Einer hat immer Hoffnung, Dankbarkeit und Trost bereit
Durch Beten das Netz verstärken, das uns zusammenhält und mit Gott verbindet
Predigttext: 1.Thess 5,14-24 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
14 Wir ermahnen euch aber, liebe Brüder: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann. 15 Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann. 16 Seid allezeit fröhlich, 17 betet ohne Unterlass, 18 seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch. 19 Den Geist dämpft nicht. 20 Prophetische Rede verachtet nicht. 21 Prüft aber alles und das Gute behaltet. 22 Meidet das Böse in jeder Gestalt. 23 Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. 24 Treu ist er, der euch ruft; er wird's auch tun.Anmerkungen zu Gottesdienst und Predigt
Der Gottesdienst findet im Gemeindesaal statt, da die Kirche derzeit renoviert wird. Er ist mein letzter Gottesdienst als Pfarrer der Matthäusgemeinde und insofern persönlich auch eine Herausforderung. Abschied und neuer Anfang stehen für mich und die Gemeinde in diesen Wochen im Vordergrund. Wahrscheinlich ist im Wesentlichen die Kerngemeinde anwesend. Ich stelle in der Predigt deshalb den Schatz der Gemeinde in den Mittelpunkt und wähle den Alltag des Gemeindelebens als wichtigen Fokus paulinischer Theologie. Die Predigt ist deshalb auch ein Dankgebet und eine Vergewisserung dessen, was die Gemeinde hat und ist.Predigt
Liebe Schwester, lieber Bruder!
Was hast du vorgestern alles gemacht? Und am letzten Donnerstag? Wie hast du dich gefühlt vor zwei Jahren, was hast du für Pläne und Sorgen gehabt während deiner Ausbildung? – Wenn man sich erinnert, bekommt das eigene Leben einen roten Faden, wird durchsichtig auf das, was im mir wichtig ist. Ich erkenne, was sich wiederholt und was meine Lebensthemen sind. Manchen Menschen hilft dabei ein Tagebuch. Viele führen sie akribisch tagaus, tagein, Literaten/innen veröffentlichen sie sogar, und man liest sie mit Gewinn, wenigstens manche von ihnen. Ich stelle mir vor, dass nicht nur Individuen Tagebücher führen können, sondern auch Gemeinden. Ich stelle mir ein Tagebuch unserer Matthäusgemeinde vor: Was würden wir da alles hineinschreiben, was wäre wichtig, und wer würde eigentlich schreiben?
Ich fange einfach mal an mit dem vergangenen Jahr. Was hätte ich in jedem Fall erwähnt und beschrieben? Einen festen Platz hätte das Bild eines behinderten Mädchens bekommen, deren Gesicht man nur im Spiegel sehen kann und man erkennt sie als wunderschöne Frau. Anfang des Jahres war das ein Bild zur Jahreslosung: Ich lebe und ihr sollt auch leben. Mich hat das erinnert daran, dass wir bei Gott schön sind, auch wenn uns das äußerlich nicht anzusehen ist. Ich hätte die Erkrankung von Herrn S. aufgeschrieben und die Lasten, die er und seine Frau zu tragen hatten in dieser Zeit. Ich hätte die Konflikte erwähnt und die lachenden Kinderaugen. Ich hätte aufgeschrieben, wie ich mich am Pult der Trauerhalle fühlte bei meiner letzten Beerdigung als Pfarrer unserer Gemeinde, überhaupt: NN. hätte einen wichtigen Platz in diesem Gemeindetagbuch, die Gespräche mit ihm und die Beziehung, die gewachsen ist. Ich hätte den Betriebsausflug notiert und die vielen ermutigenden Gespräche und Worte in den vergangenen Wochen. Ich hätte über unsere Ältestenkreissitzungen geschrieben, über den gegenseitigen Respekt, die konstruktive Atmosphäre und den Spaß, den wir miteinander trotz manch haariger Themen hatten. Ich hätte den Abschiedsgottesdienst und das Abschiedsfest festgehalten und die Freude und die Wehmut, die mich in den letzten Wochen begleitet haben. Ich hätte den Eindruck unserer leer geräumten Kirche festgehalten, die voller Atmosphäre geblieben ist, ein heiliger Ort auch ohne Bänke. Und die vielen, vielen Gespräche, und die Menschen, die Freunde und die Fremdgebliebenen, die Schätze unserer Gemeinde. Ich hätte die Mühen erwähnt, die an manchen Tagen wie Gewichte das Fortkommen hinderten. Und die Konfirmation und der Konfirmandenunterricht, die Jugendlichen unserer Gemeinde, wären ein besonderes Kapitel gewesen. Das alles wäre noch immer nur ein Bruchteil dessen, was ich in ein Gemeindetagbuch schreiben würde. Ich bin ja nur einer. Eure Erlebnisse kämen hinzu und würden das Bild unserer Gemeinde perspektivenreich und bunt machen, hier etwas dunkler, dort strahlend hell.
Ich erzähle das, weil Paulus einen Blick auf die Gemeinde in Thessaloniki wirft. Im 5. Kapitel des Briefs an die Thessalonicher schreibt er:
(Lesung des Predigttextes)
Das ist zwar kein Tagebucheintrag, aber er könnte einen zur Folge haben. Ich kann so leichter in Erinnerung halten, ob ich einen getröstet habe, ob wir einander recht ermahnt und ob wir wirklich alles geprüft und nur das Gute behalten haben. Mit Paulus werden wir heute nicht die Höhen der Theologie, sondern den Niederungen des Gemeindealltags Beachtung schenken – und dabei feststellen, dass die so genannten in Wahrheit zu den Höhepunkten theologischen Denkens gehören müssen und sollen.
