Gott gibt genug für alle

Dass Menschen genug zum Leben haben, ist gegenwärtig keine Realität

Predigttext: 2.Mose 16,2-3.11-18
Kirche / Ort: St.Petri Gemeinde Mulsum, Kirchenkreis Buxtehude, 27449 Kutenholz
Datum: 06.07.2008
Kirchenjahr: 7. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastorin Manuela Handelsmann

Prediggtext: 2.Mose 16,2-3.11-18 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

2 Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste.  3 Und sie sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, daß ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben laßt…  11 Und der HERR sprach zu Mose:  12 Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, daß ich, der HERR, euer Gott bin.  13 Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager.  14 Und als der Tau weg war, siehe, da lag's in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde.  15 Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Denn sie wußten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat.  16 Das ist's aber, was der HERR geboten hat: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte.  17 Und die Israeliten taten's und sammelten, einer viel, der andere wenig.  18 Aber als man's nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.

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Predigt

Liebe Gemeinde!

Wie war denn das Essen? So fragen wir, wenn jemand ein paar Tage auswärts war. Und dann hören wir Kritik oder Schwärmerei. – Wie war das Essen? Damals in der Wüste gab es gar nichts. Das Volk Israel war seinen ägyptischen Sklavenhaltern entflohen. Die Flucht war lebensgefährlich. Im Schilfmeer waren die Verfolger ertrunken und die Flucht endlich geglückt. „Von der Leine gelassen“ hatte das ganze Volk getanzt. Wahrscheinlich noch mehr, als die Fußballfans am Mittwoch nach dem gewonnenen Halbfinale.

Sehnsucht nach der heilen Welt

Schon wenig später zwickt den Menschen der Bauch. Die Vorräte sind aufgezehrt. Die Menschen rotten sich gegen Mose und Aaron, ihre Chefs, zusammen. Sie murren und beschweren sich. Wenn ich das mit vollem Bauch so lese, ist meine erste Reaktion: Diese Leute haben immer was zu meckern. Aber in der Wüste ist das anders als zB in einer Jugendherberge heute, wo das Essen nicht den Geschmack aller Konfirmanden/innen trifft: Gerade der Gewalt der Ägypter entflohen, sieht Israel dem Tod schon wieder ins Auge, dem Hungertod. Das macht keinen Sinn. Wenn sich Gott dabei was gedacht hat, die Menschen können es nicht erkennen. Sie rebellieren gegen Mose und Aaron. Sie verklären die Vergangenheit: In Ägypten saßen wir vor vollen Fleischtöpfen und konnten uns an Brot satt essen. Niemals glaube ich das den Flüchtlingen. Die waren Sklaven in Ägypten! Bestimmt haben sie von den großen Herren nur das Nötigste bekommen. Fleisch für Sklaven! Dass ich nicht lache. Das nehme ich ihnen ab.

Im Rückblick wird alles immer schöner. „Früher war einfach alles besser“, das sagen manche ältere Menschen auch bei uns heute. Sie denken dabei an gut funktionierende Nachbarschaftshilfe, an gemeinsame Arbeit auf den Feldern und an heile Familien. Wenn man genau hinschaut und nachbohrt, wird klar: Auch in vergangenen Zeiten gab es keine heile Welt: Da wurde einem unliebsamen Nachbarn schon mal ein Fuder Mist vor die Tür gebracht, da waren die Menschen von harter körperlicher Arbeit früh verbraucht und krank. Ledige Mütter, und Väter, die sich aus der Verantwortung stahlen, gab es genau wie heute. Unser Gehirn hat allerdings die wunderbare Eigenschaft, das Gute immer leuchtender zu malen und das Schlechte in einem großen schwarzen Loch verschwinden zu lassen. Das macht Sinn fürs Überleben, damit Menschen nicht zuviel Last mit sich tragen müssen. So sind die Fleischtöpfe Ägyptens sprichwörtlich „die gute alte Zeit“. Eine Zeit, die es in Ägypten und bei uns nie gegeben hat.

Aber irgendjemand muss für das gegenwärtige Elend verantwortlich sein. Die Chefs sind natürlich verantwortlich, Mose und Aaron. Die Chefs heute – also die Regierung oder die Vorstände der Banken und internationaler Konzerne. Oder gehen wir gleich ganz nach oben: Gott ist schuld. Der ist doch allmächtig und könnte mit einem Fingerschnippen die Welt in Ordnung bringen. Gott hört seine Menschen. Er hört sie murren und meckern. Wir wissen, wie er reagiert hat. Es wäre ja auch vorstellbar gewesen, dass er die Meckerer in der Wüste einfach sitzen lässt – so nach dem Motto: „Ja dann kehrt doch nach Ägypten zurück, wenn euch die Fleischtöpfe da so wichtig sind“.

Das Wunder ist…

Aber Gott kann das Meckern und die Kritik ganz gut ertragen. Er weiß, wie schwer es seine Leute haben, und er lässt sie nicht hängen. „Heute Abend noch gibt es Fleisch und morgen früh gibt es Brot.“ Das verspricht Gott, und er hält sein Versprechen. Am Abend lassen sich Wachteln im Lager nieder, am Morgen liegen feine Körner im Lager, die wie Reif aussehen. Manna, Brot vom Himmel, so wird es seit damals genannt. Wir wissen, dass rund um das Mittelmeer die Schwärme der Zugvögel fliegen. Wachteln fliegen seit Jahrtausenden ihre Strecke am Rand des östlichen Mittelmeeres. Wenn sie erschöpft vom langen Flug Rast machen, kann man sie angeblich mit den Händen fangen. Auch Manna findet sich noch heute in der Wüste. Eine bestimmte Tamariskenart wird von Läusen besiedelt, sie filtern für ihre Brut bestimmte Stoffe aus dem Pflanzensaft. Zuckerhaltige Perlen liegen am frühen Morgen auf dem Wüstenboden. Die aufsteigende Sonne bringt die Kügelchen zum Schmelzen. Also gar kein Wunder Gottes, alles ganz natürlich zu erklären?

