Liebe zu Gott und Weitergabe des Glaubens

Gedanken zum Schema' Jisra'el 5.Mose/Deuteronomium 6,4-9, dem Predigttext zum 1.Sonntag nach Trinitatis

Predigttext: 5.Mose 6,4-9
Kirche / Ort: Karlsruhe
Datum: 25.05.2008
Kirchenjahr: 1. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Kirchenrat Pfarrer Heinz Janssen

Predigttext: 5.Mose/Deuteronomium 6,4-9

4 Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. 5 Und du sollst den HERRN, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. 6 Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen 7 und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst. 8 Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, 9 und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.

Gedanken zur Predigt und Gottesdienstgestaltung

Ich stelle mir den Gottesdienst, in dem das „Schema' Jisra'el“ Predigttext ist, als einen Weg des Einfühlens in dieses jüdische Glaubensbekenntnis vor sowie als ein Herantasten, sich von der Art und Weise des Weitergebens des Glaubens anregen und zu einem offenen dankbaren Bekenntnis zu dem einen Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, „mit Herzen, Mund und Händen“ (EG 321,1) ermutigen zu lassen. Die Aufnahme des Evangeliums nach Mk 12,28-34 (s.o.) in der Predigt erscheint mir als geeignete christologische Brücke. Vielleicht ist es möglich, das „Schema“ hebräisch zu rezitieren. Auch der Gemeinde eine Anschauung für Tefillin und Mezuza zu geben und nach „Erinnerungszeichen“ und Erinnerungshilfen in der christlichen Tradition zu fragen. Es legt sich nach den exegetischen Gegebenheiten nahe, verschiedene Übersetzungen des Predigttextes (vielleicht durch Sprecher und Sprecherinnen aus der Mitte der Gemeinde heraus) zu Gehör zu bringen. Der Predigttext bietet Gelegenheit zu vermitteln, dass Glaubensbekenntnisse nicht trennend sondern durchaus verbindend sein können. Und er eignet sich dafür, die (Körper-)Haltung beim Glaubensbekenntnis zu reflektieren – oft werden dabei im Sinn eines Gebetsgestus die Hände gefaltet und der Blick gesenkt. Wie, wenn wir uns in diesem Gottesdienst beim Glaubensbekenntnis unserem Kirchennachbarn zuwenden, ihn dabei anschauen und so einander bestärkend sagen, was uns der Glaube bedeutet? Vielleicht gelingt es uns, allen, die am 1.Sonntag nach Trinitatis einen Gottesdienst halten, nicht (nur) über das Glaubensbekenntnis zu reden, sondern einen Gottesdienst zu gestalten, der von dem Hören darauf bestimmt ist, „was Gott an uns gewendet hat“ (EG 341,1), und von einem mutigen, im besten Sinn ansteckenden Bekenntnis zu dem einen Gott, der die Liebe ist (Dtn 7,7f.; 1.Joh 4,16). Im Hinblick auf IHN hat Jesus von Nazareth gesagt: Ja, selig sind, die das Wort Gottes hören und bewahren (Lukas 11,28).

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“Höre, Israel” – Gedanken auf dem Weg zu einer Predigt

5.Mose/Deuteronomium  6,4-9 gehört unbestritten zu den wichtigsten Texten der Bibel. Diese Bibelstelle hat ihren ursprünglichen Ort in der Hebräischen Bibel und der jüdischen Religion, und sie ist zugleich ein Schlüsseltext im 5.Buch Mose/Deuteronomium. Wegen seiner beiden einleitenden Anfangsworte schema’ jisra’el wird es das „Schema’ Jisra’el“ genannt.

