Eingeschrieben in Gottes Hand
Gottes- und Menschengeschichte
Predigttext: Jesaja 49, 13-16 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
13 Jauchzet, ihr Himmel; freue dich, Erde! Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen! Denn der HERR hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden. 14 Zion aber sprach: Der HERR hat mich verlassen, der Herr hat meiner vergessen. 15 Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, daß sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen. 16a Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet…Exegetische und homiletische Vorbemerkungen
Der Sitz im Leben dieses Textes ist schwer auszumachen. Die Abgrenzung des erst seit 1978 in die Perikopenordnung aufgenommenen Abschnitts (die auch bis Vers 17 gehen kann) wird allgemein als nicht überzeugend empfunden, ohne dass eine Überzeugendere genannt werden könnte. Der weihnachtliche Bezug ist durch das Thema des Jubels und des Trostes und der Treue Gottes deutlich. Vers 13 beginnt mit drei großen Imperativen, bei denen man noch den Klang des Weihnachtsoratoriums im Ohr haben kann. Himmel, Erde und Berge werden angeredet, keine Menschen. Sie kommen vor als die „Elenden“, deren sich Gott erbarmt hat. Ob ihre Stimme noch gar nicht zum Loben frei geworden ist? Der Widerspruch zum Lob der Schöpfung kommt im nächsten Vers mit der Stimme Zions als der Repräsentantin Israels. Sie spricht in beeindruckender Kürze – vier Worte reichen aus, ihre Situation gegenüber Gott darzulegen. Dabei bilden „hat mich verlassen“ und „hat mich vergessen“ den Rahmen für die zweimalige Nennung des Gottesnamens, einmal in der Gestalt des Tetragrammatons und einmal als ´Adonai ausgeschrieben. Auf diese Gegenrede antwortet Gott selbst mit dem Versprechen seiner Treue, wobei er sich des Bildes einer Mutter bedient. Ein zweites Bild ist das von der Handtätowierung. Ein drittes Bild von den Mauern Jerusalems wird in Vers 17 fortgeführt und von mir in dieser Predigt vernachlässigt. In drei Abschnitten habe wir also drei Redebeiträge: Die Aufforderung des Propheten an die Schöpfung zum Lob, die Einrede Zions und die Zurede Gottes. Zur Person und zum Buch des Deuterojesaja verweise ich auf die Ausführungen und die Predigt „Gottes Advent“ (4.Advent/ 23.12.2007) von Heinz Janssen, in: Heidelberger Predigt-Forum www.predigtforum.de Der erste Sonntag nach Weihnachten hat liturgisch noch einen weihnachtlichen Schwerpunkt – der Wochenspruch (Joh 1,14a) ist das Kernwort der Inkarnation, die Erzählung von Simeon und Hanna ist das Evangelium (Lk 2,22-40). In den Medien spielt Weihnachten keine Rolle mehr, es ist so gut wie vergessen. Stattdessen ist Rückblick und Vorbereitung auf den Jahreswechsel das Thema. Dies wird aber in den meisten Gemeinden sowieso am 31. Dezember und am 1. Januar gefeiert, so dass wir in den Gottesdiensten gut daran tun, der Freude des Weihnachtsereignisses noch einmal Raum zu geben. Zudem ist an diesem Sonntag wieder eher kerngemeindlicher Besuch zu erwarten.Lieder
„Kommt und lasst uns Christum ehren“ (EG 39,1-3) „Zu Bethlehem geboren“ (EG 32) „Jauchzet ihr Himmel“ (EG 41, 1-4) „Freu dich Erd und Sternenzelt“ (EG 47, besonders die beiden letzten Strophen greifen den Predigtext direkt auf)Liebe Gemeinde!
Weihnachten ist die Zeit der Lieder und wir hören heute auf ein Lied aus dem Propheten Jesaja im 49. Kapitel. Wir wollen es als ein Weihnachtslied hören und das heißt, wir hören es nicht in seiner eigenen historischen Situation sondern wir hören es von Christus her, in dem sich das verkündigte Heil der Schrift erfüllt. So haben auch unsere Evangelisten und der Apostel Paulus die Heiligen Schriften verstanden.
(Lesung des Predigttextes)
Zeit der Lieder
Weihnachten ist die Zeit der Lieder, und so schön es ist, alleine für sich zu singen, ist es doch noch viel schöner, wenn viele miteinander singen – vielleicht waren Sie an Heiligabend in einem der Gottesdienste und vielleicht hat Sie es auch bewegt wenn die ganze festliche Gemeinde singt: „Ich steh an deiner Krippen hier“.
