Prüft aber alles und das Gute behaltet
Es gibt nur eine Macht, die dem Bösen Herr zu werden vermag: das Gute. Christus gibt ihm ein Gesicht und eine Verheißung
Predigttext: 1.Thess 5,14-24 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
14 Wir ermahnen euch aber, liebe Brüder: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann. 15 Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann. 16 Seid allezeit fröhlich, 17 betet ohne Unterlass, 18 seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch. 19 Den Geist dämpft nicht. 20 Prophetische Rede verachtet nicht. 21 Prüft aber alles und das Gute behaltet. 22 Meidet das Böse in jeder Gestalt. 23 Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. 24 Treu ist er, der euch ruft; er wird's auch tun.Anmerkung der Redaktion
Für den angefragten Autor, der kurzfristig den Predigtauftrag nicht wahrnehmen konnte, sprang dankenswerterweise Pfarrer Manfred Wussow, unser Mitglied im Redationsteam, ein. Die schriftliche Fixierung seiner homiletischen Vorüberlegungen war dem Autor aus Zeitgründen verständlicherweise nicht mehr möglich. Stattdessen zitiert die Redaktion aus dem historischen Kommentar von Albrecht Oepke zum 1.Thessalonicherbrief (NTD 8, Göttingen1962): „Man beachte den warmen, herzlichen Klang! – Die folgenden Worte zeigen nicht bloß ein Idealbild, sondern weithin wohl auch die Wirklichkeit urchristlichen Gemeindelebens, womit selbstverständlich die Notwendigkeit weiteren Wachstums nicht ausgeschlossen ist. Freude ist ein Lieblingswort des Apostels (vgl. bes. Phil. 4,4ff.). Quelle der tiefsten Freude…ist das Gebet. Unaufhörliches Beten mit Worten zu verlangen, wäre ungesunde Übertreibung. Aber wo es recht steht, reiht sich in die Kette der Gebete Glied an Glied, und wortloses Auf-Gott-Gerichtetsein ist gerade die tiefste Form des Betens…Über diese geistgewirkte Herzensverfassung hinaus kennt das Urchristentum aber… besondere Geistesgaben… Bei aller dringend notwendigen Nüchternheit will Paulus dem Geisteswehen freie Bahn geben. Die besonders hervorgehobene Prophetie ist weniger Zukunftsvorhersage als Deutung der Gegenwart vom Willen Gottes aus. Ob die folgenden Worte mit den vorhergehenden eng zu verbinden oder allgemeiner zu verstehen sind, ist nicht ganz deutlich. Wahrscheinlich will Paulus vor kritikloser Verwertung „pneumatischer Kundgebungen warnen. Die „Unterscheidung der (guten und bösen) Geister“ (und ihrer Wirkungen) rechnet er 1.Kor.12,10; 14,29 geradezu mit unter die Geistesgaben. Auch der erste Johannesbrief mahnt (4,1): „Prüfet die Geister, ob sie von Gott sind, denn viele falsche Propheten sind in die Welt ausgezogen.“…Diese Samenkörnern gleich ausgestreuten Mahnungen beschließt ein volltönender Segenswunsch. Unversehrt und so, daß man bestehen kann, der Ankunft des Herrn entgegenzugehen, das ist das Ziel!...Paulus erwartet alles…von der Treue und heiligenden Macht Gottes, der Frieden (Heil) schenkt…“ (a.a.O., S.176f.) Heinz Janssen Redaktion Heidelberger Predigt-ForumPredigt
Betroffenheit
Ehrlich gesagt: Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll! So viele Ermahnungen auf einmal! Unordentliche soll ich zurechtweisen, die Kleinmütigen trösten, geduldig sein gegen jedermann – ich? Ich mag gar nicht daran denken. Diese Autorität, diese Kraft, diese Geduld – traumhaft schön, aber vielleicht doch einige Nummern zu groß für mich. Aus eigener Erfahrung weiß ich zwar, wie gut es einem Menschen tut, nicht allein auf seinem Weg zu sein, aufgerichtet und getröstet zu werden, mit Geduld und Verständnis rechnen zu können. Aber dann backe ich doch ständig kleine Brötchen, schaue auf die Uhr, denke, ich hätte doch genug mit mir zu tun. So eng angelegt, wundert es mich nicht, dass ich tatsächlich nicht weiß, wo ich anfangen soll!
