Befreiende Pfingstgeistkraft

Wahres geistliches Leben spielt sich nicht abgehoben von unserer irdisch-leiblichen Existenz ab

Predigttext: Römer 8,1-11
Kirche / Ort: Stadtkirche, 74889 Sinsheim
Datum: 11.05.2008
Kirchenjahr: Pfingstsonntag
Autor/in: Dekan Hans Scheffel

Predigttext: Römer 8,1-11 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Das Leben im Geist 1 So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. 2 Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. 3 Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: Er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, 4 damit die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist. 5 Denn die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt; die aber geistlich sind, die sind geistlich gesinnt. 6 Aber fleischlich gesinnt sein ist der Tod, und geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede. 7 Denn fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott, weil das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist; denn es vermag's auch nicht. 8 Die aber fleischlich sind, können Gott nicht gefallen. 9 Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, wenn denn Gottes Geist in euch wohnt. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein. 10 Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen. 11 Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.

Homiletische Überlegungen

Das 8. Kapitel des Römerbriefes ist das Kapitel der Hoffnung. Der Geist bewirkt Hoffnung. Insofern ist dieser Text von der Thematik her sehr ansprechend. Gleichzeitig aber ist der Inhalt vom Hören her schwer verständlich. Bei dem ersten Abschnitt (8,1-11), der das christliche Leben als Sein im Geist behandelt, dominieren beim Hören die Gegensatzpaare Fleisch und Geist, fleischlich und geistlich, Gesetz der Sünde und Gesetz des Lebens. Es ist zu vermuten, dass viele Hörerinnen und Hörer mit diesen Wörtern wenig anfangen können, da sie unserer Alltagssprache nicht zugänglich sind. Bei Fleisch kommt noch hinzu, dass in der Tradition das eher negativ Körperliche und Sexuelle betont worden ist. Eine weitere Schwierigkeit für die Predigt liegt darin, dass Pfingsten im Vergleich zu Weihnachten nicht sehr bekannt ist. Eher denkt man an Pfingststau auf der Autobahn und Pfingstferien als an die Ausgießung des Heiligen Geistes. Auch ist Pfingsten schwer mit einem Symbol anschaulich zu machen. Mein Ertrag mit der Beschäftigung des Textes ist, dass der heilige Geist verwandelt und Wohnung in den Christinnen und Christen findet. Geist und Fleisch sollten nicht dualistisch interpretiert werden, als ob vom Leben im Geist gesprochen wird, das sich jenseits von allen fleischlich - körperlichen Erfahrungen abspielt. Vielmehr kann das Leben im Geist antizipatorisch - eschatologisch verstanden werden. Die Lebendigkeit des Lebens im Hier und Heute kraft des Heiligen Geistes wird betont. Dafür setzt sich der Apostel sehr engagiert ein: Der Geist bewirkt Freiheit.

Literatur

Ernst Käsemann, An die Römer, Tübingen 1973. - Andrea Bieler, Geist-Geschichten in Jerusalem, Kassel und andernorts, GPM, 2008.

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Liebe Gemeinde!

Begeisterung, die gut tut

Aus den Worten des Apostel Paulus sprudelt Begeisterung und Freude heraus. Er ist voller Hoffnung, dass die, die “in Christus”, dem gekreuzigten Auferstandenen, “sind”, im Freiheit schaffenden Geist Gottes leben. Darum können sie voller Zuversicht nach vorne schauen. Eine solche Begeisterung belebt und tut einfach gut – auch uns.

Pfingstfest

Wir feiern heute Pfingsten, dieses liebliche Fest, das uns nicht mehr so vertraut ist. Laut Umfragen können mehr als drei Viertel der Deutschen keine Auskunft mehr geben, was Pfingsten bedeutet. Und doch ist von unserem Glauben her Pfingsten ein sehr freudiges Ereignis. Wir feiern an Pfingsten die Kraft des guten Geistes Gottes, der Menschen bewegt, aus Lethargie und Bedrücktheit herausreißt und uns allen Hoffnung auf Leben schenkt. Trotz der schwer zu verstehenden Worte des Apostels Paulus, die wir eben zum Pfingstfest gehört haben, hören wir in ihnen einen lebendigen Strom, der gleich einem lebendigen Strudel viel Bewegung auslöst.

