Liebe macht erfinderisch

Wie Paulus zum größten Werbefachmann der Antike wurde

Predigttext: 1.Korinther 9,16-23
Kirche / Ort: Lübeck
Datum: 1.06.2008
Kirchenjahr: 2. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastor em. Heinz Rußmann

Predigttext: 1.Korinther 9,14-23 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

14 So hat auch der Herr befohlen, daß, die das Evangelium verkündigen, sich vom Evangelium nähren sollen. 15 Ich aber habe von alledem keinen Gebrauch gemacht. Ich schreibe auch nicht deshalb davon, damit es nun mit mir so gehalten werden sollte. Lieber würde ich sterben - nein, meinen Ruhm soll niemand zunichte machen! 16 Denn daß ich das Evangelium predige, dessen darf ich mich nicht rühmen; denn ich muß es tun. Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte! 17 Täte ich's aus eigenem Willen, so erhielte ich Lohn. Tue ich's aber nicht aus eigenem Willen, so ist mir doch das Amt anvertraut. 18 Was ist denn nun mein Lohn? Daß ich das Evangelium predige ohne Entgelt und von meinem Recht am Evangelium nicht Gebrauch mache. 19 Denn obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht gemacht, damit ich möglichst viele gewinne. 20 Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden - obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin -, damit ich die, die unter dem Gesetz sind, gewinne. 21 Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer ohne Gesetz geworden - obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin in dem Gesetz Christi -, damit ich die, die ohne Gesetz sind, gewinne. 22 Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette. 23 Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben.

Exegetische Hinweise (I) und homiletische Überlegungen (II)

I. Paulus kämpft für sein Apostelamt bei den Christen in Korinth und verteidigt es gegen falsche Angriffe. Wie ein Prophet des Alten Testaments ist er -seit dem Damaskus-Erlebnis mit Christus- berufen von Gott und von ihm verpflichtet das Evangelium zu predigen. Er hat seitdem aus tiefster Überzeugung nur diese eine Motivation, alle seine Zeitgenossen, Juden wie Heiden zu überzeugen vom Evangelium von Jesus Christus.( V16b ) So wie einer, der in der Wüste allein eine rettende Wasserquelle für die anderen kennt! Um nicht von Menschen und Gemeinden abhängig zu werden und um seine Freiheit zu bewahren, hat er seinen Lebensunterhalt selbst verdient. Hauptthema ist, daß er sich um des Evangeliums willen auf alle seine Zeitgenossen, Juden wie Heiden, Griechen wie Schwache intensiv eingelassen hat und sie zuerst l tief verstanden hat, um möglichst viele für das Reich Gottes zu gewinnen! II. Martin Luther hat in seiner Schrift: Von der Freiheit eines Christenmenschen die Botschaft und die Motivation des Paulus in unserem Predigttext großartig aufgenommen und aktualisiert und die Reformation dadurch besonders voran gebracht: Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ( in der Liebe ) ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. Zu bedenken ist aber heute, daß nach der Analyse von Psychologen, Seelsorgern und Soziologen der moderne Mensch nicht so sehr unter quälender Unfreiheit und Zwanghaftigkeit, als vielmehr in der Single-Gesellschaft unter einer Unfähigkeit zu verläßlichen Bindungen und an Bindungsangst und Bindungslosigkeit leidet. Es müßte deswegen heute, wenn man im Sinne des Paulus den Zeitgenossen ein Zeitgenosse werden will, aktuell gepredigt werden, welche heilsame Bindungen an die Liebe von und zu Jesus und welche Motivation Paulus für seine Verkündigung hatte und wie wir davon angesteckt werden können! Vielleicht sollte man zuerst beschreiben, wie Paulus für seine Botschaft missioniert und sie seinen Zeitgenossen nahe gebracht hat. Sein Motto: den Juden ein Juden, den Griechen ein Grieche..., damit ich sie gewinne, erinnert an ein Programm für Werbung. Tatsächlich gibt es neuerdings dazu das bemerkenswerte Buch von Franz Berger und Harald Gleissner: Das Paulus –Prinzip. Die erfolgreichste Marketingstrategie der Weltgeschichte, München 1998. Weil über unseren Predigttext seit Jahrhunderten und heute immer wieder recht ähnlich gepredigt wird und in dem Buch eine ganz neue, sehr originelle und wichtige Perspektive des Paulus auftaucht, die kein Theologe und Christ bisher wohl so bedacht hat, würde ich vorschlagen, aktuelle Gedanken des Buches in die Predigt einzubauen. Ich kenne kein so interessantes neues Buch über Paulus wie dieses und denke, daß es für die Verbreitung unseres Glaubens, früher Mission genannt, besonders gute und realistische Gedanken und Pläne fördert. Deswegen schlage ich eine Themapredigt darüber vor. Man sollte diese Marketing-Sicht nicht vorschnell ablehnen. Sie kann nämlich die Verbreitung unseres Glaubens sehr fördern!

