Kein Mensch ist abgrundtief böse oder himmlisch gut

Wir können in der Nachfolge Jesu Christi dazu beitragen, dass Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Liebe und Frieden in unserer Welt wachsen

Predigttext: Jesaja 1,10-17
Kirche / Ort: Dossenheim
Datum: 19.11.2008
Kirchenjahr: Buß und Bettag
Autor/in: Pfarrer Manfred Billau

Predigttext: Jesaja 1, 10- 17 (Übersetzung Gute Nachricht - Die Bibel in heutigem Deutsch, 2. Auflage, Stuttgart 1982)

10 Hört, was der Herr sagt, ihr Machthaber von Sodom! Gehorcht den Geboten unseres Gottes, Volk von Gomorra! 11 „Was soll ich mit euren vielen Opfern?“ fragt der Herr. „Schafböcke, die ihr für mich verbrennt, und das Fett eurer Masttiere habe ich satt; das Blut von Stieren, Lämmern und Böcken mag ich nicht. 12 Wenn ihr zu meinem Tempel kommt, zertrampelt ihr nur meine Vorhöfe. Habe ich das verlangt? 13 Lasst eure nutzlosen Opfer, ich kann euren Weihrauch nicht mehr riechen! Ihr feiert den Neumond, den Sabbat und andere Feste; ich kann sie nicht ausstehen, solange ihr nicht von euren Verbrechen lasst. 14 Eure Neumondsfeiern und eure Feste hasse ich; sie sind mir lästig, ich kann sie nicht mehr ertragen. 15 Wenn ihr mir eure Hände entgegenstreckt und zu mir betet blicke ich weg. Und wenn ihr mich noch so sehr mit Bitten bestürmt, ich höre nicht darauf; denn an euren Händen klebt Blut! 16 Wascht euch, reinigt euch! Macht Schluss mit eurem üblen Treiben, hört auf, vor meinen Augen Unrecht zu tun! 17 Lernt Gutes tun, sorgt für Gerechtigkeit, haltet die Gewalttätigen in Schranken, helft den Waisen und Witwen zu ihrem Recht!“

Aus Kommentaren zum Predigttext

Otto Kaiser: „Jesaja wendet sich hier gegen eine Sinnverkehrung, von der aller menschliche Gottesdienst durch die Jahrtausende hindurch bedroht ist: Opfer, Gottesdienst und Gebet behalten ihren eigentlichen Sinn nur so lange, wie es den Menschen in ihnen wirklich um die Begegnung mit dem heiligen Gott geht. Will sich der Mensch mit ihnen vor Gott in Sicherheit bringen, so werden sie zur Gotteslästerung, das Opfer zum Mittel der Selbstrechtfertigung, die Feier zum Anlaß bloßer, gefühlsmäßiger Erhebung und das Gebet zum sinnlosen, feigen oder heuchlerischen Geplärr.“ (ATD 17, Göttingen 1960, S.12, vgl. 5.völlig neu bearb. Aufl. 1981) Nach Hans Wildberger ist Jes 1,10-17 „als Instruktion für eine bestimmte Situation, nicht als allgemeingültige Lehre über die Verwerflichkeit des Kultes zu verstehen“. „Bei den andern vorexilischen Propheten dürfte die Opferkritik grundsätzlich nicht anders zu verstehen sein, wenn auch bei Jesaja die Gezieltheit seines Wortes besonders klar zu konstatieren ist.“ Die Propheten „sahen ihre Aufgabe darin, eine tödliche Gefahr für den Glauben ihres Volkes abzuwehren: dessen Absinken zur bloßen Kultreligion, in welcher der Mensch meint, …. das Wohlwollen der Gottheit erzwingen …zu können…Jede Frömmigkeitsübung, vom offiziellen Gottesdienst bis zum persönlichsten Gebet, muß sich vom Standort der Propheten aus immer wieder neu nach ihrer Legitimität fragen lassen…Denn wo gibt es denn Kult, der in ungebrochenem Treueverhältnis zu Gott vollzogen wird…Die Radikalität der Opferkritik wie die Vertiefung der Gehorsamsforderung der Propheten überhaupt führt an Fragen hin, die erst jenseits des Alten Testaments ihre Antwort finden.“ (BK X/1, Neukirchen-Vluyn 1972, S.48f.) Aus einer Predigthilfe von Karl Barth in Verarbeitung eines voranstehenden Zitats aus der Institutio von J. Calvin (in: KD, Registerband, S.640): "Wie nötig der Glaube die Hoffnung hat, bedenke man im Blick auf die unzähligen Versuchungen, welche die, die sich an Gottes Wort halten möchten, bestürmen und erschüttern: an jenes Verziehn Gottes in der Erfüllung seiner Verheißungen, von dem Hab. 2,3 die Rede ist, an das Verbergen seines Angesichts, mit der er zu Zeiten auch die Seinen erschrecken kann, an die Spötter von 2.Petr. 3,4 mit ihrer Frage: wo bleibt sein Kommen? bleibt nicht alles beim alten? die uns ja auch unser eigenes Fleisch und die Welt um uns her zuflüstern will. Nur ein durch die Hoffnung gehaltener, in ihr zur contemplatio aeternitatis sich erhebender konzentrierter Glaube, dem es vor Augen steht, daß 1000 Jahre vor Gott wie ein Tag sind, wird gerade dieser Frage gewachsen sein..."

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Predigt

Liebe Gemeinde!

