Voller Vertrauen in das Neue Jahr

Heutige sein, ohne die Vergangenheit zu verklären oder Angst vor der Zukunft zu haben

Predigttext: Hebräer 13,8-9b
Kirche / Ort: 66989 Nünschweiler
Datum: 31.12.2007
Kirchenjahr: Altjahresabend
Autor/in: Pfarrerin Anke A. Rheinheimer

Predigttext: Hebräer 13,8-9b (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

8 Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. 9 Laßt euch nicht durch alle möglichen fremden Lehren verführen. Gottes Gnade wird euch innerlich fest machen

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Liebe Gemeinde!

Mehr als ein bloßes Datum

In ein paar Stunden ist das alte Jahr zu Ende. Die 365 Tage des Jahres 2007 liegen hinter uns. Eigentlich ist es nur ein bloßes Datum unseres Kalenders, der 31.12., ein Tag, der wie viele andere Tage des Kirchenjahres nach einem bestimmten Heiligen benannt ist, nach dem Papst Sylvester dem I., der der Legende nach den römischen Kaiser Konstantin getauft hat. Damit nahm die abendländische Geschichte des Christentums im vierten Jahrhundert ihren Anfang. Wie gesagt: Eigentlich ist es nur ein Datum, und doch ist sie etwas Besonderes, diese Nacht des heiligen Sylvesters, die letzte Nacht des Jahres. Sie weist uns auf den Wechsel der Zeiten hin, das Fließen und das Vergehen der Zeit. Das Zukünftige mischt sich mit dem Gegenwärtigen und schiebt das, was eben noch Gegenwart gewesen ist, in die Vergangenheit. Ein Jahr muss zu Ende gehen, damit ein neues anfangen kann. Das Alte müssen wir hinter uns lassen, um in etwas Neues hinübergehen zu können. In diesen wenigen Stunden zwischen den Jahren haben wir ein tieferes Empfinden für die Zeit an sich, für unsere Zeit. Es ist eine Zeit des Rückblicks und des Ausblicks, eine Zeit der Bilanzierung und der Planung.

Rückblick auf das Alte Jahr

Was hat das alte Jahr gebracht? Angenehme und unangenehme Erinnerungen nehmen unsere Gedanken ein. Im Politischen wie im Privaten hat sich einiges ereignet, was uns bewegt hat. Da war auf der persönlichen Ebene Hoffnungsfrohes und Ermutigendes, aber vielleicht auch manches Tieftraurige. Kinder wurden in unserer Mitte geboren, Freundschaften geschlossen, Beziehungen und Verbindungen geknüpft; zugleich musste Krankheit ausgehalten und Pflege bewältigt werden, haben uns vertraute Menschen für immer verlassen. Runde Geburtstage wurden gefeiert und fröhliche Familienfeste, vielleicht gab es aber auch Trennungen und Verluste. Vielleicht gab es berufliche und schulische Erfolge, oder aber Niederlagen und Krisen, unfreiwillige Wechsel, Absagen oder der Verlust der Arbeitsstelle. Bei vielen von uns mag es berufliche oder familiäre Veränderungen gegeben haben, Einschnitte und Übergänge; hoffnungsvolle Neuanfänge durften wir erleben, vielleicht waren aber auch Zeiten der Stagnation und Frustration zu verkraften, Abbrüche und Trennungen. Das Leben – ein unerschöpfliches Reservoir an Erfahrungen positiver wie negativer Art. Und seine Befindlichkeiten spüren wir besonders in solchen Zeiten des Übergangs wie heute abend, im Wechsel vom alten zum neuen Jahr.

Wenn wir das Jahr 2007 noch einmal vor unserem inneren Auge vorbeiziehen lassen, gab es auch in der öffentlichen Debatte viele einschlägige Themen, die die Menschen beschäftigt haben: im weltweiten Kontext z.B. das Problem der globalen Erderwärmung und des Klimaschutzes und die Frage der Energiesicherheit; speziell in unserem Land gab es die hitzig geführte Diskussion um Krippenplätze und die Debatten über die Ausgestaltung der Hartz-Gesetze oder die Frage der Integration und der Nachbarschaft mit Mitbürgern muslimischen Glaubens. Da war allerlei Ausgleichendes und Provozierendes, da war Versöhnliches und Unversöhnliches, da war Nachdenkliches und Bedenkliches, das uns erreicht hat. Immer noch und immer wieder neu ist die Frage nach Krieg und Frieden. Was soll aus all den Krisengebieten der Welt werden, im Sudan, im Kongo, in Pakistan, in Birma und an vielen anderen Orten? Wie lange wird der Krieg im Irak und in Afghanistan noch andauern? Kommt der Friedensprozess im Nahen Osten nach Jahren der Stagnation bzw. der bewaffneten Eskalation endlich wieder in Gang? Wo führt es die Weltgemeinschaft hin, wenn zivile Konzepte der Konfliktbearbeitung immer weiter zurücktreten hinter einer Politik der militärischen Stärke und des bewaffneten Muskelspiels?

