Das Ende ist nicht das Ende
Hinter dem großen Strom der Vergänglichkeit taucht ein anderes Ufer auf - Jedes Licht, das aufleuchten wird, ist ein Zeichen des Wartens auf Gottes neuen Himmel und seine neue Erde
Predigttext: 2 Petrus 3,3-13 (eigene Übersetzung Michael Glöckner)
(3) Ihr sollt vor allem dies wissen: In den letzten Tagen werden Spötter kommen mit Spott, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln (4) und sagen: „Wo ist die Verheißung seiner Ankunft? Denn seitdem die Väter gestorben sind, bleibt alles wie vom Beginn der Schöpfung an.“ (5) Ihnen, die das wahrhaben möchten, ist nämlich verborgen, dass seit langer Zeit [die] Himmel waren und eine Erde. Aus Wasser und durch Wasser hatten sie Bestand durch das Wort Gottes. (6) Dennoch ging die einstige Welt zugrunde, überflutet durch Wasser. (7) Die jetzigen Himmel aber und die [jetzige] Erde sind durch dasselbe Wort aufbehalten für das Feuer, bewahrt für den Tag des Gerichts und des Verderbens der gottlosen Menschen. (8) Dieses eine aber, ihr Geliebten, soll euch nicht verborgen bleiben: Ein Tag beim Herrn ist wie tausend Jahre und tausend Jahre sind wie ein Tag. (9) Nicht verspätet sich der Herr der Verheißung, wie einige es für Verspätung halten. Aber voller Langmut ist er euch gegenüber und will nicht, dass einige zugrunde gehen, sondern alle zur Umkehr gelangen. (10) Der Tag des Herrn aber wird kommen wie ein Dieb. An ihm werden die Himmel mit rauschender Geschwindigkeit vergehen. Die Himmelskörper werden sich von Glut verzehrt auflösen. Die Erde und die Werke auf ihr werden offen gelegt werden. (11) Weil dieses alles sich so auflösen wird – wie müsst ihr dann dastehen in heiligem Wandel und Frömmigkeit, (12) die Ankunft des Gottestages erwartend und beschleunigend, um dessentwillen sich die Himmel im Feuer auflösen und die Himmelskörper brennend zerschmelzen?! (13) Denn neue Himmel und eine neue Erde erwarten wir entsprechend seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.Exegetische und homiletische Weichenstellungen
Das gottesdienstliche Thema am Letzten Sonntag des Kirchenjahres (Totensonntag/ Ewigkeitssonntag) ist die christliche „Hoffnung, die kein Ende hat“ (Agende I. Die Gottesdienste an Sonn- und Feiertagen, hrsg. vom Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel 1996, 457) Sie als Gottes Zuspruch, verbunden mit dem Anspruch der Wachsamkeit zu verkündigen, ist die Predigtaufgabe für den 23. November 2008. In vielen Kirchengemeinden werden vor dem Glaubensbekenntnis oder dem Fürbittengebet die Namen der seit dem letzten Ewigkeitssonntag Verstorbenen vorgelesen. Zu ihrem Gedenken zünden mancherorts Kirchenvorstandsmitglieder oder Konfirmanden zeichenhaft Kerzen an. Die Namenslese wird durch den Taize´-Gesang „Meine Hoffnung und meine Freude“ unterbrochen. Viele der Angehörigen sind im Gottesdienst am Ewigkeitssonntag anwesend. Nicht alle gehören zu den regelmäßigen Gottesdienstbesuchern. Die Hinterbliebenen erwarten von Gottesdienst und Predigt insbesondere Worte des Zuspruchs und Trostes. Oftmals wird das Heilige Abendmahl gefeiert. Wochenspruch (Lk 12,35), Evangelium (Mt 25,1-13) und Wochenlied (EG 147) betonen den Anspruch der Wachsamkeit im Blick auf Christus als den wiederkommenden Weltenrichter. Andere Lesungen stellen das zukünftige Leben in der Gottesgemeinschaft farbenfroh in den Vordergrund (vgl. Jes 65,17-19; Offb 21,1-17). Das der Predigt zugrunde liegende Bibelwort 2 Petr 3,3-13 verbindet beide Themen so miteinander, dass neben die Furcht erregenden Bilder von der Endzeit die Gewissheit eines neuen