Das Leben umgreift den Tod
Christlicher Glaube verharmlost den Tod nicht, sondern sieht ihn im Licht der Liebe Christi, der Neuschöpfung Gottes
Predigttext: 2. Petrus 3, (3-7)8-13 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
8 Eins aber sei euch nicht verborgen, ihr Lieben, daß ein Tag vor dem Herrn wie tausend Jahre ist und tausend Jahre wie ein Tag. 9 Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie es einige für Verzögerung halten; sondern er hat Geduld mit euch und will nicht, daß jemand verloren werde, sondern daß jedermann zur Buße finde. 10 Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb; dann werden die Himmel zergehen mit großem Krachen; die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden ihr Urteil finden. 11 Wenn nun das alles so zergehen wird, wie müßt ihr dann dastehen in heiligem Wandel und frommem Wesen, 12 die ihr das Kommen des Tages Gottes erwartet und erstrebt, an dem die Himmel vor Feuer zergehen und die Elemente vor Hitze zerschmelzen werden. 13 Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.Exegetisch-systematische Vorbemerkungen
1) Die für den letzten Sonntag des Kirchenjahres vorgeschlagenen Predigttexte sind entweder auf den "Ewigkeitssonntag" (2. Petr. 3,8-13) oder auf den "Totensonntag" (Hebr. 4,9-11) fokussiert. Das Verbindende ist die beiden Texten letztlich gemeinsame eschatologische Thematik. Die Perikope 2. Petr. 3,8-13 schwankt im exegetisch-homiletisch-liturgischen Umgang zwischen einer Denunziation als "apokalyptisches Spektakel" und einer Vorlage für die frühere Sequenz in der römisch-katholischen Totenmesse "Dies irae, dies illa" ("Tag der Rache..."). Beiden Umgangsweisen wird heute die "historische" bzw. "positivistische Falle" zum Problem. 2) Um aus diesen Fallen herauszukommen, bedenke ich die Perikope auch im Sinne einer pragmatischen, vor allem auch an "Sprache“ interessierten Religionsphilosophie (Vgl. Robert C. Neville, Charles S. Peirce; Hermann Deuser: Kleine Einführung in die Systematische Theologie [Reclam 9731], 1991), die davon ausgeht, daß das Verstehen des biblischen Zeugnisses auch von bestimmten (sprachlichen) Rahmen abhängig ist. "Die religiöse Sprache, ihre begleitenden Vorstellungsbilder und rituellen Darstellungsformen bleiben eingebettet in die Auffassungsmöglichkeiten der jeweiligen Zeit. Daß an der Wende zum 21. Jahrhundert apokalyptische Schrecken kein fremdartiges Thema sind, ist zwar offensichtlich, heißt aber noch nicht, daß das Drama der Endzeit erwartet würde wie in der jüdischen Apokalyptik, in der Antike oder im frühen Christentum" (Deuser, S. 111). Während das Reden von Gericht, Auferstehung der Toten und Ewigem Leben zur Zeit Jesu und der frühen Christen im Kontext apokalyptischer Vorstellungen „plausibel“ war, ist dies für heutige Zeitgenossen, die von der grundlegenden Unterscheidung zwischen „Glauben“ und „Wissen“ ausgehen, nicht mehr einfach vorauszusetzen. Hier wirken sich die weltbildlichen Distanzen zwischen kulturell lebendigen Mythologien in biblischen Zeiten und der von kritischer Wissenschaft geprägten Neuzeit meist als unüberwindbare Verständnissperren aus. "Daß die Religiosität trotzdem auf Bilder, Geschichten und Symbole angewiesen bleibt, ist in der Moderne nun überraschenderweise nicht nur in den Religionen und Kirchen selbst nachzuweisen, die natürlich die alten Bildwelten weiterzuführen versuchten, sondern als eigenständiges Phänomen, wenn auch nicht von christlicher Tradition abgekoppelt, in Musik, bildender Kunst und Literatur... Daß Tod und ewiges Leben nach solcher Bearbeitung verlangen, ist [also] zugleich eine ästhetische, ethische und religiöse Einsicht" (Deuser, S. 111f.). 