Befreiung von falscher Abhängigkeit

Paulus ringt mit Fleisch und Geist, mit dem Gesetz des Geistes und dem der Sünde. Paulus kämpft mit menschlichen Erfahrungen: Wir wollen das Gute und richten doch Schaden an. Wir sind mit uns selbst im Unreinen. Wir gehen zwei Schritte vor und einen zurück. Wir wollen aus der Gefangenschaft in uns selbst heraus und fallen doch immer wieder zurück. Allen diesen schweren und niederdrückenden Erfahrungen hält Paulus entgegen: Es gibt keine Verdammnis mehr. Der Geist befreit von der falschen Abhängigkeit und führt zu einem gelingenden Leben in Freude und Begeisterung, in Hoffnung und Zufriedenheit, in Wahrheit und Gerechtigkeit.

Den Geist Gottes spüren

Schaut, das ist Pfingsten, dass wir diesen Geist in uns spüren. Aus Paulus sprudelt es nur so heraus, voller Begeisterung kann er uns zurufen: „Ihr lebt nicht mehr nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist – ihr gehört zu Christus, der den Tod überwunden hat und der Versöhnung geschaffen hat“. Dieser Christus wirkt bei euch Freiheit und Frieden. Ich wünsche mir, dass diese Begeisterung des Paulus auch uns heute erreicht und wir begeistert werden von der Freiheit eines Christenmenschen.

Im Geist Gottes leben und handeln

Der Grundtenor dieser biblischen Worte aus dem Römerbrief ist ermutigend und einladend, er lässt uns aufhorchen: „ Jetzt ist der Freispruch da“. Es gibt keine Verurteilung, sogar keine Verdammnis mehr. Freigesprochen ist der Mensch. Von wem? Von Gott selbst. Zur Freiheit hat euch Christus befreit. Alle Abhängigkeiten, die wir Menschen erleben, die uns knechten und binden, uns oft in tiefste Krisen führen, sind im Kreuz Jesu überwunden. Christus hat uns befreit. Die Kraft dieser Freiheit ist der gute Geist Gottes, der Heilige Geist. Dieser Geist reißt die Menschen aus ihrem bisherigen Dasein heraus, er lässt den dumpfen Trott des Alltags nicht mehr zu und eröffnet ganz neue Möglichkeiten und Dimensionen des Lebens. Gottes Geist bewirkt unter uns Verstehen, Mut, sich selber kritisch in Frage zu stellen, und neu nach der Wahrheit und Gerechtigkeit zu fragen. Er widerspricht allem Egoismus, aller Trägheit und Enge, und er sucht, was dem Ganzen eines Lebens, dem Ganzen einer Familie, einer Gemeinde und einer Gesellschaft dient. Der Geist Gottes hat die Fülle des Lebens im Blick und nicht ausschließlich die einzelnen partikularen Interessen. So macht der Gottes Geist lebendig, er bringt Zivilcourage mit sich, damit wir für Gerechtigkeit und Freiheit eintreten.

In Christus

Wo ist dieser Geist zu finden, fragen wir nachdenklich und interessiert. Die spektakuläre Antwort des Evangeliums heißt: in Christus. Da, in diesem auferstandenen Gekreuzigten, finden wir den Geist Gottes. Von diesem Gott, der Christus von den Toten auferweckt hat und damit deutlich gemacht hat, dass das Leben stärker ist als der Tod, geht der gute Geist aus. In Christus entdecken wir Gottes Geist – das klingt so, als wäre dies wie ein Raum, wie ein Haus. Ja, so ist es. Wie ein Haus uns Geborgenheit schenkt, uns vor Nässe und Kälte, vor Hitze und Sturm schützt, so ist der Ort in Christus auch ein Schutzraum, in dem wir uns wohl fühlen dürfen. In Christus sind wir nicht durch unsere Leistung, sondern durch den Geist Gottes, der uns zu Christus hin bewegt. Er führt uns zu diesem Gekreuzigten, der uns Bruder und Herr ist, der zu uns steht und uns begleitet, der uns hört, wenn wir beten, und der uns Kraft gibt, die wir brauchen, jetzt brauchen. Die Erfahrung Dietrich Bonhoeffers dürfen auch wir in unserem Leben entdecken: Der gute Gott gibt uns Kraft, schenkt uns die nötige Widerstandskraft. Aber er gibt sie nicht im Voraus, sondern dann, wenn wir sie brauchen. Warum? Damit wir uns nicht auf uns selbst verlassen, sondern allein auf Gott, der voller Gerechtigkeit und Wahrheit ist.