Himmels und einer neuen Erde, erfüllt von Gottes Gerechtigkeit, gestellt wird (vgl. A. Heidrich: Letzter Sonntag des Kirchenjahres (Ewigkeitssonntag): Freude-Zweifel-Trauer, in: Der Gottesdienst im christlich-jüdischen Dialog, hrsg. im Auftrag des Zentralvereins für Begegnung von Christen und Juden und von BCJ. Bayern von Alexander Deeg, Gütersloh 2003, 225). II. Der zweite Petrusbrief beansprucht zwar, das Testament des Simon Petrus zu sein (1,1.13-15), doch sprechen verschiedene exegetische Beobachtungen gegen dessen Historizität, so dass seine Abfassung nicht vor dem beginnenden zweiten nachchristlichen Jahrhundert anzusetzen ist (vgl. U. Schnelle: Einleitung in das Neue Testament, 3.Aufl., Göttingen 1999, 438f.). Adressaten sind wohl die in 1Petr 1,1 erwähnten Christengemeinden in Kleinasien. Legt man der Gliederung des Schreibens den klassischen Briefaufbau zugrunde, bildet 2Petr 3,3-13 den Abschluss des Briefkorpus (2Petr 1,12-3,13). Mit 2 Petr 3,14 beginnt dann die Schlussparänese (vgl. U. Schnelle, a.a.O., 440). III. Vier Abschnitte zeichnet die Einheit 2Petr 3,1-13, deren Intention darin besteht, Einwände gegen Christi Parusie zu widerlegen (vgl. A. Vögtle [EKK XXII], 209ff.). Solche Polemik wurde von Irrlehrern vorgetragen, vielleicht waren sie oder Sympathisanten unter den eigenen Glaubensgeschwistern. Der Verfasser lässt die Parusiespötter zunächst selbst zu Wort kommen. (V 4) Im Anschluss widerlegt er deren Einwand des permanenten Weltlaufs unter Verweis auf die einstige wie die erwartete Weltvernichtung (Vv 5-7), um so dem Einwand der Nichterfüllung der Parusieverheißung argumentativ entgegenzutreten. (Vv8-10) Der Abschnitt endet mit der „paränetischen Ausrichtung der Adressaten auf Gericht und Endheil“ (A. Vögtle, a.a.O., 239). (Vv 11-13) IV. In 2Petr 3,3-14 werden „vier Glockentöne, [...] zu einem mächtigen Geläute“ vereinigt, hörbar. So fasst Wilhelm Stählin sein Auredit im Blick auf den Briefabschnitt zusammen (Predigthilfen. Band II: Episteln, Kassel 1959, 424ff.). In Vorbereitung der Predigt habe ich davon profitiert, darum paraphrasiere ich Stählins Argumentation hier in aller Kürze. Sie ist begründet in der christlichen Erwartung eines neuen Himmels und einer neuen Erde: Das Ende der Welt gehört zu den „notwendigen Aussagen, sobald Gott wirklich ernst genommen wird“. Unsere Welt ist nicht immer da gewesen, sie wird auch nicht immer fortbestehen. Wie sie ihren Anfang durch Gottes Schöpfungswort gefunden hat, wird sie am Ende vernichtet werden. Die Änderung der Welt zum Ende hin ist der Verkündigung Jesu gemäß die „fortschreitende Verschärfung der Gegensätze, das Anwachsen der Bosheit und des Christushasses und die Vorzeichen einer hereinbrechenden Katastrophe“. „Das Ende ist nicht das Ende. Hinter dem großen Strom der Vergänglichkeit taucht ein anderes Ufer auf, das wir uns nicht im einzelnen vorstellen können; es ist wirklich das Ufer, auf dem unsere Füße noch nicht stehen.“ Wie nun sich verhalten? „Wartet und eilet!“ (vgl. V 12) So zu leben schließt aus, sich „in der vergehenden Welt häuslich einzurichten“, andererseits aber auch so zu tun, als stünde das Ende schon vor der Tür und darum christliche Weltverantwortung aufzugeben. V. Auf die Verlesung der Verstorbenen kann mit dem Lied „Nun schreib ins Buch des Lebens“ (EG 207) geantwortet werden, als Predigtlied eignet sich „Wir warten dein, o Gottes Sohn“ (EG 152). Da in der Predigt darauf Bezug genommen wird, sollte zuvor das Wochenlied „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ (EG 147) gesungen werden.Predigt
Liebe Gemeinde!
