Wenn Verletzte aufstehen zum Frieden

Ein Stück Alltagsethik

Predigttext: Römer 12,17-21
Kirche / Ort: Lutherkirche Baden-Baden
Datum: 15.06.2008
Kirchenjahr: 4. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Eva Böhme

Predigttext: Römer 12,17-21 (Übersetzung Martin Luther, Revision 1984)

17 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. 18 Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. 19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.« 20 Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« ( Sprüche 25,21.22) 21 Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Theologische Entscheidungen und seelsorgliche Gedanken zur Predigt

Wer über Mahnungen zu predigen hat, steht in der Gefahr selber Mahner zu werden. Das muss zwar nicht schlimm sein, macht das Predigen aber nicht gerade leichter, da ein zuviel an Ermahnung oder ein zu leichtfertiges Ermahnen oder ein zu gesetzliches Ermahnen in der Regel mit dem Verlust des Hörers oder der Hörerin zusammengehen wird. Nicht zufällig bauen deswegen im Römerbrief die Mahnungen des Apostels auf dem Fundament der Überlegungen zum Erbarmen Gottes in Kapitel 9-11 auf und knüpfen an die grundsätzlichen Aussagen über den christlichen Lebenswandel in Kap. 6-8 an. Folgende Überlegungen waren bei der Vorbereitung und Ausarbeitung der Predigt leitend: 1. Die Mahnungen sind zum Teil sprichwörtlich bekannt. Das verdanken sie ihrer Bedeutung. Das führt aber auch dazu, dass sie in allen möglichen und unmöglichen Situationen hervorgezogen werden und möglicherweise sogar pädagogisch fragwürdig eingesetzt werden, so dass manche Gottesdienstbesuchende mit ihnen eine Leidensgeschichte verbinden werden. 2. Viele Gottesdienstbesuchende sind in besonderer Weise harmoniebedürftig. „Um des lieben Friedens willen“, sind sie zu manchen Zugeständnissen bereit. Der Frieden und das Gute von dem Römer 12 sprechen, wachsen jedoch nicht auf dem Boden fragwürdiger Zugeständnisse. Deswegen muss 3. das Böse als Böses benannt werden. Die Aussage Vergeltet niemandem Böses mit Böse“ setzt voraus, dass das Böse als Böses benannt wird. 4. Der Verzicht auf Rache, bedeutet nicht die Preisgabe der Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Die Rache ist mein sagt vielmehr, dass Gott selbst sich des Täters annimmt (und sich so des Opfers erbarmt.) Nicht formuliert ist eine passive Ergebung in den zugefügten Schmerz. Der Verzicht ist ein Überlassen, kein Lassen. 5. Der Verzicht auf Rache menschlicherseits macht den Weg frei zu einem positiven Umgang mit dem mich zerstörenden Nächsten. Die Mahnung: Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden bewahrt davor, selbst der Rache Gottes anheimzufallen, gleichzeitig eröffnet sie einen Weg zu einem heilvollen und ja auch tief beglückenden Miteinander. 6. Der letzte Satz ist im Singular formuliert, vielleicht weil ihm nachzuleben riskant ist und – wie an Jesus zu sehen ist - im schlimmsten Falle mit dem eigenen Leben zu bezahlen ist. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem, das ist keine Methode, die zum sicheren Sieg führt, es ist trotzdem der Weg, dem der Sieg verheißen ist. Dieser ist gottgeschenktes Wunder. 7. Ich fand es hilfreich bei allen Mahnungen das Leben und Wirken Jesu vor Augen zu haben. Das bewahrt vor einer naiven Haltung im Sinne von: „Es wird schon gut gehen“ und ermutigt doch zu einem Gehen gemäß der Weisung des Apostels.

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Predigt

Liebe Gemeinde!

Den Schmerz kennen und das Böse beim Namen nennen

Haben oder hatten Sie Feinde? Sind oder waren Sie verletzt? Wissen Sie, wie das ist, wenn die Seele schreit oder der Körper oder vielleicht sogar beides? Wenn er schreit – nach Vergeltung. Wenn nicht, dann ist es besser, Sie schweigen zu solchen Fragen wie Rache und Vergeltung. Sie kommen dann schon nicht in die Gefahr auf dem hohen Ross zu sitzen, naive Ratschläge zu erteilen und Moral zu predigen.

„Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“ Das ist so wahr und klingt doch so schrecklich, wenn es zu einer Stammtischwahrheit verkommt oder aus dem Kinderzimmer tönt aus dem Munde der Eltern. „Vergeltet nicht Böses mit Bösem“. Was ist denn das Böse? In welcher Form hat es Sie denn schon gestreift? Nicht im allgemeinen Dunst und Nebel, sondern hautnah? Ist das Böse das, was weh tut? Was mir weh tut? Aber dann wäre meine Geburt etwas Böses, denn sie hat mir weh getan. Nein, so einfach ist das nicht. Denn nach der Geburt kam das Leben, kam mein Leben. Und das war und das ist doch gut. Ist also das Böse das, was nicht weh tut? Ist vielleicht der Schmerz das, was uns weiterbringt und stark macht? „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.“ Viele haben das schon gesagt. Und haben damit doch nur bewiesen, dass sich das Böse in die Gestalt von viel zitierten Sätzen kleiden kann.

Schmerzen müssen nicht, aber sie können zerstören. Den Leib und die Seele.Und deswegen hier mein Versuch zu sagen, was das Böse ist. Es ist das, was uns zerstören möchte, was uns verkümmern lässt, was uns den Atem nimmt und die Freude, was uns abschneidet vom Urgrund unseres Lebens. Überall da, wo Vertrauen zerstört wird, Atmosphäre vergiftet wird und Leben aus seinem ursprünglichen Zusammenhang gerissen wird, da haben wir es – vielleicht oder sogar wahrscheinlich – mit dem Bösen zu tun bekommen. Deswegen ist Jesus so interessant für uns, weil er es mit dem Bösen zu tun bekommen hat. Nicht weil er ein Unversehrter ist, ist er für uns so interessant, sondern weil er ein Versehrter ist, ein Verletzter. Ein an Seele und Leib Verletzter. Und weil, wenn überhaupt einer, dann er, mir mit auf den Weg geben kann:“ Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Aber zurück an den Anfang: Vergeltet niemand Böses mit Bösem? Wie sieht das aus? Was muss geschehen, damit wir dazu fähig werden und vielleicht auch das nur ansatzweise?

Das erste ist: Das Böse muss beim Namen genannt werden. Es fällt ja vielleicht gar nicht auf. Aber es ist nicht selbstverständlich wie selbstverständlich hier vom Bösen gesprochen wird. Wie oft begegnet ein ganz anderes Verhalten. Auch in unserer harmoniesüchtigen Kirche. Da wird das Böse unter den Teppich gekehrt. Da heißt es Schwamm darüber. Da wird Einem die Auseinandersetzung mit dem, was er getan hat, erspart. Da wird Eine geschont, weil sie die Wahrheit angeblich nicht verkraftet.

Ich erinnere mich an eine Begegnung. Es kam zu einer Auseinandersetzung. Es kam zu Verletzungen. Es kam zu heftigen Ausfällen. Auf einmal legte sich eine Hand auf mein Knie. Bat, ich solle schweigen „um des lieben Friedens willen“. „Um des lieben Friedens willen.“ Gibt es einen Frieden, der die Verletzung nicht beim Namen nennen darf? Gib es eine Heilung, die Kränkung nicht Kränkung nennen darf? Kann Gutes wachsen, wo Böses unerkannt weiter wuchern darf? Wenn das Böse das ist, was zerstört, wird es dann im Dunklen nicht immer weiter zerstören? „Vergeltet niemandem Böses mit Bösem.“ Ja, aber aussprechen und beim Namen nennen und den Schmerz, der damit möglicherweise verbunden ist, ertragen, das gehört dazu.

Die Rache Gott überlassen

Erst dann kommt das andere. „Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist’s möglich so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes.“ Mit diesem letzten Satz sind wir mitten im Zentrum: „Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes.“ Das ist alles andere als ein Stillhalten. Und schon gar nicht ist es das Einverständnis des Opfers mit seinen Leiden. Und auch nicht ist es das Gefühl, dass es sowieso keine Gerechtigkeit gibt, weil keiner da ist, der nach ihr schaut. Oh nein, das ist es alles nicht. Es ist nur der Verzicht darauf, Gott zu spielen. In die eigene Hand zu nehmen, was sich Gott für sich selbst vorbehalten hat.