Befreiung von einem Leben, das sich selbst beschwert

In Christus befreit uns Gott zu einem Leben, das nicht mehr gefangen ist in die dunkle, versucherische und uns vom Leben fern haltende Macht gefangen ist. Diese Macht der Sünde redet uns ständig ein, dass wir zu kurz kommen, nichts wert und so klein sind. Gleichzeitig redet uns diese Macht aber auch ein, dass wir alles tun müssen, um uns Sinn zu verschaffen, und ständig aktiv sein müssen, um dabei zu sein. Die Folgen kennen wir alle. Menschen werden müde und matt, machen sich und anderen das Leben schwer, verstricken sich in Schuld und Selbstlügen. Dieses Leben, das sich selbst beschwert, nennt Paulus Leben nach dem Fleisch. Mit Fleisch meint der Apostel nicht unseren Körper, unsere Haut und unser Blut. Er will in diesem Hoffnungskapitel in keiner Weise gegen das Körperliche reden. Mit Fleisch meint Paulus die Art und Weise des Lebens, in der Menschen in sich selbst gefangen sind. Die kleine und oft große menschliche Begrenztheit engt Leben ein. Diese Begrenztheit macht auch verletzlich, kränkt und tut oft sehr weh. Unsere Zeitungen sind doch voll von dem unentrinnbaren Kreislauf von Gewalt. Mich erschrecken die Bilder, wie wir sie im Fernsehen und in den Zeitungen fast wöchentlich sehen, immer wieder, wenn Säuglinge und Kinder ausgesetzt oder gar getötet werden. Gewalt begegnet uns in allen Bereichen unseres Lebens. Gegen diese Gewalt, die Menschen Menschen antun, kämpft der gute Geist Gottes. In Christus, so die Erfahrung des Glaubens, sind wir dieser Lebensweise nach dem Fleisch entnommen und befreit zu einem Leben im Geist.

Wahres geistliches Leben ist nicht vom irdischen Leben abgehoben

An dieser Stelle müssen wir sehr sorgfältig hinschauen. Denn ein Missverständnis könnte sich sehr leicht einschleichen, als würde Paulus meinen, das wahre geistliche Leben spielt sich jenseits unserer körperlich – fleischlichen Existenz ab. Wohl gibt es die beiden Lebensorientierungen nach dem Gesetz der Sünde, also das Leben im Fleisch, das von der Macht der Sünde in Besitz genommen ist, und dem Leben im Geist, das durch den Leben schaffenden Geist neue Freiräume hin zu mehr Gerechtigkeit und Frieden freisetzt.

Aber falsch ist, wenn wir meinten, wir, Christinnen und Christen, wären abgehoben und nicht mehr irdisch und menschlich. Nein – mitten in unser menschliches Leben mit all seinen Stärken und Schwächen, Risiken und Chancen kommt der Geist Gottes. Er bewegt uns jetzt schon hin zu mehr Frieden, Verstehen und Versöhnen. Jetzt, da, wo ich bin, darf ich entdecken, dass es keine Verdammnis mehr gibt, weil Christus mich befreit hat. Dieser Geist bewegt und schafft gute Lebensbedingungen, die Menschen atmen lassen. Ich sehe vor mir einen Menschen, der über Jahre hinweg seinem Alltagstrott ausgesetzt war. Er litt unter einem starken Druck. Und dann begegnete er einem Menschen, der ihm zuhörte, und am Ende eines Gespräches sagte er: „Ich spüre wieder Glück“. Bis ins Körperliche hinein konnte er wahrnehmen, dass der Druck gewichen war und er wieder aufrecht gehen konnte.

Vom Pfingstgeist begeistern lassen

Pfingsten ist dieses Geschehen, dass Menschen begeistert werden von dem Geist Gottes, der in uns wohnt und der uns zur Freiheit beruft. Ich wünsche uns allen, dass wir uns von diesem Geist, der in die Menschen fährt, begeistern lassen. Gottes Geist richtet auf, auch Dich und mich. Gottes Geist schafft Hoffnung. Wir dürfen uns auf den Weg zu einem gelingenden Leben aus der Güte Gottes machen. Zur Freiheit hat uns Christus befreit. In dieser Bewegung dürfen wir in dieses Pfingstfest gehen und in alle Tage, die uns gegeben sind.

Amen.

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