„Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“
Kosmische Perspektive
Predigttext: Römer 8,(18-23)26-30 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
26 Desgleichen auch der Geist hilft unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns aufs beste mit unaussprechlichem Seufzen. 27 Der aber die Herzen erforscht, der weiß, was des Geistes Sinn sei; denn er vertritt die Heiligen nach dem, das Gott gefällt. 28 Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind. 29 Denn welche er zuvor ersehen hat, die hat er auch verordnet, dass sie gleich sein sollten dem Ebenbilde seines Sohnes, auf dass derselbe der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. 30 Welche er aber verordnet hat, die hat er auch berufen; welche er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht, welche er aber hat gerecht gemacht, die hat er auch herrlich gemacht. Überlegungen zur Predigt Zur Übersetzung: Besonders empfehlenswert ist m. E. die Übersetzung des Neuen Testaments von Ulrich Wilckens, er beachtet besonders den heilsgeschichtlichen, christologischen und eschatologischen Hintergrund des Textes. Zur Exegese: Zur Exegese möchte ich auf meine ausführliche Predigthilfe im DtPfrbl 3/2008 (Sonntag Exaudi) hinweisen. Bevor Paulus in den Kap 9-11 das Thema Israel und die Christen bespricht, ist Kap 8,18-39 der abschließende Höhepunkt des dogmatischen Briefteils. Paulus sieht visionär das Seufzen und Leiden der ganzen Schöpfung, aber auch die Rettung durch Christus und die Vollendung. Zur Predigt: Wie kaum ein anderer Predigttext enthält unsere Perikope fast alle wesentlichen Themen der christlichen Lehre. Außerdem steht sie im Zusammenhang mit fast allen grundlegenden Themen der Heilsgeschichte von der Schöpfung V 20 bis zur Vollendung V 21, welche den Rahmen des Predigttextes markieren. Dazu gehören: Erwählung V28-30, Christologie V29+34, Gebet V26, Durchhalten im Glauben V28, die Hilfe des Heiligen Geistes V26. Durch die Vielfalt der Themen ist es meines Erachtens unmöglich, über unseren Predigttext textgerecht zu predigen! Entweder verliert man sich in Vielfalt oder vernachlässigt einzelne Aspekte. Die beste verbindende Idee der Einzelaspekte ist nach meiner Überzeugung die kosmische Perspektive des Paulus in Röm 8, um besonders V 18-23 und V29-30 zu predigen und das Thema einer christlich interpretierten Evolution im Sinne von Teilhard de Chardin zu behandeln. Mit dem Rückgriff auf seine Theorie könnte man nach meiner Überzeugung Probleme wie zB den Kreationismus, Zukunfts-Angst, Naturwissenschaft und Glaube überzeugend lösen. Vermutlich ist die christlich interpretierte Evolution ein wirklich origineller und interessanter und wesentlicher Aspekt für die Predigthörenden. Die zeitlose Eingangsthese des Paulus – „Wir wissen nicht, was wir beten sollen“ – wird heute nämlich verschärft durch die Frage: Zu wem können wir überhaupt beten? Welcher Gott und welche Vorstellung von ihm sind anbetungswürdig? Teilhard de Chardin hat dazu die These aufgestellt: „Die Zeit ist vorbei, da Gott sich uns einfach von außen her als ein Meister und Besitzer aufzwingen konnte. Die Welt wird in Zukunft die Knie nur mehr vor dem organischen Zentrum ihrer Evolution beugen“. Teilhard überträgt m. E. nur die große Perspektive des Paulus in Röm 8 auf das heutige durchgängige evolutionäre Weltbild, das übrigens auch Papst Benedikt als ein Hauptthema der gegenwärtigen Diskussion des christlichen Glaubens ansieht.Liebe Gemeinde!
Eine schwierige Frage
Wir wissen nicht, was wir beten sollen, schreibt Paulus. Wie oft erfahren wir Christen das auch heute! Oft fehlen uns einfach die richtigen und angemessenen Worte und Gedanken für unser Gespräch mit Gott! Aber für viele unserer Zeitgenossen stellt sich dazu noch eine weit schwerer wiegende Frage: Zu wem kann ich heute noch beten? Besonders von ehemaligen Bürgern der DDR, die ohne Religion groß geworden sind, werden wir so gefragt. Meinen wir nicht alle, daß es früher überhaupt einfacher war zu beten?
