Hinter dem Horizont geht es weiter
Jetzt schon können wir die Klänge und Gesänge aus dem himmlischen Festsaal hören
Predigttext: 2.Petrus 3,(3-7)8-13 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(3 Ihr sollt vor allem wissen, daß in den letzten Tagen Spötter kommen werden, die ihren Spott treiben, ihren eigenen Begierden nachgehen 4 und sagen: Wo bleibt die Verheißung seines Kommens? Denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es von Anfang der Schöpfung gewesen ist. 5 Denn sie wollen nichts davon wissen, daß der Himmel vorzeiten auch war, dazu die Erde, die aus Wasser und durch Wasser Bestand hatte durch Gottes Wort; 6 dennoch wurde damals die Welt dadurch in der Sintflut vernichtet. 7 So werden auch der Himmel, der jetzt ist, und die Erde durch dasselbe Wort aufgespart für das Feuer, bewahrt für den Tag des Gerichts und der Verdammnis der gottlosen Menschen.) 8 Eins aber sei euch nicht verborgen, ihr Lieben, daß ein Tag vor dem Herrn wie tausend Jahre ist und tausend Jahre wie ein Tag. 9 Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie es einige für eine Verzögerung halten; sondern er hat Geduld mit euch und will nicht, daß jemand verloren werde, sondern daß jedermann zur Buße finde. 10 Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb; dann werden die Himmel zergehen mit großem Krachen; die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden ihr Urteil finden. 11 Wenn nun das alles so zergehen wird, wie müßt ihr dann dastehen in heiligem Wandel und frommem Wesen, 12 die ihr das Kommen des Tages Gottes erwartet und erstrebt, an dem die Himmel vom Feuer zergehen und die Elemente vor Hitze zerschmelzen werden. 13 Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.Zum Predigttext
Der 2.Petrus-Brief verteidigt die Naherwartung von Jesus, Paulus (z.B. in 1.Thessassalonicher 5) und der ersten Christen, daß das Weltende und die Vollendung der Welt noch zu ihren Lebzeiten eintreffen würde. Die ausgebliebene Wiederkunft Christi war die erste Krise der Christenheit. Der unbekannte Verfasser dieses Briefes erklärt die Verzögerung mit dem bis heute verbreiteten Argument, daß vor Gott tausend Jahre sind wie ein Tag ( 3,8 ). Das Problem der Verzögerung des Weltendes ist heute besonders aktuell: Existenzialistisch orientierte Theologen seit Bultmann vertreten die These, daß es seit je nicht ums Weltende geht, sondern darum, jeden Tag so zu leben, als wäre heute der letzte Tag („präsentische Eschatologie“: Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens! ) In diesen Tagen behauptet zB der Neutestamentler Professor Zager aus Mainz: Jesus habe sich in der Naherwartung geirrt, deswegen habe er keine metaphysiche Autorität, sondern sei ein Prophet und Märtyrer, der wie wir erst am Ende der Zeit auferstehen werde. Theologen wie Pannenberg, Moltmann u.a. und besonders Pierre Teilhard de Chardin sehen unsere Welt als einen langen Prozeß auf dem Weg bis zur Vollendung. Nach Teilhard rettet der auferstandene kosmische Christus den Sinn der ganzen Evolution. Jede/r Prediger/in muß sich m.E. für eine der Alternativen klar entscheiden. Mich und viele auch studierte Christen meiner früheren Gemeinde und Oberstufenschüler/innen am Lübecker Johanneum, darunter auch ein bekennender Moslem, hat die Teilhard- Lösung fasziniert. Zum Totensonntag: Die liturgische Tradition bestimmt für diesen Sonntag mit Matthäust 25,1-13 und Offenbarung 21 das Thema: Ewigkeitssonntag. Die kirchliche Basis in den Gemeinden aber hat weit und breit daraus den Sonntag „Gedenktag der Entschlafenen“ oder populär „Totensonntag“ gemacht. Fast überall werden die Angehörigen der im letzten Kirchenjahr in der Gemeinde Verstorbenen eingeladen. Die Namen der Heimgegangenen werden verlesen. Jede/r Prediger/in sollte sich m.E. aus seelsorglichen Gründen konzentriert diesem Kasualfall stellen und weniger über den Ewigkeitssonntag als über den Gedenktag der Entschlafenen für die Trauernden predigen. Aktuelle Gedanken zur Hoffnung auf ein Weiterleben nach dem Tod: Sehr tiefsinnig und poetisch hat Udo Lindenberg beim Tod einer Freundin gedichtet: „Hinterm Horizont geht es weiter...“ In der kirchlichen und philosophischen Tradition gibt es etwa acht Argumente für eine Hoffnung über den Tod hinaus: - Gottes Möglichkeiten und Fähigkeiten übersteigen unsere enge Vernunft sehr weit! - Gottes Liebe und Treue zu uns hat kein Ende! Unsere Beziehung zum ewigen Gott (schon jetzt nicht materiell) reißt auch im Tode nicht ab! - Jesus ist zu Gott auferstanden und ist uns nur vorausgegangen. - Die ganze Evolution der Weltgeschichte fördert immer größere Personalität und Komplexität. Ihr sinnvolles und logisches Ziel ist nach Teilhard de Chardin die Vollendung im Punkt Omega, wenn Gott alle Tränen trocknen wird. - Der Physik-Professor und Christ in seinem Buch: Physik der Unsterblichkeit nimmt an, daß durch die Gen-Technologie an das ewige Leben bei Gott leichter geglaubt werden kann: Jeder Mensch hat eine Gen- Struktur, welche Gott in unvergänglicher Form leicht wieder rekonstruieren kann. - Unsinniges Leiden z.B. von frommen Märtyrern kann nicht das Letzte sein, sondern fordert einen Sinn. - Eudämologischer Gottesbeweis: Unausrottbar eingepflanzt ist in unsere Seele die Sehnsucht nach Gott und der Vollendung: Gott, Du hast uns geschaffen auf Dich hin, und unser Herz ist Ruhelos, bis es Ruhe findet in Dir! (Augustin) Der Durst beweist die Existenz des Wassers. - Schließlich finde ich das psychologische Argument von Eugen Drewermann wunderbar: Einen Menschen wirklich lieben heißt davon überzeugt sein, daß seine Seele unsterblich ist. Und ein Dichter schreibt: Da ist das Land der Lebenden und ein Land der Toten, und die Brücke ist die Liebe, das einzig Bleibende, der einzige Sinn! (In: Was uns Zukunft gibt, Olten 1991, S.191)Predigt
Hoffnung
Beim Tod eines geliebten Menschen hat der Sänger Udo Lindenberg gedichtet: Hinterm Horizont gehts weiter! – Mit dieser Hoffnung gehen heute viele Menschen auf den Friedhof, denken an liebe Angehörige und Freunde und schmücken die Gräber. Für unsere Augen sind die Verstorbenen verschwunden. Der Tod steht am Ende unseres Lebens, er ist der Horizont, hinter den wir mit unseren Augen nicht weiter sehen können! Was ist aber hinter dem Horizont?
Viele tausend Jahre konnte sich niemand vorstellen, daß hinter dem Horizont des Atlantiks ein großer Kontinent sein könnte. Kolumbus aber glaubte mit Vernunft und seiner inneren Stimme daran und eroberte das neue Land Amerika! Mit den Augen des Denkens und des Glaubens können auch wir weiter sehen! Die ganze Evolution und Entwicklung der Weltgeschichte und der Schöpfung über den Einzeller und über den Menschen hinaus bis zu Jesus kann nicht ins Leere gehen, sondern kommt zu dem Ziel einer Vollendung. Gott wird die Welt vollenden und uns zu sich, in seine Nähe, in sein Licht, aufnehmen. Jesus Christus ist uns bereits vorausgegangen. Deswegen sind auch unsere Verstorbenen bei Gott gut aufgehoben. Wir sollen sie nicht in unserer Seele festhalten, sondern ihnen lebenslang getrost und froh nachgehen. Nach der letzten Reise hinter dem Horizont werden wir ihnen wieder wie bei einem Fest nahe sein.
