Wachsamkeit

Stete Bereitschaft - Der Aufruf Jesu, die Lichter brennen zu lassen, offenbart eine wundervolle Möglichkeit

Predigttext: Lukas 12,35-40
Kirche / Ort: Aachen
Datum: 31.12.2008
Kirchenjahr: Altjahresabend
Autor/in: Pfarrer Manfred Wussow

Predigttext: Lukas 12,35-40 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

(35) Laßt eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen (36) und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun. (37) Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen. (38) Und wenn er kommt in der zweiten oder in der dritten Nachtwache und findet's so: selig sind sie. (39) Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausherr wüßte, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen. (40 Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr's nicht meint.

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Predigt

Lichter brennen lassen

Das lassen wir uns heute nicht zweimal sagen: lasst eure Lichter brennen. Nein, wir verwandeln sogar den nächtlichen Himmel in ein Farbenmeer. Punkt 0 Uhr wird das neue Jahr mit Vorschusslorbeeren und Träumen begrüßt. Nicht lange nach 12 wird sich dann wieder die Nacht über unsere Welt legen. Irgendwann gehen die Lichter auch hinter den Fenstern aus. Wir brauchen das Dunkel. Wir kommen zur Ruhe. Wir lassen unsere Lichter nicht brennen.

Kalender

Es ist ein Ritual. Jedes Jahr ist es so. Ein Jahr geht zu Ende. Ihm werden keine Tränen nachgeweint. Ein Jahr beginnt: Ihm gelten die guten Wünsche. In der Hand aber haben wir nichts – weder das alte noch das neue Jahr. Unser Leben gleicht da schon eher einer Fortsetzungsgeschichte. Offen, spannend. Nur unbeschrieben sind weder die alten noch die neuen Seiten. Die Brüche kommen zwischendurch. Auch die Brüche, die weh tun, die eine Zäsur bedeuten, die „alt“ und „neu“ trennen. Das kann eine Diagnose sein, ein Gerichtsurteil, eine Kündigung. Das können aber auch die Einschnitte sein, die so schön sind, dass nach ihnen Jahre gezählt werden. Das Ja-Wort fürs Leben, die Geburt eines Kindes, das Geschenk unverhoffter Genesung. Der Kalender, der die Tage aneinander reiht, ist ein ebenso stummer wie treuer Diener. Gleichmütig, leidenschaftslos. Dass das Herz schlägt, Angst sich auf die Seele legt, die letzte Hoffnung zerrinnt – oder auch die Freude jeden Rahmen sprengt, alles vor Kraft strotzt, das Gelingen sich förmlich aufdrängt – der Kalender dokumentiert, archiviert, entsorgt. Wie geduldig doch Papier ist!

Wir sehnen uns danach, dass wir im Lauf, im Strudel der Zeit Halt und Geborgenheit finden – dass uns die Sonne aufgeht. Dass das jeden Tag dann tatsächlich geschieht, sogar im Kalender – wie von langer Hand – mit kleinen Zeichen eingetragen ist, fällt uns meistens nicht einmal auf: Einer lässt uns die Lichter brennen. Er, der am ersten Tag überhaupt nur sagte: Es werde Licht.

Hell wach und fertig angezogen

Man muss nicht unsere Kalender kennen und auch nicht die Bräuche, ein Jahr zu verabschieden und ein neues in Empfang zu nehmen, um unter den vielen Aufgaben und Verpflichtungen den Ton zu suchen, der unsere Seelen zum Klingen bringt. Hören wir auf Lukas, vernehmen wir: „Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen.“ Lukas kennt die alte Geschichte. Sie spielt in Ägypten. Das Volk Israel, unterdrückt und klein gemacht, soll sich auf den Weg in das gelobte Land machen. Karten gibt es nicht, auch keine Routenplaner. Wer aufbricht, Gefangenschaft und Erniedrigung zurücklässt, muss hellwach sein und fertig angezogen. Kein Zaudern, kein nostalgischer Rückblick – die Tür aufmachen und gehen.

Bis heute, Jahr für Jahr, gehen Menschen am Passahfest mit. Es ist die Geschichte einer großen Befreiung. Ein Traum, der die Siedler in Amerika ebenso beflügelte wie die Sklaven auf dem schwarzen Kontinent. In der Einsetzungsgeschichte des Passahfestes heißt es: „Dieser Monat soll bei euch der erste Monat sein, und von ihm an sollt ihr die Monate des Jahres zählen. Sagt der ganzen Gemeinde Israel: Am zehnten Tage dieses Monats nehme jeder Hausvater ein Lamm, je ein Lamm für ein Haus … So sollt ihr’s aber essen: Um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein und eure Schuhe an euren Füßen haben und den Stab in der Hand und sollt es essen als die, die hinweg eilen; es ist des Herrn Passa“ (Ex. 12,2f.11.

