Wort mit Füßen

Gottes Wort ist zielorientiert - Laufziel sind aufgerichtete, mutige, glaubende Herzen

Predigttext: 2.Thessalonicher 3,1-5
Kirche / Ort: Aachen
Datum: 22.06.2008
Kirchenjahr: 5. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Manfred Wussow

Predigttext: 2.Thessalonicher 3,1-5 (Übersetzung Martin Luther, Revision 1984)

(1) Weiter, liebe Brüder, betet für uns, daß das Wort des Herrn laufe und gepriesen werde wie bei euch (2) und daß wir erlöst werden von den falschen und bösen Menschen; denn der Glaube ist nicht jedermanns Ding. (3) Aber der Herr ist treu; der wird euch stärken und bewahren vor dem Bösen. (4) Wir haben aber das Vertrauen zu euch in dem Herrn, daß ihr tut und tun werdet, was wir gebieten. (5) Der Herr aber richte eure Herzen aus auf die Liebe Gottes und auf die Geduld Christi.

Exegetisch-homiletische Vorüberlegungen

Nachdem die Exegeten sich darauf verständigt haben, 2. Thess. 3,1-5 als ungeordnet/unordentlich anzusehen, hat der Prediger die einmalige Chance, sich von einem Text inspirieren zu lassen, der sich nicht schnell zuordnen oder vereinnahmen lässt. Auch die Herkunft der Bilder – das laufende Wort, ausgerichtete Herzen – deutet einen weiten Horizont an. Es mag auch sein, dass 2. Thess. 3 die Naherwartung des 1. Thess. korrigieren oder gar ungeschehen machen will, spricht aber für die Vitalität, Vielfalt und Lebensnähe biblischer Überlieferungen. Die enge Anlehnung des 2. Thess. an den 1. Thess. lässt sich als ein kanonisches Musterbeispiel von Aneignung und Transformation lesen. Dass der Glaube“ nicht jedermanns Ding“ (V. 2) ist, hat schon in der nachpaulinischen Zeit keinen Widerspruch geerntet, in der Moderne ist der Satz längst zu einem geflügelten Wort („nicht mein Ding“) mutiert. Aber als Thema der Predigt, wie gelegentlich vorgeschlagen? Ich möchte die Predigt um die schönen Bilder gruppieren: laufendes Wort – ausgerichtete Herzen. Das könnte „jedermanns Ding“ werden. Der Blick auf die Liebe Gottes und die Geduld Christi schließt zwar kein endzeitliches Ziel aus, betont aber die Treue des Kyrios und die Bewahrung vor dem Bösen. Die Perikope beginnt mit einer Bitte um das Gebet „für uns“. Obwohl zunächst auf den Briefschreiber bezogen, lädt die Formulierung zu einer Öffnung ein. Zur Liturgie Tagesgebet Barmherziger Gott, wir danken dir für die vergangenen Tage, für gute Begegnungen, für herzhaftes Lachen und verstehendes Schweigen. Bei dir ist auch das Kleine groß. Schenke uns, dass wir in deinem Wort Klarheit, Trost und Lebensmut finden, deinen Willen entdecken und über unsere Grenzen hinauswachsen. Berge uns in deiner Liebe, gib uns Mut, für andere Menschen einzutreten und lass uns in deinem Frieden leben. Durch Jesus Christus. Fürbitten Du, GOTT, hast uns dein Wort gegeben. Wir danken dir. Du lässt uns bitten, dass dein Wort laufe und gepriesen werde. Darum bitten wir: Dir befehlen wir die Menschen, die Angst haben. Vor einer Begegnung, einer Arbeit, einer Auseinandersetzung. Gib ihnen Selbstvertrauen, Mut und Gelassenheit. Wir rufen zu dir: Lass dein Wort laufen. Dir befehlen wir die Menschen, die Angst schüren . Weil sie Angst haben, Macht ausüben wollen oder unbarmherzig sind. Gib ihnen Distanz zu sich selbst, wecke Einsicht und Verständnis. Wir rufen zu dir: Lass dein Wort laufen. Dir befehlen wir die Menschen, die Angst nehmen. Die zuhören, beraten und unterstützen. Gib ihnen Kraft, Geduld und Weisheit. Wir rufen zu dir: Lass dein Wort laufen. Dir befehlen wir die Menschen, die am Ende sind. Die keine Kraft mehr haben, mit dem Leben abschließen und an keine Zukunft mehr glauben. Hilf ihnen, sich mit ihrem Leben auszusöhnen, Worte für ihre Erinnerungen zu finden und sich anderen zu öffnen. Wir rufen zu dir: Lass dein Wort laufen. Dir befehlen wir die Menschen, die Macht haben. Die Forderungen stellen, Gesetze machen und Recht sprechen. Schenke ihnen eine kritische Öffentlichkeit, Sensibilität und das rechte Maß. Wir rufen zu dir: Lass dein Wort laufen. Du, GOTT, weißt, wie Angst unter uns Menschen wirkt. Nimm die Furcht aus unserer Mitte und lass uns mutig Fürsprecher und Anwälte der Schwachen sein. Das bitten wir im Namen Jesu. Lieder: „Herr, öffne mir die Herzenstür“ (EG 197), „Herr, dein Wort, die edle Gabe“ (EG 198), „Gott hat das erste Wort“ (EG 199), „Es ist ein Wort ergangen“ (Regionalteil 586, Evangelische Kirche in Baden, Elsass und Lothringen, Pfalz)

