Perspektive ewiges Leben
Durch die Taufe sind wir der Vergänglichkeit nicht mehr gnadenlos ausgeliefert
Predigttext: Römer 6, 19 – 23 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(19) Ich rede menschlich, wegen der Schwachheit eures Fleisches. Denn wie ihr eure Glieder als Sklaven der Unreinheit und der Gesetzlosigkeit zur Gesetzlosigkeit zur Verfügung gestellt habt, so stellt jetzt eure Glieder zur Verfügung als Sklaven der Gerechtigkeit zur Heiligkeit. (20) Denn als ihr Sklaven der Sünde wart, da wart ihr Freie gegenüber der Gerechtigkeit. (21) Welche Frucht hattet ihr denn damals? Dinge, deren ihr euch jetzt schämt, denn das Ende davon ist der Tod. (22) Jetzt aber, von der Sünde frei gemacht und Gottes Sklaven geworden, habt ihr eure Frucht zur Heiligkeit, als das Ende aber ewiges Leben. (23) Denn der Lohn der Sünde ist der Tod, die Gnadengabe Gottes aber ewiges Leben in Christus Jesus, unserem Herrn.Homiletische Beobachtungen und Gedanken
Die homiletische Situation am 13. Juli ist für Nicht- Urlauberregion- Gemeinden am besten mit „Saure- Gurken- Zeit“ zu umschreiben. Der eh schon spärliche Gottesdienstbesuch in den Sommermonaten wird nochmals durch die Ferienzeit dezimiert. Kommt noch schwülheißes Wetter dazu, bleiben auch noch viele der treuen betagten Gemeindeglieder lieber daheim und schauen sich die Fernsehgottesdienste an. Die sich zum Gottesdienst aufmachen, kommen aber voller Erwartung und hören genau hin. Der Text macht von sich aus das genaue Hinhören nicht leicht. In typisch paulinischer Dichte stehen die Alternativen des Verses 23 nebeneinander, die die Predigerin/ den Prediger vor die Herausforderung stellen, sie der Gemeinde verständlich und nachfühlbar zu machen. Das kann wohl gelingen, wenn der Sündenbegriff nicht zu eng gefasst wird. Sünde ist zuallererst auch bei Paulus Götzendienst, und diesen gibt es gegenwärtig mehr als genug, natürlich unter anderem Namen, weil die religiöse Dimension eines solchen Verhaltens nicht mehr wahrgenommen wird. Aus diesem Grunde sollte die Predigerin/ der Prediger hier nicht wie Paulus plakativ zu Werke gehen, sondern der Hörerin/ dem Hörer der Predigt den eigenen Erkennens- und Interpretationsspielraum für Formen des modernen Götzendienstes lassen, die Freiheit und Heil versprechen, aber neue Abhängigkeiten schaffen, und sei es in materieller Hinsicht. Die Stärke des paulinischen Textes für die Predigt liegt zweifelsohne in der Perspektive des ewigen Lebens, das durch keinen Götzendienst erreicht werden kann, sondern allein durch Gottes Gnade, vermittelt durch Taufe und Bekenntnis. Es ist davon auszugehen, dass Paulus an bereits Getaufte in Rom schrieb, die also die Befreiung zum ewigen Leben durch die Taufe schon erlebt hatten und vom Apostel darauf erinnernd angesprochen werden. Hier bietet sich eine Brücke zu den heutigen Hörern und Hörerinnen.Predigt
Urlaubszeit
Hurra, die schönste Zeit im Jahr ist da! Endlich Ferien, sagen die Kinder aus ganzem Herzen. Endlich Urlaub, ergänzen die Erwachsenen. Was haben wir nicht alles vor in diesem wertvollen Tagen! Die einen stopfen sich die Zeit mit Action aller Art voll. Nur ja alles erleben, wozu Alltag und Beruf keine Zeit lassen. Abenteuer, Gefahr, Grenzen austesten- um zu spüren, dass man und frau Mensch ist und nicht nur mehr oder weniger zuverlässig funktionierender Büroapparat. Urlaub als Leistungsdenken einmal anders für Leute, deren sonstiges Anforderungsprofil eher eintönig ist, die nicht ausgelastet sind. Die anderen versuchen, die kostbaren Tage zu dehnen. Eben keine Action, einen Gang runter schalten, keinen Terminkalender im Zehnminutentakt abarbeiten. Einfach die Seele baumeln lassen statt zwölf Stunden oder mehr im Geschäft hochkonzentriert die volle Verantwortung zu tragen. Beide wollen sie spüren: Ich bin mehr als die Erwartungen der anderen an mich, ich kann frei über meine Zeit verfügen und sie aus vollen Zügen für mich nutzen. Wir sind mittendrin in dieser Urlaubszeit und sitzen heute früh in unserer Kirche. Wir können hier auch eine Art Urlaub machen. Urlaub für die Seele. Mal nicht die alltäglichen Dinge denken, mal ganz andere, vielleicht sogar seltsame Fragen stellen und andere Stimmen hören, wie sie uns in der Heiligen Schrift überliefert sind.