In der Schule lesen wir manchmal die Psalmen. Und dann kommen wir auch zu den Fluchpsalmen. Und da stehen dann solche Sätze wie: „Ihre Augen sollen finster werden, dass sie nicht sehen und ihre Hüften lass immerfort wanken. Gieß deine Ungnade über sie aus und dein grimmiger Zorn ergreife sie. (Psalm 69, 24f)

Diese Sätze sind aus unserem Gesangbuch gestrichen. Aus gutem Grund. Aber im Gesangbuch der Bibel stehen sie. Auch aus gutem Grund. Denn da verkörpern sie ein Stück Psychohygiene; vielleicht sogar ein Stück Gesundwerden der Seele.

Die Seele schreit, und sie schreit nach Gerechtigkeit. Aber sie verzichtet darauf, selber Hand anzulegen und sich selbst dem Zerstörerischen hinzugeben und zu überlassen. „Mein ist die Rache, ich will vergelten, spricht der Herr. Vielmehr wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen, dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“ Ganz unterschiedliche Deutungen gibt es zu diesem Wort, bis hin zu der Überlegung, ob sich dahinter so etwas wie eine Entfeindungsstrategie verbirgt. Ich glaube das nicht. Ich glaube eher, dass es darum geht, durch eigenmächtiges Vergelten dem Zorn Gottes nicht zuvor zukommen und ihn – tatsächlich – nicht zu verkürzen. Wie auch immer: Wer einmal (wie ich) am Grab stand und den Vater des ermordeten Sohnes Rache schwören hörte, der weiß, was das für ein Grauen bedeutet. Darum: “Mein ist die Rache spricht der Herr.“

Den Frieden austeilen

Aber noch ist nicht alles gesagt. Denn unser Predigttext spricht ja nicht nur negativ vom Lassen, vom Lassen der Vergeltung, sondern er spricht auch positiv vom Tun. Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. „Ist’s möglich, soviel an euch liegt …“ die Einschränkungen sind nicht unwichtig. Über den anderen können wir nicht verfügen. Nur das eigene Verhalten können wir im Auge behalten. Für das aber soll gelten. … „so habt mit allen Menschen Frieden.“ Was daran ist so schön? Was daran ist so erstrebenswert? Was daran macht diese Ermahnung zu viel mehr als zu einem Spruch fürs Poesiealbum?

Zwei Dinge sind es: Zum einen: Wer eintritt in den Raum des Unfriedens und des Streites, wer anfängt Leben zu zerstören, der fällt selbst unter den Zorn Gottes. Davor möge uns dieses Wort schützen. Und das andere: Manchmal, erlebe ich Beerdigungen, da ist alles geklärt. Nichts Ungeklärtes steht im Raum. Es ist wohl Traurigkeit im Raum und es ist viel Dankbarkeit im Raum, aber es ist nichts, was den Frieden stört: Kein nachgetragener Zorn, keine offene Rechnung, kein böses Wort, das noch weh tun könnte und das Leben vergiften. Es ist dies fast ein Traum, so schön, dass jeder, der es erlebt, Ja dazu sagt und Amen und nie mehr zweifeln wird an der Sinnhaftigkeit dieses Wortes:“Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“

Und das letzte: “Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Es ist ein gefährliches Wort, denn es taugt nicht als Methode. Es gibt keine Garantie dafür, dass einer der Böses zu tun bereit ist, davon lassen wird, wenn ich ihm mit Gutem begegne. Mancher, der es versucht hat, ist als Schwächling dagestanden, wurde als Feigling abgetan und ist unter die Räder gekommen. Jesus, dessen Beispiel wir als Christen vor Augen haben, hat dafür mit seinem Leben bezahlt.

Aber das ändert nichts daran. Wenn wir unser Leben abtasten und unsere eigenen Erfahrungen, dann gibt es darunter auch die, die uns lehren: Es gibt Momente im Leben, da werden wir weich. Wir müssen nicht länger kämpfen und müssen nicht länger streiten. Denn da ist einer, dem wir glauben, dass er uns nicht verletzen wird.

Liebe Gemeinde, diese Momente, in denen wir weich werden, weil da einer ist, dem wir glauben, dass er uns nicht verletzen wird, sind manchmal sehr kurz. Aber sie sind wunderbar und sie sind schön. Auf sie zu hoffen, dazu sind wir als Christen herausgefordert. Dass wir sie einer dem anderen schenken, dazu sind wir berufen. Dazu helfe uns Gott. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen.

Amen.

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