Stephanus
Wohlbehütete und bedrohte Christen/Christinnen in unserer Welt
Predigttext: Apostelgeschichte 6,8-15; 7,55-60 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(6,8) Stephanus aber, voll Gnade und Kraft, tat Wunder und große Zeichen unter dem Volk. (9) Da standen einige auf von der Synagoge der Libertiner und der Kyrenäer und der Alexandriner und einige von denen aus Zilizien und der Provinz Asien und stritten mit Stephanus. (10) Doch sie vermochten nicht zu widerstehen der Weisheit und dem Geist, in dem er redete. (11) Da stifteten sie einige Männer an, die sprachen: Wir haben ihn Lästerworte reden hören gegen Mose und gegen Gott. (12) Und sie brachten das Volk und die Ältesten und die Schriftgelehrten auf, traten herzu und ergriffen ihn und führten ihn vor den Hohen Rat (13) und stellten falsche Zeugen auf, die sprachen: Dieser Mensch hört nicht auf, zu reden gegen diese heilige Stätte und das Gesetz. (14) Denn wir haben ihn sagen hören: Dieser Jesus von Nazareth wird diese Stätte zerstören und die Ordnungen ändern, die uns Mose gegeben hat. (15) Und alle, die im Rat saßen, blickten auf ihn und sahen sein Angesicht wie eines Engels Angesicht. (7,55) Er aber, voll heiligen Geistes, sah auf zum Himmel und sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus stehen zur Rechten Gottes (56) und sprach: Siehe, ich sehe den Himmel offen und aden Menschensohn zur Rechten Gottes stehen. (57) Sie schrien aber laut und hielten sich ihre Ohren zu und stürmten einmütig auf ihn ein, (58) stießen ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. Und die Zeugen legten ihre Kleider ab zu den Füßen eines jungen Mannes, der hieß Saulus, (59) und sie steinigten Stephanus; der rief den Herrn an und sprach: Herr Jesus, nimm meinen Geist auf! (60) Er fiel auf die Knie und schrie laut: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an! Und als er das gesagt hatte, verschied er. Homiletisch-exegetische Vorbemerkungen Die Situation am Zweiten Weihnachtstag/ Heiliges Christfest II – Tag des Erzmärtyrers Stephanus Traditionell wird auch am 26. Dezember der Gedenktag des Erzmärtyrers Stephanus gefeiert. Die Nähe zum Weihnachtsfest wurde absichtlich gewählt, um zu unterstreichen, dass das Bekenntnis zu Jesus nicht nur Freude bereitet, sondern auch Leid zur Folge haben kann. Nach meiner Erfahrung wird in unseren evangelischen Kirchen kaum dieses Märtyrers gedacht, sondern vor allem noch einmal das Weihnachtsthema profiliert. In der Regel finden sich am 2. Weihnachtsfeiertag die treuesten Kirchgänger ein, denen Gottesdienst und Glaube selbstverständlich geworden ist. Da an solch einem Tag die Zuhörer in jedem Fall auch mit dem Predigthören vertraut sein dürften, würde ich in diesem Fall durchaus eine Predigt halten, die nicht nur seelsorgerlichen Zuspruch, sondern auch eine gewisse Information über den Text bietet. Die Stephanusperikope im Zusammenhang des lukanischen Geschichtswerks Wird in den lukanischen Weihnachtsgeschichten ausdrücklich die Rolle von Jesus als dem erwarteten Messias Israels beschrieben (Lukas 1 und 2), so muss sich Stephanus vor dem Synhedrium in Jerusalem, also der jüdischen forensischen Autorität verantworten, weil er Jesus als diesen Messias und Menschensohn verkündet. Die Anklage in Apostelgeschichte 6,8-15 wirft Stephanus nicht die Verkündigung des auferstandenen Jesu vor, sondern denunziert Jesus als den, der die Gesetze des Mose abschaffen und den Tempel zerstören wollte. Dieser Vorwurf skizziert aber nicht irgendeine historische Situation, insofern tatsächlich Stephanus sich vor jüdischen Autoritäten hätte verantworten müssen, sondern reflektiert auf der lukanischen Erzählebene das Identitätsproblem der lukanischen Gemeinde: Obwohl Jesus ausdrücklich als der Messias