2007 – wieder ein Jahr, in dem sich die Frage von Frieden und Sicherheit und die Aufgabe der Bewahrung der Schöpfung, die Frage nach einem friedlichen Zusammenleben in der Völker- und Weltgemeinschaft und der Zwang zur Entwicklung von Instrumentarien zur Verhinderung einer globalen Klimakatastrophe in bestürzender Schärfe gestellt haben. Der Altjahresabend – eine gute Gelegenheit, sich das vergangene und gegenwärtige Weltgeschehen ins Bewusstsein zu rufen, aber auch die Gelegenheit zum Blick nach vorne, persönlich und politisch. Die Möglichkeit, die eigenen Wünsche, Hoffnungen und Befürchtungen für das neue Jahr für sich selbst zu klären und zu sortieren.

Hoffnungen für das Neue Jahr

Was wird uns das neue Jahr bringen? Was wird uns in den kommenden Tagen und Wochen begegnen? Was an Neuem kommt auf uns zu, was an Vertrautem müssen wir aufgeben? Welche wirtschaftlichen Veränderungen wird das neue Jahr mit sich bringen? Wird die gute Konjunktur anhalten und wird sie auch die strukturschwachen Regionen erreichen? Wie wird sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt entwickeln und welche Entwicklung wird unsere Schul- und Bildungslandschaft nehmen, in der einiges im Fluss ist? Wohin steuert unser Gesundheits- und Sozialwesen in Anbetracht der unaufhaltsamen demographischen Veränderungen in unserem Land, dessen Bevölkerung im Durchschnitt immer älter wird? Fragen, auf die die Politik eine Antwort finden muss, die uns aber auch ganz unmittelbar und persönlich betreffen.

Was erwartet uns 2008? Was wird uns das neue Jahr ganz persönlich bringen? Was wird uns gelingen, woran werden wir scheitern? Was möchten wir ganz persönlich hinter uns lassen, worum wollen wir uns bemühen? Was möchte ich, was hoffe ich, was erwarte ich: von anderen, von mir selbst, von Gott? Unsere Lebenswege sind verschieden, jeder einzelne und jede einzelne hier in diesem Gottesdienst heute abend hat seine/ihre eigenen Wünsche, Hoffnungen, auch Befürchtungen für sein Leben. Die Jüngeren unter uns beschäftigen sich mit anderen Lebensfragen als die Älteren, und doch gibt es zahlreiche Berührungspunkte zwischen unseren Lebenskreisen als Menschen, die hier, am gleichen Ort, miteinander wohnen.

Wünsche für ein gutes Neues Jahr

Nachher werden wir uns gegenseitig ein gutes neues Jahr wünschen. Aber wann ist ein Jahr ein gutes Jahr? Wann ist es ein gelungenes, erfülltes Jahr? Wenn keine dunklen, bedrohlichen Wolken mehr aufziehen am weltpolitischen Horizont, auf der nationalen oder internationalen Ebene? Oder wenn alle unsere privaten Wünsche in Erfüllung gehen? Geht das überhaupt? Erfüllt kann unsere Zeit auch sein, wenn manche unserer Lebenswünsche unerfüllt bleiben. Erfüllt wird das Jahr sein, wenn wir vertrauensvoll annehmen, was es uns bringt und die erlebte Wirklichkeit als unsere Wirklichkeit akzeptieren.

Wir alle müssen uns hineintasten in das neue Jahr. Uns bleibt gar nichts anderes, als uns mit hineinziehen zu lassen in die Freude, aber auch in das Ungewisse der Zeiten, die kommen. Was Morgen kommt, kann niemand im voraus wissen, und das ist gut so. Angst wäre in jedem Fall eine schlechte Ratgeberin zum Beginn eines neuen Jahres, Weltangst ebenso wie Lebensangst oder Lebensunlust. Lebensfreude und Zutrauen in das Leben und in Gott sind dagegen gute Ratgeber – und der Versuch, jeden Tag mit all seiner Unvollkommenheit so anzugehen und anzunehmen, wie er kommt. Das bewahrt uns vor Selbstüberforderung, aber auch vor Selbstüberschätzung und Allmachtsphantasien. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat dazu einmal gesagt:

„Es kommt nicht darauf an, ein ‚Ideal’ zu verkünden und seine Erfüllung zu fordern, zu verfechten und abzuwarten, sondern es kommt darauf an, an jedem Morgen mit der Verwirklichung des Rechten neu zu beginnen, ohne zu wissen, wie weit man heute kommt, aber wissend, dass es am nächsten Tag einen erneuten Anfang gibt – und dass in diesem All-Tag verborgen unser Vollenden und unsere Vollendung ruht“.