Bis heute wird das „schema`“ (so die kürzere Bezeichnung) von jedem Angehörigen des Judentums als Glaubensbekenntnis gesprochen: schema` jisra’el ’adonaj ’aelohenu ’adonaj ’aechad (V.4). Das Bekenntnis verbindet in besonderer Weise die Angehörigen der christlichen und der jüdischen Religion. Abgesehen davon, dass es selbstverständlich auch das Glaubensbekenntnis des historischen Jesus war, wird diese Verbindung hervorgehoben, als Jesus auf die Frage eines Schriftgelehrten nach dem höchsten Gebot eben mit dem „Schema Jisrael“ antwortet (Markus 12,28-34). Dass Jesus das Zitat aus Dtn 6,4f. noch mit dem Zitat des Gebotes der Nächstenliebe ergänzt (Lev 19,18 = Mk 12,31) ist keineswegs eine „neutestamentliche“ „Überbietung“ des „alttestamentlichen“ Bibeltextes, sondern ist die inhärente Interpretation des Bekenntnisses. Das Bekenntnis zu dem einen Gott, der IHM geltenden Liebe, umfasst in gleicher Weise das Bekenntnis zu unserem Mitmenschen, der Liebe, in der wir ihm begegnen. Welch eine biblische Brücke für den christlich-jüdischen Dialog, die Begegnung der älteren und jüngeren Geschwister!

Aufforderung zum Hören

Eigentlich entspricht die Formulierung von Dtn 6,4-9 überwiegend nicht der gewohnten Bekenntnisformulierungen in der christlichen Tradition. Dtn 6,4-9 ist formal eine Aufforderung an Israel zu hören („Höre Israel“, V.4a) und in der Konsequenz dieses Hörens Gott „mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele/mit jedem Atemzug/mit der ganzen Person und mit ganzer Kraft“ zu lieben (V.5).

Liebe zu Gott und Weitergabe des Glaubens

Der Aufruf steht in dem großen Zusammenhang der 25 Kapitel Dtn 4,44-30,30, die als eindringliche letzte Rede des Mose an sein an der Schwelle zum „Gelobten Land“ stehenden Volk gestaltet sind. Die Israeliten sollen im verheißenen Land die Liebe Gottes nicht vergessen, sondern sich stets an die „Magnalia Dei“ erinnern. Die Liebe zu Gott ist Antwort auf die vorausgehende Liebe Gottes, die das Volk schon oft erfahren durfte und die jedem einzelnen Menschen gilt („amor praeveniens“). „Diese Worte“ sollen „auf dem Herzen“ (geschrieben) sein (V.6) – die hebräische Formulierung `alerinnert mich an das Bild der Gebotstafeln, auf die Gott seine Thora, seine Weisungen, schrieb – und dann den Kindern, der heranwachsenden Generation, im Sinne der Weitergabe des Glaubens „immer wieder vorgesprochen“/“wiederholt“ werden (V.7a – das hebräische Wort schanan, das nach der Wurzel schanan I pi. „(ein)schärfen“ bedeutet, kann auch als Nebenform zu schana II = „wiederholen“, „immer wieder sagen“ gedeutet werden, s. KBL3 1484a sub schanan II) – und dies bei jeder Gelegenheit (zu Hause, unterwegs, beim Zubettgehen und beim Aufstehen, V.7b). Außerdem sollen „diese Worte“ als „(Erinnerungs-)Zeichen“ (hebr. ’oth) bzw. „Marken“ (hebr. totapha) auf die Hand und die Stirn (wörtlich: „zwischen die Augen“) gebunden (V.8) und auf die Türpfosten des Hauses und die Tore geschrieben werden (V.9).

