In Stein gehauen

Gottes Gebote, Zeichen seines Bundes, sind Gabe und Auftrag, dass Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Liebe und Frieden in der Welt wachsen

Predigttext: 2.Mose 34,4-10
Kirche / Ort: Nünschweiler
Datum: 28.09.2008
Kirchenjahr: 19. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Anke A. Rheinheimer

Predigttext: 2.Mose 34,4-10(Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

(4) Und Mose hieb zwei steinerne Tafeln zu, wie die ersten waren, und stand am Morgen früh auf und stieg auf den Berg Sinai, wie ihm der HERR geboten hatte, und nahm die zwei steinernen Tafeln in seine Hand. (5) Da kam der HERR hernieder in einer Wolke, und Mose trat daselbst zu ihm und rief den Namen des HERRN an. (6) Und der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber, und er rief aus: HERR, HERR, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, (7) der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft läßt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied! (8) Und Mose neigte sich eilends zur Erde und betete an (9) und sprach: Hab ich, HERR, Gnade vor deinen Augen gefunden, so gehe der Herr in unserer Mitte, denn es ist ein halsstarriges Volk; und vergib uns unsere Missetat und Sünde und laß uns dein Erbbesitz sein. (10) Und der HERR sprach: Siehe, ich will einen Bund schließen: Vor deinem ganzen Volk will ich Wunder tun, wie sie nicht geschehen sind in allen Landen und unter allen Völkern, und das ganze Volk, in dessen Mitte du bist, soll des HERRN Werk sehen; denn wunderbar wird sein, was ich an dir tun werde.

Exegetische und homiletische Vorbemerkungen

Die Kapitel Ex 32-34 erzählen auf dramatische Weise, wie sich das Volk Israel auf seinem Weg in die Freiheit aus der Bindung an Gott lösen und im „Tanz um das goldene Kalb“ einen sichtbaren Ersatzgott schaffen will. Aber durch die Fürbitte des Mose wird der Zorn Gottes gestillt und der Bund durch Gottes freien Gnadenwillen erneuert. Der Predigttext Ex 34,4-10 wirft urmenschliche Fragen auf: die Frage nach Schuld und Vergebung, Abfall und Annahme, Versagen und Versöhnung. Sie stellt uns als Predigthörende heute vor die Frage: Wie gehen wir mit den Fehlern um, die wir als Menschen machen, wie mit unserer Schuld? Die Sätze über Gottes Zorn im Predigttext sollen mit den Sätzen über Gottes Gnade und Barmherzigkeit zusammengehört werden. Die Predigthörenden sollen eingeladen und ermuntert werden, über Erfahrungen von Gottes Gnade und Vergebung, über erlebte, gnadenhafte Momente in ihrem Leben nachzudenken und sie als wunderbare Erweise von Gottes Barmherzigkeit dankbar anzunehmen. Gottes Barmherzigkeit ist größer und wunderbarer als unser menschliches Verstehen und Begreifen, und sie umfängt auch unsere menschliche Schuld und unsere Fehler.

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Predigt

Liebe Gemeinde!

Mittlerfigur

Da verhandelt einer mit Gott. Eine Mittlerfigur – diplomatisch vermittelnd zwischen Gott und dem Volk. Und das mit Nachdruck und dem Einsatz seiner ganzen Person und mit großem persönlichem Sendungsbewusstsein, trotz allem. Denn schon einmal war seine Vermittlungsmission schief gegangen. Während er im Gespräch mit Gott war, oben auf dem Berg Sinai, hatte sich das Volk ein goldenes Stierbild gegossen; dieses war ja soviel einfacher anzubeten als ein unsichtbarer Gott. An diesem Faktum des Abfalls von Gott gibt es nichts zu beschönigen. Mose sagt es dem Volk auf den Kopf zu: „Ihr habt eine große Sünde getan“ (2.Mose 32,30). Trotzdem ist er bereit, sich noch einmal vermittelnd zwischen Gott und das Volk zu stellen und um Vergebung zu bitten.

Es ist gewiss kein leichter Job, den Mose sich in dieser schwierigen Situation seines Volkes zumutet. Unter dem Einsatz seiner ganzen Person versucht er, dessen Ungehorsam auszugleichen, seine Fehler wieder zurecht zubringen. Er präsentiert Gott nicht seine ganz private Unschuld, sein Unbeteiligtsein am „Tanz um das goldene Kalb“, sondern stellt sich in die Selbstanklage seines Volkes mit hinein und bittet: „Vergib uns unsere Missetat und Sünde und lass uns dein Erbbesitz sein.“ (V.9).