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Predigt

Wort, das läuft

Was Worte nicht alles können! Sie können ins Schwarze treffen, über die Hintertreppe kommen, drauf los schlagen. Dass sie auch laufen können, sogar um die ganze Welt, in Windeseile, verwundert dann auch nicht mehr. Sie lösen sich aus einer flüchtigen Begegnung, einer historischen Situation, einer einmaligen Begebenheit – und sind auf einmal überall zu finden, auch da, wo keiner sie vermutet. Wenn das Wort läuft, wird die große Welt klein!

Wenn das Wort läuft, wird die große Welt aber auch verändert. Ist ein Wort angekommen, ist es nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Das Schicksal teilen sich Liebes- und Kriegserklärung, Segen und Fluch, Versprechen und Lüge. Ein Schüler des Apostels Paulus schreibt an die kleine christliche Gemeinde in Saloniki / Griechenland – früher Thessalonich.

(Lesung des Predigttextes)

Es ist ein kleiner Briefauszug. Den Verfasser können wir nicht einmal richtig kennen lernen. Die griechische Gemeinde auch nicht. Aber wir können uns an den Bildern freuen, die wir in diesem Brief finden. Das erste Bild: Das laufende Wort Ich habe das laufende Wort schon gesehen. Festhalten konnte ich es nicht. Aber die Spuren wahrnehmen. Die Geschichte spielt in einem Bus. Sie haben doch Weihnachten über das Stroh gepredigt, wissen Sie noch? Ich kannte die Frau nicht. Dass ich über Stroh predigte, muss wohl auch schon lange her gewesen sein. Jahre. Fünf, sechs – ich weiß es nicht. Für die Frau war die Erinnerung lebendig. Ein Haufen Stroh vor dem Altar. In der Heiligen Nacht. Ich muss wohl gesagt haben: In dieser Nacht sei auch das Stroh heilig, würdig, Gottes Kind zu betten. Ob ich es so gesagt hatte? Wissen Sie, sagte die Frau: Ich habe mich immer wie leeres Stroh gefühlt, gedroschen, weggefegt… Dann stieg die Frau aus. Sie ließ mich ratlos zurück. Für einen Augenblick habe ich das Wort tatsächlich laufen sehen.

Eine andere Geschichte: Über der jungen Frau brach die Welt zusammen. Schwanger wurde sie von ihrem Freund verlassen. Auf der Arbeit lief es nicht gut. Sie war noch nicht lange dabei. Als sie die Kündigung bekam, konnte sie die Tränen nicht verstecken. Sie fühlte sich allein, sie war allein. Die Mutter hatte kein Ohr für sie, der Vater war lange tot. Als sie zu Hause alles erzählte, hörte sie nur, man habe es ihr prophezeit. Sie hätte hören sollen. Jetzt solle sie die Suppe auslöffeln, die sie sich eingebrockt habe. Die junge Frau verstand nicht. War sie schuld? Was hatte sie getan? Was hätte sie tun sollen? Als sie im Jugendkreis ihre Geschichte preisgab, erlebte sie, wie sich die anderen um sie scharten. Sie spürte, wie das Leben in sie zurückkam. Es wurde auch viel geredet an diesem Abend. Fromm? Im strengen Sinn: nein, aber Gottes Wort war auf stille Weise gekommen und hat ein Menschenkind aufgerichtet.

Wenn das Wort läuft, sehen wir nicht immer, wie es was macht. Wenn das Wort läuft, entzieht es sich uns auch wieder. Wenn das Wort läuft, bleiben wir überrascht zurück. Wie heißt es in dem Brief? Betet für uns, dass das Wort des Herrn laufe und – gepriesen werde. Ein feines Gespür liegt in diesen Worten: Ich kann dem Wort keine Beine machen. Aber bitten kann ich. Und danken. Am Anfang hat Gott gesagt: es werde Licht. Und es ward Licht. Wenn das Wort läuft, ist immer der – erste Tag! Die Schöpfung, das Leben fängt neu an.

Bilder sind allenthalben in Bewegung. Sie huschen über die Leinwand, den Fernsehschirm, den Monitor. Sie bewegen sich, fluten und stürzen, aber Worte kommen, leise oder laut, und schaffen in unseren Seelen Bilder, gestärkt und bewahrt zu sein. In dem Brief lesen wir: „Der Herr ist treu; der wird euch stärken und bewahren vor dem Bösen“. Es ist eine Zusage. Dass ein Wort reicht … ich kann es nicht verstehen.