Tor der Barmherzigkeit
Jerusalem ist eine Stadt der vielen Tore. Nicht erst das himmlische Jerusalem, von dessen Schönheit das Lied Philipp Nicolais schwärmt, in enger Anlehnung an die großartigen Bilder von Johannes, dem Seher, in seiner Offenbarung. Bereits das irdische Jerusalem ist von acht Toren umgeben. Eins von ihnen ist das „Goldene Tor“. Es steht an der Ostseite des Tempelplatzes und führt unmittelbar auf den Tempelberg hinauf. Die Juden nennen es liebevoll „Tor der Barmherzigkeit“. Jüdischer Überlieferung zufolge ist es das Tor, durch das der Messias bei seiner Wiederkehr nach Jerusalem einziehen wird. Nachdem es im Jahr 70 durch die Römer mit der ganzen Stadt zerstört wurde, baute es Süleyman der Prächtige, türkischer Besatzer und Herrscher muslimischen Glaubens, im 16. Jahrhundert wieder auf. Doch er mauerte es sogleich zu, um den Einzug des Messias in die Gottesstadt zu verhindern. Zugemauert findet man es noch heute vor. Ein Durchkommen ist nicht möglich. Daran hat sich seitdem nichts geändert. Ob der Messias bei seiner Wiederkehr am jüngsten Tage auf andere Zustände treffen wird, mag man angesichts gegenwärtiger Auseinandersetzungen stark bezweifeln.
Die Endzeit und Ereignisse, die ihr vorausgehen, sind auch im Focus des Briefabschnitts, der unserer Predigt zugrunde liegt. Heute wollen wir den Blick auf die Verheißung unseres Gottes richten und darin finden, was uns zum Leben verhilft. Viele mussten in der zurückliegenden Zeit Leidvolles, Bedrückendes erfahren – haben einen Menschen verloren und vermissen nun seine Liebe. Schuld lastet auf manchen, die versäumt haben, was zu tun gewesen wäre: ungesagte Worte; unerfüllte Wünsche; Träume, die zerplatzt sind. Es bedarf manchmal eines starken Glaubens, sich in unserer Welt zurechtzufinden. Umso stärker stellt sich die Frage nach dem, was den Glauben in seinen Fundamenten ausmacht und worin unsere christliche Hoffnung besteht.
Neuer Himmel, neue Erde
Was dürfen wir hoffen – für die, die wir gehen lassen mussten, wie für unsere eigene Zukunft? Klar und präzise fällt die Antwort des Zweiten Petrusbriefes aus. Einen „neuen Himmel und eine neue Erde […], in denen Gerechtigkeit wohnt“, stellt uns Gottes Verheißung in Aussicht. Ein neuer Himmel und eine neue Erde – nicht einfach eine Umgestaltung des Bestehenden, kein Ausbessern lediglich an den Rändern, kein Profitieren nur Weniger. Wir gehen auf einen neuen Himmel zu und auf eine neue Erde. Das ist Gottes Verheißung für die Zukunft unserer Welt. Das wird geschehen, wenn der Messias wiederkommt aufzurichten die Lebenden und die Toten.
Wann das sein wird? „[…] wie ein Dieb“ kommt der Tag des Herrn: ohne vorherige Ankündigung, unerwartet, unverhofft. Darum ist es gut, wenn man vorbereitet ist. Doch es gibt Zeichen, die dem Wiederkommen unseres Herrn und Heilandes vorausgehen sollen. Spötter werden kommen. Sie stellen Gottes Verheißung infrage, verweisen auf die Glieder der Gemeinde, die bereits verstorben sind und den Kreislauf der Welt von Anfang an. Denn als das Schreiben verfasst wurde, waren die Christen gewiss, dass der Auferstandene schon vor der Tür stehen würde um bald wiederzukommen. Mit einer Kirchengeschichte von nunmehr fast 2000 Jahren hatte niemand gerechnet. Spötter, welche die Verheißung ins Lächerliche ziehen, hat es in diesem Zeitraum bereits immer wieder gegeben: von intellektuellem Hochmut philosophischer Diskurse bis hin zu primitiven Verleumdungen des christlichen Glaubens in manchem Stammtischgespräch. Die Spötter verweisen auf einen Weltlauf, der ohne Gottes Eingreifen funktioniert. Es „bleibt alles, wie es von Anfang der Schöpfung gewesen ist“. (V 4) Der große Kreislauf von Werden und Vergehen, von Geboren werden und Sterben. So dokumentieren die Spötter, was sie beobachten, und wollen die bedrängten Christen um ihren Glauben bringen.