Bittgang

Es ist wie eine Bittliturgie in verschiedenen Schritten, die uns in dieser anrührenden Szene zwischen Gott und Mose im Buch Exodus geschildert wird. Ein Bittgang, der früh am Morgen beginnt, als Mose, die beiden neuen, steinernen Ersatztafeln in der Hand, noch einmal auf den Berg Sinai hinaufsteigt. Der Berg der ersten Gebotsverkündigung, der Willenskundgebung Gottes, ist der Ort, an dem Mose für das Volk jetzt, nach dem Bruch des Bundes, unter dem Einsatz seiner ganzen Person um Erbarmen bittet. Die Erfahrung des Versagens seines Volkes steht ihm ins Gesicht geschrieben. Was nun? Mose steht da, er hat die beiden neuen, steinernen Tafeln in der Hand und ruft zu Gott – kindlich vertrauend, hoffend, flehend.

Mose setzt auf die Gnade Gottes, seine Barmherzigkeit, die größer ist als sein Zorn. Mose appelliert inständig an Gottes Treue und an seine Vergebungsbereitschaft. Mit ganzer Kraft setzt er sich für sein Volk ein. Mose weiß: Vergebung und Versöhnung kann nur von Gott ausgehen. Er versucht nicht, das Volk zu entschuldigen, sondern bekennt die Halsstarrigkeit seines Volkes. Mose stellt sich an die Seite seines Volkes, auch und gerade, als es versagt. Mose appelliert an die ganz besondere Verbundenheit Gottes mit seinem Volk – von Gottes Seite besteht sie fest, aber vom Volk wurde sie leichtfertig in Frage gestellt, es fällt vom lebendigen Gott ab und tanzt um ein Götzenbild.

Woher kommt die Hoffnung des Mose? Es kommt aus seiner Erfahrung. Mose hat die Gnade Gottes an sich selbst erlebt, er hielt an Gott fest, von dem er sich gehalten wusste, weil Gott Mose zugesagt hatte: „Denn du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen.“ (2.Mose 33,17).

Aus selbst erfahrener Gnade erwächst bei Mose der Mut zur Bitte um Vergebung für sein Volk. Für Mose ist klar: Es kann und es darf so nicht enden nach diesem langen Weg in die Freiheit, den das Volk mit Gott bis hierher zurückgelegt hat. Für Mose geht es in diesem Bittgebet um alles, um die Bindung an Gott, um Gottes Mitsein, von dem für ihn alles abhängt. Zur Erde geneigt und im inständigen Gebet spricht er Gott auf diese Bindung hin an, flehend, hoffend, voller Zutrauen. Im Rücken ein halsstarriges Volk, aber vor sich die Güte Gottes, verhüllt, wie in einer Wolke zwar, aber sich selbst erklärend: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich“ (2.Mose 33,19).

Schuld und Vergebung

Schuld und Vergebung, Versagen und Versöhnung, Abfall und Annahme, Bruch und neuer Bund, die Fehler von uns Menschen und die Gnade Gottes – das sind die Themen, die uns unser heutiger Predigttext aus dem Zweiten Mosebuch, wie eben umschrieben, vorgibt. Schwere Themen sind das, nicht leicht zu hören und zu verdauen, weil sie mit unversöhnlichen Zornessätzen verbunden sind wie diesem: „aber ungestraft lässt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied.“ (V. 7). Aber sie sind auch mit überaus versöhnlichen, wunderbaren Gnadensätzen verbunden wie diesem: „Vor deinem ganzen Volk will ich Wunder tun, … und das ganze Volk, in dessen Mitte du bist, soll des Herrn Werk sehen; denn wunderbar wird sein, was ich an dir tun werde“.

Es ist wunderbar und unbegreiflich, dass am Ende die Gnade steht. Unverdiente Gnade, geduldige Barmherzigkeit, die sogar im größten Versagen noch bestehen bleibt. Es ist eine Gnade, die eine Verpflichtung nach sich zieht; eine Gnade, die angeeignet und ins Leben des Volkes Gottes gezogen sein will, wovon uns die folgenden Kapitel im Zweiten Buch Mose eine Menge zu erzählen haben.

Schuld und Vergebung, Versagen und Versöhnung, Abfall und Annahme, Bruch und neue Bindung – wie ist das mit uns Menschen und unserem Versagen? Wie gehen wir mit unseren Fehlern um? Können wir sie wie Mose bekennen? Wagen wir ein offenes Bekenntnis oder rechtfertigen wir unser Fehlverhalten? Unangenehme Fragen, die unser Predigttext aufwirft. Aber das ist die Lebensrealität, die wir und in der wir leben: immer wieder schuldig zu werden – aneinander, auch an Gott, und manchmal betrügen wir sogar uns selber. Wir fallen von dem ab, was wir uns einst vorgenommen haben, was wir vielleicht sogar versprochen haben. Wir versagen und werden der Liebe nicht gerecht, die wir uns selber, unseren Nächsten und Gott schuldig sind. Wir drehen uns in unserem Leben mehr um unsere selbst gegossenen Kälber als dass sich unser Leben um ein sinnerfülltes Miteinander im Licht der Liebe Gottes dreht. Wir brechen mit dem, was uns an Gott und unsere Nächsten bindet, und laufen vor unseren Aufgaben weg. Wir geben den Weg der Freiheit auf, weil er manchmal steinig ist, und tauschen dafür wertlosen, kurzfristigen Spaß ein, der uns mit einem goldenen Glanz blendet, der doch keinen Bestand hat und nur oberflächlich ist.