Bilder
Nahe sein. Bilder für das Jenseits unserer Welt nehmen wir aus unserem Leben. Was wir hier als Glück erlebt haben, übertragen wir auf unsere Vorstellung von der Ewigkeit. Etwa die Hälfte der Deutschen glaubt an ein Weiterleben nach dem Tod, die andere Hälfte bezweifelt diesen Glauben. Aber die Sehnsucht ist uns von Gott selbst gegeben. Gott wird unsere Sehnsucht nicht enttäuschen, sondern sie erfüllen. Wer bei dem endgültigen Fest Gottes nicht dabei sein will, denkt nicht realistisch, sondern ist nur arm an Sehnsucht, Vertrauen und Fantasie. Wir alle setzen schon heute viel zu wenig ein, was in uns angelegt an Herzlichkeit und Liebe angelegt ist. Deswegen brauchen wir Gott und das Vertrauen, daß er unsere Welt wie bei einem Fest vollenden wird.
Zweifel
Sehr häufig hört man heute den Zweifel: Ich als naturwissenschaftlich oder philosophisch gebildeter Mensch kann das nicht glauben! Nun hat aber ein Physikprofessor, Frank Tipler aus den USA, in seinem umfangreichen Buch „Die Physik der Unsterblichkeit“ begründet, daß wir heute durch die Gen-Technologie leichter an das ewige Leben glauben können. Immer deutlicher werde der Wissenschaft, wie sehr jeder von uns durch Erbanlagen und Umwelt bestimmt ist. Es sei sehr plausibel, Gott als dem Urheber aller Intelligenz im Weltall zuzutrauen, daß er alle individuellen Daten seiner Menschen kennt und uns in unvergänglicher Gestalt neu schaffen kann. Und der bedeutende evangelische Religionsphilosoph, Professor Michael Theunissen aus Berlin, hat die Hoffnungsideen aller großen Philosophen – von Plato bis Bloch – untersucht. Sein Ergebnis: Ohne den Glauben an die Auferstehung Jesu durch Gott läßt sich eine fundierte Hoffnung überhaupt nicht begründen. Wie gut, daß auch Naturwissenschaftler/innen und Philosophen/innen unseren Glauben bestärken, daß unsere Verstorbenen bei Gott gut aufgehoben und uns nur vorausgegangen sind. Am heutigen Totensonntag werden wir aber am besten getröstet durch die Bibel. So heißt es in unserem Predigttext: Wir warten auf einen neuen Himmel und eine neue Erde.
Warten
Durch die Bibel und durch die Auferstehung Jesu von den Toten können wir darauf vertrauen, daß Gottes Liebe und Treue so groß ist, daß er seine Menschen nicht einfach vergehen lässt. Früher hat man diese Hoffnung beschrieben, daß wir eine unsterbliche Seele haben, die nach dem Tod im Himmel ist. Moderne Wissenschaft sagt uns, daß Seele und Körper sehr eng zusammen hängen. Auch ist der Ort schwer zu beschreiben, wo der Himmel ist. Kern der modernen Weltsicht ist, daß diese Welt ein riesiger Entwicklungsprozeß ist. Für Christen hat Gott als Schöpfer diesen Prozeß der Evolution sich ausgedacht und programmiert. Ziel des Lebens ist der Mensch. Ziel des Menschen ist Jesus. Ziel von Jesus, der uns als Auferstandener schon vorausging, ist die Vollendung, das ewige Reich Gottes. Der Himmel ist weniger oben, vielmehr vorn, weil Gott alles vollendet. Gott wird alle Tränen trocknen. Wir und unsere Verstorbenen werden bei Gott, in seiner Nähe, sein. Alle sehen dann alle und alles, denn alle sind bei dem alles umfassenden Gott! Das ist unsere christliche Hoffnung, unsere Vorfreude, das ist unser Trost!
