Stärkung in Schwachheit
Eine geistreiche Lebenskunst
Predigttext: Römer 8,(18-23)26-30 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
26 Desgleichen auch der Geist hilft unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns aufs beste mit unaussprechlichem Seufzen. 27 Der aber die Herzen erforscht, der weiß, was des Geistes Sinn sei; denn er vertritt die Heiligen nach dem, das Gott gefällt. 28 Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind. 29 Denn welche er zuvor ersehen hat, die hat er auch verordnet, dass sie gleich sein sollten dem Ebenbilde seines Sohnes, auf dass derselbe der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. 30 Welche er aber verordnet hat, die hat er auch berufen; welche er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht, welche er aber hat gerecht gemacht, die hat er auch herrlich gemacht.Vorbemerkungen – oder: Anthropologie der Schwachheit
Die paulinische Perikope bietet sehr viel an „Essentials“ auf und könnte in viele Richtungen entfaltet oder focussiert werden. Das Beten ist z.B. prominent angesprochen - freilich war dies in unseren Gemeinden am letzten Sonntag Rogate breit Thema. Deshalb habe ich mich entschlossen, für diese Predigt das Seufzen und das Schwachsein in den Mittelpunkt zu stellen, um diese gesellschaftlich gern verdrängten oder primär als „Pflegenotstand“ angesprochenen Themen anders zu beleuchten. Dabei steht exegetisch im Hintergrund, dass es nicht nur das Seufzen des göttlichen Geistes ist, von dem V 26 spricht, „der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen“. Es könnte auch übersetzt werden: „Der Geist steht unserem sprachlosen Seufzen bei.“ Was sich in der Sache trifft, aber eben dies ist mir wichtig. In die oben angerissene homiletische Situation möchte ich den Trost des Textes sprechen lassen, wie ihn Ernst Käsemann (HNT 8a, 4. Aufl., Tübingen 1980, S. 221ff) festhält: „Grundeinsicht für das Verständnis unseres Abschnittes ist, dass der Besitz des Geistes hier als Stand in der Hoffnung beschrieben“ wird, wobei die „Gegenwart des Heils für Pls undiskutierbar“ ist. Allerdings steht die endgültige Verherrlichung oder Vollendung noch aus. Menschen befinden sich in der Spannung zwischen dem „Schon jetzt“ und dem „Noch nicht“, eine Spannung die sich im Text durch die Linie von der „Schwachheit“ (V 26) bis zu „die hat er auch verherrlicht“ (V 30) zeigt. Gerade das Stichwort „Schwachheit“ lässt den Text anthropologisch gewichten, gegen eine Vergöttlichung und Anbetung der Stärke und Macht mit all ihren Konsequenzen. „Das Seufzen geschieht auf Grund eines drückenden Zustandes, unter dem der Mensch leidet und aus dem er sich heraus sehnt, weil er nicht seinem Wesen oder seinen Erwartungen und Hoffnungen entspricht.“(ThWNT, Bd. VII, 601) Das ratlose Gebet hat materiale Ursache. Der Geist ist dann nicht nur Beistand im Gebet, sondern als Geist des menschgewordenen Gottes, der unsere Schwachheit auf sich lud, verstanden, Beistand bei der gesamten Lebensführung. Er ist sozusagen der ‚Trainer’ im Umgang mit Enttäuschungen, Unfähigkeiten, eben all dem, was sich als Schwachheit verstehen lässt, die man erleidet oder aktiv auslebt. „Es handelt sich ... um eine Art Kurzanleitung zu christlicher ‚Lebenskunst’... Eine Lebenskunst, die voller Hoffnung ist, auch wenn ihr selbst die Worte zur Artikulation dieser Hoffnung fehlen. Eine ‚geistreiche’ Lebenskunst, die den Geist an ihrer Seite weiß und immer neu auf ihn hofft.“ (A. Deeg, in: GPM, 97Jg., 2008/2, S.252) In der Predigt verwendete Literatur: Ulrike Bail/ Frank Crüsemann/ Erhard Domay/ Jürgen Ebach/ Claudia Janssen/ Hanne Köhler/ Helga Kuhlmann/ Martin Leutzsch/ Luise Schottroff (Hg.), Bibel in gerechter Sprache, Gütersloh 2006. - Kurt Bartsch, Die Blumen des Blinden, München 1983, S. 196. - Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, München, 11. Aufl. 1980, S.18f. - Slavoj Zizek, Die gnadenlose Liebe, Frankfurt a. M. 2001, S. 184Lieder
"Zieh ein zu deinen Toren" (EG 133) - "Wie lieblich ist der Maien" (EG 501)Liebe Gemeinde!
