Göttliche Kathedrale
Der Bau an dem ewigen Tempel ist in vollem Gang
Predigttext: 1.Korinther 3,9-15 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
9 Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau. 10 Ich nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein anderer baut darauf. Ein jeder aber sehe zu, wie er darauf baut. 11 Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. 12 Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, 13 so wird das Werk eines jeden offenbar werden. Der Tag des Gerichts wird's klar machen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen. 14 Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. 15 Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch.Einführung in den Predigttext
Trotz aller Bereitschaft, über meine Gedanken, meine Worte und meine Taten in der Vergangenheit nachzudenken und dann Gott und Menschen um Vergebung zu bitten, wo ich falsch gedacht, geredet oder gehandelt habe, finde ich es gut, dem Tag der letztgültigen Verantwortung entgegen zu leben. Zu allem, was wir während unserer Arbeit in der Gemeinde und in der Welt getan und gelassen, gesagt oder verschwiegen haben, wird Gott dann das letzte Wort sagen, Sein Wort. Wie gut, dass Gott, der Vater Jesu Christi, in der Heiligen Schrift als gnädig und barmherzig bezeugt wird. Wolfgang Schrage schreibt in seinem Kommentar zur Stelle zusammenfassend: „Der vom Apostel gepredigte Gekreuzigte ist das Fundament, das allem Gemeindeaufbau vorgegeben ist und alle als Kriterium verpflichtet. Das relativiert zwar alle Differenzen, schließt aber die charismatische Vielfalt und die eschatologische Rechenschaft der Bauenden ein. Vor allem der Gedanke des Gerichts entzieht trotz des feststehenden Heils den Aufbau der Beliebigkeit und schärft die Verantwortlichkeit ein.“ (Der erste Brief an die Korinther, 1.Kor 1,1 – 6,11, Ev.-kath. Kommentar zum NT VII/1, Neukirchen 1991, 306) Adolf Schlatter ermahnt: „Wer sich nicht anstrengen mag, soll sich nicht einbilden, dass er Lohn empfange. Sein Maß hängt nicht von der Größe der Begabung und nicht vom Umfang des Erfolgs ab; denn sowohl über die Begabung als über den Erfolg entscheidet der, der ‚wachsen lässt’. Einzig der persönlichen Aufopferung ist der Lohn verheißen“ (Paulus, der Bote Jesu, eine Deutung seiner Briefe an die Korinther, Stuttgart 1962, 3.Auflage, S.131). Was Paulus zu den Parteiungen und Spaltungen in der Gemeinde von Korinth zu sagen hat, kleidet er in die Bilder vom Ackerbau und vom Hausbau. Dabei ist zu beachten, dass die meisten neutestamentlichen Bilder von der Gemeinde die Gemeinde Jesus als einen Organismus, als etwas Zusammengehöriges, Zusammenlebendes und Zusammenhandelndes betrachten: Henne und Küken (Mt 23,37); Sauerteig und Teig (Mt 13,33); Weinstock und Reben (Joh 15,1-7), Hirt und Herde (Mt 18,12-14); Leib und Glieder (1.Kor 12). Jeder und jede, die in einer christlichen Gemeinde leben und die als Presbyter, Pfarrer/innen, Synodale, Kirchenräte/innen oder Bischöfe an der Leitung der Gemeinde teilhaben, dürfen und sollen dies vor Augen haben. Es sei daran erinnert, dass die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche in Barmen vom 29. bis 31. Mai 1934 an die „Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage“ unter anderem eine „Erklärung zur praktischen Arbeit der Bekenntnissynode“ anschloss. Hier steht der Satz: „Nur da, wo mit ganzem Ernst der Bruderdienst an den Hirten der Gemeinde getan wird und wirklich die Gemeinde als geistlicher Organismus, das heißt als Leib Christi, lebt, ist sie zu dem Dienst, den sie durch Predigt und Sakrament an allem Volk hat, nämlich zu dem Dienst der Verkündigung der freien Gnade Gottes in Christo Jesu geschickt“ (Quellen zur Geschichte des deutschen Protestantismus 1871-1945, hg. K. Kupisch, Göttingen 1960, S. 281). In § 21 seiner Predigtlehre (München 1972) beschreibt Rudolf Bohren, was für den Predigenden „Meditation“ bedeutet. Hier zitiert er von Rainer Maria Rilke aus dem Requiem für Wolf Graf von Kalkreuth: „O alter Fluch der Dichter…“, das ich am Anfang meiner Predigt zitiere, und schreibt dann: „Als Christen wissen wir um die Fragwürdigkeit solcher Rettung und Umsetzung in Stein und Wort. Wir wissen aber auch, wie viel mehr dies Rettung war und ist, sich in das Wort zu verwandeln, das in Christus Fleisch geworden ist. Genauer: Nicht um ein verbissenes Umsetzen geht es, sondern um ein Umgesetzt-werden in die Konformität mit Christus“, (S.366) wir können ergänzen: und mit seinem Haus der lebendigen Steine (2 Petr 2,5). Zum Gedicht selbst: Rainer Maria Rilke, Gedichte, Frankfurt, 11. Auflage 1999, S. 607. (Vgl. Hartmut Frische, Visionen, die aufblicken lassen – eröffnet aus der Offenbarung des Johannes, Freimund-Verlag Neuendettelsau 2008, besonders Kapitel 4)Predigt
Liebe Gemeinde!
