Leibhaftig gewordenes Heil

Das Weihnachtsgeschehen als Auftakt einer großen Einladung Gottes durch Jesus Christus wahrnehmen

Predigttext: Johannes 1,1-5.9-14
Kirche / Ort: St. Willehadi / Osterholz-Scharmbeck
Datum: 26.12.2008
Kirchenjahr: Christfest (2)
Autor/in: Pastorin Theda Wolthoff

Predigttext: Johannes 1,1-5.9-14 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. 2Dasselbe war im Anfang bei Gott. 3Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. 4In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen 5Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht begriffen. 9Das war das wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. 10Es war in der Welt, und die Welt ist durch dasselbe gemacht; und die Welt kannte es nicht. 11Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf. 12Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, die an seinen Namen glauben 13welche nicht von dem Geblüt noch von dem Willen des Fleisches noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind. 14Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.

Homiletische Situation (1) und exegetische Einführung (2)

1) Am 2. Weihnachtstag ist die Schar der Gottesdienstteilnehmenden eher klein. Auch darum ist in unserer Region für 2009 nur noch ein regionaler Gottesdienst für die ganze Stadt geplant. Was liegt am 2.Weihnachtstag an? Heiligabend ist schon wieder weit weg, alle Geschenke sind ausgepackt, ausprobiert, die Bücher an-, wenn nicht schon durch durchgelesen. Vormittags zur Gottesdienstzeit sind wieder viele, wie an Heiligabend und am 1. Weihnachtstag, auf dem Weg zu Familienangehörigen. Doch einige zieht es in die Kirche. Die sogenannte Kerngemeinde. Die Weihnachtsgeschichte von Lukas ist ausgelegt. Sie wünscht sich heute etwas, das weiter trägt, dass über die Weihnachtstage hinaus in sie hineinleuchtet und in ihren Alltag scheint. Fern von Ochs und Esel kommt die „Weihnachtsgeschichte“ aus johannäischer Sicht da genau richtig- wenn es der Predigt gelingt, den erfahrenen Hörerinnen und Hörern die „Grunderfahrung von Weihnachten“ (W. Braselmann, Gottesdienst Praxis 1/1, 2008, 58) wieder neu ins Herz zu legen, dass das Licht in die Welt gekommen ist, das keine Finsternis auslöschen kann. Dass Gott Fleisch – ein Mensch geworden ist und unter uns Wohnung genommen hat. 2) Der Predigttext ist Teil des Prologes im Johannesevangelium (JohEv). Die erste Entscheidung, die fallen muss, ist der Umgang mit dem Einschub über Johannes den Täufer Joh 1,6-8. Die Abgrenzung des Täufers von Jesus wäre ein weiteres Thema (Vorläufer-Thematik) in der Fülle des Bibelabschnittes, darum entschließe ich mich dazu, die Verse 6-8 nicht mit zu predigen. Was sind wichtige Informationen für die Predigt an Weihnachten? Der Abschnitt bietet sozusagen den Hintergrund der Weihnachtsgeschichte, die der Gemeinde wohlvertraut ist. Sie klären über die Herkunft und die Zukunft Jesu auf (vgl. Joh 17,1-26). Beide sind für die Autorität Jesu, für die Bedeutung seiner Ankunft in der Welt entscheidend. Das JohEv beginnt eigentümlich nicht mit Jesu Taufe, nicht mit der Geburtsgeschichte, sondern mit Gott selbst. Den Anfang von Jesus setzt der Evangelist gleich mit dem Anfang Gottes vor aller Schöpfung in der Ewigkeit. In dem Menschen Jesus offenbart sich Gott ganz und gar. Keiner der anderen Evangelisten, so urteilt U. Wilckens (NTD 4, 200018, 26) habe „den Menschen Jesus als Gottes Sohn so nah und wesenhaft mit Gott zusammen gesehen, in Jesu Wort Gottes Wort, in Jesu Handeln Gottes Handeln, in Jesu Geschichte den Weg seiner Sendung von Gott herausgestellt“. Für die weihnachtliche Predigt ist die Metapher „Licht“ wichtig, bes. V4f. So wie das Licht für die Schöpfung von lebenswichtiger Bedeutung ist, so auch der Logos, das Licht und Leben (vgl. 8,12) der Menschen. Ein Licht, das allen Menschen leuchtet, das von seinem Wesen her unauslöschlich ist, das aber von der Welt, so die Erfahrung des Evangelisten, im Laufe der Geschichte nicht aufgenommen, von den Seinen oftmals abgelehnt wurde. „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ – diese dürren Worte enthalten die zentrale Erkenntnis johannäischen Glaubens, das Weihnachtsgeschehen, das andere mit Ochs und Esel ausgeschmückt haben. Jesus Christus, Gottes Sohn, ist als Licht in die Welt gekommen, ist Mensch geworden, um die Welt vor dem Verderben zu retten. Der Predigttext aus dem JohEv lässt an Weihnachten spüren: unser Gott ist „Gott, indem er sich mitteilt“ (Wilckens, 34), ein Gott, der es mit den „Seinen“ zu tun haben will. Gott lädt die Menschen ein, mit ihm zu leben. In aller Deutlichkeit offenbart er sich selbst und seine Zuwendung in dem menschgewordenen Logos und Licht Jesus Christus. Wer an ihn als Wesen von Gott her und zu Gott hin glaubt, wird an der Herrlichkeit Gottes teilhaben und darin Gottes Gnade und Wahrheit erfahren, seine „gnädige Zuwendung und beständige Treue“ (Wilckens, a.a.O.). Für die Predigt verstehe ich den Text als Einladung an die Hörenden, das Weihnachtsgeschehen als Auftakt einer großen Einladung Gottes durch Jesus Christus wahrzunehmen.