Auf Dtn 6,8 bezieht sich bis heute die jüdische Gebetspraxis mit Gebetsbändern („Tefillin“ bzw. „Phylaktierien“, die um den linken Arm und um die Stirn gebunden werden und womit eine kleine Gebetskapsel (mit den auf kleine Pergamentröllchen geschriebenen Bibeltexten Ex 13,1-10.11-16; Dtn 6,4-9; 11,13-21; vgl. Num 15,37-41) an „Kopf und Hand“ angebracht wird, um an die Zusammengehörigkeit von Hören und Tun/Bewahren des Wortes Gottes zu erinnern. Ebenso erinnert das religiöse Brauchtum der „Mesusa“ an Dtn 6,9: Eine kleine Kapsel mit den genannten Schriftstellen sollen an dem Türpfosten eines Hauses (hebr. mezuza = Türpfosten) und auf die Tore geschrieben werden (V.9). Die Zeichen an Hand/Arm, Stirn und Tür sind gleichsam öffentliche Kundgabe, Bekenntnis, im tiefsten Sinn „Öffentlichkeitsarbeit“ (!).

Das Bekenntnis

Die eigentliche Bekenntnisaussage steht in V.4b: ’adonaj ’aelohenu ’adonaj ’aechad. Die Bedeutung dieser vier Worte ist im hebräischen Text durch je einen großen Buchstaben am Ende des ersten (hörE) und vierten (alleiN) Wortes hervorgehoben (im Hebräischen sind es die Buchstaben ´Ajin und Daleth), der jeweilige Schlussbuchstabe von schema` und `aechad.

Syntaktisch stellt der hebräische Text einen Nominalsatz dar, was die Übersetzung erschwert, sie ist bis heute umstritten bzw. lässt verschiedene Möglichkeiten zu. Wörtlich ergibt der hebräische Urtext: Adonaj unser Gott Adonaj einer/einzig/allein. Diese Übersetzung ist offen für die Deutungen: (1) Adonaj (ist) unser Gott, Adonaj allein. Oder: (2) Adonaj, unser Gott, (ist) ein Adonaj. Die erste Übersetzung betont das Bekenntnis zur alleinigen Verehrung JHWHs, des Gottes Israels, gegenüber den kanaanäischen Gottheiten, die zweite das Ungeteiltsein Gottes gegenüber pluralen JHWH-Traditionen und Kultorten; beide Übersetzungen haben Anhalt in der deuteronomischen Theologie, sie lassen (bewusst?) verschiedene Betonungen und Bekenntnisausrichtungen offen. T. Veijola sieht in V.4b zwei parallel aufgebaute Nominalsätze, wobei der zweite den ersten verstärkt: JHWH ist unser Gott // JHWH ist einer bzw. ein einziger bzw. (im emphatischen Sinn) einzig. „Es geht also in V.4b um nichts anderes als das zentrale Anliegen des Ersten Gebots (mit dem Proplog) des Dekalogs…“ (vgl. T. Veijola, ATD 8,1, S.177-179: 178; G. v. Rad, ATD 8, S.45).

Hermeneutische, theologische und christologische Überlegungen

Kann diese Gegebenheit der Offenheit des „Schema“ für uns heute eine Anregung sein, „kreativ“, die Zeichen der Zeit und Herausforderungen erkennend, mit unseren Bekenntnissen umzugehen? Wie „positionieren“ wir uns im Geist des „Schema’“, das auch Jesu Glaubensbekenntnis war, als „heilige, christliche Kirche“? Wie leben die jüngeren (Glaubens-)Geschwister mit den älteren? Wie bewusst ist uns die umfassende „familia Dei“, wenn wir in unserer christlichen Kirche Psalmen beten, Halleluja singen und Amen sagen – und den größten Teil unserer Bibel aus den Händen der älteren Geschwister haben?

