Eine Fackel für Gottes Liebe
Experten/innen für eine begründete Hoffnung gesucht
Predigttext: Jesaja 54,7-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. 8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser. 9 Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, daß die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, daß ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. 10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.Überlegungen zur Predigt
Vorbemerkung Große Bibelausleger wie z. B. Gerhard von Rad, Claus Westermann und Eugen Drewermann kommen aus dem Schwärmen gar nicht heraus, wenn sie von dem Verfasser von Jes 40-55 sprechen. Wegen seiner Bedeutung wird ihr Verfasser ja Deutero-Jesaja, Zweiter Jesaja genannt. Ich selbst stimme obengenannten Auslegern sehr begeistert zu! Erinnerung an die historischen Umstände des Predigttextes Deuterojesaja hat am Ende des babylonischen Exils unter den resignierten deportierten Juden in Babylon gewirkt, er hat sie getröstet und ihnen neue Hoffnung von Gott gegeben. Nach seiner Botschaft hatte Gott ganz aktuell beschlossen, daß die verbannten Juden bald wieder in ihre Heimat nach Jerusalem kommen werden. (Kap 40,1 ff ) Er ist bis heute ein Unbekannter. Deutlich ist nur, daß er zu einem faszinierenden Dichter und Redner wurde, um seine hoffnungsvolle Botschaft mutlosen Juden in der Fremde nahe zu bringen. Außerdem kann man von ihm sagen, daß er sehr wachsam und klug die politischen Verhältnisse beobachtet und bewertet hat, um die Hoffnung zu begründen! Er sah hellsichtig voraus, daß der Perserkönig Kyros in naher Zukunft das babylonische Reich erobern würde. Da die Perser Monotheisten und nicht wie die Babylonier Polytheisten waren, erwartete der Zweite Jesaja von Kyros mehr Verständnis für die Juden, was sich mit dem Kyros-Edikt später tatsächlich erfüllte. Um seinen Zuhörern ins Herz zu reden, hat er sehr viele dichterische, prophetische und priesterliche Rede-Formen benutzt. Wegen seiner tiefen Sorge, ob er seine Zuhörer/innen überzeugen könne, verwendete er z. B. Elemente der Psalmen, Gottessprüche, Loblieder, Diskussionen, priesterliche Heilsorakel. Bei unserem Predigttext verwendet er das Stilmittel der Rede eines Mannes, der seine Geliebte, d. h. das Volk Israel, nur umständehalber eine Zeitlang verlassen mußte und sich in alter Liebe und Innigkeit und Treue ihr wieder ganz zuwendet. Innig, liebevoll und universal hat der Zweite Jesaja von Gott gesprochen. Es kann vermutet werden, daß er selbst ein Stück weit der Gottesknecht war, von dem er spricht, der von einigen Juden verspottet wurde und von den Babyloniern angefeindet und wahrscheinlich getötet wurde, weil sie seine Ankündigung des Umsturzes durch den Perserkönig Kyros nicht ertrugen. Besinnung Es gibt wohl keine Gestalt im ganzen Alten Testament, die so sehr ein Vorläufer von Jesus ist und zu ihm und seiner Botschaft hinführt. Bei seiner Antrittspredigt in Nazareth verwendet Jesus nach dem Lukasevangelium Worte von Tritojesaja, die ganz im Geiste von Deuterojesaja verfaßt sind. Während Johannes der Täufer sich in der Tradtion der altestamentlichen Gerichtspropheten sieht und laut und warnend ruft: „Tut Buße! Das Himmelreich (und vorher Gottes Gericht) ist nahe herbeigekommen“, steht Jesus in der Tradition von Deuterojesaja: Das Himmelreich - mit Gott als Retter -, ist nahegekommen! Tut Buße, um ihm entgegenzugehen! Noch mehr als Deuterojesaja ist Jesus zum fantasievoll eindringlichen Dichter geworden und hat unvergängliche Worte und Gleichnisse geprägt, um uns im Herzen zu treffen! Ich bin überzeugt, daß Jesus selbst sein Wirken nach dem Vorbild und in der Tradition von Deuterojesaja und des leidenden Gottesknechtes verstanden hat.Liebe Gemeinde!