verheißen wurde, der Israel befreien soll, ist in der Zeit des Lukas nicht nur Jerusalem zerstört worden, sondern auch die für das Wirken des Messias ursprünglich bestimmten Adressaten Israel lehnen diesen Glauben ab. In keinem Fall kann die Anklage vor dem Synhedrium antijüdisch gewendet werden, da auch auf der Erzählebene die Protagonisten Juden sind und somit auf der Erzählebene in jedem Fall einen innerjüdischen Konflikt schildern, der nicht von einer distanzierten Leserposition aus antijüdisch ausgelegt werden kann. In jedem Fall befindet sich Stephanus in einer Bekenntnissituation, in der er durch das Festhalten am Bekenntnis zu Jesus mit seinem Leben bezahlt. In der Stephanusepisode geht es um die Illustration der in Lukas 12,10 und 11 beschriebenen Sünde gegen den Menschensohn, die vergeben werden kann und der Sünde gegen den Heiligen Geist, die nicht vergeben werden kann. Wie Lukas das verstanden hat, wird durch das erzählte Stephanusmartyrium deutlich: Lästerungen gegen den Menschensohn werden vergeben, die Sünde gegen den Heiligen Geist wird nicht vergeben, weil das eine Sünde ist, die zum Tod des Bekenners führt. Deutlich ist, dass es sich bei der Sünde gegen den Heiligen Geist eben nicht um eine dogmatische Häresie, sondern um Gewalt gegen Menschen handelt. Die Predigt könnte dann vielleicht auch die Toleranz in Glaubensdingen erwähnen, aber genauso auch die konsequente Verurteilung von Gewalt thematisieren. In der Gegenwart und in der Diskussion mit dem Islam bietet dann diese Perikope durchaus Orientierung und Argumentationshilfe. Die Predigt baue ich so auf, dass zuerst unsere wohlbehütete christliche Situation zur Sprache kommt, auf deren Hintergrund dann als Gegensatz die Stephanusperikope eingeführt wird. Im weiteren Verlauf wird dann noch die bedrohte Situation von Christen auf der Welt angedeutet. In muslimischen und arabischen Staaten steht schon das Bekenntnis zu Christus unter Strafe. Man denke nur etwa an die entsprechenden Gesetze im wahabitisch geprägten Saudi-Arabien und an die Morde an Christen in der Türkei. Abschließend wird die Vergebungsbitte des Stephanus thematisiert, dessen Reaktion den letzten Worten Jesu am Kreuz nachgebildet ist und der so ganz dem Vorbild Jesu entspricht.Literatur:
Kommentare zum Lukasevangelium und ganz wesentlich und wirklich weiterführend: Wolfgang Stegemann, Zwischen Synagoge und Obrigkeit. Zur historischen Situation der lukanischen Christen, Göttingen 1991 (FRLANT 152).Christlicher Alltag
Weihnachten prägt doch immer wieder unseren Jahresrhythmus und kaum einer kann sich diesem Fest entziehen. Ob besinnliche Ruhe oder hektische Betriebsamkeit, ob dicht gedrängte Weihnachtsmärkte oder volle Warenhäuser, ob traditionelle Weihnachtslieder oder nervige Weihnachtsschlager im Supermarkt, dem Weihnachtstrubel entkommt kaum jemand. Es stimmt schon, Weihnachten drängt sich immer wieder in unser Leben. Die einen freuen sich darauf, die anderen atmen auf, wenn alles wieder vorbei ist. Aber auch wenn bestimmt vieles Kommerz ist, gehört Kirche immer noch zu Weihnachten. In vielen Familien gehört der Besuch eines Weihnachtsgottesdienstes dazu und auch das Wissen um die Feier der Geburt Jesu, ist verbreitet. Vor Jahren hat deshalb eine Bischöfin ernsthaft gefordert, das Kreuz gegen die Krippe als Erkennungszeichen der Christen auszutauschen, um den christlichen Glauben mehr auf die Befindlichkeit der Menschen hin zu orientieren und keinen Anstoß mehr zu bieten. Aber Anstoß bietet der christliche Glaube kaum noch. Er gehört einfach zu unserem Leben dazu. Bischöfe werden selbstverständlich in Talkshows eingeladen und die Moderatoren sind schon dankbar, wenn eine profiliert christliche Position vertreten und nicht nur in Harmonie gemacht wird.