Es geht gewiss nicht an, die Christo-Logie in der Theo-Logie untergehen zu lassen und in Gebet, Predigt und Bekenntnis nur noch allgemein von „Gott“ zu reden. Aber wenn wir von Jesus Christus sprechen, muss deutlich werden, dass sich der Gottessohn im Namen des Gottes der Liebe den Töchtern und Söhnen der einen großen „familia Dei“ zuwendet und dieser Gott der Liebe kein anderer ist als der Eine, dessen Einigkeit in dem „Schema“ ausgerufen, in die Welt hineingerufen wird. Dass den Hörenden die Liebe zu Gott, die in der Liebe Gottes zu seinem Volk gründet, mit dem „Schema“ so sehr ans Herz gelegt wird, muss in einer christlichen Tradition aufhorchen lassen, die sich jahrhundertelang daran gewöhnt hat, das „Neue“ Testament als Überbietung des „Alten“ Testaments zu lesen bzw. zu deuten und in diesem Sinn meint, dass der Gott der Liebe (noch) nicht im ersten großen Bibelteil zu finden sei. Die in der christlichen Tradition geläufige Bezeichnung „Altes“ Testament hat das Ihrige zu dieser Auffassung beigetragen. Darum erscheint es mir angebracht, sich die jüdische Bezeichnung „TaNaK“ (Thora/Fünf Bücher Mose – Nebi’im/Propheten – Ketubim/Schriften) zu vergegenwärtigen, aber auch Benennungen in der christlichen Tradition wie „Erstes Testament“ bzw. „Hebräische Bibel“ oder „Bibel Israels“. Nicht zu vergessen die Ehrfurcht vor dem Gottesnamen, welche die jüdische Gemeinde dadurch praktiziert, dass sie das Tertragramm JHWH nicht ausspricht, sondern es z. B. durch ´Adonaj umschreibt. Mir fällt dazu die erste Bitte aus dem Gebet Jesu ein: Geheiligt werde dein Name.

Gedanken zur Predigt und Gottesdienstgestaltung

Ich stelle mir den Gottesdienst, in dem das „Schema’ Jisra’el“ Predigttext ist, als einen Weg des Einfühlens in dieses jüdische Glaubensbekenntnis vor sowie als ein Herantasten, sich von der Art und Weise des Weitergebens des Glaubens anregen und zu einem offenen dankbaren Bekenntnis zu dem einen Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, „mit Herzen, Mund und Händen“ (EG 321,1) ermutigen zu lassen. Die Aufnahme des Evangeliums nach Mk 12,28-34 (s.o.) in der Predigt erscheint mir als geeignete christologische Brücke. Vielleicht ist es möglich, das „Schema“ hebräisch zu rezitieren. Auch der Gemeinde eine Anschauung für Tefillin und Mezuza zu geben und nach „Erinnerungszeichen“ und Erinnerungshilfen in der christlichen Tradition zu fragen. Es legt sich nach den exegetischen Gegebenheiten nahe, verschiedene Übersetzungen des Predigttextes (vielleicht durch Sprecher und Sprecherinnen aus der Mitte der Gemeinde heraus) zu Gehör zu bringen.

Der Predigttext bietet Gelegenheit zu vermitteln, dass Glaubensbekenntnisse nicht trennend sondern durchaus verbindend sein können. Und er eignet sich dafür, die (Körper-)Haltung beim Glaubensbekenntnis zu reflektieren – oft werden dabei im Sinn eines Gebetsgestus die Hände gefaltet und der Blick gesenkt. Wie, wenn wir uns in diesem Gottesdienst beim Glaubensbekenntnis unserem Kirchennachbarn zuwenden, ihn dabei anschauen und so einander bestärkend sagen, was uns der Glaube bedeutet? Vielleicht gelingt es uns, allen, die am 1.Sonntag nach Trinitatis einen Gottesdienst halten, nicht (nur) über das Glaubensbekenntnis zu reden, sondern einen Gottesdienst zu gestalten, der von dem Hören darauf bestimmt ist, „was Gott an uns gewendet hat“ (EG 341,1), und von einem mutigen, im besten Sinn ansteckenden Bekenntnis zu dem einen Gott, der die Liebe ist (Dtn 7,7f.; 1.Joh 4,16). Im Hinblick auf IHN hat Jesus von Nazareth gesagt: Ja, selig sind, die das Wort Gottes hören und bewahren (Lukas 11,28).

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