“Fürchte dich nicht, glaube nur”
Die Welt zwischen Abgrund und Rettung
Predigttext: 1. Petrus 4,7-11 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
7 Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. 8 So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet. Vor allen Dingen habt untereinander beständige Liebe; denn „die Liebe deckt auch der Sünden Menge“ (Spr 10,12). 9 Seid gastfrei untereinander ohne Murren. 10 Und dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes: 11 wenn jemand predigt, dass er´s rede als Gottes Wort; wenn jemand dient, dass er´s tue aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.Exegetische (I) und homiletische (II) Bemerkungen zum Predigttext
I. Der 1. Petrusbrief ist ein Rundschreiben an die Gemeinden Kleinasiens (1,1). Die Empfänger werden „die auserwählten Fremdlinge“ genannt. Auserwählt sind sie als von Gott Geheiligte (1,2) und Begabte (4,20), als Wiedergeborene (1,3) und Erlöste (1,18), als das „heilige Volk“ (2,9). Fremdlinge sind sie, weil die Welt zwar ihr Ort ist, an dem sie sich zu bewähren haben (vgl. u.a. die Haustafeln), aber nicht ihre Heimat. Die ist im Himmel (1,4). Aus dem Zusammenspiel von himmlischer Beheimatung und Ausharren in der Welt ergibt sich eine eschatologisch bestimmte Ethik. Daneben gibt es im NT noch den anthropologisch-soziologischen Bezugsrahmen der Ethik, wie er sich etwa bei der Goldenen Regel zeigt, und die christologisch begründete Ethik (z.B. Paulus im Galaterbrief). Beides ist sporadisch auch im 1. Petr zu finden ( z.B. 3,1-7; 2,1-5), jedoch ist die eschatologisch begründete Ethik hier bestimmend. Allein schon das Selbstverständnis als „Fremdlinge“ ist dafür ein untrügliches Indiz. So wird das geheiligte Leben (1,13ff) mit der Fremdlingsschaft begründet, ebenso das Verhalten in der Welt (2,11ff). Die Leidensethik ist ein Teil der eschatologischen Ethik (vgl. 4,13). Der Predigtabschnitt 4,7-11 ist ein Musterbeispiel des Zusammenspiels von Indikativ und Imperativ unter dem Aspekt eschatologischer Ethik. Beständige Liebe, Dienst am Nächsten usw. wird nicht christologisch begründet (was auch möglich wäre, vgl. Jh 13), sondern eschatologisch: „Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge.“ Dieser Indikativ führt aber nicht etwa zur Weltabkehr oder Resignation, sondern zur Doxologie: „Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“ Hinter dem eschatologischen Indikativ steht die apokalyptische Vorstellung: Wenn sich Leiden und Schrecken des alten Äon aufs Höchste steigern, gibt es nur noch den Durchbruch hinein in den neuen Äon. Von da her verliert `das Ende aller Dinge` seinen Schrecken, es wird von der Gewissheit des Einbruchs der neuen Welt getragen. (Zum apokalyptischen Schema vgl. Mk 13,1-27; 2. Thess 2,1-8; die apokalyptische Hochspannung ist erzählerisch gestaltet im Stundenschema der Kreuzigungsgeschichte bis hin zum Zerreißen des Vorhangs und dem Bekenntnis des Hauptmanns.) Auf diese neue Welt hin gilt es das Leben hier und jetzt zu gestalten; denn als Fremdlinge leben wir hier und nicht schon in der himmlischen Heimat. Das Tun der Christen (Liebe üben, gastfrei sein, einander dienen) wird gerahmt durch die Forderung der rechten Glaubenshaltung: Besonnenheit und Nüchternheit zum Gebet (v7) – Gott preisen in allen Dingen durch Jesus Christus ( v11). Besonnenheit ist angesagt statt Weltflucht; denn im Ende des Alten ist der Anfang des Neuen schon verborgen. Liebe ist eschatologisch qualifiziert; denn Vergebung ist letztendlich ein eschatologisch sich auswirkender Akt (Mt 18,18). Gastlichkeit bezieht sich auf den, der unterwegs ist. Er wird zum Symbol eigenen Unterwegsseins, und seine Aufnahme ist ein Reflex auf die ewige Aufnahme der Christen bei Gott. So ist auch Gastlichkeit in einen eschatologischen Rahmen gestellt. Auch der gabenorientierte Dienst ist unter den eschatologischen Indikativ gestellt. Damit werden Anarchie und Chaos angesichts des Endes aller