(Lesung des Predigttextes)
Sperrige Worte
Diese Worte mögen sperrig sein, aber wir spüren: Es geht um eine grundlegende Gegenüberstellung zweier unvereinbarer Lebenswelten. Sünde und Glaube. Tod und ewiges Leben. Keine leichte Kost, dieser Text. Im Alltag hätten wir nicht die Zeit dazu, uns lang mit ihm aufzuhalten. Da muss alles quadratisch, praktisch, gut formuliert sein, da muss das Thema uns interessieren und der Vortrag gut gestaltet sein. Nein, das alles bietet uns Paulus nicht mehr. Uns fehlen die Bezüge des täglichen Lebens seiner Zeit, die er voraussetzen konnte bei den Lesern und Hörerinnen seiner Worte. Wir haben unsere Schwierigkeiten zu sagen, was Sünde ist und was es denn mit dem ewigen Leben auf sich habe. Jede und jeder hat seine eigene Meinung dazu, falls man oder frau sich überhaupt dazu äußert. Ich möchte Sie einladen, sich dennoch den Gedanken des Paulus zu stellen und dazu bei uns selbst zu beginnen.
Eine Frage: Sind Sie getauft? Seltsame Frage, oder? Zumindest hier im Gotteshaus werden die allermeisten wohl getauft sein, davon ist doch auszugehen, meinen Sie? Formal gesehen haben Sie sicher Recht. Doch ich frage aus einem anderen Grund: Spielt die Taufe in Ihrem Leben heute eine Rolle? Und wenn ja, welche? Bin ich durch meine Taufe anders als die anderen um mich herum? Äußerlich wohl eher nicht. Getaufte Christen müssen nicht an der Kleidung erkennbar sein wie die Angehörigen einer Sondergemeinschaft. Und innerlich? Spüre ich, dass ich getauft bin? Paulus meint: Das sollte schon so sein. Von meiner Taufe sollte ich etwas in meinem Leben spüren können, auch wenn ich nicht jeden Tag an sie denke. Denn ich bin durch meine Taufe befreit. Befreit vom ewigen Kreislauf des Es- sich- selbst- und- anderen – beweisen -Müssens. Ich hab was, ich kann was, ich bin was. Ich hab was, ich kann was, ich bin was. Wie der Hamster im Laufrad hetzend, sich immer nur um sich selber drehend, immer weiter, bis die Mechanik klemmt oder die Zeit abgelaufen ist. Ist das nicht Sünde? Gott und die anderen Menschen zu vergessen? Und dann, sagt Paulus, befreit die Taufe auch von der Verehrung falscher Götter, die es auch bei uns zuhauf gibt, wie ich meine. Nur haben die nicht so klangvolle Namen wie die Götter der Antike. Sie heißen heute eher „Idealfigur“, oder „Jugendlichkeit“, oder „Geld“ oder „Macht“. Ach ja, wenn ich davon nur genügend hätte, dann wäre meine Welt heil. Und weil ich diese heile Welt will, bin ich bereit, Opfer zu bringen, noch ein bisschen schneller zu rennen, nicht mehr nach links oder rechts zu sehen. „Woran du dein Herz hängst“, hat mal einer gesagt, „das ist dein Gott“.
Wahrer Urlaub für die Seele
Wenn ich da so vor mich hjn renne, merke ich nicht, dass die heile Welt nicht kommen will, auch wenn ich schon ganz außer Puste bin, weil mir nicht klar ist, dass ich mich nur heillos gegen die gnadenlose Gewissheit unseres Lebens anstemme: Der Gewissheit der Vergänglichkeit, der niemand entrinnt. Genau, sagt Paulus. Erst wenn ihr den Kreislauf und die falschen Idole hinter euch gelassen habt, dann, ja dann seid ihr dieser Gewissheit der allgemeinen Vergänglichkeit durch eure Taufe eben nicht mehr gnadenlos ausgeliefert. Denn für euch gibt es jetzt unendlich viel mehr als das kurze Leben auf Erden. Ihr steht in der Verheißung des ewigen Lebens, weil Jesus auferstanden ist. Ja, reden wir ruhig einmal davon an diesem Sommerurlaubssonntag. Reden wir vom ewigen Leben. Tun wir mal diese Bilder nicht gleich als reine Fantasie und Kinderkram ab. Wir sprechen aus meiner Erfahrung viel zu selten darüber. Ich weiß, dass jede und jeder von uns eigene Vorstellungen und Bilder wachrufen kann, die ein kleines Bruchstück von dem erzählen, was ewiges Leben bedeuten könnte. Ein Bruchstück haben wir nur, wie eine Spiegelscherbe, die das Licht der Liebe Gottes reflektiert. Halten Sie dieses Bruchstück fest, liebe Gemeinde. Es ist der wahre Urlaub für die Seele. Weil es unseren Horizont erweitert, über unsere selbst gezogenen oder auch unsere vorgegebenen biologischen Grenzen hinweg.
Bilder des ewigen Lebens
Die Bilder des ewigen Lebens in uns können zur Gewissheit werden, zum Ausblick. Sie sind für mich keine Flucht aus unserer Welt, sondern sie wirken zurück auf unser Selbstverständnis, unseren Lebensinhalt, unser Zeitempfinden. Es gibt mehr als das, was wir vor Augen haben, mehr als wir nach Hause tragen können, mehr, als wir je aus eigener Kraft erreichen könnten. Wir haben Anteil daran, wenn wir dem Auferstandenen glauben. Das ist erleichternd und entspannend, bis hinein in unsren Alltag, der uns oft genug alles abfordert. Daran, sagt Paulus, könnt ihr getrost euer Herz hängen. Und vergesst es nicht, wenn ihr wieder einmal vor euch selbst und vor Gott wegrennt. Denkt daran: Im Laufrad kommt ihr nicht weit. Da ist es doch besser, inne zu halten und Gottes Weg mit uns zu entdecken. Dieser Weg ist beileibe nicht immer geradlinig, aber er hat ein Ziel, er führt in Gottes lichte Zukunft.