Seelsorglich und tröstlich
Der Predigttext zum Sonntag Lätare ist ausgesprochen seelsorglich und tröstlich! Er stammt von einem uns unbekannten Propheten. Dessen Worte sind so faszinierend und groß, daß man ihn mit dem ersten großen Propheten Jesaja verglichen und ihn deswegen “Zweiter Jesaja” (“Deuterojesaja”), genannt hat. Auch heute kommen große Theologen wie Gerhard von Rad und Claus Westermann aus dem Schwärmen gar nicht heraus, wenn sie von ihm sprechen. Der große Theologe und Bibelausleger Eugen Drewermann sagt sogar, daß man die sechszehn Kapitel von Deuterojesaja unbedingt vorlesen müßte, wenn man in nur einer Stunde einem Zeitgenossen das Zentrum der Bibel nahebringen möchte. Ja, sie seien eine solche Perle, als sei der ganze Pazifik nur bestimmt gewesen, diese Perle hervorzubringen! Ich schließe mich dieser Begeisterung aus vollem Herzen an! Unvergleichlich schöne und tröstliche Bibelworte finden sich bei diesem Propheten! Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein, spricht Gott! Dazu gehört ebenso aus unserem Predigttext das Wort: Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer!
Alle diese Worte sind in der Zeit einer großen Not entstanden! Die prägende Schicht des Gottesvolks war 587 vor Christi Geburt von Nebukadnezar ins babylonische Exil verschleppt worden. Sie wurden dort zwar nicht gefoltert, aber sie waren in der Fremde. Im Gegensatz zu früher waren sie in kleinen Gruppen beziehungs- und bedeutungslos, mittellos und arm. Am schlimmsten war, daß es für sie ohne ihren Tempel keine Gottesdienste mehr geben konnte und insgesamt ihre Beziehung zu Gott bedroht war. In Babylon hatten nur die Götter der Babylonier Macht und Bedeutung, und ihr Staat funktionierte auch ohne den einen Gott der Israeliten.
Wo war Gott? Wo hatte er noch Macht und irgendeine Bedeutung? Viele Israeliten paßten sich an die neuen Machthaber an und gaben auf, Mitglieder des Gottesvolks zu sein. Andere resignierten schwermütig. Da aber trat ein frommer Jude unter ihnen auf, der Verfasser unseres Predigttextes. Er sah mit seinem liebevoll mitleidendem Herzen die Not und Hoffnungslosigkeit. Er sah aber auch, daß die Perser unter Kyros in wenigen Jahren Babylon erobern werden. Und er sah, daß die Perser nicht wie die Babylonier an viele Götter glaubten, sondern wie die Juden den einen Gott und Schöpfer verehrten. Er besprach alles sehr intensiv mit dem zur Zeit fernen Gott der Juden! Dann fühlte er sich von Gott selbst berufen allen zuzurufen: Gottes Plan ist neu und klar! Gott wird sein Volk wieder zurückführen in die Heimat. Alle Schuld ist vergeben, der Neuanfang steht bevor!
Der unbekannte Prophet
Wahrscheinlich hat dieser Heils-Prophet als leidender Gottesknecht gewirkt und hat nach Jesaja 53 sein Leben gegeben für die anderen. All seine Worte, seine Motivation, sein Bemühen, malen uns ein Bild seiner Persönlichkeit vor das innere Auge, und wir können sein Anliegen zutiefst verstehen! In seiner flammenden Existenz wird er zu einer Fackel für Gottes Liebe!
Die Israeliten lagen am Boden und wußten nicht weiter. Da ist unser Prophet um Gottes Willen mit brennendem Herzen durch Babylon gezogen. Zu jedem, der in irgendeiner Weise am Boden lag, ist er hingegangen, hat mit ihm gesprochen, ihn bei der Hand genommen, ihn aufgerichtet und wieder auf die Füße gestellt! Allen Juden hat er sehr eindringlich, wortreich und mit wunderbaren Worten seine Botschaft ins Herz gesprochen! Durch rationale, resignierende Argumente hat er sich nicht abschrecken lassen, sondern in Streitgesprächen dagegen argumentiert. Für Depressive hatte er priesterliche, seelsorgliche Heilsworte bereit. Für resignierte Fromme hatte er aus den Vertrauenspsalmen der Bibel geschöpft. Juden, welche durch die Macht der babylonischen Götter total eingenommen waren, stellte er die absolute Geschichtsmächtigkeit und universale Größe Gottes entgegen, wie sie Mose erlebte, und die Hoffnung auf eine neue Befreiung aus Sklaverei wie einst in Ägypten. Noch heute gilt: Wer die sechszehn Kapitel Jesaja 40 bis 55 durchliest und den Propheten bei seinem liebevoll tröstlichen Einsatz vor Augen hat, muß einfach in seinem Glauben angerührt sein von diesem Vorläufer von Jesus und unserem Glauben.