Vergebungsbedürftig

Die Geschichte von unserer menschlichen Schuld und der Vergebung, ist darum eine Geschichte, die immer wieder neu geschrieben wird, vom Beginn der menschlichen Geschichte bis heute. Wir bedürfen der Vergebung, immer wieder, weil wir fehlbare und verführbare Menschen sind. Keiner von uns ist frei davon, Fehler zu machen. Wir werden schuldig aneinander, auch als Christinnen und Christen. Immer aufs neue bedürfen wir darum der Vergebung – im Vaterunser heißt es: „Und vergib uns unserer Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Im Gespräch über das Vaterunser innerhalb einer Ausbildungsgruppe für das Lektorenamt war das die Bitte, über die am ausführlichsten diskutiert und um die am intensivsten gerungen wurde. Weil Menschen, die dafür sensibel sind, sich als vergebungsbedürftig erfahren, immer wieder. Auch darum, weil wir im Glauben an Gott wissen, von wem wir Vergebung erbitten dürfen. Nicht als Selbstverständlichkeit, nicht in einer Art von Automatismus, nicht als billige Gnade, sondern im vollen Bewusstsein, dass Vergebung gnadenhalber aus dem Willen Gottes fließt und zugleich eine Verpflichtung beinhaltet: „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“

Momente der Gnade

Vergebung und erfahrene Gnade gehören zum Großartigsten, was wir Menschen im Leben erleben dürfen. Es sind Momente der Gnade, die wir ganz intensiv und wach in uns aufnehmen und die in uns ein Gefühl tiefer Dankbarkeit wecken. Gottes Gnade ist reich, reicher als wir manchmal glauben und annehmen können. Wohl dem Menschen, der solche Gnadenmomente, Erfahrungen geschenkter Gnade hat machen dürfen: wieder in den Frieden geführt werden, wo Angst und furchtsame Erwartung geherrscht hat; neues Glück zu finden, wo altes zerbrochen ist; Sicherheit wiedergefunden haben, wo die blanke Zukunftsangst alles absorbiert hatte; Versöhnung zu erleben, wo Zwietracht geherrscht hat; Hilfe und Stärkung zu erfahren, wo Überforderung war; Vergebung zu erleben, wo Schuld uns niedergedrückt hat. Erfahrungen von Gnade sind manchmal schwer beschreibbar. Sie berühren uns tief in unserer Seele, auf wunderbare Weise, so dass wir ganz tief in uns drin nachfühlen, nachspüren können und anklingt, was gemeint ist, wenn Gott sagt: „denn wunderbar wird sein, was ich an dir tun werde“ (V. 10).

Wir dürfen Anteil an Gottes Barmherzigkeit und Gnade haben, an seiner Geduld und Treue –immer aufs Neue, sogar inmitten unseres größten Versagens. Die Zornessätze unseres Predigttextes sollen wir wohl hören; den Zorn Gottes über unsere menschliche Schuld müssen wir uns sagen lassen, um wieder zurechtzukommen; nichts davon dürfen wir weglassen. Aber das Andere dürfen wir eben auch hören und bewahren: die Gnadensätze, die Gott für uns bereithält, die Zusage unverdienter Gnade und Barmherzigkeit, die alles menschliche Aufrechnen übersteigt. Nicht Schuld und Sühne, sondern Schuld und Vergebung. Mit Worten aus Psalm 103 ausgedrückt: „Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte…“ (Psalm 103,8-13). Oder mit einer Strophe eines neueren Liedes aus unserem Gesangbuch, das die Linie der Vergebung noch ein Stück weiter, ins Neue Testament, auszieht: „Vergiss nicht zu danken dem ewigen Herrn; er hat dir viel Gutes getan. Bedenke in Jesus vergibt er dir gern, du kannst ihm so wie du bist nahn.. Barmherzig, geduldig und gnädig ist er, viel mehr als ein Vater es kann. Er warf unsre Sünden ins äußerste Meer. Kommt betet den Ewigen an“ (EG 618,1, RegionalteilBaden, Elsass und Lothringen, Pfalz).

Amen.

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