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Predigt

Liebe Gemeinde!

Mit der Zeit gehen

Den Juden bin ich ein Jude geworden , den Griechen ein Grieche, damit ich möglichst viele gewinne! Dieser Satz aus unserem Predigttext wird oft zitiert. Besonders wenn es darum geht, daß die Kirche sich auf die Menschen unserer Zeit einstellt. Wirbt sie für Glauben und Gemeinde wird dieses Wort des Paulus gern verwendet.

Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit, sagt man heute. Unglaublich viel tut unsere Kirche deshalb für Werbung in der Öffentlichkeit. Bischof Stoll, früherer Ratsvorsitzender der EKD, empfahl den Gemeinden schon vor Jahren, neben den bekannten integrierenden auch öffnende Aktionen anzubieten. Stadtteil-Feste zum Beispiel öffnen eine Kirchengemeinde und Bibelstunden integrieren in eine Kirchengemeinde. Paulus hat wie kein anderer Apostel die Kirche für alle Menschen seiner Zeit geöffnet. Alle sollten von Jesus und der befreienden Botschaft des Evangeliums überzeugt werden! Ohne es zu wissen oder es bewußt anzustreben wurde er aus Begeisterung für Jesus nach den modernen Untersuchungen der Betriebswirte Franz Berger und Harald Gleissner zum größten Werbestrategen der ganzen Welt! Nicht nur durch Jesus, sondern auch durch Paulus leben heute dreißig Prozent der Menschheit im heidenchristlichen Kulturbereich.

Strategien

Wie ist er dabei vorgegangen, um die Menschen zu erreichen? Aus der Sicht des modernen Marketings kann man vier Prinzipien feststellen, welche noch heute für die Mission der Kirche wichtig sind: Als Erstes und Wichtigstes kann man der Bibel entnehmen, das Paulus mit seiner ganzen Person total überzeugt von dem war, was er verkündete. Er machte keine Reklame für ein Produkt, an das er nicht glaubte. Nach den Worten von Prof Thielicke gibt es heute zu viele Menschen, die Reklame machen z.B. für eine Limonade, die sie selbst nicht trinken oder für das Programm ihrer Partei, von dem sie nicht überzeugt sind. Paulus dagegen war mit allen Fasern seiner Seele überzeugt, daß Menschen durch den Glauben an Jesus Christus gerettet werden. Mit modernen Begriffen könnte man es so sagen: Jeder von uns hat -nach dem Papst der Kommunikations-Psychologie Prof Schulz von Thun- im Inneren Team seiner Seele viele Stimmen und Ratgeber, die sich oft widersprechen und die Seele zu zerreißen drohen. Durch Jesus als Hauptratgeber im inneren Team unserer Seele werden wir aus innerer Zerrissenheit befreit und finden eine geheilte neue Mitte, neuen Sinn, neues Glück.

Paulus sagt an anderer Stelle: Christus lebt in mir! Ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat! ( Gal 2,20 ). Daraus könnten wir erkennen: Wenn wir als Christen andere Menschen von unserem Glauben überzeugen wollen, müßte sich jeder von uns als erstes ganz ehrlich fragen, was uns der Glaube persönlich und im Innersten unserer Seele selbst bedeutet.