3) Dies bedeutet aber auch, daß aus der Perspektive der Liebe Gottes das "Jüngste Gericht" nicht mehr einfach als Instanz der zuteilenden Gerechtigkeit verstanden werden kann. Solche Gerichtsvorstellungen bleiben in den Grenzen menschlicher Erfahrung des Entsetzens, des Unrechts, der Schuld, der Anklage und Klage über die faktische Ungerechtigkeit; sie vermitteln aber – bei allem Ernst – nicht tieferes Wissen über Gottes Gerechtigkeit: "Was wir von Gott in Jesus Christus repräsentiert sehen können, ist Gottes Kreativität und Liebe. In der symbolischen Wirksamkeit des Reiches Gottes können daher die Vorstellungswelten des 'bösen' Endes nur integriert gedacht werden in Gottes Erbarmen" (Deuser, S. 119). 4) In homiletischer Perspektive gilt es darum, die Zeitgenossen darauf aufmerksam zu machen, daß Glaube und Wissen auf einen gemeinsamen "sprachlichen" Rahmen, auf übertragene Rede, auf Bilder angewiesen sind. "Wissen“ im Vollsinn des Wortes ist mehr, als man wiegen, messen und betasten kann. Und "Glaube“ ist nicht einfach das Fürwahrhalten von irgendwelchem (auch als „wissenschaftlich“ ausgegebenen) "Hokuspokus“. Es gilt, seine "Plausibilität“ heute aufzuzeigen, was nicht einfach heißt, ihn naturwissenschaftlich zu "beweisen“. Wir müssen wieder lernen, zwischen umfassender "Realität“ und "empirischer Wirklichkeit“ zu unterscheiden! "Realität“ kann nicht an bloßer Gegenständlichkeit gemessen werden. Und zur "Realität“ gehört auch der biblische Gott! 5) Das ist auch für die Sprache wichtig! Schon die Erschließung von "Wirklichkeit“ bedarf der übertragenen Rede. Weiter: Eine Verständigung mit mir selbst bedarf ebenfalls vorrationaler Bilder. Und: Religiöser Glaube wird ebenfalls durch übertragene Redeformen getragen. Jeder Mensch, nicht nur der "religiöse“, braucht Bilder! Auferstehung, Ewiges Leben: Es geht um eine Gottes-Wirklichkeit für Menschen! Und diese Wirklichkeit geht über unser Denken und Verstehen hinaus! Sie läßt sich allein durch die Kraft von Bildern ausdrücken. Aus unserer Sicht der Todeswelt und des Todeslebens können wir die Lebenswelt und das Lebensleben eben nicht "wissen“ wie Dinge, die man messen und wiegen kann. Aber "Wirklichkeit“ im biblischen Sinne, "Realität" ist viel umfassender! Das Leben umgreift den Tod! Das ist religiöse Rede, die in Bildern die Wirklichkeit erleben läßt, wie sie in den Fakten, die man beobachten, messen und wiegen kann, gerade nicht zu fassen ist: Jesus lebt -– das heißt: Gottes Lebensleben steht gegen unser Todesleben und umfaßt dieses. Es ist unsachgemäß, hier "Wissen“ gegen "Glauben“ auszuspielen, so als ginge es dem Wissen um "Wirklichkeit“ und dem Glauben um Phantasie. "Wissen“ ohne Vertrauen in eine umfassende Wirklichkeit ist ebenso haltlos wie "Glaube“ ohne ein klärendes Wissen dessen, was geglaubt wird. Um den Glauben darzustellen, bedarf es gerade der religiösen wie der künstlerischen Bilder.Predigt
Ewigkeitssonntag und Totensonntag
Der letzte Sonntag des Kirchenjahres ist für evangelische Christen durch zwei Themen geprägt. Einmal ist er für uns der “Ewigkeitssonntag”. Da geht es herkömmlich um Jesu Wiederkunft, “zu richten die Lebenden und die Toten”, wie wir es im Glaubensbekenntnis betend bekennen. Es geht um das Ende der Zeiten, um die Ewigkeit, um unser Sein bei Gott. Sodann geht es um den Gedenktag der Entschlafenen, um den “Totensonntag”, an dem wir vor allem unserer im letzten Kirchenjahr Verstorbenen gedenken und unsere Hoffnung auch für sie bekennen. Wir befehlen sie diesem Gott an, der sie und uns neuschaffen will aus dem Tode heraus. Darum geht es in unserem Glaubensbekenntnis: “Auferstehung der Toten und das ewige Leben”. Letztes Gericht, Auferstehung von den Toten, Ewigkeit: Da wird allerdings auch deutlich, wie schwer es für uns heute ist, mit den „Letzten Dingen“ umzugehen. Wir stoßen da schnell an Grenzen. Ohne Bilder und Gleichnisse kommen wir da nicht aus!