Das Tagebuch würde uns helfen zu erkennen, was in unserer Gemeinde wichtig ist. Wir würden sehen, wie reichhaltig unser Gemeindeleben blüht und wie viele Menschen das Ihre dort eintragen. Manche Einträge werden mit Herzblut geschrieben sein und noch in den Worten wird das Leben zu entdecken sein. Dort, wo wir einander getröstet haben, wo Brüder und Schwestern füreinander da waren, um die Not zu wenden, da ist Besonderes geschehen, das nicht in Vergessenheit geraten soll. Da, wo wir einander ermahnt haben und am Ende den richtigen Weg gefunden haben, als Einzelne und als Gemeinde, da ist Besonderes geschehen, das nicht in Vergessenheit geraten soll. Da, wir füreinander eingestanden haben, wo wir gefeiert, entschieden, geplant, gehofft, gesungen haben, da ist Besonderes geschehen, das nicht in Vergessenheit geraten soll. Sicher ist das alles bei Gott aufgehoben und aufbewahrt und vor dem Vergessen bewahrt. So ein Tagebuch würde uns ein wenig von dem zu erkennen geben, was Gott allein in seiner ganzen Schönheit wirkt und erkennt: was der rote Faden unserer Gemeinde ist.
Ich wage einen Versuch, obwohl es ein solches kollektives Erinnern noch nicht gibt. Der rote Faden unserer Gemeinde wäre das Gebet. Betet ohne Unterlass, schreibt der Apostel seiner ersten Gemeinde in Griechenland. Ich glaube, das würden wir hier auch erkennen, dass ohne Unterlass gebetet wird. Nicht, weil ich oder sonst wer Marathonambitionen hätte, sondern weil so viele in der Gemeinde beten, füreinander und miteinander und damit das Netz verstärken, das uns zusammenhält und mit Gott verbindet. Wenn wir beten, dann sind wir der Haltung am nächsten, die Paulus im Sinn hat bei diesen letzten Sätzen am Briefschluss. Manches kann man wohl auf Bitten hin tun, aber manches ist mit Aufrufen nur schlecht einzufordern; trösten und ermahnen und einander tragen, das kann man erbitten. Aber Fröhlichkeit kann ich nicht herbeizitieren und Dankbarkeit nicht verordnen. Die Haltung aber, aus der das eine getan wird und das andere kommt und schon da ist, ist das Gebet. Weil ich im Gebet dies alles aus Gottes Händen empfange, sowohl die Kraft zu trösten als auch den tieferen Grund für die Freude und die Dankbarkeit.
Beides hängt zusammen und verbindet sich in der Gemeinde durch den Heiligen Geist zum „Hohelied der Liebe“, denn Liebe ist es, die darin lebt und zum Ausdruck kommt. Freude und Dankbarkeit sind keine Wolkenkuckucksheime, sondern da anzutreffen, wo Menschen konkret im Mittelpunkt stehen: wo sie umsorgt, getröstet, ermahnt und begleitet werden. In den konkreten Dingen bekommt die Freude und die Dankbarkeit ein Gesicht, von der Paulus schreibt. Nur wenn ich mich den Menschen zuwende und mit ihnen prüfe, was hilft, kann ich mich mit ihnen auf den Weg machen. Dazu muss ich die Fragen in die Hand nehmen, die Alternativen abwägen, mit den Menschen ein Stück Seite an Seite gehen. Wenn Paulus in seine Gemeinde in Thessaloniki sieht und wenn er in unsere Gemeinde sähe, würde er auch erkennen, dass nicht nur ohne Unterlass gebetet wird, sondern ebenso ohne Unterlass getröstet und ermahnt, begleitet und geprüft wird; dass wir ohne Unterlass auf dem Weg sind in Gottes Reich. Und das nicht, weil ich das immer wäre und nie vom richtigen Weg abkäme und immer voller Hoffnung und Dankbarkeit und Freude wäre. Vielmehr weil wir viele sind und zur Gemeinde Gottes gehören. Und einer hat immer Hoffnung, einer immer Dankbarkeit und einer immer Trost bereit. In diesen Trost kann mich einwickeln, wenn ich nicht mehr weiter weiß. Und wenn keiner mehr von uns Wort der Hoffnung und der Liebe sagen kann, dann bleibt immer und zu jeder Zeit der, der für uns zu Gott gegangen ist. Dass Jesus lebt und wir mit ihm, das wäre nicht nur ein wichtiger Satz im Tagebuch der Gemeinde, es ist ein Wort zum Leben für jeden Tag und der Unterpfand unserer Gebete und der Grund meiner Hoffnung.
Das alles ist bei Gott aufgehoben. Aber es ist auch gut, wenn wir in der Gemeinde davon wüssten und uns immer wieder erinnern, an die vielen kleinen Gesten und Zeichen, Worte und Taten, die von der Liebe Gottes erzählen. Ich selbst bin ein lausiger Tagebuchschreiber. Aber dafür vergesse ich auch so manches. Ich bin angewiesen auf euch und auf solche Worte wie die des Apostel Paulus, sie bewahren den Schatz in meinem Herzen – zur Freude und zum Dank, zum Ermahnen und zum Trösten und zum Tragen und zu fröhlichen Hoffnung auf Gottes Reich.
Amen.