Singt und spielt
Regeln für ein akribisches LebenRegeln für ein akribisches Leben
Predigttext: Epheser 5,15-21(Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
15 So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, 16 und kauft die Zeit aus; denn es ist böse Zeit. 17 Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist. 18 Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern lasst euch vom Geist erfüllen. 19 Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen 20 und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus. 21 Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi.Hinführung zum Predigttext
Exegetische Stichworte
Viele exegetische Beobachtungen sprechen dafür: Der Epheserbrief entstand in einer Zeit, in der die ersten christlichen Gemeinden bereits auf eine längere Tradition zurückblickten (vgl. 2,20). Theologische Gedanken des Paulus scheinen eher stichwortartig aufgenommen und zum Teil neu gefasst zu sein. Das Welt- und Kirchenbild des Epheserbriefes weicht in zentralen Aussagen von dem ab, was wir beispielsweise im Römer- oder in den Korintherbriefen lesen. In der Gemeinde des Epheserbriefes scheint der Prozess der „Traditionalisierung“ schon relativ weit fortgeschritten zu sein. Probleme des Zusammenlebens innerhalb der Gemeinde sowie die Abgrenzung zur „Welt draußen“ stehen im Vordergrund. So nimmt es nicht Wunder, dass die Paränese einen großen Teil des Epheserbriefes einnimmt. Dabei basiert die „Paränese nicht (mehr) auf der Rechtfertigungslehrte, sondern auf der Zugehörigkeit der Christen zur Kirche.“ (Zur Exegese: H. Conzelmann/A. Lindemann, Arbeitsbuch zum Neuen Testament, UTB 52, 4. Auflage 1978, S. 231ff; 14. Auflage 2004). Wir stehen mit unserer landes- und volkskirchlichen Gemeindesituation mit ihrer langen Geschichte und Tradition den Themen und Herausforderungen des Epheserbriefes nah: Nicht die noch ganz neue und Menschen überwältigende christliche Verkündigung steht im Vordergrund. Das Hauptthema scheint zu sein: Wie können wir als Christen in einer Welt leben, die uns feindlich gesonnen ist, und wie können wir das Zusammenleben in der Gemeinde gestalten, in der sich schon viel an Gewohnheit, vielleicht auch an Langeweile und Müßiggang eingeschlichen hat. Beide Blickwinkel und Herausforderungen sind uns vertraut. Dennoch verspüren wir ein Unbehagen, wenn sie unvermittelt auf unsere Gegenwart angewendet werden. Da ist zum einen die Qualifizierung der „Umwelt“ als „böse“ Welt (vgl. „böse Zeit“, Eph. 5, 16). Sie ist im volkskirchlichen Kontext theologisch zwar stark zurückgenommen. Aber in konkreten Gesprächen begegnet doch immer wieder diese dualistische Vorstellung: Hier die heile Welt der Gläubigen – dort die vom wahren Glauben abgefallene Welt (oder in ganz säkularer und banaler Sprache: Wie schlecht die heutige Welt, die Jugend usw. sei). Zum anderen: Die Frage nach der richtigen Gestaltung des Gemeindelebens drängt auf Ethik und Moral. Die Gefahr zu großer Nähe zu moralinsauren Rezepten richtigen Verhaltens ist im Epheserbrief ebenso wenig gebannt wie in unseren gegenwärtigen Diskussionen, und wo da die Scheidelinie zu ziehen ist, kann kaum ausgemacht werden und ist sehr subjektiv bestimmt.Überlegungen zur Predigt