Die Botschaft Gottes durch den Mund des Propheten Jesaja ist über fast drei Jahrtausende hinweg höchst aktuell geblieben, denn die Menschen haben sich in ihrem Wesen seither nicht geändert. Der Prophet rief damals sein Volk auf:

Macht Schluss mit eurem üblen Treiben, hört auf, vor meinen Augen Unrecht zu tun!Lernt Gutes tun, sorgt für Gerechtigkeit, haltet die Gewalttätigen in Schranken…

Vielleicht fallen Ihnen bei diesen Worten verschiedene Szenarien ein. Mir kamen bei diesen Sätzen die Ereignisse vor 70 Jahren in den Sinn, als in der Reichspogromnacht die Geschäfte jüdischer Bürgerinnen und Bürger demoliert und geplündert wurden, 1.400 jüdische Gotteshäuser in Flammen aufgingen und jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger gejagt, verhaftet und ermordet wurden. Die Synagogen in Heidelberg, Ladenburg, Leutershausen in unserer Nachbarschaft wurden niedergebrannt, und es könnten auch Bürgerinnen und Bürger aus unserer Gemeinde Dossenheim bei den Brandstiftern gewesen sein. Unsere Gemeinde hatte keine Synagoge – möglicherweise wäre das Gotteshaus auch in Flammen aufgegangen. Wir wissen es nicht. Bis heute ist die alte Gefahr nicht gebannt.

Macht Schluss mit eurem üblen Treiben, hört auf, vor meinen Augen Unrecht zu tun! Lernt Gutes tun, sorgt für Gerechtigkeit, haltet die Gewalttätigen in Schranken…

70 Jahre ist lange her, und Deutschland hat schwer gebüßt für den Frevel an Gottes Volk. „Wer euch antastet, der tastetet meinen Augapfel an“, heißt es bei einem anderen biblischen Propheten (Sacharja 2,12).

Am vorigen Sonntag vor einer Woche, am 9. November, um 22 Uhr, haben zur Erinnerung und gegen das Vergessen die Glocken unserer Kirche wie auch die Glocken anderer Kirchen in unserem Kirchenbezirk für zehn Minuten geläutet. Kaum hatte das Läuten begonnen, klingelte im Pfarrhaus das Telefon. Jemand beschwerte sich über die Ruhestörung. Ich konnte bei dem Anrufer leider kein Verständnis für das Anliegen dieses besonderen Glockenläutens wecken. Wie aktuell ist doch die Mahnung Gottes aus dem Mund des Propheten Jesaja. Wir tun heute in Kirche und Gesellschaft gut daran, sie immer wieder neu zu hören und uns daran auszurichten.

Macht Schluss mit eurem üblen Treiben, hört auf, vor meinen Augen Unrecht zu tun! Lernt Gutes tun, sorgt für Gerechtigkeit, haltet die Gewalttätigen in Schranken.

Wenden wir uns von unserer deutschen Vergangenheit der Gegenwart zu, stehen uns viele Szenarien vor Augen, Menschen, die für übles Treiben und Unrecht stehen und dafür Verantwortung tragen. „Lernt Gutes tun“, fordert der Prophet auf, „sorgt für Gerechtigkeit, haltet die Gewalttätigen in Schranken, helft den Rechtlosen zu ihrem Recht!“ Gutes tun – das müssen wir lernen, es ist uns nicht angeboren. Gutes tun steht bei dem Propheten Jesaja in einem engen Zusammenhang mit Gerechtigkeit, dass das menschlichen Miteinander dadurch bestimmt ist, dass wir einander gerecht werden. Waisen und Witwen, die der Prophet nennt, waren in der damaligen Gesellschaft die Rechtlosen und Benachteiligten.

Mit dem Aufruf, die Gewalttätigen in Schranken zu halten, fordert der Prophet zur Zivilcourage auf. menschliches Leben lässt sich nicht in schwarz oder weiß, gut oder böse einteilen. Kein Mensch ist abgrundtief böse oder himmlisch gut. Christinnen und Christen wissen, dass sie von der Liebe und Barmherzigkeit Gottes leben. Liebe und Barmherzigkeit Gottes haben in Jesus Christus ein Gesicht. Jesus Christus hat sich nicht von üblem Treiben und von Gewalt überwinden lassen. Jesus Christus hat Gottes Liebe und Barmherzigkeit gelebt und ruft uns in die Nachfolge, damit die Liebe Gottes in unserer Welt Gestalt gewinnen. Jesus wusste, wie schwer es sein kann, Gutes zu tun, anderen Menschen gerecht werden und der Gewalt zu wehren. Er will uns heute durch ein Stückchen Brot und ein Schlückchen Saft helfen. „Das ganze Evangelium in einem Stückchen Brot?“ Unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden hatten im Konfirmandenunterricht die Aufgabe, herauszuarbeiten, was sie mit dem Stückchen Brot und dem Schlückchen Saft verbinden. Hier einige Gedanken unserer Jugendlichen:

Jesus Christus, das Lebensbrot, ich werde satt. Jesus Christus, das Licht der Welt, ich kann sehen. Jesus Christus, mein Glaube/Vertrauen wird gestärkt. Jesus Christus, ich begegne Gott, mir wird verziehen…. Lassen wir uns stärken für den Weg durch dieses Leben mit den nicht immer leichten Aufgaben und Anforderungen. Lassen wir uns zurecht bringen und neu anfangen mit Gott und dem Nächsten.

Wenn wir heute Abendmahl feiern, sollen wir wissen: So wie wir das Stückchen Brot essen und das Schlückchen Saft trinken, so gewiss ist uns Jesus Christus, der auferstandene Herr, nahe und hilft uns, die Lasten des Leben zu tragen, und stärkt uns in seiner Nachfolge, dazu beitragen, dass Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Liebe und Frieden in unserer Welt wachsen.

Amen.

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