Ich bin traurig, weil für mich in diesem Jahr das Geheimnis der Liebe verschlossen ist. Der an Weihnachten unglückliche Mensch hat niemanden, der ihm Liebe schenkt. Oder er hat den, den er liebte, verloren, oder die Liebe, die sein Leben bestimmt hatte, ist zerbrochen.
Der Heilige Abend ist der Abend im Jahr, an dem am meisten gestritten wird, am meisten geweint wird und an dem die größte Lebensverzweiflung gespürt wird. Warum? Weil wir glauben, die Liebe, die uns an Weihnachten so wichtig ist, müssten wir uns selbst gegenseitig schenken. Wir den anderen. Die anderen wiederum uns. Wir sind bereit, viel zu geben. Aber wir erwarten auch viel, gerade an Weihnachten. Genau das geht immer wieder schief.
Wir spüren, dass unser Leben in Wirklichkeit gar nicht so glitzert und funkelt wie unsere Weihnachtsstuben. Wir spüren, dass unsere Geschenke nicht darüber hinwegtäuschen können, dass wir uns manchmal nicht verstehen, dass wir uns gestern noch gestritten haben, dass da Konflikte unter dem weihnachtlichen Teppich gefegt wurden, damit wenigstens an diesen drei Tagen mal Ruhe ist und vordergründig Frieden.
Das kann eine sehr bittere und traurige Erkenntnis sein, die das Weihnachtsfest in all seinem Licht und seinem Glanz für uns verdunkelt: Wenn unsere Seelen traurig sind, dann helfen auch die Kerzen nicht.
Das wahre Licht
Wie kommen wir aus dieser Zwickmühle heraus? Wir haben uns doch soviel Mühe gegeben! Was hilft uns, den Erwartungsdruck von Weihnachten herunterzunehmen? Was hilft uns, echt und ehrlich zu sein an Weihnachten – nichts unter den Teppich zu kehren – und trotzdem richtig glücklich und froh zu sein?
Liebe weihnachtliche Gemeinde, Weihnachten ist nicht in erster Linie ein Fest der Menschenliebe, ein Fest, an dem wir uns gegenseitig schenken. Sondern in allererster Linie ist Weihnachten ein Fest der Gottesliebe. Ein Fest, an dem uns gesagt wird: Du Menschenkind bist genauso, wie Du bist, von Gott unendlich geliebt.
Das ist das Größte am Weihnachtsfest. Das ist sein allergrößtes Geheimnis: Dass Gott uns in dem Krippenkind so nahe gekommen ist, dass wir ihn berühren können, dass wir ihn sehen können, dass wir etwas mit ihm anfangen können. Gott bleibt nicht irgendwo „über den Wolken“ – in der unerreichbaren Transzendenz – oder in den unverständlichen Worten hoher theologischer Redekunst. Sondern Gott kommt so, wie wir es am allerbesten verstehen können: als Mensch. „Groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens: Jesus ist offenbart im Fleisch…”
Das eigentliche Geheimnis
Das ist ja alles ganz schön und gut, hält nun unser Verstand dagegen – und unser Verstand will ja Geheimnisse lüften! Dafür ist er ja schließlich da. Das ist ja alles ganz schön und gut. Aber dieses Krippenkind ist ja nun auch nicht wirklich hier. Es ist vor über 2000 Jahren auf die Welt gekommen, und eigentlich erinnern wir uns ja jedes Jahr nur daran, an diese Geburt. An sein Leben. Also, ist es doch vorbei, oder? Wie kann ein Kind denn jedes Jahr neu geboren werden? Das geht nicht. Wie können wir tatsächlich jedes Jahr neu an der Krippe stehen und die Geburt eines Menschen feiern, der längst schon als Erwachsener uns bekannt ist und den wir verehren als Gekreuzigten und Auferstandenen? Das ist ein Geheimnis, das wir gerne lüften wollen. Sonst bleibt uns Weihnachten für immer ein Rätsel. Und wirklich freuen können wir uns nicht.
Liebe Gemeinde, es ist ganz einfach: Jesus muss jedes Jahr neu kommen. Und zwar nicht in die Krippe und in den Stall, sondern in unser Herz und in unser Leben. Das vergangene Jahr, seitdem wir Weihnachten gefeiert haben (2006), war wieder voller Arbeit, Mühen, Sorgen und Ängste, voller Träume und Pläne, es war voll von Terminen, Klassenarbeiten, fröhlichen Festen und unglücklichen Ereignissen. Jede/r von uns hatte alle Hände voll zu tun, einen Kalender voll Termine und ein Herz voller Fragen, Problemen und Entscheidungen. War da noch Platz für die Liebe Gottes in Ihrem Leben? Für seine Zusage: Menschenkind, nun sorg’ Dich doch nicht so. Sorg Dich nicht um Dein Leben, was Du anziehen und was Du essen sollst, wo Du wohnen und wo Du arbeiten sollst. Ich, Dein Gott, bin doch bei Dir. Ich begleite Dich, ich behüte Dich. Ich weiß den Weg für Dich. Worum sorgst Du Dich?
Liebe Gemeinde, Jahr für Jahr drängen wir diese wunderbare Gewissheit der Liebe Gottes aus unserem Herzen und aus unserem Leben. Und Jahr für Jahr nähern wir uns mit derselben Sehnsucht dem Weihnachtsfest. Wir wünschen uns Gewissheit, Sicherheit und Geborgenheit in der Liebe Gottes. Paul Gerhardt schreibt das in unnachahmlicher Weise: „Eins aber, hoff ich, wirst du mir, mein Heiland, nicht versagen: dass ich dich möge für und für in, bei und an mir tragen. So lass mich doch dein Kripplein sein; komm, komm und lege bei mir ein dich und all deine Freuden“ (EG 37)
Liebe Gemeinde, öffnen Sie heute Abend ihr Herz für die Liebe Gottes. Jedes Jahr neu, wenn Gott es Weihnachten werden lässt auf der Erde, will er uns diese Liebe neu schenken. Lasst nicht nur Lichter brennen. Überrascht und beschenkt Euch nicht nur gegenseitig mit Geschenken, Heimlichkeiten und Zeichen Eurer Liebe. Das alles ist nur ein Abbild dessen, um was es heute Nacht wirklich geht. Sondern in erster Linie lasst Euch heute sagen: Gott liebt Dich Menschenkind. Er liebt Dich so wie Du bist, auch ohne Festtagskleidung und ohne Festtagsstimmung. Er liebt Dich mit Deinen Ecken und Kanten. Er liebt Dich mit Deinen Sorgen, Traurigkeiten und Wünschen. Und Gott ist als Mensch gekommen, um Dir das Größte zu schenken, was es gibt: Vergebung all dessen, was Dir nicht gelungen ist, und Mut und Vertrauen für das, was kommt. Jesus macht es möglich, dass Freiheit, Gottvertrauen und Liebe in unserem Herzen einkehren – das ist das wirkliche Geheimnis von Weihnachten.
Amen.