Wie können diese mahnenden Worte aus dem Epheserbrief, die als Predigtwort ausgewählt sind, in eine Predigt in der Johanneskirche gefasst werden, in der vor allem Menschen mit einer geistigen Behinderung die Atmosphäre bestimmen: Mit ihrer Spontaneität und ihrem Lachen, mit ihrer Lebensfreude und ihrer offenen Art, auf Menschen zuzugehen, auch auf den Pfarrer mitten im Gottesdienst, wenn einem Bewohner unserer Einrichtung gerade eingefallen ist, dass er den Pfarrer bisher noch nicht persönlich begrüßt hatte? Dankbar nehme ich das „Rezept“ auf: Singt und spielt. Das muntert auf und ehrt Gott (V. 19). Denn unsere Gottesdienste sind wesentlich durch die musikalische Arbeit und Mitwirkung unseres Singkreises (10 Mitglieder; Mitarbeiterinnen, aber überwiegend Bewohnerinnen und Bewohner) und unserer Orffgruppe (etwa 50 Mitglieder; Bewohnerinnen und Bewohner mit zumeist mittlerer und schwerer Behinderung, oft nichtsprechend). Die Verpflichtung auf eine sorgfältige Lebensführung (V. 15) versuche ich in kritische Verbindung zu bringen mit der dualistischen Qualifizierung der Zeit (V.16: Kauft die Zeit aus; denn es ist böse Zeit). Dieses Beispiel in der Predigt legt sich mir deshalb nahe, weil ich im Gottesdienst eine Konfirmandengruppe aus einer entfernteren Gemeinde erwarte. Die Konfirmanden hospitieren am Tag zuvor auf einer Wohngruppe. Am Sonntag besuchen sie dann mit den Bewohnern den Gottesdienst.Lieder
"So jemand spricht: 'Ich liebe Gott', und haßt doch seine Brüder" (EG 412, nimmt den Wochenspruch 1.Johannes 4,21 auf), zum Thema „Lobgesang“: „Dich, Gott, will ich erheben, mein Loblied preise dich“ (nach Psalm 145; Text: Eugen Eckert, Musik: Peter Reulein, in: Eugen Eckert, Gott ist mein Lied, ist meine Macht, München 1996, S. 85)Eingangs-/Bußgebet
Lieber Gott, der du uns wie Vater und Mutter im Himmel bist, wir kommen zu dir und bringen mit, was unser Leben ausmacht: Wir bringen das Schöne und Helle unseres Lebens mit, all das, was uns Freude macht und uns gelungen ist. Wir bringen mit die Erinnerungen an schöne Begegnungen und gute Gespräche, an erholsame Stunden und glückliche Momente. Wir bringen aber auch mit, was uns belastet, unseren Kummer und unsere Sorgen. Wir bringen mit, was wir anderen schuldig geblieben sind, und die Fehler, die wir begangen haben. Lieber Gott, mit allem, was unser Leben ausmacht, kommen wir zu dir. Sieh uns gnädig an. Lass uns an dem Schönen und Guten uns erfreuen und gib uns Kraft, das Gute zu tun. (Gemeinde:) Amen.Fürbittgebet
Gott, deinen Namen will ich singen, dir entspringt mein Leben. Aus deiner Schöpfung schöpfe ich, schöpfe meine Kraft. In deiner Sonne blühe ich, in deinem Boden wurzle ich, aus dir ziehn meine Sinne Saft. Deine Farben färben mich, deine Schatten schlagen mich, dein langer Atem schafft mir Luft. In deine Nacht verkriech ich mich, ruhe aus und träume. Dein Morgen weckt mich auf, spannt meinen Willen an; dein Wille setzt voraus, ich setze nach – und tue, was ich kann. Dein Abendrot führt mich in Weiten, ich ahne meine Zeit; die Dunkelheit führt mir beizeiten dein Amen vor: die Unbekannte Ewigkeit. Gott, deinen Namen will ich singen. Und dann zu guter Letzt versteck den meinen in deinem großem, weiten Kleid. (Gemeinde:) Amen. (Aus: Geborgen im Lauf der Zeit, hg. v. Christian Zippert, Gütersloh 1992, S. 225)Predigt
Liebe Gemeinde!