Je mehr mitsingen, desto besser. In unserem Lied heute geht es nicht nur darum, dass Menschen singen, sogar Himmel und Erde werden aufgefordert, mitzusingen, mitzujauchzen, sich zu freuen und die Berge, diese großen geschaffenen Gestalten, die mit ihren Füßen auf der Erde stehen und mit ihren Häuptern in den Himmel ragen, bekommen noch einmal eine eigene Aufforderung.
Es haben ja Himmel und Erde gesungen: die himmlischen Heerscharen sind in der Weihnachtsnacht zu den Hirten gekommen und rund um den Erdkreis freuen sich noch heute die Menschen über Weihnachten und vielleicht singen auch die Berge des Schwarzwaldes ihr Weihnachtslied und die Tannen klatschen in die Hände, wie es im Psalm heißt. Großer Jubel an Weihnachten: „Hört, hört wie in vollen Chören alle Luft laute ruft: Christus ist geboren.“
Gott tröstet die Menschen
So übersetzten wir die Worte des Propheten: „Gott tröstet sein Volk, seiner Gebeugten erbarmt er sich.“ Wo das Alte Testament sagt: Gott tröstet sein Volk, da sagt das Neue Testament: Christus ist geboren. An den beiden Alten, die das neugeborene Jesuskind im Tempel begrüßen, dem Propheten Simeon und der Prophetin Hanna können wir erkennen, dass diese beiden Sätze dasselbe meinen. Simeon und Hanna sind getröstet, weil ihre Augen den Heiland gesehen haben. Christus ist geboren: so tröstet Gott seine Menschen.
Trost, was ist uns Trost? Trost brauchen wir, wenn wir uns allein gelassen fühlen, verlassen, orientierungslos, hilflos, ausgeliefert. Nähe tröstet uns dann. Trost ist Nähe. Trost Gottes ist, dass er uns nahe kommt. Seine Geburt in Jesus Christus ist seine Nähe zu uns.
Manchmal kann einen das schon wundern. Es ist doch schon so lange her. Wie kann das noch nahe sein? Aber: Erst einmal kann es keine größere Nähe geben als die eines Kindes zu seiner Mutter. Nur ist Jesus nicht für Maria allein geboren, sondern für alle Menschen – in der Nacht seiner Geburt kamen die Hirten und die Weisen zu ihm und in der Weihnachtsnacht 2007 sind wir zu ihm gekommen, zusammen mit vielen anderen. Als erwachsener Mann hat er sich seinen Freunden zugewandt und gerufen: „Wer ist meine Mutter, wer sind meine Brüder? Alle die den Willen Gottes tun, sind mir Bruder und Schwester und Mutter.“ Seine Nähe ist für alle da. Unsere Evangelien erzählen, wie er sich denen zuwandte, die ausgeschlossen von menschlicher Nähe waren, die nicht teilhaben sollen und dürfen an dem Guten, das in der Gesellschaft vorhanden ist. Er scheute sich nicht vor ansteckender Krankheit und hatte keine Angst, den bösen Geistern entgegen zu treten. Seine Nähe ist heilsam und tröstlich.
Göttliches Mitleiden
„Der Herr tröstet sein Volk, seiner Elenden, seiner Gebeugten erbarmt er sich.“ Jesus hat diese Worte des Propheten selbst gehört und gelesen und hat irgendwann erkannt, dass sie von ihm handeln. Dass er der ist, in dem sich Gott erbarmt und herabgebeugt hat zur Erde, zum gebeugten Volk.
Gebeugt ist sein Volk, von Sorgen niedergedrückt, niedergedrückt von der Macht der Umstände, auch von Schuld. Sich erbarmen bedeutet da erst einmal mitleiden – und wenn solch ein göttliches Mitleiden die Gebeugten erreicht, dann können sie den Kopf wieder heben, können den gebeugten Rücken aufrichten. “Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht” – das haben wir als Wochenspruch für den 2. Advent gehört.
Einwand und Bitternis
Ach, wenn es so einfach wäre, wie die schönen Worte der Theologen es sagen, wie die frommen alten Lieder es singen. Unvermeidlich der Einwand, auch in unserem Lied kommt er zu Wort: Zion selbst spricht den Einwand. Zion, Jerusalem, Repräsentantin des Volkes Israel, damals in der Verbannung in Babylon, Tochter Zion aber auch der Name für alle, die, nach Gott fragen und ihn suchen.