Auch der vergangene Streit zwischen dem katholischen Augsburger Bischof und einer führenden Politikerin der Grünen hatte ja eher Unterhaltungswert als dass es wirklich um die Bedrohung christlicher Grundwerte ging. Wirklichen Anstoß erregt unser Glaube schon lange nicht mehr. Kirche hat heute nicht mehr mit Gegnern, sondern mit Gleichgültigkeit zu kämpfen. Dagegen hatten in der ehemaligen DDR Mitglieder der Kirche echte Nachteile im beruflichen und privaten Leben zu erwarten. Kirchen gehören genauso zum Stadtbild, wie Weihnachten den Rhythmus des Jahres prägt. Heute feiern wir den Tag des ersten Märtyrers der Christenheit, den Tag des Stephanus. Sowohl in der Evangelischen wie auch in der Katholischen Kirche kann statt des Zweiten Weihnachtsfeiertages der Tag des Erzmärtyrers Stephanus gefeiert werden. Hören wir also die Geschichte des Stephanus, wie sie geschrieben steht im 6. und 7. Kapitel der Apostelgeschichte des Lukas.
(Lesung des Predigttextes)
Bedrohung der Christen damals
Das waren noch Zeiten als das Bekenntnis zu Jesus mit einer Gefahr für Leib und Leben verbunden war. Nicht nur das Bekenntnis war gefährlich, sondern allein die Zugehörigkeit zur Kirche war gefährlich. Damals im Römischen Reich als es nur einen Gott gab: nämlich den Römischen Kaiser. Da war das Bekenntnis zu Jesus als dem verheißenen Messias nicht nur für die Christen gefährlich, sondern die junge Gemeinde war dadurch in ihrem Bestand bedroht. Selbst die Geschichte der DDR lehrt ja, dass schon 40 Jahre ausreichten, um die Mehrheit der Bevölkerung dem Glauben und der Zugehörigkeit zu entfremden. Was heute von der Kirche im Westen noch verkraftet und aufgefangen werden kann, hat damals den Bestand der Kirche insgesamt bedroht. Der Märtyrer Stephanus. Angeklagt und anschließend gesteinigt.
Bedrohung der Christen heute
Bei uns ist das Gott sei Dank ja schon lange nicht mehr der Fall. Aber es gibt immer noch Länder, die ihren eigenen Glauben mit aller Macht und Gewalt schützen. In Saudi-Arabien sind christliche Symbole strengstens verboten und versuchte christliche Mission wird schwer bestraft. Und in der Türkei wird alteingesessenen Gemeinden das Leben schwer gemacht. Wenn dort Christen ermordet werden, findet das natürlich keine staatliche Unterstützung, aber das herrschende Klima der Intoleranz fördert eben solche Taten. Es ist eben nicht überall auf der Welt selbstverständlich, dass es Religionsfreiheit gibt und das Bekenntnis offen gesagt werden kann.
Aufgabe der Christen heute
Damals Stephanus: „Herr rechne ihnen diese Sünde nicht an.“ Die Bitte um Vergebung. Selbst für die Feinde. Auch das ist ja ein Kennzeichen unseres christlichen Glaubens. Der Verzicht auf Vergeltung. Das hat aber mit falsch verstandenem Verständnis nichts zu tun. Sünde bleibt Sünde. Aber für Strafe und Vergebung bleibt allein Gott zuständig. Gott braucht keine Menschen die für ihn auf die Straße gehen und Angst verbreiten, sondern Menschen, die beten. Darauf kommt es an. Unser Glaube verbreitet keine Angst.
Weihnachten gehört zu unserem Jahresrhythmus und ist uns selbstverständlich geworden. Das stimmt. Aber vielleicht sollten wir mit dieser Selbstverständlichkeit sorgfältiger umgehen. Ob das Bekenntnis zu Jesus zu unserem Leben gehört weiß ich nicht. Gott sei Dank aber bekennt Gott sich zu uns. Auf ewig.
Amen.