Geist-volles Leben

Die Liebesgeschichte Gottes weiterschreiben - Christliche Spiritualität ist eine Haltung des verantwortlichen liebevollen Lebensstils und drängt nach entsprechender (Welt-)Gestaltung

Predigttext: Apostelgeschichte 2, 22-23.32-33.36-39
Kirche / Ort: Melanchthonkirche, Johannes-Brenz-Kirche, 70734 Fellbach
Datum: 12.05.2008
Kirchenjahr: Pfingstmontag
Autor/in: Pfarrer Jürgen Bossert

Predigttext: Apostelgeschichte 2, 22-23.32-33.36-39 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

22 Ihr Männer von Israel, hört diese Worte: Jesus von Nazareth, von Gott unter euch ausgewiesen durch Taten und Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn in eurer Mitte getan hat, wie ihr selbst wisst - 23 diesen Mann, der durch Gottes Ratschluss und Vorsehung dahingegeben war, habt ihr durch die Hand der Heiden ans Kreuz geschlagen und umgebracht… 32 Diesen Jesus hat Gott auferweckt; dessen sind wir alle Zeugen. 33 Da er nun durch die rechte Hand Gottes erhöht ist und empfangen hat den verheißenen heiligen Geist vom Vater, hat er diesen ausgegossen, wie ihr hier seht und hört… 36 So wisse nun das ganze Haus Israel gewiss, dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht hat. 37 Als sie aber das hörten, ging's ihnen durchs Herz, und sie sprachen zu Petrus und den andern Aposteln: Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun? 38 Petrus sprach zu ihnen: Tut Buße, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des heiligen Geistes. 39 Denn euch und euren Kindern gilt diese Verheißung, und allen, die fern sind, so viele der Herr, unser Gott, herzurufen wird.

Vorbemerkungen

Der Predigttext besteht aus ausgewählten Versen der Pfingstpredigt des Petrus, die dieser im Anschluss an das Pfingstereignis hält. Petrus beschreibt in unseren Versen die Geschichte Jesu Christi: Wirken, Kreuzigung, Auferstehung, Erhöhung. Dabei ist Gott der letztlich Handelnde und Jesus Gott untergeordnet. Allerdings wird für die Predigt beim filioque geblieben: Der Geist des Vaters ist der Geist des Sohnes und ist letztlich und endlich der Geist der Liebe Gottes, dem wir die Schöpfung verdanken. Er will in ihr seine Liebesgeschichte zusammen mit seinen Geschöpfen fortschreiben. Die Auswahl des Predigttextes ergibt Sinn, auch .wenn einige Verse nicht miteinbezogen sind, schließt sich doch Vers 32 an V 23 an. Es fehlen die atl. Zitate. Freilich gilt es mit einem Zug des Textes und bes. mit V 36 vorsichtig umzugehen, der die Schuld der Jerusalemer an Jesu Kreuzigung voraussetzt: Ihr habt euren Messias umgebracht. Vor Antijudaismus, Antisemitismus ist zu warnen, und das kann auch explizit in der Predigt geschehen. Wir können uns zur Genüge mit unseren eigenen Fehlern, Problemen und Fragen beschäftigen. Der Geist nimmt als sein Medium die Predigt des Petrus. Martin Luther beschreibt dies im Kleinen Katechismus: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus meinen Herrn glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten“. Durch Wort, Predigt oder Schrift, Lebensstil anderer, die Jesus nachfolgen, und Sakrament, kommt der Geist jedenfalls nicht bar, ohne Tradition, ohne Begegnung. Auch der prophetische Geist lebt in Überlieferung. Es ist Gottes Geist, durch Jesus Christus gelebt, der schöpferisch wirken und die Liebesgeschichte weiterschreiben will, indem der je einzelne Mensch zur Sinnesänderung im Geist aufgerufen wird. Der Geist ruft uns in Jesu Nachfolge, die mit der Buße, der Sinnesänderung, beginnt. Christliche Spiritualität ist eine Spiritualität des verantwortlichen liebevollen Lebensstils und drängt nach entsprechender Weltgestaltung. Am Pfingstmontag legt die Predigt in der Entfaltung also einen Schwerpunkt auf die VV 37-39 und legt die anderen VV materialiter zugrunde. Sie will auf den Lebensstil eingehen, auf einen geistvollen Lebensstil, und Menschen zur „Umkehr zum Leben und zur Menschlichkeit aus dem Geist Christi“ (Predigtstudien VI/2, S. 99) ermutigen bzw. darin stärken, für eine Kultur der Liebe plädieren. In diesem Sinn ist die Bitte „Komm Heiliger Geist!“ nach wie vor aktuell. Literatur: Albert Schweitzer, Predigten, München, 2001, 1327ff. - Walter Jens, aus: „Worte die begleiten“, Hamburg 1998 (zum 4. Juni). - Karl Dienst und Klaus Reblin, „Komm Schöpfer Geist“, in: Predigtstudien VI/2, Stuttgart 1984, S. 94ff. Lieder: „O Heiliger Geist, kehr bei uns ein“ (130) „Zieh ein zu deinen Toren“ (133)

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Predigt

Liebe Gemeinde!