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Predigt

Liebe Gemeinde!

Überraschungen

Ich schaue immer noch jeden Tag in meinen Adventskalender. Es ist nicht so einer, in dem sich hinter jedem Türchen ein Stück Schokolade verbirgt. Mein Adventskalender überrascht mich jeden Tag, noch bis zum 6. Januar, mit einem Text oder einem Bild. Von einem Bild möchte ich Ihnen erzählen. Ein älterer Herr, man sieht es an seinem weißen Haar, sitzt auf einem Holzstuhl am Ende einer langen Tafel. Man sieht ihn nur von hinten, aber so viel ist zu erkennen: Er ist in einen klassischen dunklen Anzug gekleidet. Die Tafel, an der er sitzt, ist festlich geschmückt und mit feinem weißen Porzellan und Silberbesteck eingedeckt. So ähnlich sieht es vielleicht auch auf unserem Tisch aus, wenn wir mit der Familie Weihnachten feiern. Alles ist auf schönste hergerichtet, man erwartet schließlich liebe Gäste. So auch auf diesem Bild, jedenfalls ist das mein Eindruck. An dieser Tafel, die so lang ist, dass sie gar nicht ganz ins Bild passt, haben viele Platz. Wen dieser Herr wohl alles erwartet? Wen er wohl eingeladen hat?

Einladung

Von einer Einladung spricht auch der Predigttext aus dem Johannesevangelium. Der sogenannte Prolog des Evangeliums, die Vorrede, will der Leserschaft Grundlegendes über Jesus Christus nahe bringen. Woher kommt er? Wer ist er? Was ist seine Aufgabe hier auf Erden? Ich lesen den Abschnitt Joh 1,1-5.9-14.

(Lesung des Predigttextes)

„Im Anfang war das „Wort“ so beginnt Johannes, wir haben es eben gehört. Dass wir uns hier an den Anfang der Bibel, an die Schöpfungsgeschichte erinnert fühlen, ist ganz und gar kein Zufall. Der Evangelist Johannes erzählt ganz bewusst die Heilsgeschichte, die Rettung der Welt durch Jesus Christus ganz dicht verwoben mit Elementen der Erschaffung der Welt. Hieß es dort: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“, heißt es hier: „Im Anfang war das Wort“ oder anders ausgedrückt: das „Leben“, das „Licht“, wie Jesus später auch von sich selbst sagt (Joh 8,12; 11,25). Auf seine ganz eigene Weise, deutlich anders als die übrigen Evangelisten, stellt Johannes den Anfang von Jesus Christus dar. Keine Erzählung von der Taufe. Keine Geschichte von Maria und Josef, von Krippe und Stall. In einer Art Lied feiert er mit Begriffen aus der damals populären Weisheitsliteratur Jesus Christus als Wort, als Logos, der zutiefst zu Gott gehört, dessen Anfang und Herkunft schon vor der Schöpfung liegt. Ihm ist wichtig zu betonen, dass dieses Wort, das als Jesus Christus auf die Welt kam, sogar schon vor der Schöpfung bei Gott war. Mit der Geburt dieses Wortes in der Welt, mit der Geburt des Menschen Jesus, wird für Johannes wird alles sozusagen noch einmal auf diesen ursprünglichen „Anfang“ gestellt. Wie schon in der Schöpfung durch das Wort offenbart sich hier – nun ein für allemal- Gottes ganze Herrlichkeit. In dem Geschehen, das wir an Weihnachten feiern, gibt Gott sich ganz und gar in seine Welt. Er ist keine unnahbare Macht. Gott selbst wird Mensch, „Das Wort ward Fleisch“, so drückt Johannes das für seine Zeit höchst Ungewöhnliche, ja Undenkbare aus. Jesus Christus ist Gott und zugleich ein Mensch, handgreiflich, leibhaftig gewordenes Heil, das er in seinem Handeln, mit seinem ganzen Leben verkörpert. Er wird Mensch, um alle Menschen zu retten, um ihnen zu zeigen, wer Gott ist und dass sie zu ihm gehören. Menschen, die diesen Jesus getroffen haben, so erzählt es Johannes später, die haben gespürt: durch Jesus handelt Gott selbst. Er handelt in Vollmacht. Größere Gnade kann er niemand nicht schenken. Größere Wahrheit kann niemand verkörpern.