Schwachsein trainieren
„als der läufer zusammenbrach
standen die trainer ratlos
sie hatten alles trainiert
nur nicht die niederlage“ –
Diese vier Sätze von Kurt Bartsch hören sich an wie die Kurzfassung einer Lebensgeschichte, die sich zwischen zwei Polen bewegt – als Sieger in die Schlagzeilen zu kommen oder mit einem Mal „weg vom Fenster“ zu sein. Was hat es mit menschlicher Schwäche auf sich? Darf man die überhaupt zugeben? Wie geht man mit Enttäuschungen um? Wie verhält man sich, wenn man verliert, wenn man eine Niederlage einstecken muss? Was gibt einem Kraft, Widerstand zu leisten und für Menschenrechte zu kämpfen, wie es die Tibeter tun, und dabei manchen harten und brutalen Schlag einstecken zu müssen? Schwachsein oder Starksein? Und wie damit umgehen?
Aber man braucht gar nicht so weit zu gehen. Auch im Alltag stellt sich die Frage: Wie verhalte ich mich, wenn etwas nicht klappt, wenn ich Misserfolge hinnehmen muss? Wie gehe ich damit um, wenn ich das Gefühl habe, versagt zu haben? Wie verhalte ich mich, dass der Frust nicht in zerstörerische Aggression, die Leben schädigt, umkippt? Dass ich mich nicht auf Versagen festlege oder festlegen lasse, denn das schädigt die Seele? Wie gewinnt man ein Ja zum Leben angesichts von Scheitern und Schwachheit ? Auch das will trainiert und gelernt sein. Schwachsein oder Starksein? Wie damit umgehen?
Schwach sein (müssen)
Warum seufzen, ächzen und stöhnen Menschen? Weil etwas auf sie drückt, unter dem sie leiden. Weil etwas auf ihnen lastet, das weh tut und die Lebenskraft aufzehrt. Sorgen, das müde und matt macht, kraftlos und schwach. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein: Körperliche oder seelische Krankheit, Schuld, Not und Tod. Sei es eigene Krankheit oder die eines anderen Menschen, sei es, dass eine Beziehung in die Brüche gegangen ist. Dinge, die einen quälen. Fragen und andere Sorgensteine, die einem auf der Seele lasten. Vielleicht auch die Unglücke, die man hört, die bedrückenden Nachrichten aus der Nähe und der Ferne. Man kommt sich ohnmächtig vor. Man ist einfach leer und ausgelaugt. Schwach. Man kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Oft verschlägt es einem die Sprache, und man kann nur noch schreien oder seufzen.
Schwachheit gehört zum Menschsein. Schwachheit drückt sich auch noch anders aus als durch das, was man selbst erleidet, was auf einem drückt, und so einen seufzen lässt. Wie Menschen schwach werden, das zeigt sich vielfältig: Nicht nur im Schwachwerden bei einem Stückchen Sahnetorte. Beim Lockruf des Geldes und der Rendite. Es gibt die Verführung durch die Macht über andere. Das Nachgeben der Begierde, selbst gegenüber Kindern und Schutzbefohlenen, die dann missbraucht werden. Indem der Mensch andere Menschen und die Natur ausbeutet. Es steckt im Menschen, es steckt im Leben überhaupt. Und das andere ist eben das Leiden darunter. Aber der Mensch kann empfinden, also mitleiden. So, dass man spürt, das tut weh. Dass es so nicht bleiben kann. Dass etwas geschehen muss.
Paulus redet von Schwachheit. Sie gehört zu unserem Menschsein. Wir sind Bedürftige, an Leib und Seele. Mangel zeichnet uns aus. Paulus wendet sich gegen eine Ideologie der Stärke, gegen Anbetung der Größe und Macht.