Was wollen wir aus unserem Leben machen?

In einem Gedicht von Von Lothar Zenetti heißt es:
“Was willst du machen aus deinem Leben,
was willst du werden, es steht dir frei:

Ein wandelnder Terminkalender,
ein Kerzenleuchter für das Fest,
ein Briefbeschwerer ganz aus Eisen,
ein Aschenbecher für den Rest?
Ein Aktendeckel mit Rezepten,
ein Hut, ein Lied, ein Zirkuszelt,
ein Gläschen Wein, ein Sofakissen,
ein Stückchen Himmel auf der Welt?

Was willst du machen aus deinem Leben,
was willst du werden, es steht dir frei…”

Was wollen wir aus unserem Leben machen? Das ist man besonders als junger Mensch gefragt. Welchen Beruf ergreifen? Welche Ausbildung, welches Studium? Aber auch wenn man älter wird, drängt sich einem immer wieder diese Frage auf: Was willst du aus deinem Leben weiter machen? Wie deine restliche Lebenszeit füllen? Antworten gibt es in dieser unserer vielschichtigen Lebenswelt viele. Viele Stimmen erklingen und dringen auf einen ein, die einem ein gutes, glückliches und gelingendes Leben versprechen. Viele Lebensstile bieten sich an. Der Mensch ist zur Entscheidung aufgefordert, er hat die Qual der Wahl. – Was soll ich tun? Was sollen wir tun? Dass wir uns diese Frage ernsthaft stellen, das mutet uns Jesus zu. Nicht einfach in den Tag hinein leben, sondern immer wieder unseren Lebensstil prüfen – das gibt uns der Geist Jesu auf. Es ist wichtig zu fragen: Wie soll ich leben? Welchen Lebensstil pflegen? Wie bin ich gesinnt? Welch Geistes Kind? Dabei lässt uns der Heilige Geist nicht allein. Er bietet uns zugleich eine Antwort, einen Weg, einen Lebensstil an. Eine Lebensgrundhaltung, eine geistvolle Lebensgrundhaltung.

Wirkungen

Pfingsten ist nicht nur die „Geburt der Kirche“, sondern bedeutet, dass Gottes Geist über das Damals und Dort hinaus Raum sucht. Gäbe es Pfingsten nicht, wäre die Sache Jesu womöglich zu Ende gewesen, ein kurzes Auflodern nur. Pfingsten: Jesus begegnet dir und mir, jeden Tag neu, wo immer wir sind. Jesus ruft uns zu: Kehr um, erneure dich, leg das Alte ab, steh auf und folge mir nach.

Die Worte von Petrus, seine Predigt, blieben nicht ohne Wirkung. Eine historisch sehr problematische Wirkung hat bis heute der Vorwurfs, die Juden hätten den Christus gekreuzigt. Dazu möchte ich erklären: „Die“ Juden gab es nie, Machtinteressen und religiösen Streit gab es immer, die Römer werden dabei leicht übersehen. Unser Text skizziert in seiner Sicht die Geschichte Jesu Christi. Er stellt sie in den größeren Zusammenhang des Wirkens Jesu, seiner Kreuzigung, Auferstehung, seiner Erhöhung. „Als sie aber das hörten, ging’s ihnen durchs Herz“ (37). Um diese Wirkung der Predigt des Petrus soll es uns gehen. Sie stellt uns vor die Fragen: „Was sollen wir tun?“ Wie soll ich leben? Welchen Lebensstil pflegen? Wie bin ich gesinnt?

Wen der Geist Jesu ergriffen hat, will etwas ändern, alte Wege und Gleise wechseln, alte Kleider ablegen. Die Taufe ist dann ein Zeichen für diese Veränderung, dass wir Gottes Kinder sind. Wir bleiben nicht die alten, wir wollen uns verändern – zum Besseren hin. Zeichen eines Geistwechsels. Der alte Geist der Begierde und Untugend, des Neides, Hasses und Ressentiments wird ersäuft. Ein Mensch mit einem neuen Geist taucht auf, begabt mit dem Geist Jesu, dem Geist der Liebe.