Die allgemeine und verbreitete Vorstellung war in der Vergangenheit, daß Gott über uns im Himmel ist und alles sieht und weiß. Oder wie der Dichter Schiller ausruft: Brüder, überm Sternenzelt muß ein lieber Vater wohnen! Gegen diese räumlich-symbolische Weltsicht steht dagegen heute ein an der Zeit orientiertes Weltbild, daß diese ganze Welt und das Leben auf der Erde und die Geschichte des Menschen ein grandioser Entwicklungsprozeß zu höherem und komplexerem Leben ist.
Das großartigste Produkt dieser Evolution sind wir Menschen. Wir können manches von dieser Entwicklung in der Zeit durchschauen und verstehen. So bedeutet der Begriff Evolution heute weit über Darwin hinaus: Vor 18 Milliarden Jahren entstand durch den Urknall das Weltall. Erst seit 6 Milliarden Jahren gibt es unsere Erde und seit 2 Milliarden Jahren die ersten primitiven Lebewesen auf ihr, die sich zu immer komplizierteren Pflanzen und Tieren entwickelten. Seit der Entstehung des Menschen gibt es die technische und kulturelle Evolution. Darüber hinaus erwarten wir Christen ganz wesentlich die Evolution des Gottesreiches durch den zu Gott auferstandenen Christus, der als kosmischer Christus überall wirkt, im Geist bei uns ist und die Welt zu Gottes ewigem Reich führt. Zu Christus, der uns zum Ziel führt und begleitet; können wir ehrlich und fasziniert beten!
Evolution auf dem Weg bis in die Ewigkeit!
Irgendwie denkt Paulus ganz modern im Sinne der maßgebenden Weltanschauung, daß diese Welt ein großer Entwicklungsprozeß ist. Wenige Verse vor unserem Predigttext schreibt er: Die ganze Schöpfung seufzt und liegt in den Wehen bis zur Stunde. Die Leiden der gegenwärtigen Zeit bedeuten nichts gegenüber der Herrlichkeit, die künftig an uns offenbar werden soll ( V22 und V18). Martin Luther selbst bestätigt leidenschaftlich und grundsätzlich die Sicht des Apostels Paulus. Er ruft uns zu: „Ihr werdet die besten Philosophen und die besten Naturforscher sein, wenn ihr vom Apostel lernt, die Kreatur, d. h. die Schöpfung und alle ihre Geschöpfe und uns Menschen als harrende, seufzende, in Wehen liegende zu betrachten“. Der These, daß die ganze Schöpfung ein gigantischer Entwicklungsprozeß ist, stimmen heute auch die neuen entschiedenen Gottesleugner wie Richard Dawkins in seinem ätzenden Buch „Gotteswahn“ zu.
Paulus aber sieht viel weiter und tiefer: Die ganze Schöpfung seufzt, aber Gott führt sie der künftigen Herrlichkeit und Vollendung entgegen. Die m. E. schönste Beschreibung dieses Ziels, das Paulus meint und auf das wir im Glauben zugehen, finden wir am Ende der Offenbarung des Johannes: Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein noch Leid und Geschrei wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen!
Es geht hier wirklich um die entscheidende Frage über unsere Welt und unser Leben! Jede und jeder ist gefragt. Wie siehst Du es? Worauf geht die ganze Welt und ihre Geschichte zu? Versinkt alles in Chaos und Sinnlosigkeit oder wird Gott alles zum Guten führen und vollenden? An dieser Frage kommt niemand vorbei! Spätestens wenn wir von dieser Welt Abschied nehmen, wird jeder Mensch gefragt, was er erwartet. Ewigen Tod oder ewiges Leben? Einer der schönsten und gefährlichsten Sätze in der Bibel ist ja das Wort Jesu: Dir geschehe wie du geglaubt hast! Glaubst Du mit Jesus und Paulus und den anderen aus der Bibel an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben, wird es Gott auf seine Weise Dir schenken! Hast du Gott ganz vergessen und glaubst nicht, geschieht Dir kein Unrecht, wenn Du nach dem Tod Dich in grenzenloses Vergessen auflöst.