Ewiges Leben und Totenauferstehung
Über die Fragen eines “Ewigen Lebens” und einer Totenauferstehung wird heute meistens ohne Kontakt zum christlichen Glauben geredet. Man nimmt alles Mögliche aus anderen Religionen, aus Science Fiction, Mythos und Magie auf. Auf zwei Extreme sei hier hingewiesen:
(1) Amerikanische Firmen bieten – gegen entsprechende Bezahlung – die Tiefkühlung des toten menschlichen Körpers an, damit er, wenn unsere Wissenschaften einmal so weit sind (und der Wissenschaftsglaube ist – trotz Klimakatastrophe und anderer Apokalypsen – unausrottbar), wieder neu belebt werden kann. Der Körper hält durch – das ist hier die Überzeugung.
(2) In Programmen der „Künstlichen Intelligenz“ finden sich Vorstellungen von einem künftigen menschlichen Leben, das geradezu unkörperlich, gleichsam computertechnologisch gesteuert, ablaufen kann. Alles, was wirklich ist, ließe sich dann in Datenverarbeitung umsetzen. Der “Geist” hält durch – das ist hier die Überzeugung. Im ersten Fall soll das “Todesleben“ verewigt werden, im zweiten Fall glaubt man, ohne den Körper auszukommen. Materialismus steht hier gegen Idealismus.
Was sagt die christliche Theologie? “Eine Fortsetzung findet nicht statt!“ – so hat es der frühere Limburger Bischof Franz Kamphaus in einem Zeitungsartikel (FAZ Nr. 264, 11.11.2004, S. 8) formuliert. Unser menschliches Leben ist ein “Todesleben“. Christen rechnen nicht mit Seelenwanderung oder mit der Wiederbelebung eines Leichnams und auch nicht mit der Trennung von Leib und Seele. Dies sagt ein bekannter katholischer Bischof, dessen Kirche früher hier eher “handgreiflich” gedacht hat! Können wir aber so den Tod radikal ernst nehmen und zugleich von der Auferstehung der Toten, vom Ewigen Leben, sprechen? Wir können hier auf die Bibel hinweisen und sagen: “Da steht es doch geschrieben”! Aber machen wir damit nicht eine doppelte Buchführung auf? In unserem Alltag ist das “wirklich”, was wir nachprüfen, was wir messen und wiegen können. Da herrscht das “Wissen”. Wie steht es dann aber mit dem “Religiösen”? Herrscht da eben “nur” der “Glaube”? Also: Wissen gegen Glauben?
Wissen gegen Glauben?
Im Unterschied zum Islam haben Christen die historische Erforschung auch der biblischen Texte zugelassen und auf Seiten des Protestantismus sogar gefördert. Das bedeutet auch die Einsicht: Die religiöse Sprache, ihre Vorstellungsbilder und ihre Riten (z. B. die Beerdigung) sind eingebettet in die Auffassungsmöglichkeiten der jeweiligen Zeit. Das heißt: Die in den Bibeltexten vorausgesetzte “Wirklichkeit“ ist nicht mehr einfach die unsere! Da hilft es auch wenig, die “historische Kritik“ zum Teufel zu jagen. Nicht nur “Der Spiegel“, der „Stern“ und andere religionskritische Stimmen werden weiter bohren. Das ist ihr Geschäft. Wir müssen sagen und begründen, was wir unter “religiöser Wirklichkeit” im Unterschied zu dem verstehen, was man wiegen und messen kann!