Ein Bauwerk zum Staunen
Viele Jahre meines Lebens habe ich in der Nähe Kölns gewohnt. Öfter bin ich in die Stadt am Rhein gefahren. Immer wieder stand ich vor dem Dom. Ich habe den langen gotischen Streben nachgesehen. Ich staune wie viele Menschen um mich herum immer neu über dieses faszinierende Bauwerk aus dem Mittelalter. Stadtbrände und Weltkriege hat es überstanden. Seit Jahren denke ich dabei an ein Gedicht von Rainer Maria Rilke:
„O alter Fluch der Dichter,
die sich beklagen, wo sie sagen sollten,
die immer urteiln über ihr Gefühl,
statt es zu bilden; die doch immer meinen,
was traurig ist in ihnen oder froh,
das wüssten sie und dürftens im Gedicht
bedauern oder rühmen. Wie die Kranken
gebrauchen sie die Sprache voller Wehleid,
um zu beschreiben, wo es ihnen wehtut,
statt hart sich in die Worte zu verwandeln,
wie sich der Steinmetz einer Kathedrale
verbissen umsetzt in des Steines Gleichmut.
Dies war die Rettung.“
Es liegt auf der Hand, dass Rilke in diesem Gedicht-Fragment von sich selbst schreibt. Er nimmt seine eigene Gefahr ins Visier, die ihn oft genug in Bedrängnis bringt. Er muss sich davor schützen, wie ein Kranker in endlosen Ergüssen seine Betroffenheiten zu beteuern und seine Wehmut zu beklagen. Dann aber steht ihm seine ihm gesetzte Aufgabe vor Augen. Wo er sie anpackt und der Erfüllung entgegen treibt, kann er aufatmen. Aus seinem Innersten heraus soll er mit aller Leidenschaft, die in ihm lauert und auflebt, die Stimmung der Zeit und die Sehnsüchte der Menschen erfassen und ausdrücken.
Hier taucht das Bild vom Steinmetz vor ihm auf. Der Steinmetz ist dem Bauherrn verpflichtet und sonst keinem. Er sitzt in oder vor seiner Bauhütte, ist von Steinblöcken umgeben und hat sich sein Werkzeug zurechtgelegt. Nun ist er mit seiner ganzen ausgebildeten und ausgerichteten Kraft darauf aus, sich in den Stein der Kathedrale zu verwandeln, trotz aller auf ihn einstürzenden und in ihm hochsteigenden Gefühle. Er baut mit an einem großartigen Bauwerk. Reiner Maria Rilke weiß, zu welcher Befreiung es kommt, wenn er sich so in geformte und verantwortete Sprache verwandelt.