Marketing-Prinzip

Aus der Sicht des modernen Marketings erprobte Paulus seinen neuen gesetzesfreien Glauben an Christus zuerst auf Nebenschauplätzen der damaligen Kulturen und Religionen. Nur wenigen Christen ist bewußt, dass Paulus nach seiner Bekehrung vom Saulus zum Paulus, vom Christenverfolger zum Christusverkündiger im Jahre 32 sechzehn lange Jahre im kleinen Rahmen in Syrien und in der heutigen Türkei missioniert hat. Ihm wurde dabei immer deutlicher, daß nur wenige Juden sich von Jesus als Messias überzeugen ließen. Heiden waren dagegen, nach der Erfahrung des Paulus, viel leichter von Jesus zu begeistern. In der widersprüchlichen Welt des römischen Reiches mit vielen Kulten , rohen und harten Sitten, wie z.B. Gladiatorenkämpfe, bei denen sich unter dem Gejohle der Menge Männer gegenseitig töteten, war Jesus für sie Vertreter gegen diese Welt, der Sohn Gottes und das Symbol des wahren Menschen. Allerdings waren sie nicht davon zu überzeugen, die über sechshundert Gebote und Verbote des Alten Testaments zu beachten. Paulus erkannte immer mehr, dass man den Glauben auf Christus konzentrieren und von unnötigen Traditionen des Alten Testaments befreien mußte. Modern formuliert: Nur das Produkt eines gesetzesfreien Christentums für alle Heiden konnte von ihnen angenommen werden und hatte auf dem Weltmarkt der Religionen eine Chance.

Daraus könnten wir erkennen: Jeder, der heute Menschen für Jesus gewinnen will, sollte klein anfangen z.B. in persönlichen Gesprächen mit Bekannten oder Bibeldiskussionen, bevor er eine Missionspredigt auf dem Marktplatz hält.

Ziel-sicher

Aus der Sicht des modernen Marketings verfiel Paulus nicht dem unreifen Wahn eines begabten jungen Missionars und Newcomers, für den alles Bisherige fragwürdig ist. Er suchte bewusst die Beziehung und den Zusammenhang zur christlichen Gemeinde in Jerusalem. Er holte sich zu seinem Projekt einer gesetzesfreien Heidenmission in Jerusalem gezielt die Erlaubnis der Seniorchefs, Petrus und Jakobus und Johannes. Nach Apostelgeschichte Kap 15 einigte man sich im Jahre 48 in Jerusalem auf einen Kompromiß: Petrus für die Juden, Paulus für die Heiden! Es war eine weltgeschichtliche Stunde! Hätte Petrus nicht die Größe gehabt, Paulus und sein gesetzesfreies Heidentum anzuerkennen und auf die Gebotserfüllung der über sechshundert Gebote für Heidenchristen zu verzichten, wären wir heute keine Christen.

Daraus könnten wir erkennen: Es geht bei allem Werben für Gott, Christus und unsere Kirche darum, den Zusammenhalt mit den anderen Christen und der gemeinsamen christliche Lehre zu bewahren. Originelle, aber gemeinschaftunfähige Sektierer gibt es leider heute genug.

Das Prinzip: Aufbrechen zum Zielort

Von Paulus als Werbestrategen für Christus können wir lernen, daß er seinen Glauben an Jesus, der alle Menschen retten will, nach der Erprobungsphase in alle Richtungen posaunt hat! Er hat die Bierzelte auf dem Dorf nicht verachtet für seine Mission. Sein Ziel waren dazu die Hauptstädte des Zeitgeistes: Antiochia als Weltstadt im Osten, Korinth und Athen in Griechenland und vor allem Rom. Heute wäre er auch nach New York und Singapur geflogen, wäre im Fernsehen aufgetreten und hätte vermutlich auch beim Internet- Predigtforum mitgemacht! Auch wir sollten uns nicht als graue Mäuse verstecken! Wie oft hört der Pastor oder die Pastorin beim Beerdigungsgespräch: Mein Ehepartner war ein tief gläubiger Christ, der jeden Tag betete. Er hat drüber nie vor anderen gesprochen. Das fände Paulus nicht richtig.