Hoffnungsbilder
Die neutestamentlichen Geschichten zum Beispiel über die Auferstehung Jesu von den Toten (z. B. Matthäus 28,1-10; Markus 16,1-8) sind von ungeheuerlichen und eindrücklichen Bildern gestaltet: Leeres Grab, Wegwälzen des Steins, Engel, Erdbeben usw. – “Furcht und große Freude“ sind menschliche Gefühle, die hier vorherrschen. Auch bei Paulus finden sich Bilder des Überwältigtwerdens. Niemals wird auf zweifelsfreie Fakten abgezielt, die wir heute mit Digitalfotos und Genanalyse bestätigen würden. Auch in unserem Predigttext aus dem 2. Petrusbrief geht es nicht um ein apokalyptisches Spektakel, bei dem die Christen gleichsam auf der Tribüne sitzen und zuschauen, wie Gott mit den Ungläubigen abrechnet! Eines ist für biblisches Denken wichtig: In Jesus Christus hat Gott gehandelt. “Auferstehung ist Gottes-Wirklichkeit für Menschen, sie ist das Lebensleben, und diese Spannung zwischen Todesleben und Lebensleben macht es, daß wir allein durch die Kraft von Bildern das ausdrücken können, was sich sonst nicht einfangen läßt. Das klingt vielleicht zu abstrakt. Ein Beispiel kann weiterhelfen: Gefragt nach dem ewigen Leben hat Martin Luther einmal geantwortet: “So wenig die Kinder im Mutterleib von ihrer Ankunft wissen, so wenig wissen wir vom ewigen Leben”. Die Veränderung von dem einen Zustand in den anderen Zustand setzt aber eine gewisse und notwendige Kontinuität voraus: eben die des Geborenwerdens eines Menschen. Aber aus der Sicht des ungeborenen Kindes läßt sie ein Unwissen über den anderen, radikal neuen Zustand nachempfinden. Wir sind für Martin Luther hier den ungeborenen Kindern ähnlich: Aus unserer Sicht der Todeswelt und des Todeslebens können wir die Lebenswelt und das Lebensleben eben nicht wissen. Aber beides gehört für biblisches Denken zusammen: Das Leben umgreift den Tod. Das sind biblische Hoffnungsbilder! Wie können wir aber heute diese Hoffnungsbilder ein Stück weiter in unsere Sprache übersetzen? Moderne Dichtung kann uns da weiterhelfen! Zunächst ein Beispiel von Robert Gernhardt für unseren Umgang mit dem Todesleben. Es trägt die Überschrift: “ACH”.
Ja, die Uhr ist abgelaufen.
Wollen sie die jetzt zurück?
Gibt’s die irgendwo zu kaufen?
Ein so ausgefall’nes Stück
Findet man nicht alle Tage,
womit ich nur sagen will
– ach! Ich soll hier nichts mehr sagen?
Geht in Ordnung! Bin schon
Es sind die alten Bilder, in denen hier der Tod erscheint: das Klopfen an die Tür, die Sanduhr als das Stundenglas. Die Art, sich dagegen zu wehren, ist hier die Fortsetzung von Alltäglichkeit noch im letzten Augenblick. Aber: Am Ende hat die Stille kein eigenes Wort mehr. Und doch lebt religiöse Sprache gerade in der Aufgabe, diese letzte Stille ins Bild zu setzen! Im Blick auf den Totensonntag heißt es im Brief an die Hebräer (4,9-11): “Es ist noch eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes. Denn wer zu Gottes Ruhe gekommen ist, der ruht auch von seinen Werken so wie Gott von den seinen. So laßt uns nun bemüht sein, zu dieser Ruhe zu kommen”. Die Aufmerksamkeit auf das Ende hat in den Bildern des ewigen Lebens ihre andere, ihre positive Seite! Die aus Glaube, Hoffnung und Liebe kommende Gefühlsstärke bringt Bilder des ewigen Lebens, die selbst keine Produkte der Todeswelt sein können. Dafür mag hier “Ein Leben nach dem Tode“ von Marie Luise Kaschnitz stehen:
Glauben Sie fragte man mich
An ein Leben nach dem Tode
Und ich antwortete: ja
Aber dann wußte ich
keine Auskunft zu geben
Wie das aussehen sollte
Wie ich selber
Aussehen sollte
Dort
Ich wußte nur eines
Keine Hierarchie
Von Heiligen auf goldenen Stühlen sitzend
Kein Niedersturz
Verdammter Seelen
Nur
Nur Liebe frei gewordne
Niemals aufgezehrte
Mich überflutend…
Mehr also fragen die Frager
Erwarten Sie nicht nach dem Tode?