Der kritische Blick

Der Geist der Liebe, Jesu Geist, verhilft zu einem neuen kritischen Blick. Albert Schweitzer sagte: „Früher hatten viele von uns das Gefühl, der Fortschritt der Menschheit sei ein Ziel, das wir wie auf einem guten Dampfer und unter sicherer Leitung mit der Zeit wohl erreichen werden. Heute aber ist Unruhe unter den Passagieren. Sie müssen fürchten, dass der Kurs verloren ist und sie sich auf dem Ozean verlieren werden“. Irgendwie sind die Zeichen der Zeit nicht sehr begeisternd, es haucht einen eher ein kalter Hauch an. Ungelöste wirtschaftliche Fragen, Probleme der sozialen Sicherungssysteme, Unfriede an vielen, kleinen und großen Orten dieser Welt. Es kann auch von einem geistigen Zusammenbruch gesprochen werden. Nocheinmal Albert Schweitzer: „Was ist an Wahrhaftigkeit und Ehrbarkeit, an Lebensernst, an Glauben an Ideale in den letzten Jahren verloren gegangen? …. Unredlichkeit und Leichtfertigkeit herrschen als Herren der Tage. Luxus und Vergnügungssucht treten als Geschwister des Elends auf, nicht nur bei den Hohen, sondern auch bei den Niederen… Auch öffentliche Verrohung fehlt nicht“. Der Geist der Liebe, Jesu Geist, lässt spüren, dass die Welt leidet, seufzt und samt ihren Geschöpfen Beistand braucht, damit blühende Landschaften erhalten bleiben oder entstehen und wachsen können.

Erneuerung

Wie kann es zu einer Erneuerung kommen, die dem äußeren und dem inneren Frieden dient? Einer Erneuerung, die nach lebensfreundlichem Umgang mit der Schöpfung, mit Konflikten zwischen Menschen, auch mit Enttäuschungen sucht? Nicht abbauen, sondern aufbauen. Gottes, Jesu Geist, ist die Kraft, die Energie, die uns dazu inspirieren will.

Und nocheinmal Albert Schweitzer: „Das Geheimnisvolle, was die Dinge in der Natur gestaltet, und das wir Kraft nennen, ohne es erklären zu können, das ist auf dem Gebiete des menschlichen Geschehens die Gesinnung der Menschheit. Gebt der Menschheit einen neuen Geist und ein neues Herz, alles andere kommt dann wie von selbst… Die verfinsterten Gedanken der Menschheit haben dieses vielgestaltige Elend verschuldet; wie das Geistige zerstörend wirkte, so kann es auch wieder aufbauen“.

Der Geist der Liebe baut auf, der Geist Jesu, der die Liebe gelebt hat. Darum finden wir zum zum erfüllten Leben. Alles Leben wird aufgebaut, wächst, die Pflanzen, die Tiere, die Menschen. Blühende Lebensräume gedeihen.

Aufbau und Erneuerung der Welt – sie fängt bei mir, bei dir, beim einzelnen Menschen an. Darum ist Pfingsten nicht allein die Geburt der Kirche, sondern die Geburt des neuen Menschen. Eine Geschichte hat begonnen, die in der Hoffnung stärken will. Ein Mensch versteht den anderen. Die babylonische Sprachverwirrung hat ein Ende. Jeder Mensch kann die Sprache Gottes verstehen. Die Menschen können einander durch die Sprache der Religion verständigen, sie leben miteinander im Frieden. Dazu will der Geist Jesu inspirieren. Alle Menschen verstehen und tragen einander.

Pfingsten

Pfingsten ist nach Walter Jens „die Inthronisation jener Nachfolger Jesu, deren Würde darin besteht, unablässig Werke zu tun, die wenig Erfolg verbürgen, außer dem einen, dem alles entscheidenden: dazu beizutragen, dass die Welt bewohnbar bleibt und nicht fad wird – fad und lau in jener Profit- und Konkurrenz- und Wachstumsseligkeit, die unerträglich wäre“. Gott sei Dank gibt es die Geschichte des Geistes Gottes, der uns zur Verständigung und Solidarität beflügeln will. Gottes Geist möchte uns in die Gemeinschaft mit allem Lebendigen hineinnehmen. Eine Liebesgemeinschaft. Von Bertolt Brecht stammen die Worte:

„Die Wälder wachsen noch,
die Äcker tragen noch,
die Städte stehen noch,
die Menschen atmen noch“.

Noch – doch, was wird, wenn Gottes Geist die zerstörerisch ausartenden Humanenergien nicht in Schalom, in Friedensenergien, in Liebeskräfte zu verwandeln vermag und den herrschsüchtigen Menschen in einen liebenden und ehrfürchtigen Menschen? Darum ist die alte Pfingstbitte immer noch aktuell und notwendig: Veni creator spiritus – Komm, Schöpfer, Geist! – (Mit Worten von Paul Gerhardt, EG 133,7:) Komm, du „Geist der Liebe“, du „Freund der Freundlichkeit“.

„Mein Atem geht – was will er sagen?“, fragt Kurt Marti, und er antwortet:
„Vielleicht: Schau! Hör! Riech! Schmeck! Greif! Lebe!
Vielleicht: Gott atmet in dir mehr als du selbst.
Und auch: In allen Menschen, Tieren Pflanzen atmet er wie in dir.
Und so: Freude den Sinnen! Lust den Geschöpfen! Friede den Seelen!“

Amen.

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