Beistand im Schwachsein
Da öffnet der Geist, der Geist Jesu, der Geist dessen, der Mensch geworden ist, der sich mit uns über Orte und Zeiten hinweg befreundet hat, neue Räume. Von Slavoj Zizek stammt der Ausspruch: „Im Gegensatz zur heidnischen Glorifizierung der göttlichen (oder menschlichen) Vollkommenheit ist das ultimative Geheimnis der christlichen Liebe vielleicht ihre liebevolle Anbindung an die Unvollkommenheit. Dieser Mangel im Anderen und des Anderen eröffnet den Raum für die „gute Nachricht“ des Christentums“.
Damit wir aus dem Jammertal herauskommen, begab Gott, begab sich Jesus hinein in Verstrickungen menschlicher Schwäche, in die Hände der Mächtigen, wurde Gott bedürftig und schwach. Doch Gott zerbrach nicht an dieser Last, an diesem Leiden. Die Schwachheit raubte ihm nicht das Ja zum Leben – er stand auf. Damit sind wir im Seufzen nicht allein und der Seufzer bleibt nicht das Letzte.
Wir sind im Seufzen nicht allein, das spricht uns die Worte des Apostels Paulus zu: Der Geist Gottes vertritt uns, wenn wir selbst nicht weiterkommen, „der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen“ oder „der Geist steht unserem sprachlosen Seufzen bei“ – beides kann sprachlich gemeint sein, auf jeden Fall ist inhaltlich beides gemeint. Gottes Geist seufzt mit uns (V26), steht uns bei, damit wir in den chaotischen Gewässern des Lebens nicht untergehen, nicht zerbrechen unter den Lasten oder an der Schwachheit scheitern. Damit die Lebenskraft in uns zunimmt und wir wieder aufatmen und aufstehen. Gott bindet sich liebevoll an Schwachheit und Unvollkommenheit.
Zur Stärkung
Zur Stärkung. Um uns zu ermutigen – zur Herrlichkeit zu führen: „die hat er auch verherrlicht“ (V 30). Ja, damit wir mit dem Leben, mit seinen Höhen und Tiefen umgehen können, an der Schwachheit nicht verzweifeln, Enttäuschung und Scheitern nicht in Selbstzerstörung oder Fremdzerstörung umschlagen, sondern Gelassenheit gewinnen: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben alle Dinge zum Besten dienen, die nach seinem Ratschluss berufen sind“ (V28). Oder in der Übersetzung “Bibel in gerechter Sprache”: „Alles wirkt zum Guten zusammen für die, die Gott lieben, weil Gott entschieden hat, sie zu rufen“.
Die Liebe zu Gott führt dazu, das Leben zu lieben. Das Ja zu Gott ist ein Ja zum Leben. Weil wir Gottes Stimme, seinen Ruf, vernommen haben – Gott sagt: Ich brauche dich. Wirke an der Gestaltung der Welt mit, auch wenn deine Kraft noch so schwach sein mag, wirke mit, mit mir und mit anderen (synergeoV 28). Gottes Kraft wirkt durch uns in allem, auch durch das Schwere lässt sie sich nicht zurückdrängen, diese Liebeskraft. Sie hilft uns, mit Niederlagen umzugehen. Sie gibt Stärke in Schwäche. Selbstvertrauen ist das Vertrauen auf Gott: Gott wird mich schon nicht hängen lassen. Die dankbare Erinnerung an das, was einem schon alles gelungen ist, kräftigt und stärkt das Selbstwertgefühl. Der Rückblick auf Situationen, in denen ich weiterführende Hilfe erfahren habe, gibt mir Energie und motiviert mich dazu, das Leben auch mit seinen Schattenseiten und Schwächen zu leben. Ich werde ermutigt, allen schwierigen Widerfahrnissen zum Trotz „Ja“ zu mir und anderen zu sagen. Ich will meinen Lebens-Lauf für mich und andere weiterhin gut laufen. Denn ich bin, Du bist, ein Kind Gottes, nicht festlegt, sondern mit unseren Stärken und Schwächen von Gott bejaht.
Das gibt Hoffnung, Perspektive(n), Zukunft. Das lässt uns Menschen zuversichtlich mit Jesus vorangehen. Mit ihm sind wir geistig verbunden, und gemeinsam gestalten wir die Welt – im festen Vertrauen, wie es Dietrich Bonhoeffer umschrieben hat und damit die Worte des Apostels Paulus aus unserem Predigttext aufnimmt:
„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir sie brauchen. Aber ergibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein“.
Amen.