Von einem zuverlässigen Fährmann angetrieben
Der Zweite Petrusbrief ermutigt uns jedoch, an der Verheißung von Gottes Wiederkommen festzuhalten. Denn würde das nicht sein, fehlte uns der Boden unter den Füßen, hätten wir keinen Grund zur Hoffnung. So verweist der Verfasser – wer es gewesen ist, bleibt im Dunkeln – er verweist auf Gottes Wort, das unsere Welt nicht nur ins Werden gebracht hat, sondern bis auf den Tag erhält. Das Wort, mit dem die Welt begonnen hat, wird auch die Welt an ihrem Ende zum Vergehen bringen, um eine neue Welt zu schaffen. Durch Gottes Wort „werden die Himmel zergehen mit großem Krachen; die Elemente […] vor Hitze schmelzen und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden ihr Urteil finden“. (V 10) Liebe Gemeinde, das alles sind Bilder, die Angst machen. Vielleicht kommen Ihnen bestimmte Naturkatastrophen in den Sinn oder politische Horrorszenarien wie das Geschehen des 11. September 2001 in New York. Wir müssen erleben, wie „alle Grundfesten der Erde“ ins Wanken geraten, auch wenn Gott „den Erdkreis gegründet [hat], dass er nicht wankt“. (Pss 82,5; 93,1) Doch wie unsere Welt einen klaren Anfang genommen hat, so läuft sie auf ein Ziel zu, nicht ohne vorgegebenen Kurs, sondern wird von einem zuverlässigen Fährmann angetrieben. Was am Ende passiert, widerspricht nicht der Verheißung unseres Gottes, sondern unsere Welt läuft ihr geradewegs entgegen: dem „neuen Himmel“ und der „neuen Erde […], in denen Gerechtigkeit wohnt“. (V 13)
Gottes Geduld
Wann sie sich erfüllt, die Verheißung, wird nicht gesagt. Den Zeitpunkt, wann der Herr seine Heilige Stadt wieder aufsuchen wird – keiner kennt ihn. Es hat im Laufe der Zeit zahlreiche Vorhersagen gegeben, erfüllt worden sind sie nicht. Wir warten auf ihr Eintreffen, doch es gilt, dass „ein Tag vor dem Herrn wie tausend Jahre ist und tausend Jahre wie ein Tag“. (V 8) Der Briefabschnitt stellt darum Gottes Geduld in den Mittelpunkt. Wir leben in unserer Welt mit der Gewissheit, dass Jesus Christus wiederkommen wird. Was immer auch geschieht, es liegt in seiner Fürsorge. Wie tief ein Mensch auch fallen kann, so doch nicht tiefer als in Gottes Hand. Wie stark Himmel und Erde aus den Fugen geraten mögen, Gottes neuer Himmel und Gottes neue Erde lassen sich nicht verdrängen.
Schlussfolgerungen
Wie also sich zu verhalten? Wie sollen wir leben – in dieser Erwartung? Unser Predigtwort empfiehlt: „[…] in heiligem Wandel und frommen Wesens, [….].“ (V 11) Zu sagen: „Ich warte auf Gottes neue Welt, und darum ist mir die Welt, in der ich lebe, egal!“, ist keine Schlussfolgerung, die man aus der Verheißung Gottes ziehen könnte. Wenn Gott am Ende der Zeiten alle Tränen von den Augen der Menschen abwischen wird, wer hindert uns, die wir in dieser Erwartung leben, dort ein Taschentuch zu reichen, wo scheinbar keine Hoffnung ist?! Wenn Gott am Ende der Zeiten einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen wird, wer hindert uns, die wir in dieser Erwartung leben, sorgsam mit der Schöpfung umzugehen – im Respekt vor allem Leben, das Gott geschaffen hat?! Denn eben darin könnten sich ein heiliger Wandel und ein frommes Wesen erweisen. Am nächsten Sonntag beginnt mit dem Ersten Advent wieder eine Zeit der vielen Lichter. Dann werden die Kinder der Kinderkirche Menschen in unserer Gemeinde besuchen, die das Haus nicht mehr verlassen können und mit einer Kerze den Advent in ihre Herzen bringen. Jedes Licht, das dann aufleuchten wird, ist ein Zeichen des Wartens auf Gottes neuen Himmel und seine neue Erde.
Amen.