Letzte Worte
Paulus konnte nicht ahnen, welche Gedanken er aus der Reserve locken würde. Für ihn waren die Ermahnungen, wenn man sie denn so nennen will, letzten Worten gleich: Sein Brief an die Gemeinde zu Thessalonich, heute: Saloniki / Griechenland, geht zu Ende. Er hat noch ein bisschen Platz, ganz unten. Bevor er einen Gruß unter den Brief setzt und dann seinen Namenszug, sprudelt es noch einmal aus ihm heraus: „jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann.“ Eine tolle Formulierung. „Jagen“ ist schnell, konzentriert, geradezu versessen. Jedenfalls nichts für Langweiler und Langschläfer. Allein ist „Jagen“ auch eher sinnlos und frustrierend, gemeinsam aber mit Erfolg und Freude gekrönt. Ob Paulus daran denkt, dass das Gute erbeutet werden kann? Womöglich erbeutet werden muss? Ich weiß doch auch: Das Gute fällt nicht in den Schoß, fliegt auch nicht wie gebratene Tauben in den Mund, verirrt sich nicht zufällig in unsere Mitte. Dem Guten muss man schon hinterher sein. Hartnäckig. Leidenschaftlich. Selbstvergessen. Die Aussicht: Wer dem Guten nachjagt, erbeutet das Leben. Das ist nicht einmal ein gewagter Schluss. Nur die Konsequenz aus dem Evangelium. Aus dem Leben Jesu. Aus der geschenkten Gotteskindschaft. Ebenso kurz wie einfach heißt es bei Paulus: Meidet das Böse in jeder Gestalt. Mit anderen Worten: Während wir dem Guten nachjagen, werden wir vom Bösen nicht festgehalten. So ganz nebenbei: Die Schnäppchenjagden sind harmlos, gewöhnlich, eben billig – die Jagd nach dem Guten aber bannt sogar das Böse. Darüber könnten wir viele Worte verlieren, aber auch viele Erinnerungen ans Tageslicht zerren – es gibt nur eine Macht, die dem Bösen Herr zu werden vermag: das Gute. Christus gibt ihm ein Gesicht und eine Verheißung.
Wenn die letzten Worte aufs Papier kommen, könnten die ersten schon fast vergessen sein. Aber in diesem Fall müssen sie noch einmal erklingen:
„Wir danken Gott allezeit für euch alle und gedenken euer in unserem Gebet und denken ohne Unterlass vor Gott, unserem Vater, an euer Werk im Glauben und an eure Arbeit in der Liebe und an eure Geduld in der Hoffnung auf unseren Herrn Jesus Christus“ (1. Thess 1,2f.)
Das schreibt Paulus, direkt am Anfang seines Briefes. Er hat es nicht nötig, eine Schleimspur zu legen, aber das Vertrauen tut gut – und drückt eben auch eine tiefe Verbundenheit, eine gemeinsame Erfahrung aus. Wir hören den warmen Ton, der jede Zeile dieses Briefes durchdringt: Wer allezeit danken kann, kann auch allezeit dem Guten nachjagen. Wer aber allezeit nur klagt, lässt sich vom Bösen auffressen.
Erste Schritte
Mir kommt eine junge Frau in den Sinn. Wir haben uns zum Taufgespräch getroffen. Der kleine Jannik soll getauft werden. Gespräche entwickeln sich, legen das Thema ab, finden neue Fährten. So erzählt die Mutter, fast schon unvermittelt, was sie alles durchgemacht hat: mit einem Wort – Mobbing. Sie hat in ihrem Büro nie richtig mitbekommen, was im Hintergrund gegen sie gesponnen wurde, sie hörte nur falsche Geschichten, sah falsche Gesichter, falsche Freundlichkeit. Alles war – falsch. Ich habe sie gefragt, wie sie damit umgegangen sei. Da erzählte sie, was ihr alles durch den Kopf gegangen wäre: Vom Aufgeben, Ränke schmieden, sich rächen – aber dann hat sie sich entschieden, sich nicht klein machen zu lassen. Ihr Freund, den sie in ihrem Betrieb kennen- und lieben lernte, habe ihr den Rücken gestärkt. Ich muss wohl zurückgefragt haben, ob sie die Situation einfach ausgesessen habe, jedenfalls habe ich noch in Erinnerung, dass sie das Wort „gut sein“ in den Mund nahm. Freundlich sei sie auf die Menschen zugegangen, habe das Gespräch gesucht. Irgendwann sei der Sumpf ausgetrocknet, meinte sie – und sie sei langweilig geworden. Wie es denn heute wäre, fragte ich. Sie habe gewonnen, sagte sie. Und dann: Das Gute braucht ein dickes Fell. Das habe ich noch sehr deutlich im Ohr. Ich sehe ihr verschmitztes Lächeln.
