Überraschende Wendung

Ein Lehrstück von menschlicher Schuld und göttlicher Vergebung - aber Gottes Gnadenzusage hebt nicht alle Folgen einer bösen Tat auf

Predigttext: 2.Samuel 12,1-10.13-15a
Kirche / Ort: 68542 Heddesheim
Datum: 3.08.2008
Kirchenjahr: 11. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Dr. Herbert Anzinger

Predigttext: 2.Sam 12,1-10.13-15a (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1 Und der HERR sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. 2 Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; 3 aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt’s wie eine Tochter. 4 Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war. 5 Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! 6 Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat. 7 Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls 8 und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun.9 Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter. 10 Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei. 13 Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. 14 Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben. 15 Und Nathan ging heim.

Exegetische Vorbemerkungen

Der Predigttext gehört in den größeren Kontext der sogenannten Thronfolgegeschichte (2 Sam 9-20 und I Kön 1-2) und in den engeren der David-Bathseba-Erzählung (2 Sam 11-12). In einer älteren Überlieferungsschicht scheint zunächst die skandalöse Geschichte von Davids Ehebruch mit Bathseba und die Herbeiführung des gewaltsamen Todes ihres Mannes Uria (2 Sam 11,1-27) in den Bericht über den Tod des daraus hervorgegangenen Kindes gemündet zu haben (2 Sam 12,15b-25). Der Tod des Kindes wird hier verstanden als Strafe Gottes für das von David begangene Unrecht. Vermutlich unter dem Einfluss prophetischer Kreise wurde in diesen Erzählzusammenhang der Auftritt des Propheten Nathan eingefügt (2 Sam 12,1-7.13-15a). David erscheint hier als derjenige, der durch prophetische Kritik zur Einsicht in seine Schuld gelangt und bereut. Auf deuteronomistische Bearbeitung geht vermutlich die Erweiterung zurück, die unsere Erzählung in 2 Sam 12,7-12 erfahren hat. Sie betont einerseits die besondere heilsgeschichtliche Zuwendung, die David durch Gott erfahren hat, wie auch die eingeschränkte Gerichtsverkündigung, die freilich die bleibende Erwählung Davids nicht aufhebt. Die Voranstellung der Gerichtsaussage vor Davids Sündenbekenntnis korrigiert die Auffassung, David sei aufgrund seines Bekenntnisses begnadigt worden. Für die Predigtperikope sind die Verse 11 und 12 herausgeschnitten, denn sie hätten notwendig gemacht, auf die spätere Auflehnung des Absaloms (2 Sam 15 und 16, vgl. bes. 2 Sam 16,21f) gegen David einzugehen. Im Zentrum der Predigtperikope steht die Parabel Nathans, die David dazu führt, sich selber ein Urteil zu sprechen, um schließlich seine Tat zu bereuen und von Gott Vergebung zu erlangen. Entsprechend dem Wochenspruch für den 11. Sonntag nach Trinitatis (I Petr 5,5b: „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.“) liegt der Skopus der Predigtperikope darin, dass dem Sünder Gottes Gnade widerfährt. Dass dennoch das Kind, das David mit Bathseba gezeugt hat, sterben soll (2 Sam 12,14), dürfte dem altisraelitischen Denken, wonach eine böse Tat böse Folgen nach sich zieht (Tun-Ergehen-Zusammenhang), geschuldet sein, und scheint mir eher eine nachträgliche Erklärung für den tatsächlichen Tod des Kindes zu sein.

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Predigt

Liebe Gemeinde!

Die Geschichte aus dem Alten Testament, die wir heute bedenken wollen, hat alles zu bieten, was ein spannender Film braucht: Eine sich dramatisch immer mehr zuspitzende Handlung, prall gefüllt mit Intrigen, Sex and Crime; und als der Täter schon sicher ist, dass niemand ihm etwas anhaben kann, eine überraschende Wendung, die der Gerechtigkeit doch noch zum Sieg verhilft.