Haus der lebendigen Steine
Immer wenn ich vor dem Kölner Dom stehe und dieses faszinierende Gebäude sehe, höre ich es in mir: Dem muss man gratulieren, der eine solche Kathedrale gefunden hat! Mit allem, was in ihm ist, kann er an ihr mitbauen und sich in sie verwandeln! So ein Mensch hat ein großes Ziel! Dann weiß ich: Es gibt ein noch größeres, weit erhabeneres und viel lohnenderes Bauwerk als diesen gotischen Dom am Rhein. Da ist jemand, der danach Ausschau hält, dass sich Menschen finden, die begeistert und zäh zugleich an dem Haus der lebendigen Steine mitarbeiten. Das geschieht zum Lobe Gottes und zum ewigen Heil.
Wenn Jesus von sich selbst das Psalmwort zitiert: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden“ (Ps 118,22f), und wenn Jesus seinem Jünger zuruft: „Du bist Petrus, und auf diesen Fels will ich meine Gemeinde bauen!“ (Mt 16,18), da hat Jesus bereits diesen von Gott gestifteten Bau vor Augen. Wenn die Apostel sagen: „So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist“ (Eph 2,19f) und: „Auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft“ (1.Petr 2,5), da geht es um dieses Haus der lebendigen Steine.
Ja, wenn im vorletzten Kapitel der Bibel der Seher Johannes auf der Insel Patmos das neue Jerusalem zu sehen bekommt, diesen himmlischen Prachtbau, und dann auf den Toren die Namen der zwölf Stämme Israels lesen kann und auf den Grundmauern die Namen der zwölf Apostel erkennt, erblickt er das Haus Gottes in ewiger Vollendung. Gott und das Lamm stehen in der Mitte, und die Könige der Erde kommen und bringen den Reichtum ihrer Völker in diese Stadt. Hier ist die zentrale Schau des Panoramas der Verheißungen Gottes in ihrer vollen Ausgestaltung. Es ist wunderschön, zu beobachten, wie sich die Linie von der göttlichen Kathedrale in der Bibel entfaltet. Der Bau an dem ewigen Tempel ist in vollem Gang!
Den Bau des „Hauses der lebendigen Steine“ hat Paulus vor Augen, als er in seinem ersten Brief an die Gemeinde Jesu in der griechischen Stadt Korinth Stellung zu der Situation der Gemeinde nimmt, in der es nach seinem Weggang zu erheblichen Spannungen und Spaltungen gekommen ist: Vor allem bezeugt er den Christen und Christinnen dort, dass Jesus Christus in seiner Einzigartigkeit das ein für alle Mal gelegte Fundament ist und kein anderer. „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ Suchen und erwarten kann man das Fundament des Lebens in anderen Religionen, Philosophien und Weltanschauungen. Es ist falsch, so zu tun, als würde jedem Kind bei der Geburt das Fundament seines Lebens selbstverständlich mitgegeben. Viele Menschen müssen Jahre lang erhoffen und ersehnen, dass sie Schritte des Glaubens tun können.
Baustile, je nach Begabung
Es ist für jüngere und für ältere Menschen wichtig, dass das Lied: „Ich möchte, dass einer mit mir geht“ (EG 209,1) in unserem Gesangbuch steht. In den Strophen dieses Liedes ist das Suchen und Tasten eines Menschen abgebildet, der Gott sucht und so gerne die lebendige Beziehung zu seinem Schöpfer finden möchte. Viel, sehr viel an Glaubenserfahrung und Glaubenserkenntnis ist dagegen nötig, bis man eines Tages mit Ernst Moritz Arndt singen kann: „Ich weiß, was ewig dauert, ich weiß, was nimmer lässt; mit Diamanten mauert mir’s Gott im Herzen fest“ (EG 357,2).
Paulus bezeugt Jesus als den Grund des Glaubens. Aber dann bekennt er genauso klar, dass er selbst die Gemeinde in Korinth gegründet hat. Er hat es bei vielen miterlebt, wie sie in der Hafenstadt Korinth mit ihrem quirligen Leben ganz persönlich aus ihrem Leben ohne Gott befreit wurden und dann bekennen konnten: „Jesus ist der Herr!“ (1.Korinther 12,3) Tief überzeugt kann Paulus deshalb sagen: „Ich nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als ein weiser Baumeister.“ (V.10) Als Apostel gehört er zusammen mit den anderen Aposteln hinein in das Fundament der Kirche. An dem Leben Jesu und an dem Wirken der Apostel muss sich messen lassen, was in der Gemeinde Jesu geschieht.