Singen und Musizieren baut auf
Das müssen wir uns hier in unserer Johanneskirche nicht zweimal sagen lassen: „Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen!“ Wir würden es mit etwas anderen Worten ausdrücken. Aber mit vollem Herzen und freudigem Gemüt können wir dem Paulus des Epheserbriefes über bald zweitausend Jahre zurufen: Ja, das hilft. Ja, das baut auf. Ja, das macht Freude und gibt Mut. Ja, das tröstet und gibt Kraft fürs Leben: Das Singen und Musizieren sonntagmorgens wie heute, hier in der Kirche; bei den Proben montags, bei den vielen freudigen und manchmal traurigen Ereignissen in unseren Johannes-Anstalten und bei der Mitgestaltung von Festen und Gottesdiensten in den Gemeinden in und um Mosbach herum. Ja, das erleben wir immer wieder aufs Neue! Das ist auch unsere Erfahrung: Musik hören und Musik machen, das baut auf, weckt Lebensfreude.
Was wären unsere Gottesdienste ohne die Musik
Was wären unsere Gottesdienste ohne die Musik – ohne Ihre Musik! Herr B. am Keyboard, am Mikrofon, mit den Füßen an der Schelle, mit dem Ohr am Singkreis und bei der Orffgruppe, mit der Aufmerksamkeit ganz bei der geistlichen Musik. Was wären unsere Gottesdienste ohne Sie, die Sängerinnen und Sänger des Singkreises: Immer und immer wieder üben Sie Ihre Lieder. Die Mikrofone in der Hand, das Notenblatt vor Augen, mit großer Aufmerksamkeit bei dem, was Ihnen Herr B. an Hinweisen gibt, und bei den Noten und Worten der Lieder: „Bleib, Engel bleib“ oder „Dich, Gott, will ich erheben, mein Loblied preise dich“ und vielen, vielen anderen Liedern. Und schließlich: Was wären unsere Gottesdienste ohne Sie, die große Schar unserer treuen Musikerinnen und Musiker unserer Orffgruppe: Mit Ihren Rasseln und Zimbeln, Schellen und Klanghölzern, Trommeln und Maracas. Sie stimmen in den Rhythmus der Lieder ein, noch bevor Sie Ihren Einsatz haben. An Ihren leuchtenden Augen und ihrer gespannten Körperhaltung ist abzulesen: Das ist etwas ganz Großartiges, in das musikalische Lob Gottes einzustimmen. Manchmal hat Herr Bechtold sogar Mühe, Ihre Begeisterung zu bremsen. Am liebsten würden Sie vom ersten bis zum letzten Takt des Liedes, ja, von der Begrüßung bis zum letzten Amen Ihre Instrumente in Bewegung halten.
„Ermuntert einander – singt und spielt dem Herrn!“: Wie gesagt: Das müssen wir uns hier nicht zweimal sagen lassen! Ihr Konfirmanden aus Möckmühl seid heute Morgen schon gar nicht mehr darüber überrascht, wie fröhlich und unkompliziert es bei uns hier in der Johanneskirche zugeht – Ihr würdet vielleicht sagen: wie locker es zugeht. Ihr ward schon gestern Nachmittag bei uns zu Besuch. Frau G. und Frau K. haben für Euch einen Besuch auf einer Wohngruppe organisiert. Danach habt Ihr mit Bewohnerinnen und Bewohnern hier nebenan im Gemeinderaum Kaffee getrunken und den von Euch oder Euren Müttern oder Vätern gebackenen Kuchen gegessen. Ich war nicht dabei. Aber ich bin mir sicher: Auch da ging es ganz locker und fröhlich zu, so, als wärt Ihr schon oftmals da gewesen und als ob Ihr und unsere Bewohner sich schon lange kennen würden.