Der Heilige Geist hilft uns zu glauben und zu vertrauen
Paulus ist kein Träumer und weltenferner Phantast! Er weiß darum, daß Gott diese Welt nicht gleich als Paradies geschaffen hat und uns darin als Engel. Auf dem langen Weg der Evolution seufzen schon die Pflanzen und Tiere, wenn z.B. eine Vogelmutter sehen muß, wie eine Katze an das Nest ihren Küken heranschleicht. Paulus weiß, wie oft wir auch oder gerade als Christen angesichts des gegenwärtigen Weltzustandes seufzen. Jeder Mensch hat sein „Päckchen“ zu tragen, sagt der Volksmund, „Unter jedem Dach ein Ach“, sagte eine fromme Frau aus unserer Gemeinde und jedem hat Gott sein eigenes Kreuz auferlegt, sagen fromme Pietisten.
Aber Paulus geht es darum, daß Gott uns schon jetzt auf dem Weg zum Ziel hilft durch die Kraft des Heiligen Geistes! Der Geist nimmt sich unserer Schwachheit an, schreibt Paulus. Heiliger Geist? Jeder Pastor und jede Pastorin hat große Schwierigkeiten, den Heiligen Geist den Konfirmandinnen und Konfirmanden nahezubringen. Auch haben wir heute damit zu tun, daß uns Moslems vorwerfen, wir würden mit Schöpfer, Sohn und Heiligem Geist an drei Götter glauben.
Karl Barth aber hat aufmerksam gemacht, daß jeder Glaube an den einen Gott an die Verehrung eines Einheitsprinzips grenzen würde. Deswegen haben die Moslems den für sie unantastbar heiligen Koran, die Juden das Alte Testament, den Bund und das Heilige Land, und wir Christen haben als Vermittler Jesus, den Gottessohn. Alle drei Religionen brauchen auch unbedingt so was wie den Heiligen Geist, d. h. die gegenwärtige Kraft Gottes hier und heute, damit der eine Schöpfer-Gott nicht fern und kraftlos bleibt! Ohne Heiligen Geist ist Gott fern, durch den Heiligen Geist ist er uns nah!
Der kosmische Christus rettet den Sinn der ganzen Evolution
Unglaublich groß denkt Paulus als erster Christ über Jesus Christus. Der Auferstandene sagt nicht nur wie der Evangelist Matthäus im letzten Kapitel: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“. Nein, Christus ist nach dem Philipperbrief (2,6) vom Anfang der Schöpfung mit dabei. Modern würden wir sagen: Jesus ist mit Gott der Programmierer der Evolution bis zum Menschen, bis zum Erscheinen von Jesus in unserer Welt als Jesus von Nazareth, bis zur Vollendung der Welt!
Jetzt ist Jesus nach Paulus – modern ausgedrückt – der kosmische Christus, der die ganze Weltgeschichte zum Ziel führt. Gegen die Tendenzen mancher Christen und Theologen, für die Jesus lediglich ein jüdischer Prophet und eine eindrucksvolle Persönlichkeit der Vergangenheit ist, würde Paulus heftig protestieren. Wenn Jesus klein gedacht und klein gemacht wird, würde er es ablehnen. Die Vergottung Jesu wäre für Paulus Gotteslästerung.
Paulus liegt nach unserem Predigttext alles daran, daß wir Christen von Anfang an von Gott erwählt und bestimmt sind, dass wir Geschwister des einen Sohnes Gottes, Jesus Christus sein sollen. Dadurch berufen zur ewigen Herrlichkeit. Mit Christus bekommt die ganze Schöpfung, die ganze Evolution und unser persönliches Leben einen Sinn. Mit Christus können wir glauben, daß uns alle Dinge zum Besten dienen und dass jeder einzelne Mensch an seinem Platz ein wichtiger Baustein für Gottes ewiges Reich ist. Zu ihm können wir voller Vertrauen beten.
Ich möchte mit Ihnen, liebe Gemeinde, auf ein Gebet von Pierre Teilhard de Chardin hören: „O ja, Jesus, ich glaube es und will es von den Dächern und auf allen öffentlichen Plätzen ausrufen: Du bist nicht nur der äußere Herr der Dinge und der unmittelbare Glanz des Universums. Du bist der beherrschende Einfluß, der uns durchdringt. … Du bist das kosmische Sein, das uns umfängt und uns in seiner vollkommenen Einheit vollendet. Gewiß ist es so, und gewiß ist deshalb, daß ich Dich (Gott, durch Jesus und durch die Kraft des Heiligen Geistes) über alles liebe.“
Amen