An jedem Morgen neu anzufangen, den Mut zur Gegenwart zu haben, dabei die Vergangenheit anzunehmen und die Zukunft immer fest im Blick zu haben, das ist ein besserer Ratgeber als die Angst vor Veränderung. Aber was heißt das überhaupt, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft?

Orientierung für die Zukunft

Gestern ist nichts anderes als die kommende Erinnerung an Heute, und Morgen ist nur der Traum von Heute, sagt der Dichter Khalil Gibran. Als Individuum befinden wir uns gewissermaßen immer zwischen den Zeiten. Vergangenheit und Gegenwart markieren das Bekannte, Ereignisse, die wie wir mitgemacht und durchlitten haben, Personen, mit denen wir leben, Gedanken, die uns beschäftigen. Die Zukunft dagegen markiert das Territorium des Unbekannten, das was sich uns erst offenbaren wird. Wie lässt sich das zusammenhalten, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft, ohne dass die Zeiten auseinanderfallen? Woher kommt Beständigkeit im Wandel der Zeiten? Wer hält das Gestern, das heute und das Morgen zusammen? Wir selbst?

Unser Predigttext heute, am Silvesterabend, gibt uns eine klare Orientierung, wo wir Kontinuität und Identität trotz und inmitten aller Umbrüche in unserer Welt finden. Eine Kontinuität, die wir nicht selbst zu schaffen brauchen, sondern die uns verheißen ist in jeder uns denkbaren Zeit. Der Autor des Hebräerbriefes schreibt im 13. Kapitel: „Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Lasst euch nicht durch alle möglichen fremden Lehren verführen. Gottes Gnade wird euch innerlich fest machen“. Das war ein Ermutigungsruf für die unsicher gewordenen Christen der zweiten und dritten Generation, die sich durch allerlei andere Lehren verwirren ließen. Es ist auch ein Aufruf an uns heutige Christen, uns an der Beständigkeit Jesu Christi zu orientieren, der derselbe war und ist und bleibt zu allen Zeiten der Welt. Er bleibt sich und uns treu – gestern, heute und morgen, denn auf die Gnade Gottes, die uns in ihm erschienen ist, bleibt Verlass.

Jesus Christus gestern – das ist der Jesus der Bibel, der sich in Tat und Wort den Menschen, denen er begegnet ist, zugewandt hat: den Gesunden und den Kranken, den unredlichen Zöllnern und reuigen Ehebrecherinnen, den hochmütigen Pharisäern und den zum Glauben an den Gott Israels gekommenen kaiserlichen Beamten.

Jesus Christus heute – das ist der Herr der Kirche als einer weltumspannenden Gemeinschaft von Menschen unterschiedlichster Sprache, Herkunft und kultureller Tradition.

Jesus Christus auch in Ewigkeit, das ist Gottes Brücke zur Welt, der uns in jeder nur denkbaren Zeit treu bleibt, was auch passiert. Nichts kann uns trennen von ihm, weder Hohes noch Tiefes noch Mächte noch Gewalten, weder Trübsal noch Angst, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, wie uns die Schriftlesung aus dem Römerbrief versichert hat.

Begleitet von diesem Christus durch die Zeiten dürfen wir Heutige sein, ohne die Vergangenheit zu verklären oder Angst vor der Zukunft zu haben. Jede Zeit, jeder Augenblick darf in Angriff genommen und gelebt werden unter der Verheißung, dass Jesus Christus gestern, heute und auch in Zukunft bei seiner Welt ist. Im Licht dieser Zuversicht wünsche ich uns allen ein gutes, ein gesegnetes Jahr. Ein Jahr, in dem wir wohl nicht von allem Schweren verschont bleiben werden. Aber ein Jahr, in dem wir in allem, was uns widerfährt, uns des Mitseins unseres Gottes in Jesus Christus gewiss sein dürfen. Mit den Worten Jochen Kleppers in seinem Neujahrslied:

Der du die Zeit in Händen hast,
Herr, nimm auch diese Jahres Last
und wandle sie in Segen.
Nun von dir selbst in Jesu Christ
die Mitte fest gewiesen ist,
führ uns dem Ziel entgegen.

Der du allein der Ew’ge heißt
und Anfang, Ziel und Mitte weißt
im Fluge unserer Zeiten:
bleib du uns gnädig zugewandt
und führe uns an deiner Hand,
damit wir sicher schreiten!

Amen.

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