) Die Zeit ist neu zu zählen. Die alten Raster haben ausgedient. Nur: Wie beschwerlich und sauer der Weg werden sollte, deuten die alten Geschichte mit gebührendem Abstand, aber ohne Verklärung an. Es sind Geschichten, in denen sich Entsetzen und Hoffnung abwechseln, eine unendliche Leere sich ausbreitet, Ängste lähmen und der Glaube im Wüstensand stecken bleibt. Passah wurde auch in der Nacht gefeiert, in der die Nazi-Schergen kamen. Die, die abgeholt wurden, waren fertig angezogen. Hellwach waren sie auch. Viele andere schliefen, sahen weg, konnten sich auch an nichts mehr erinnern. Wenn sie doch die Lichter hätten brennen lassen! Wenn sie aufgestanden wären! Das eine Wort genügt, um große Geschichten und kleine Menschen wachzurufen. Jesu Wort hebt eine alte Erfahrung auf: „Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen“ Fertig angezogen und hellwach – das sind mutige Menschen, die sich nicht zurückziehen, sich nicht zur Ruhe setzen, sich auf Neues einlassen. Nur wer sich mit allem abfindet, mit dem Alten, Verbrauchten und Übermächtigem zumal, macht das Licht aus. Der Tod braucht kein Licht. Als Botschaft des Lebens fackelt das Evangelium nicht lange: Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen. Es sind auch schöne Bilder, präsent zu sein. Wer das Licht anlässt, geht noch nicht schlafen. Wer dann noch – wie wir sagen würden – gestiefelt und gespornt ist, hat noch etwas vor. Schließt die Tür auch noch nicht ab.

Warten

Der letzte Tag im Jahr lädt zwar ein, zurückzuschauen, ist aber wie eine Sprungschanze ins neue Jahr. Heute Abend sind ganz viele Jahresrückblicke in unserer Kirche zu Hause. Ungesagte Worte, verschwiegene Briefe, bedrohliche Befunde. Aber gegenwärtig – vor Gott – sind auch die Termine, mit denen sich kleine und große Hoffnungen verbinden. Der Aufruf, die Lichter brennen zu lassen, offenbart eine wundervolle Möglichkeit, Tage und Stunden in ein Licht zu tauchen, dass ihnen das Ungewohnte, Fremde nimmt. Rückblickend und nach vorne schauend. Lukas zitiert Jesus. Jesus erzählt das Gleichnis, dass der Herr zu einer Hochzeit gereist ist. Seine Rückkehr ist nicht festgelegt. Im Kalender ist sie nicht eingetragen. Aber in den Köpfen und Herzen ist sie präsent: Er wird kommen.

Machen wir doch eine spannende Entdeckung: Meistens, auch bis in unsere Kreise hinein, wird ein drohender Unterton wahrgenommen: Er wird kommen. Je nach Aussprache und Betonung könnte sogar ein Schauer über den Rücken laufen. Aber droht Jesus uns sein Kommen an? Dann würde seine Herrschaft auf Angst beruhen – und alles, was er sagte, wäre ad absurdum geführt. Johannes hat das Geheimnis einmal in die Worte gekleidet: Furcht ist nicht in der Liebe – die wahre Liebe treibt die Furcht aus. Dass er kommt, ist eine Verheißung, ein großes Glück, die Vollendung aller unserer Hoffnungen. Die Hochzeit, die im Gleichnis als Abwesenheitsgrund genannt wird, steht uns – noch bevor. Geradezu wundervoll, vollendet schön heißt es im Gleichnis – alles sprengend, was uns als normal erscheint: „Er wird sich schürzen und wird sie – uns – zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen.“ Wenn doch alle Herren 2009 so wären … kaum auszudenken. Also doch: eine spannende Entdeckung am letzten Tag dieses Jahres.

Kommt die Mahnung zur Wachsamkeit in diesem Jahr zu spät? Banken sind in eine ungeheure Vertrauenskrise gerutscht, die Umwelt schon wieder in die bekannte Formelmaschinerie und viele Vollbeschäftige in die Kurzarbeit. So schrecklich es ist: wir haben in diesem Jahr zusehen können, wie eine weltweit vernetze Wirtschaft in die Rezession gedrängt wird, kluge, hochbezahlte Manager als Deppen und Gierige dastehen und die gehüteten Milliarden aus ihren Verstecken kommen müssen. Nur zu heilen ist jetzt nichts mehr. Die Zeche zahlen die falschen: unsere Kinder, die Menschen in Entwicklungsländern, die, die sich nicht wehren können.

Helle Lichter

Wer sein Licht brennen lässt, ist ein – helles Licht. Ein heller Kopf. Wer wach ist, ist klug: aufmerksam, zugewandt, entgegenkommend. Das sind Worte, die beschreiben, was „wachsam“ meint. – Und was ist, wenn in jeder Begegnung, in der ein Mensch sich dem anderen öffnet, der Hausherr zurückkehrt? Und sich freut. Darüber freut, dass sein Haus offen ist? Nicht auszudenken: Der Herr ist viel näher, als mir gerade lieb ist. Das ist ein gutes Schlusswort für 2008, ein gutes Omen – für 2009.

Das alte Jahr vertrauen wir ihm an. Für das neue erbitten wir sein Kommen. Wir wünschen einander ein gesegnetes, neues Jahr. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

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