Dinge (vgl. 4,2f ) gewehrt; denn Anarchie und Chaos kann nicht im Sinne des zu preisenden Schöpfers sein. Wenn Gott in Christus bezeugt wird durch den Dienst am Wort und durch die helfende Tat, dann ist das allemal Lobpreis und Gottesdienst (vgl. Röm 12,1). Der Abschnitt schließt doxologisch. Dass apokalyptische Grundstimmung in Doxologie münden kann, offenbart etwas von der unerschütterlichen Hoffnung, die wir als Christen haben. II. Der Glaube an das baldige Ende der Geschichte ist in der Urkirche genährt durch die nahe Erwartung der Wiederkunft des Herrn und durch die Verfolgungssituation, die als Vorspiel des Endes betrachtet werden kann (vgl. Mk 13). Parusieverzögerung und geschichtliche Entwicklung des Christentums verlagern die Quellen für den Endzeitglauben in Richtung auf die Verfolgungssituation. Beides ist heute nicht gegeben. Dennoch ist der Gedanke des nahe gekommenen Endes in unsere Zeit transponierbar. Endzeitstimmung – oder besser gesagt: globale Unheilserwartung – entsteht z. Zt. im Blick auf politische Krisenherde oder auf die Klimaentwicklung. Das Unheil läuft immer mit – ein Gedanke, dem man sich, auch als Christ, nicht verschließen kann und darf. Die Predigt hat diese Ängste aufzunehmen und ernst zu nehmen im kollektiven wie im individuellen Bereich. Aber sie kann und will nicht dabei stehen bleiben. Täte sie es, sie würde Gesetz predigen. Ihre Aufgabe ist es, Evangelium zu verkündigen und somit in allem und trotz allem zum Lobpreis Gottes zu führen, wie es ja auch der Predigttext macht. Insofern ist der Predigttext selbst schon eine Kurzpredigt. Die Predigt folgt dieser Linie: nicht gebannt auf das Ende schauen, sondern die Kraft zum Tun des Richtigen und des Guten beziehen aus der Macht Gottes, die mächtiger ist als das Ende aller Dinge, und das Leben trotz Bedrohtheit zum Lobpreis Gottes werden lassen.Predigt
Liebe Gemeinde!
Unser Leben sei ein Lobgesang
Ein Morgenlied tönt durch die Flure des Hotels, in dem wir untergebracht waren auf unserer Pilgertour. „Großer Gott, wir loben dich…“ Es kommt auch immer näher und zieht an meinem Zimmer vorbei. Das öffnet mir nicht nur die Augen, sondern auch das Herz. Da macht Aufstehen Spaß. – Wie ist das bei Ihnen? Ist nicht auch der Gesang der Vögel bei offenem Schlafstubenfenster wie ein Loblied an den Schöpfer, in das Sie gern einstimmen möchten? Nicht nur die gute Stimmung am Morgen, sondern unser ganzes Leben sei eine Ode, ein Loblied an den Schöpfer, sagt ein Rundbrief unter dem Namen des Petrus, der an alle neu hinzugekommenen Christen in Kleinasien gerichtet ist. Christen müssen nicht tagaus, tagein singen, aber sie sollen und dürfen ihr Leben als Christen betrachten wie eine Ode, wie einen Lobgesang an den Herrn.
Wie sagt er? „… damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“ Ich fühle geradezu den Pulsschlag des Apostels, der dabei höher schlägt, und der sein Rundschreiben an die neu Hinzugekommenen selbst zum Lobpreis werden lässt.
Berührt vom Hauch der Vergänglichkeit
Ja, wenn wir das nur auch könnten. Aber ich fürchte, manchem ist gar nicht nach Singen zumute. Mancher rackert sich ab von morgens früh bis abends spät, um dem Anforderungsprofil seiner Arbeitsstelle zu genügen. Er weiß, er ist ersetzbar. Wenn er nicht mehr kann, stehen andere schon vor der Tür. Gott in allen Dingen zu preisen kommt ihm kaum in den Sinn. Eher etwas anderes: „Nahe gekommen ist das Ende aller Dinge“. – Eine andere hat Sehnsucht nach Leben, nach Liebe, nach Glück. In ihrem Durst nach Leben hat sie davon getrunken, und getrunken… Und was ihr blieb, war ein schaler Nachgeschmack. Gott in allen Dingen zu preisen kommt ihr kaum in den Sinn. Eher etwas anderes: „Nahe gekommen ist das Ende aller Dinge.“ – Ein dritter steht vor dem Scherbenhaufen seiner Beziehung, und auch er wird kaum Anlass haben, Gott ein Loblied zu singen, sondern er ist berührt vom Hauch der Vergänglichkeit: „Nahe gekommen ist das Ende aller Dinge“.