Und dann sind viele andere gekommen. Sie hatten andere Lebensführungen; sie hatten andere Temperamente und Charaktere; sie waren ganz anders begabt; sie haben sich auf andere Art und Weise durchgesetzt; sie wurden anders als Paulus und seine Mitarbeiter bejubelt; sie haben auf ihre Art und Weise die Gemeinde geprägt. Das ist natürlich, denn Gott hat die Freiheit zu berufen, wen er will. Ich weiß sehr wohl, wie das ist, wenn andere kommen. In 36 Jahren Dienst als Vikar, Pastor, Reisesekretär und Referent habe ich siebenmal anderen das Feld überlassen, die anders waren und anders gearbeitet haben.
Bau der Gemeinde Jesu ist harte Arbeit
Aber nun warnt Paulus: „Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, so wird das Werk eines jeden offenbar werden. Der Tag des Gerichts wird’s klarmachen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen.“ (V.12f) Der Apostel nennt drei Materialien, denen Feuer nichts anhaben kann. Sie werden durch die Glut höchstens geläutert: Gold, Silber und Edelsteine. Und er nennt drei Materialien, die im Feuer sofort lichterloh aufflammen und verbrennen: Holz, Heu und Stroh. Als was werden sich meine, unsere Werke erweisen?
Ein Element des Glaubens ist neben Vertrauen, Liebe und Hoffnung auch die Furcht, die Furcht vor dem heiligen Gott und vor seinem ewigen Gericht. Bei ihm ist jede Glaubensregung, jedes gute Wort, jede gelungene Tat und jedes vorangetriebene Lebenswerk gut aufgehoben. Dass ER um Jesu willen uns annimmt, ist unsere Hoffnung. Wir vertrauen fest darauf. Aber ER hat das letzte Wort.
Paulus hatte auf seinen Missionsreisen verschiedene Mitarbeiter. Darunter waren einige, die sich von ihm und auch aus den Christengemeinden zurückgezogen haben, z. B. Demas (Man lese nacheinander: Kolosser 4,14; Philemon 24; 2.Timotheus 4,10). Aber er hat immer wieder Männer und Frauen genannt, die sich im Dienst bewährt haben und auf die er sich verlassen konnte (2.Korinther 1,14; Philipper 2,15f; 1.Thessalonicher 2,19). Der Apostel muss viel für seine Mitarbeiter gebetet haben. Wie oft und wie lange hat er sich mit ihnen auf den Fußmärschen über die Gemeinden, die sie gemeinsam kannten, unterhalten. Wie sehr haben sie miteinander im Gespräch um die Nöte der Gemeinden gerungen. Wie intensiv haben sie miteinander über die Bedeutung des Evangeliums von Jesus für die Menschen gesprochen.
Bau der Gemeinde Jesu ist harte Arbeit, Knochenarbeit, und – um das Bild eines klugen Mannes am Anfang des letzten Jahrhunderts zu gebrauchen (Max Weber): wie das Bohren dicker Bretter. Bau der Gemeinde Jesu ist wie die Arbeit eines Steinmetzes, der vor seiner Baubude sitzt, zum Hammer gegriffen hat und Stein um Stein in die Hand nimmt. So baut er Schicht um Schicht weiter an der Kathedrale, und so verwandelt er sich nicht verbissen, wie Rilke sagt, aber zäh in den Tempel, der in der Ewigkeit begründet ist und der sich als das neue Jerusalem vom Himmel her vollendet. Er ist nicht Bauherr, und er ist auch nicht Baumeister. Er ist Steinmetz, Handwerker, jemand, der seine Handwerkskleider trägt und sich staubig macht. Aber die Kathedrale wächst. Er kann schon auf das zurück blicken, was geschafft ist. Hier und da kann er bereits an den Streben entlang nach oben schauen. Dann ahnt er, wie das Ganze sein wird, und er staunt schon jetzt. Der Bau des ewigen Tempels ist in vollem Gang! Der Tag der letzten Bewährung, der Tag des Jüngsten Gerichtes, und der Tag der Vollendung werden kommen. Wir leben darauf hin, und wir arbeiten darauf hin.
Amen.