Botschaft
Unser Predigttext zeigt und enthüllt genau die Botschaft unseres Propheten. Total bemüht die Israeliten zu trösten und zu bestärken, schreckt der Prophet auch vor den gewagtesten, aber auch den anrührendsten Bildern und Vergleichen nicht zurück. Er vergleicht Gott mit einem Mann, der seine Jugendliebe d. h. das Volk Israel, zwar wohl wegen ihrer Fehlverhalten lange verlassen hat, aber sich ihr jetzt wieder ganz und liebevoll wie bei der ersten Liebe zuwendet. Wahre Vergebung heißt ja nicht „Fünfe grade sein zu lassen“, sondern daß der alte liebevolle Zustand ohne Vorwürfe wieder hergestellt wird. Sehr anrührend ist, was der Prophet beschreibt. Wenn wir am Heiligen Abendmahl teilnehmen soll es ja auch bedeuten, daß wir mit Gott wieder im reinen sind und wir wieder ganz neu anfangen können – wie bei unserer ersten Liebe.
Jesus
Jesus selbst ist ganz sicher beeinflußt worden von der Botschaft des Deuterojesaja: Sein eigentlicher Lehrer war ja zuerst Johannes der Täufer. Von ihm läßt Jesus sich taufen und übernimmt den glühenden Prophetengeist des Johannes. Er übernimmt genau wörtlich dessen zentrale Predigtworte: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbei gekommen! Aber Jesus distanziert sich innerlich von der Gerichtsbotschaft des Johannes. Er übernimmt die Heilsbotschaft des zweiten Jesaja und betont: Das Himmelreich ist nahe herbei gekommen! Tut Buße und kehrt um zu Gottes Reich! Er wird Euch retten! Bei Johannes hatten diese Worte immer bedeutet: Tut Buße! Das Himmelreich kommt, weil Gott jetzt als Richter erscheinen wird und alle Sünder vernichten wird! Jesus verkündet, bringt selbst das Himmelreich Gottes zu den Menschen! Im Auftrag Gottes und als Gottes Sohn kommt er als Retter! Weil sich Jesus als Heilsprophet und Heiland versteht, bestätigt Jesus bei seiner Antrittspredigt in Nazareth die Prophetenworte: Der Geist des HERRN ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, daß sie frei sein sollen, und den Blinden, daß sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen zu verkündigen das Gnadenjahr des HERRN.
Hoffnung
Setzen wir uns wie der Prophet und wie Jesus mit Leidenschaft dafür ein, die Liebe Gottes weiterzutragen, und verbreiten wir Hoffnung! Die Zeiten im Exil und zur Zeit vor Jesus und heute sind merkwürdig gleich. Auch heute gibt es in der Gesellschaft und in unserer Kirche viel Resignation und Mutlosigkeit. Es gibt auch wieder Buß- und Gerichtsprediger. Neben den Bußrufen der Umweltbewegung gibt es die Klimakatastrophen-Prediger und Gläubigen. Wir müssen das alles sehr ernst nehmen. Aber die Hoffnung darf nicht sterben. Andererseits ist es der Menschheit, wie manche Fachleute behaupten, statistisch gesehen noch nie so gut gegangen wie heute! In den letzten 150 Jahren hat sich die weltweite Bildung und Information, besonders aber die allgemeine Lebenserwartung, verdoppelt. Unter den Bedingungen von damals wäre die Hälfte von uns nicht mehr am Leben. Natürlich ist alles sehr komplex und schwierig. Als Christen/innen und im Sinn unseres heutigen Predigttextes sollten wir nicht nur Experten für Glaube und Liebe sein! Heute könnten wir besonders notwendig Experten für eine begründete Hoffnung für die Welt sein, für sie eintreten und Zuversicht verbreiten! Unsere Hoffnung für unsere Welt und für die Menschen hat als Grundlage, dass Gott spricht: Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen!
Amen