Die christliche Wahrheit: „Das Ende aller Dinge“
„Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge“, so beginnt Petrus seinen Abschnitt. Der am Arbeitsplatz Bedrohte, die vom Leben Betrogene, der vom Partner Enttäuschte sieht sich in seinem Lebensgefühl bestätigt. Aber es ist bei weitem nicht auf diesen Kreis beschränkt. Ich glaube, auch bei uns sitzt das Wissen tief: Unser Leben, unsere Welt ist bedroht; eine Handbreit entfernt vom Untergang. „Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge“: Die Nachricht vom möglichen Atomschlag Israels gegen den Iran hat mich erschreckt, noch mehr die Warnung derer, die um Frieden bemüht sind: der Nahe Osten könnte in einen Feuerball verwandelt werden. Was für eine Lawine wird hier losgetreten? Der Gedanke an das Ende aller Dinge ist nicht fern. Ein kollektives Ende. Aber es gibt auch das individuelle Ende. Es gibt Menschen in unserem Bekanntenkreis, in unserer Gemeinde immer wieder, die für sich realisieren müssen: „Es ist nahe gekommen das Ende aller Dinge.“ Eine zutiefst christliche Weisheit. Denn sie sagt die Wahrheit. Und die Wahrheit ist: Dein Leben ist bedroht. Christen verschließen davor die Augen nicht. Christen halten das aus.
Das christliche Leben: Hinausschauen auf Gott
Christen halten das aus, weil sie hinausschauen über die Bedrohtheit des Lebens auf Gott, der innerhalb der engen Grenzen des Lebens alles gut gemacht hat und ihnen so viel schöne Dinge gewährt, für die er nur gepriesen werden kann. Nicht wegsehen also lautet die Devise, auch nicht: Augen zu und durch, sondern hinausschauen über die Bedrohtheit des Lebens auf Gott, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus.“ Das ist ein fröhliches Leben trotz allem. Der Apostel möchte uns, seine Leser und Hörer, dahin führen, zu einem glücklichen, fröhlichen und erfüllten Leben. Der Bedrohtheit des Lebens sollen wir ins Gesicht schauen, aber sie soll nicht Macht über uns gewinnen. Über die Bedrohtheit des Lebens sollen wir hinausschauen auf Gott, damit wir in seiner Kraft und durch seine Gnade das tun, wozu wir da sind. Und das beschreibt der Apostel sehr genau wie eine road map:
Seid nüchtern und besonnen!
Nüchternheit und Besonnenheit ist gefragt gegen alle Katastrophenszenarien und Weltuntergangsstimmungen. Klarheit der Gedanken gibt das Gebet. Es reinigt von Angst und Fatalismus. Es ist das Gespräch mit Gott, vielleicht auch ein Vertrauensbeweis: „Du kannst alles wenden.“
Lebt die Liebe!
Die kurze Zeit, die uns gegeben ist, kann man gar nicht besser füllen als mit Liebe. Das wird jeder bestätigen, der meint, er habe nur noch eine kurze Zeit. Liebe ist die intensivste Form des Lebens.
Habt ein offenes Haus und ein offenes Herz.
„Seid gastfrei untereinander ohne Murren.“ Da wird Liebe konkret. Da wird Liebe wahr. Es gibt Kirchen, Pilgerstätten und gelegentlich auch Klöster, da steht über dem Portal: „porta patet, cor magis“, zu deutsch: „Das Tor steht offen, das Herz umso mehr.“ Das ist Leben unter der Bedrohtheit mit Blick auf Gott, das ist christliches Leben.
Bring deine Gaben ein!
Hier wird christliches Leben ganz leicht gemacht. Wenn du tust, was du gut kannst, lebst du schon als Christ; denn du arbeitest mit den Gaben, die Gott in dich hineingelegt hat. Wenn dir das bewusst ist, dann preist du Gott allein durch deinen Dienst, allein durch deine Arbeit.
Vier Stationen, die road map christlichen Lebens. Die road map, die uns führt durch die Welt zwischen Abgrund und Rettung, zwischen Resignation und Hoffnung, zwischen Untergangsstimmung und Lobpreis. In allem und trotz allem Gott ein Loblied singen, das ist das Ziel. Und wer die road map nicht lesen kann, der schalte einfach sein Navi ein. Das Navi heißt Glaube. „Fürchte dich nicht, glaube nur!“
Amen.
Danke!