Nicht einfach in den Tag hineinleben
Aber in eine nur heile Welt seid Ihr natürlich bei uns in den Johannes-Anstalten auch nicht gekommen – wobei das auf den ersten Blick natürlich schon erstaunlich genug ist: Wie fröhlich und freundlich es an einem Ort zugeht, an dem so viele Menschen leben, die so sichtbar und erkennbar eine Behinderung haben. Natürlich gibt es das auch bei uns: Streit und Eifersucht. Dass die eine die andere ärgert. Dass Tränen fließen. Auch dass der eine vor dem anderen Angst hat. Da geht es bei uns nicht anders zu, wie vor vielen hundert Jahren in Ephesus. Sehr eindringliche Worte schreibt der Apostel an die Gemeinde in Ephesus. Wir können daraus schließen: Da gab es mächtig Probleme. Vom Weinsaufen ist die Rede, von böser Zeit, von unweisen, d.h. unklugen und unverständigen Leuten. Dagegen setzt der Apostel: Achtet sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt; kauft die Zeit aus. Was könnte der Apostel damit meinen? Ich verstehe ihn so: Schlagt die Zeit nicht einfach tot. Dröhnt euch den Kopf nicht mit Alkohol voll (heute würden und müssen wir ergänzen:) oder mit Drogen. Lebt nicht einfach in den Tag hinein; lasst euch nicht von allen möglichen geistlosen Angeboten der Unterhaltungsindustrie, der Medien und des Internets vom Leben ablenken und in eine Scheinwelt führen. Lebt sorgfältig – im griechischen Text steht da ein Wort, das wir auch ohne Griechischkenntnisse verstehen: Lebt akribisch.
Christliches Leben gestalten
Der Apostel macht den Leuten in Ephesus einen ganz konkreten Vorschlag: Sie sollen singen und musizieren. Das muntert auf und ehrt Gott. Wie zeitlos wahr dieser Vorschlag ist. Wie deutlich wir bei uns seine Wahrheit erfahren. Wie kann ein sorgfältig geführtes Leben aussehen? Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Kommen wir wieder zu unseren Bewohnerinnen und Bewohnern zurück: Sie können uns da gute Lehrerinnen und Lehrer sein: Auch aufgrund ihrer geistigen Behinderung können sie sich in der Regel nicht verstellen. Sie können keine Rolle spielen und dem Gegenüber etwas vormachen. Sie zeigen ihre Gefühle und Empfindungen ganz unverstellt und direkt. Wenn sie traurig sind, zeigen sie ihre Trauer. Wenn sie fröhlich sind, lachen sie. Wenn sie jemanden mögen, gehen sie auf ihn zu. Ehrlich und offen, freundlich und fröhlich miteinander umgehen – das könnte auch so eine Regel des akribischen, des sorgfältigen Lebens sein.
Oder, wenn ich jetzt an Jugendliche meiner Kirchengemeinde denke, wo ich wohne: Da gibt es eine Gruppe konfirmierter Jugendlichen, die einmal im Monat im Gemeindehaus ein offenes Angebot für Familien mit Kindern macht. In der Regel kommen da hundert Menschen zusammen. Für sie wird ein Programm vorbereitet, mal ein Film gezeigt, mal ein Spendenprojekt des Gustav-Adolf-Werkes vorgestellt, mal eine Modenschau organisiert. Und immer gibt es eine köstliche Bewirtung, und der Raum ist schön hergerichtet. Das geht nur mit einer guten und konzentrierten Vorbereitung und mit großem Arbeitseifer und Einsatz bei der Durchführung.
Immer wieder höre ich, wie die Jugendliche auch über dieses konkrete Projekt füreinander da sind: Wenn die Ehe der Eltern eines Jugendlichen gescheitert ist. Oder wenn die Nachricht von der schweren Erkrankung des Vaters einer Jugendlichen von den anderen mitgetragen wird. Gewiss haben wir bei uns hier in den Johannes-Anstalten keine paradiesischen Zustände. Bei den Jugendlichen, von denen ich erzählte, gibt es auch Konflikte und Eifersüchteleien. Die Ermahnung zu einem sorgfältigen Leben und zu einer geistvollen Nutzung der Zeit ist eine zeitlose Notwendigkeit.
Es ist schön, dass wir bei Jugendlichen, und gewiss nicht nur in meiner Ortsgemeinde, ablesen und erfahren können, wie ein Leben aussieht, das sorgfältig – akribisch – geführt wird und dass wir das Lob Gottes in unserer Johanneskirche in so vielfältiger musikalischer Gestalt vernehmen und darin einstimmen dürfen.
Amen.