Wachteln und Manna sind kein Wunder. Das Wunder ist: Wenn der Mensch mitten in der Krise zu Gott findet. Ein Wunder ist es, wenn Menschen über das Murren und Zittern hinaus kommen und ihr Vertrauen auf Gott setzen. Gott weiß, was seine Leute brauchen. In der Wüste brauchen sie keinen frommen Spruch. Sie brauchen etwas zu essen. Gott gibt es ihnen. Gott gibt den Menschen Speise, damit sie ihn erkennen können. Mit leerem Magen können sie das nicht.

„Du hast doch genug“

Unser Predigttext endet damit, dass Leute vergleichen, was sie an Manna gesammelt haben. Die eine Familie hat wenig, die andere viel. Aber es stellt sich heraus: Alle haben genau so viel, wie sie brauchen. Es ist für alle genug. Das wenige, das die Wüste bietet, reicht für alle.

Ich sehe sie noch wie heute vor mir: Ein bischen mollig, dunkle Haare und leuchtende Augen. Mein Mann hatte mir erzählt, dass es finanziell in der Familie immer etwas eng sei und die junge Frau hart arbeiten müsse. Sie aber lachte mich an und sagte: „Uns gehts doch gut. Wir haben zu essen, was anzuziehen und ein Dach über dem Kopf, was wollen wir mehr?“ Die junge Frau meinte das wirklich. Sie sagte es nicht nur dahin, sondern war mit wenigem zufrieden. Mich hat sie beschämt. Ich habe wahrscheinlich mehr Geld zu Verfügung als sie, aber ihre fröhliche Zufriedenheit hatte ich an mir noch nicht festgestellt. Seitdem mir die junge Frau begegnet ist, rufe ich mich dann und wann zur Ordnung: „Du hast doch genug, also ruhig mein Herz, mach dir keine Gedanken, der Kühlschrank ist doch voll“. Viele Menschen unter uns werden dieses Jahr Probleme haben, ihr Heizöl oder ihr Erdgas zu bezahlen. Bei uns wird es gehen.

Teilen funktioniert, wenn Gott geachtet wird

In Bremervörde gibt es eine so genannte Tafel. Dort können Bedürftige gespendete Lebensmittel für ein paar Cent erwerben. Wenn Sie mal kurz vor Öffnung der Tafel in der Neuen Straße sind, können Sie sehen, wie viele Menschen da Schlange stehen. Bei uns leben einige Menschen im Überfluss und immer mehr Menschen haben nicht einmal Lebensmittel. Mich macht das traurig und vor allem hilflos. Hut ab vor den Männern und Frauen, die bei den Tafeln ehrenamtlich arbeiten und versuchen, der Not beizukommen. Aber was muss noch geschehen?

Vielleicht haben wir Christen vor Gott noch nicht laut genug geschrieen und gemeckert, dass es so mit dem Hunger und der Armut nicht weitergehen kann. Vielleicht waren wir selbst noch nicht lange genug in der Wüste, um zu begreifen, dass der Mensch auch mit wenig auskommen kann. Oder wir nehmen die Geschichten der Heiligen Schrift nicht ernst genug und haben das Teilen immer noch nicht gelernt. Dabei funktioniert es: Auf dem Kirchentag in Köln 2007 haben die Organisatoren angeregt, die Speisung der Fünftausend nachzuerleben. In einer Messehalle haben sie eintausendfünfhundert Teller vorbereitet, aber es sind sehr viel mehr Besucher gekommen. Sie werden aufgefordert, alles Essbare zusammenzulegen. Die Menschen machen ihre Rucksäcke auf – und alle werden satt. Auch da blieb etwas übrig. Teilen funktioniert, wenn Gott geachtet wird. In der Welt funktioniert Teilen nicht. Da ist jedem das Hemd näher als die Jacke. Komplizierte wirtschaftliche Verflechtungen, aber auch Bosheit und Gottlosigkeit sind die Ursachen, dass Teilen weltweit nicht funktioniert.

Israel musste in der Wüste durch eine harte Schule gehen. Die Leute konnten das Brot vom Himmel nicht auf Vorrat sammeln. Wenn sie etwas Manna für den nächsten Tag aufbewahrten, war es verdorben. Sie mussten von Tag zu Tag neu ihr Brot aufsammeln. Von Tag zu Tag waren sie auf die Güte Gottes angewiesen. Sie haben aber erlebt, dass sie Gott trauen können. Jeden Morgen war etwas zu essen da. Gott hat sein Versprechen gehalten.

Später wurde die Geschichte vom Manna selbst zur Nahrung für Generationen, bis zu uns heute: Du kannst der Güte Gottes trauen. Auch in der Wüste, in der Krise, lässt er dich nicht im Stich. Dietrich Bonhoeffer schreibt: »Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie uns nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern auf ihn allein verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein“.

Amen.

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