Ausgerichtete Herzen

Ich weiß nicht, wie die Menschen in dem alten Saloniki, Thessalonich, den Brief aufgenommen haben. Wenn Sie heute Nachmittag etwas Zeit haben: Lesen Sie ihn doch einmal ganz, diesen 2. Thessalonicherbrief, der aus einer gar nicht so anderen Welt kommt. Er ist auch nicht lang. Manche meinen zwar, er sei verworren, aber das sollten Sie sich selbst anschauen. Das erste Bild hat uns schon verführt, dem laufenden Wort ein Ohr zu leihen. Das zweite streckt sich dem letzten Wunsch entgegen: „Der Herr aber richte eure Herzen aus auf die Liebe Gottes und auf die Geduld Christi.“ Jetzt ist es auch heraus, dass es das Wort Christi ist, das läuft, um die Welt geht, die Welt an vielen Orten, in vielen Herzen verändert.

Zwei kleine Geschichten – von dem späten Stroh und dem alleingelassenen Mädchen – habe ich erzählt. Wie nah das laufende Wort an uns heran kommt! Wir erhaschen einen Blick. Lernen Dankbarkeit. Eine dritte Geschichte soll eine Herz-Geschichte sein.

Vor 200 Jahren wurde Johann Hinrich Wichern geboren. Berühmt wurde er als Begründer des Rauhen Hauses in Hamburg, des Johannesstiftes in Berlin, als Reformer des preußischen Gefängniswesens – man hat ihn „Vater“ der Inneren Mission, der Diakonie, genannt. In seinen Tagebüchern beschreibt er – u.a. – eine Inspektionsreise durch die preußische Rheinprovinz. In Aachen war er auch. Aufmerksam beobachtet er die sozialen Verhältnisse, Verwahrlosung, Verrohung, aber auch die vielen kleinen Initiativen, dem Elend etwas entgegen zu setzen. Als Grundübel macht er aus, dass die Herzen leer sind und kalt. Dass sie ungelenk sind und ohne Hoffnung. Dass sie sich dumpf ergeben und im Alkohol Zuflucht suchen. Den Vorwurf, Wichern habe keine grundlegende gesellschaftliche Änderung gewollt und die bestehende Ordnung als Gott gegeben legitimiert, wird man ihm zwar machen können, aber ist sein Blick auf das menschliche Herz damit abgetan? Er hat, lange bevor Sigmund Freud mit seiner Psychoanalyse den Blick in Tiefen wagte, die alte biblische Verheißung wach gehalten, dass der Weg eines Menschen in seinem Herzen beginnt.

Ausgerichtet heißt vor allem: aufgerichtet. Und was viele mit „gelenkt“ übersetzen, meint, auf einen guten Weg gebracht zu werden und das Ziel zu erreichen. „Der Herr aber richte eure Herzen aus auf die Liebe Gottes und auf die Geduld Christi.“ Vor einem Missverständnis sei allerdings gewarnt: Falsche Ergebenheit, Leisetreterei oder Unterwürfigkeit sind nicht gemeint. Aufgerichtete Herzen, die einen guten Weg vor sich haben, schieben nichts auf die lange Bank, scheuen keinen Konflikt, lassen sich nicht mundtot machen. Die Geduld Christi verführt nicht dazu, sich einlullen, einschüchtern oder aushebeln zu lassen. Die Liebe Gottes nimmt es mit dem Tod auf.

Bewahrtes Leben

Als der Brief geschrieben wurde, ahnte niemand etwas davon, dass wir heute – weit weg von Saloniki – Gottesdienst feiern würden. Sogar an vielen Orten, in vielen Sprachen, mit vielen Gesichtern. Das Wort Christi ist tatsächlich weit gelaufen. Auch in unserer Mitte verändert es Menschen. Geht dann weiter. Lässt sich nicht instrumentalisieren, schönreden oder verbessern. Im Nachhinein das Rätsel lösen zu wollen, was das Wort macht, wird uns nicht gelingen, muss uns aber auch nicht irritieren. Im 2. Thessalonicherbrief begegnet uns eine große Gelassenheit, aber auch ein umwerfendes Vertrauen: „Betet für uns, dass das Wort des Herrn laufe und gepriesen werde“.

Was Worte nicht alles können! Sie können ins Herz treffen, ungesehen über die Hintertreppe kommen, alles verändern. Dass sie auch laufen können, sogar um die ganze Welt, in Windeseile, verwundert dann auch nicht mehr. Wenn das Wort Christi läuft, wird die alte Welt neu. Es ist auch nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Der beste Beweis: aufgerichtete, mutige, glaubende Herzen.

Der Herr aber richte eure Herzen aus auf die Liebe Gottes und auf die Geduld Christi.

Amen

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