Und ich antworte
Weniger nicht.
Das sind eindrückliche Bilder! Etwas weniger poetisch formuliert: Auch hier wird deutlich: Es ist schwer für uns, mit den Dingen des Endes, mit den „Letzten Dingen“ umzugehen. Ohne Bilder und Gleichnisse kommen wir nicht aus. Da spielen auch traditionell Bilder von Herrschaft, Gewalt und Verurteilung eine Rolle: “Hierarchie“, “goldene Stühle“, “Niedersturz verdammter Seelen“. Erinnert sei hier auch an die römisch-katholische Totenmesse, zu der früher auch das Lied (“Sequenz”) „Dies irae, dies illa“ (“Tag der Rache…”), wo es heißt:
Welch ein Graus wird sein und Zagen,
wenn der Richter kommt, mit Fragen
streng zu prüfen alle Klagen!…
Und ein Buch wird aufgeschlagen,
treu darin ist eingetragen
jede Schuld aus Erdentagen.
Weh! Was werd ich Armer sagen?
Welchen Anwalt mir erfragen,
wenn Gerechte selbst verzagen?
Das sind auch bekannte Bilder! Und manche „Bibeltreue“ halten diese „Gerichtspredigt“ für besonders wichtig. Marie Luise Kaschnitz geht aber weiter. Sie hat das biblische Zeugnis richtig verstanden! Die uns bekannten Vorstellungen vom Todesleben werden von ihr in neue Bilder eingefangen, die durch ein in Liebe geheiltes Leben bestimmt sind. Da werden eher Vorgänge als fertige Zustände beschrieben: “mich überflutend“, “empfängt mich“. Das alles kann nicht “gewußt“ werden, wie wir es neuzeitlich gewohnt sind, nur experimentell bestimmtes Wissen als letzte Instanz gelten zu lassen. Unser handgreifliches “Wissen“ ist für Marie-Luise Kaschnitz nur ein Teil einer umfassenden Wirklichkeit, nicht das Ganze. Der Dichterin geht es aber um dieses Ganze. Sie führt hier die aus der griechischen Philosophie stammende Vorstellung der Unsterblichkeit der Seele und die biblische Vorstellung der leibhaften Auferstehung der Toten zusammen. Sie markiert auch die Defiziterfahrungen des Lebens, rückt sie aber gleichzeitig in das Licht ihrer Heilung durch die Liebe Christi. Der Tod wird nicht verharmlost. Und doch erscheint er im Licht der Liebe Christi, der Neuschöpfung Gottes. Das meint „Frieden“ im Vollsinne des Wortes, wie die Bibel es gebraucht, und wie wir es für unsere Toten wünschen: “Ruhe in Frieden!”
Zeichen
Ich will nicht versuchen, Rezepte für die Erlangung eines solchen Friedens für unsere Entschlafenen und für uns zu geben. Neben dem großen Warten auf die Vollendung hat im Leben des Christen auch das kleine Warten auf Zeichen der gnädigen Gegenwart Gottes seinen Platz. Das ist heute wohl die größte Gefahr, daß Resignation um sich greift, daß wir meinen, daß es doch keinen Zweck hat, als Christ in unserer Zeit zu leben. Jesus macht uns Mut, die Hoffnung auf unser endgültiges “Bei- Gott- Sein” nicht aufgegeben. Jesus hat auf das hin gelebt, was ihm als das einzig lohnende Ziel erschien. Und christlich glauben heißt: Glauben, wie Jesus glaubt! Da wird der Tod nicht verharmlost. Und doch erscheint er im Licht der Liebe Christi, der Neuschöpfung Gottes.