Unvergleichliche Heilszeit

Mit ihm ist eine unvergleichliche Heilszeit angebrochen, endgültig. Nicht zufällig beginnt deshalb die öffentliche Wirksamkeit Jesu bei Johannes mit dem Auftreten auf einer Hochzeit, ein Fest, das die Hörenden als biblisches Bild für die Heilszeit verstanden. Dort verwandelte er Wasser in Wein. Er sollte noch andere Zeichen tun, die die Herrlichkeit seines Vaters offenbarten, doch sie wurden von vielen nicht erkannt. Damit kommen wir zu einer anderen Seite, die den Evangelisten Johannes von Anfang an heftig bewegt. Wo Licht ist, da ist auch Schatten, da ist Finsternis. Gott kommt in die Welt, aber das Unfassbare geschieht: „die Seinen nahmen ihn nicht auf“. Das ist eine Realität, die der Evangelist aus der Geschichte seines Volkes Israel weiß, aber auch in der Gegenwart hautnah erlebt. Wie viele Propheten haben schon das Volk zur Umkehr gerufen. Sie sind alle ungehört geblieben. Dann kommt Gott selbst in diese Welt, Damit deutlich wird, dass dieses Licht alle erreicht, erreichen will, lässt der Evangelist Jesus in seinem Evangelium immer wieder Zeichen tun und zum Glauben aufrufen. Johannes setzt sich damit mit der jüdischen Gemeinde seiner Zeit auseinander, die Ende des ersten Jahrhunderts anfing, Christen aus der Synagogen auszuschließen Das ist die als feindlich empfundene „Welt“, mit der sich Johannes auseinandersetzen musste. Umso mehr geht es Johannes um das zutiefst göttliche Wesen Jesu und seine Herrlichkeit. Es ist Gottes Wille, dass mit seinem Anfang in der Welt, das wir noch gar nicht lange „Weihnachten“ nennen, ein für allemal die Bestimmung aller Menschen deutlich ist: Gottes Kinder zu sein.

Erwartung

Zurück zu meinem Adventskalender. Ein großer Schritt. Erinnern Sie sich noch? Der ältere Herr im Anzug am gedeckten Tisch. Was ist das eigentlich für ein Mann, der da am Ende der langen Tafel sitzt? Ein Jubilar, der zum runden Geburtstag eingeladen hat? Vielleicht ist es auch ein Vater, der seine Kinder erwartet. Ob die Eingeladenen noch kommen?

Das Bild erinnert mich an eine Geschichte, die Jesus einmal von Gott erzählt hat. Es war einmal ein Mann, der zu einem Gastmahl einlädt, mindestens so groß wie ein Weihnachtsschmaus. Alles ist festlich gedeckt, wie auf dem Bild. Dann schickt er einen Knecht los, um die Gäste zum Mahl abzuholen. Doch alle haben gute Gründe, abzusagen. So sitzt er erst einmal da, der Mann an seinem gedeckten Tisch. Aber die vielen leeren Plätze machen ihn nicht sprachlos. Er lädt andere Menschen ein, immer wieder. Und sein Tisch wird voll. Kein Platz bleibt unbesetzt. Das, was wir an Weihnachten feiern, ist der Auftakt dieser großen Einladung- auch an uns. Jahre seines Lebens verbringt Jesus damit, diese Einladung auszusprechen, auszudrücken. Er wendet sich uns Menschen zu, ganz gleich wo wir stehen, an was wir leiden, was uns belastet. Jesus verkörpert die Zuwendung Gottes, seine Liebe, die ihren höchsten Ausdruck am Kreuz findet: „Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde“ (Joh 15,13). Nichts kann uns trennen von Gott. Weihnachten bedeutet, dass Gott noch nicht aufgehört hat einzuladen! Da ist jemand, der wartet auf uns. Der hat einen großen Tisch für uns gedeckt und will uns mit allem versorgen, was wir brauchen, wonach wir uns sehnen. Dem, der einlädt, möchte ich die Worte eines Gedichts von Gerhard Schöne in den Mund legen. Vielleicht lädt es uns ein zu ihm. Es heißt:

Ich öffne die Tür

Ich öffne die Tür weit am Abend,
häng noch die Laterne hinaus.
Die Traurigen solln mich heut finden,
aufatmen, als wärn sie zu Haus.

Der Tisch wird geschmückt sein mit Blüten.
Hab Wein und hab Wasser genug.
Die Sehnsucht trinkt mit unserm Bruder,
dem Schmerz, wieder aus einem Krug.

Ein offenes Ohr findet jeder,
kein Stuhl, kein Hocker bleibt frei.
Vielleicht, unter denen, die zuhörn,
sitzt unerkannt Christus dabei.

Amen.

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