Zion spricht: „Verlassen hat mich Gott, der Herr hat mich vergessen.“ Vier Worte sind im Hebräischen nötig um das auszudrücken, mehr nicht. So knapp, so bitter. Verlassen, vergessen und dazwischen zwei verschiedene Worte für Gott, Gott und Herr, damit auch kein Zweifel bleibt: nichts von ihm, gar nichts ist noch verbunden mit Zion, so gottverlassen fühlt sie sich. So gottverlassen fühlen sich immer wieder Menschen, nicht nur verlassen, ohne Hilfe und Unterstützung, sondern richtig vergessen, aus dem Blickfeld Gottes geraten, aus seinem Herzen gefallen. Karg und bitter – so ist ihre Beziehung zu Gott, weil sie sicher sind, dass Gott seine Beziehung zu ihnen aufgegeben hat.
In unserem Lied ist es, als ob die ganze Qual, die ganze Bitternis erst jetzt so richtig zum Ausdruck kommt, gegen den großen Jubel an, den Himmel und Erde und Berge anstimmen – sollen die doch jubeln, mich hat Gott verlassen, ja vergessen. Weihnachten mögen andere feiern, mir blüht nichts Gutes – ich weiß nicht wie viele Menschen wieder so gedacht haben und sich gerade in den Weihnachtstagen umgebracht haben, weil ihr Elend so übergroß geworden ist und ihr Verlassensein und Vergessensein ihnen so deutlich zu Bewusstsein kam. Ob sie irgendwann die Stimme Gottes gehört haben?
Von Gott vergessen sein, ist noch schlimmer als von Gott verlassen sein. Ist man vergessen, gibt es keine Chance mehr. Was gäbe es denn, womit man sich Gott in Erinnerung bringen könnte?
Gottes Antwort
Im Lied des Jesaja antwortet Gott auf Zions Klage, er redet selbst, sanftmütig und weich, vorsichtig und einprägsam. Verständlich für alle Menschen redet er von seiner Treue. „Kann denn eine Mutter ihr Kind vergessen?“ – er berührt mit dieser Frage ganz tiefe Schichten von Verbundenheit, zart berührt er die Tiefe des Schmerzes. Selbst wenn das vorkommt unter Menschen, weil es nichts gibt an Schlimmem, was nicht vorkommt – (in den letzten Wochen mussten wir immer wieder davon hören und lesen,) – bei Gott kommt es nicht vor, denn er ist treu – er vergisst keines seiner Geschöpfe, keinen der Menschen, die er liebt. „Ich will dich nicht vergessen.“
Und um jedem „Ach, das sagst du nur, ach, das sind nur Worte“ vorzubeugen, beschreibt Gott, wie er sich immer erinnern will an dich: „Siehe, eingeritzt, eingeschrieben in die Hände habe ich dich“.
Sklaven wurde damals der Name ihres Herrn in die Hand tätowiert und ganz begeisterte ´Adonai Anhänger schrieben sich seinen Namen in die Hand – die Handinnenseite ist ja ein sehr intimes Körperteil – wenn wir jemandem mit offenen Handflächen entgegentreten zeigen wir, dass wir nichts im Schilde führen und selbst verletzlich sind, ohne Waffen – die Linien unserer Hand sind unsere ureigenen Linien, die wir mit niemandem teilen, unsere Geschichte ist in ihnen präsent. Wenn Gott sich Zion in seine Hand einschreibt, dann vermischt er seine Geschichte mit Zions Geschichte, seine Geschichte mit menschlicher Geschichte, ja macht sich zu unserem Diener. “Er wird ein Knecht und ich ein Herr”.
Seit Erschaffung der Welt hat Gott seine Geschichte mit der Menschengeschichte vermischt und bis ins Körperliche hinein hat er es in Jesus Christus getan und in ihm sein Versprechen wahrgemacht: „ich verlasse dich nicht.“ Der auferstandene Christus hat dieses Versprechen noch einmal wiederholt in seinen Worten: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“. So wiederholt er die Worte seines Vaters. Aber das ist ein anderes Lied, das wir später singen. Jetzt singen wir noch einmal von seiner Geburt: „Sehet doch da: Gott will so freundlich und nah zu den Verlornen sich kehren“.
Amen