Bei seiner Taufe haben wir dem kleinen Jannik den Taufspruch mitgegeben: „Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch.“ Jannik wird seine eigenen Erfahrungen mit diesem Wort machen. Es kann sogar sein, dass er die Geschichte seiner Mutter nie erfährt, und wenn er sie erfährt, nicht versteht. Als ich bei der Taufe den Spruch vorstellte, hatte ich das Gefühl, Teil einer Geschichte zu sein, die ich mir selbst nicht geben kann.
Dass das Gute ein dickes Fell brauche, könnte von Paulus sein. Er hat übrigens mit Mobbing seine eigenen Erfahrungen gemacht – und stellen Sie sich vor: in christlichen Gemeinden. Es kommt aus seinem Herzen: „Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann.“ Ist das dicke Fell wie eine zweite Haut, lässt sich das Bild vom „Jagen“ wie ein großer Aufbruch erleben. Ich weiß nicht, welches Bild schöner ist.
Das Gute behalten
Was mögen Sie gedacht haben, als Sie die Geschichte von der Taufe hörten? Vielleicht kamen Ihnen eigene Gedanken, eigene Geschichten hoch. Geschichten, in denen das Böse die Hauptrolle spielt, Geschichten, in denen Sie dankbar von guten Begegnungen erzählen können, Geschichten, die Ihnen wie Brücken über Abgründe anmuten. Aber mit den Erfahrungen ist es wie mit einem vollen Tisch: Ich muss doch ordnen, sortieren, auslegen. Vieles bleibt in einem Leben dunkel, soll vielleicht auch versteckt bleiben. Doch es geht nichts verloren. Manches geistert ein Leben lang durch den Kopf, anderes nistet sich irgendwo in der Seele ein. Paulus lädt ein: „Prüfet alles“. Wer etwas prüft, holt es aus der Versenkung, legt es offen vor sich, vertraut darauf, etwas klären zu können. Da sind die bösen Erfahrungen, die wir gemacht haben: es gibt sie. Es gibt auch die bösen Erfahrungen, die wir hinterlassen oder hinterlassen haben. Verletzungen. Schmerzen, Enttäuschungen. Wer prüft, flieht nicht. Hält etwas fest. Bewahrt etwas. Wer prüft, wägt ab, bahnt sich im Dschungel einen Weg, wagt einen neuen Anfang. Ohne Prüfung wird man im Leben nichts.
Ich bewundere Paulus. Als ob er eine Faustregel formulieren könnte: es wird – wenn die Prüfungsfeststellungen gemacht sind – Gutes zu behalten sein. Ich kann es als Auftrag lesen. Suche das Gute! Übersieh es nicht! Ich kann es auch als Verheißung lesen: Du wirst das Gute finden. Auf das Gute kannst du dich verlassen. In deinem Leben, bei anderen Menschen, in der Gemeinschaft der Glaubenden und Zweifelnden. So viel Vertrauen ist umwerfend. Es ist das Vertrauen, dass aus der Erfahrung kommt, von Christus angenommen zu sein, geliebt, geachtet und erlöst. Und das ist auch die Sprungfeder im Fußgelenk: jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann.
Geduld und Verständnis
Sie erinnern sich? Am Anfang wusste ich nicht, wo ich anfangen soll. So viele Ermahnungen auf einmal! Unordentliche soll ich zurechtweisen, die Kleinmütigen trösten, geduldig sein gegen jedermann – ich? Ich lasse das Fragezeichen jetzt weg. Ich weiß, wie gut es einem Menschen tut, nicht allein auf seinem Weg zu sein, aufgerichtet und getröstet zu werden, mit Geduld und Verständnis rechnen zu können. Die kleinen Brötchen gehören der Vergangenheit an. Gott hat mir die großen geschenkt: allezeit fröhlich, nach Gott greifend und einfach nur dankbar.
Das letzte Wort hat Paulus. Es ist ein Segenswort. In ihm ist das Gute bewahrt:
Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun.
Amen