Gut aufgehoben
Einige bewährte seelsorgliche Ratschläge für Trauernde möchte ich weitergeben: Die Toten sind bei Gott gut aufgehoben! Du kannst und sollst Dich gern liebevoll an sie erinnern, mit ihnen reden und ihre Gräber schmücken. Wer sich aber zu lange und intensiv bei den Toten ansiedelt, gerät in Gefahr, für das Leben verloren zu sein. Die Großmutter von Pastor Traugott Giesen verabschiedete sich deshalb von ihren Kindern: Kommt nicht so oft zum Grab. Wir sind nicht hier!
Du brauchst für die Toten nicht durch gute Werke irgendwie büßen. Du kannst sie loslassen und sie Gottes Liebe anbefehlen.
Deine Trauer wird in Wellen oder Phasen immer wieder zurückkommen. Rechne mit der Erfahrung anderer Trauernder, daß die Intensität des Schmerzes weniger wird und die getrosten Phasen länger werden. Schäme Dich aber in den Schmerzphasen nicht Deiner Tränen und halte sie nicht zurück. Tränen haben heilende Kraft. Sage Dir: Heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens. Das klingt nach stolzem selbstbewußtem Leben und vor allem nach Neuanfang. Idealisiere die Verstorbenen nicht und stelle sie nicht auf einen Denkmalssockel. Die Gefahr ist sonst groß, daß Du keinen Partner mehr findest, weil andere von dir herabgesetzt werden. Eine humorvolle Geschichte ist dazu sehr lehrreich. Ein Pastor fragt im Gemeindekreis: Kennt Ihr auch nur einen Menschen, der edler war als Jesus? Meldet sich ein Mann. Den gibt es! Es ist der bereits verstorbene erste Mann meiner jetzigen Frau!
Liebe Gemeinde! Wir sind unterwegs in unserer oft dunklen und undurchsichtigen Welt, und wir sind bedroht durch den Tod. Hinter dem Horizont des Todes aber können wir schon jetzt die Klänge und Gesänge aus dem himmlischen Festsaal bei Gott hören!
Amen.
Gebet (nach Kirchenvater Serapion, Bischof in Thmuis, 4.Jh.)
Ewiger Gott, Du hast Macht über Leben und Tod,
über die sichtbare und die unsichtbare Welt…
Du gibst uns das Leben, und Du nimmst uns dieses irdische Leben
und führst uns durch die Tür des Todes zu dir.
Du allein bist unvergänglich und unwandelbar. Aber uns, Deine Geschöpfe,
veränderst und verwandelst Du jeden Tag in kleinen Schritten.
Du gibst uns am Ende eine bleibende Gestalt bei Dir.
Vor Dir gedenken wir unseres/unserer Verstorbenen.
Du kennst ihn/sie mit Gesicht und Namen.
Du hast sein/ihr Leben auch in schweren Tagen behütet.
Wir danken Dir, und wir sind dankbar für die Zeit,
die wir gemeinsamen mit dem/der Verstorbenen verbringen durften…
Tröste die Trauernden.
Hilf, dass uns der Gedanke an den eigenen Tod nicht Angst macht.
Bringe uns dazu, jeden Tag intensiv und dankbar zu leben;
anderen Menschen beizustehen, Freude zu bringen und Leiden zu mildern.
Du Gott des Lebens, am Ende unseres Lebensweges fallen wir nicht in das Dunkel des Todes,
sondern Du, ewiger Schöpfer und gütiger Vater, der Du tröstest wie eine Mutter tröstet,
wartest auf einen jeden von uns.