Liebe macht erfinderisch

Fragt man, wie Paulus zum größten Werbestrategen der ganzen Antike werden konnte, so muß man seine Bekehrung verstehen! Ihm wird ja sein Motto: den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche, damit ich möglichst viele gewinne, immer wieder vorgeworfen. Ihm wird unterstellt, daß er ein Wendehals war, der sich aus Ehrgeiz hemmungslos anpasste. Es war ganz anders: Paulus war zuerst ein überzeugter frommer Jude. Er stammte aus Tarsos, war in Jerusalem von dem berühmten Rabbi Gamaliel ausgebildet worden. Er verstand sich als Missionar für den jüdischen Glauben und hielt die Gebote sehr streng. Als dann Juden-Christen wie Stephanus auftraten, verfolgte er sie als gefährliche Abweichler vom wahren Glauben. Irgendwann wurde seine treue, gewissenhafte, geordnete, rechtschaffene, tüchtige und genaue Seele aber beunruhigt und in Frage gestellt, ausgelöst durch die Begegnung mit Stephanus und anderen Christen und deren liebevolle Freiheit! Bei Damaskus begegnete ihm Jesus selbst und verzauberte und verwandelte den fundamentalistischen Saulus zum Paulus. Vom Missionar für Mose und die Gebote zum Missionar für Christus und die Liebe.

Wodurch ändern sich Menschen zum Guten? Durch den Zustand der Verliebtheit und des Geliebtwerdens! Nirgendwo wie im 1. Korintherbrief beschreibt Paulus im 13. Kapitel , dem bekannten Hohelied der Liebe, seine Wandlung vom Pharisäer zum Christen so eindringlich: Wenn ich mit Menschen- und Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, wäre ich ein tönernes Erz oder eine klingende Schelle….Wenn allen Glauben hätte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts! Und wenn ich alle Habe den Armen gäbe … und hätte die Liebe nicht, so wäre mir`s nichts nütze. Man fühlt, wie Paulus gerade von der Sphäre der Liebe von Christus überwältigt worden ist. Das ist der eigentliche Grund für seine Mission und Werbestrategie, sie allen Menschen zuzurufen als neues Leben. Paulus würde das auch heute nach allen Seiten ausrufen! Das Gesetz allein bringt kein Leben. Wenn ich z.B. meine Familie nur korrekt behandle, gibt es keine Zärtlichkeit und das Lachen erstirbt. Unsere Welt wird mit korrekten Geboten und Gesetzen allein nicht überleben können, manchmal fördert sogar Strafe Vergeltung und Rechthaberei Rache. Wegen einer oft praktizierten rechthaberischen, lieblosen und unbarmherzigen Gerechtigkeit erleben wir heute weltweit Ungerechtigkeit Vergeltung und darauf wiederum Attentat und Vergeltung. Unheilvoll im Kreis.

Alle glauben, recht zu haben, und beugen sich das Recht um mit Terror und Gewalt angeblich gerechtfertigten Krieg zu verbreiten. Verständnis und Vergebung sind fern. Nur mit Jesu Vergebung, Nächsten- und Feindesliebe wird unsere Welt überleben! Nach ihm sollten alle Religionen und Weltanschauungen Barmherzigkeit und Liebe höher stellen als unbarmherziges Recht! Wie Paulus sollten wir alle den Zeitgeist und die darin eingefangenen Menschen verstehen und mit der Phantasie der Liebe neue Wege suchen, um Menschen für Christus zu gewinnen! Für die Zeitgenossen ein liebevoller Zeitgenosse sein, um die Menschen auf den Weg Jesu zu bringen! Dann werden wir mit Christus den Sinn der ganzen Weltgeschichte retten.

Amen

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