Davids gelingender Coup

Die Geschichte klingt, als spiele sie heute. Ein Lehrstück über Machtmissbrauch und Skrupellosigkeit. Tatsächlich hat sie sich aber im alten Israel zugetragen. Sie beginnt damit, dass König David Bathseba, die Frau eines seiner Offiziere, beim Baden beobachtet und sie begehrt. Dass sie verheiratet ist, stört den David nicht. Er lässt die Frau in seinen Palast holen, als Uria, ihr Mann, im Krieg ist, und verbringt eine leidenschaftliche Nacht mit ihr. Als sich zeigt, dass die Nacht nicht ohne Folgen geblieben und die Frau schwanger ist, gewährt er dem Ehemann Fronturlaub, in der Hoffnung, damit könne er ihm das Kind unterschieben. Als das misslingt, schickt er den Mann wieder an die Front und gibt ihm einen Brief an seinen Hauptmann mit, in dem er fordert, den Mann mit einem Himmelfahrtskommando zu beauftragen, das seinen sicheren Tod bedeutet. Wenn das nicht perfide ist! Lässt den Mann sein eigenes Todesurteil überbringen. Das Schlimme ist: der Coup gelingt. Der Mann stirbt den Heldentod. Damit ist König David am Ziel seines Begehrens angelangt: Nach einer kurzen Trauerphase, die den Schein wahren soll, nimmt er Bathseba zu sich, die sein Kind unter dem Herzen trägt. Wer wollte ihm, dem König, Einhalt gebieten, ihm, der keine höhere Instanz zu fürchten hatte. Doch David hatte die Rechnung ohne Gott gemacht. Am vorläufigen Ende dieser Geschichte heißt es lapidar: „Aber dem HERRN missfiel die Tat, die David getan hatte.“ (2 Sam 11,27)

Ahnungslos in der eigenen Geschichte verstrickt

Damit ist wie häufig in Krimis am Ende eines Kapitels ein Signal gesetzt, dass die Geschichte weitergeht und vielleicht eine neue Wendung zu erwarten ist. Bisher haben wir die Erzählung, die mit unerbittlicher Konsequenz zeigt, wie David sich immer tiefer in Schuld verstrickt, als Zuhörer geradezu genossen. Nicht nur, weil sie spannend ist und sich dramatisch zuspitzt, sondern auch weil wir uns entspannt zurücklehnen können in dem Bewusstsein: So böse wie David sind wir nicht. Vor der schwarzen Negativfolie seiner Geschichte stehen wir mit (relativ) weißer Weste da. Fehlt eigentlich nur noch, dass der Bösewicht seiner gerechten Bestrafung zugeführt wird – und unsere Welt ist wieder im Lot. Und tatsächlich: Dem Übeltäter wird eine Falle gestellt, in die er nichtsahnend hineintappt. Der Fallensteller ist kein Geringerer als Gott selber, der seinen Propheten Nathan zu David schickt. Die biblische Erzählung schildert Nathans Auftritt so:

(Lesung des Predigttextes: 2Sam 12,1-6)

Er merkt es nicht. Nein, David merkt es nicht, dass er selber in dieser Geschichte vorkommt. Nathan macht das ganz geschickt. Es ist ja keineswegs so, dass sich seine Erzählung eins zu eins auf das übertragen lässt, was David getan hat. Die Züge, die auf Bathseba hindeuten, werden märchenhaft verfremdet. Das Schäfchen „isst von seinem Tellerchen und trinkt aus seinem Becherchen“, so möchte man in Erinnerung an das Märchen von Schneewittchen formulieren. Der Arme hielt das Schäfchen wie eine Tochter, was auf Hebräischen bath heißt und auf Bathseba anspielt. Aber das merkt David nicht. Er wird nur zornig, als er hören muss, der Reiche habe willkürlich das Schäfchen des armen Mannes genommen und geschlachtet. Nathan appelliert an Davids Sinn für Gerechtigkeit. Und so tappt David in die Falle hinein: „So wahr der HERR lebt“, sagt er, „der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat!“ Es ist ja immer leichter, die Schuld bei anderen zu erkennen. Aber dass er nun auch gleich noch die Todesstrafe fordert für den Diebstahl eines Schäfchens, schießt doch weit über’s Ziel hinaus. Hätte er geahnt, dass er damit ein Urteil über sich selber spricht, wäre er gewiss milder gewesen. Aber er merkt es nicht. Was nun folgt, muss ihn wie ein Blitz getroffen haben:

(Lesung des Predigttextes: 2Sam 12,7-10.13-15a)

Gott bringt das Recht der Opfer zur Geltung

Gott hat ihn dort, wo er ihn haben wollte. „Du bist der Mann!“ David sollte sich, ohne es zu ahnen, selber verurteilen. Ein raffinierter Schachzug Gottes. Denn über dem König gab es ja keine höhere irdische Instanz, die hätte angerufen werden können. Gott bringt so das Recht der Opfer zur Geltung. Er erinnert David durch den Mund Nathans daran, was er alles für ihn getan hat: Er hat ihn vor Saul gerettet und hat ihm alle Macht in Israel und Juda übertragen. Du hast alles geerbt, was Saul gehörte, sogar seinen Harem hast du übernommen. Aber nein, das genügte dir nicht. Du konntest den Hals nicht voll kriegen. Warum nur hast du das Wort Gottes verachtet? Ja warum nur? Warum kreisen auch wir immer wieder nur um uns selber? Suchen unseren Vorteil auf Kosten anderer?

Nachdenken über sich selber

David bringen diese Fragen zum Nachdenken über sich selber. Plötzlich gehen ihm die Augen auf und er sieht sich im Licht der Gerechtigkeit Gottes. Hier gibt es keine Ausflüchte mehr. Seine Schuld ist offensichtlich. Er bekennt sich schuldig: „Ich habe gesündigt gegen den HERRN.“ Er stellt sich wieder unter das Gebot Gottes, über das er sich hinweggesetzt hatte. Und Gott vergibt ihm. Gott bestätigt nicht das Urteil, das David über sich gesprochen hatte, sondern er lässt Gnade vor Recht ergehen: „So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben“, verkündet der Prophet. Aber die Gnadenzusage hebt nicht alle Folgen der bösen Tat auf. Spätere gewaltsame Auseinandersetzungen innerhalb der Familie und vor allem der Tod des mit Bathseba gezeugten Kindes wurden vom Volk als Strafe Gottes interpretiert und Nathan in den Mund gelegt. Die Geschichte endet also nicht mit einem einfachen Happy End. Gottes Gnade kann das Vergehen und seine schmerzlichen Folgen nicht einfach ungeschehen machen. Es bleiben Narben. So wie im wirklichen Leben.

Dieses Lehrstück von menschlicher Schuld und göttlicher Vergebung möchte uns einen Spiegel vorhalten, in dem wir uns erkennen. Und zwar wie wir sind. Da hilft es dann nicht, weiter in der Zuschauerrolle zu bleiben. Da bringt es uns nichts, wenn wir beteuern, aber weder Ehebrecher noch Mörder zu sein wie David. Sondern da wird der Blick frei auf das, was je unsere eigene Schuld sein mag. Darüber hinaus aber zeigt diese Geschichte, dass keine Schuld so groß sein kann, dass sie nicht von Gott vergeben werden könnte, wenn sie bereut wird. Das ist das Tröstliche und Ermutigende. Ich kann bei Gott abladen, was mich belastet. Ich muss mich nicht selber verurteilen, sondern darf auf Gottes Gnade bauen. Nicht umsonst heißt es im I Johannesbrief: „Daran erkennen wir, dass wir aus der Wahrheit sind, und können unser Herz vor ihm damit zum Schweigen bringen, dass, wenn uns unser Herz verdammt, Gott größer ist als unser Herz und erkennt alle Dinge.“(1Joh 3,19f)

Amen.

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