Mit Jesus auf dem Weg ins neue Jahr
Die Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel – ein Beispiel dafür, wie Jesus uns immer wieder überrascht
Predigttext: Lukas 2, 41- 52 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
41 Und seine Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest. 42 Und als er (Jesus) zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes. 43 Und als die Tage vorüber waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem und seine Eltern wussten's nicht. 44 Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten. 45 Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn. 46 Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. 47 Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten. 48 Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. 49 Und er sprach zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist? 50 Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte. 51 Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. 52 Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.Überlegungen zum Predigttext (I) und zum 2.Sonntag nach dem Christfest (II)
I. Die Perikope ist lukanisches Sondergut und bezeichnend für die lebendige Erzählkunst des Evangelisten. Mit knappen Worten baut er eine Spannung auf, die förmlich zu knistern scheint und die dennoch nicht vordergründig auf das menschliche Erleben fixiert bleibt, sondern im alltäglichen Geschehen eine christologische Grundaussage verankert, die er in Vers 49 Jesus selbst sagen lässt. Damit sagt Lukas, dass Jesu Gottessohnschaft schon vor seiner Taufe besteht und untrennbar verbunden ist mit der Thora und der jüdischen Glaubenstradition. Allerdings ist zu erwarten, dass die „Rahmenerzählung“ zu dieser Aussage die HörerInnen zuerst einmal mehr fesseln wird, da Lukas gekonnt an eine gefürchtete Alltagssituation (das „Verlorengehen“ eines Kindes in einer Menschenmenge) erinnert (V44+45). Sofort stehen die Fragen, wie es dazu kommen konnte und ob die angestrengte Suche der Eltern Erfolg haben wird, im Raum, und es ist sicher nicht ratsam, diese in der Predigt zu bagatellisieren. Denn so würde möglicherweise eine „innere Blockade“ bei den HörerInnen ausgelöst. Darüber hinaus lernen die LeserInnen Jesus in einer entscheidenden Lebensphase kennen. Lukas betont, dass Jesus in treuer jüdischer Glaubenstradition aufwächst, zu der regelmäßige Tempelwallfahrten gehörten. Da er als zwölfjähriger Heranwachsender nun als Mann in der Gemeinde akzeptiert wird, kommt diesem Tempelbesuch für Jesus zweifellos besondere Bedeutung zu. Er darf öffentlich Thora lesen, sucht das Gespräch mit den Schriftgelehrten. Interessant ist die Beschreibung des Verhältnisses zwischen Jesus und seinen Eltern: Zum einen gibt es da großes Vertrauen seitens der Eltern in die Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit Jesu angesichts der offensichtlich unüberschaubaren Pilgermenge, wenn sein Fehlen auf dem Heimweg erst eine Tagesreise später, sozusagen auf dem abendlichen Rastplatz, entdeckt wird. Dem entspricht auch rein menschlich gesehen die selbstbewusste Antwort Jesu auf die Frage Marias in Vers 49. Zum anderen scheint den Eltern die Ernsthaftigkeit des geistlichen Interesses und Eifers ihres Sohnes, die sich sicher schon früher in der „Schule“ in Nazareth gezeigt haben dürfte, nicht deutlich geworden zu sein, denn sie brauchen immerhin drei Tage, um ihn im Tempel zu finden. Das wiederum passt nicht wirklich zu Lukas 2, 19 und 2, 50 b. Maria hätte es besser wissen müssen. Offen bleibt auch die Frage, weshalb Josef auch hier stumm bleibt und seinem väterlichen „Ordnungsrecht“ nicht einmal andeutungsweise nachkommt. Stilistisch ist eine narrative Predigt nahe liegend. II. Zum 2. Sonntag nach Weihnachten: Dieser „eher seltene“ Sonntag verlängert die Weihnachtszeit um eine Predigtmöglichkeit als „Brücke“ zwischen der Botschaft des Christfestes –Christus ist geboren – und dem Wirken des erwachsenen Jesus Christus, die ab dem 1. Sonntag nach Epiphanias zu bedenken ist. In diesem Sinn ist die Textauswahl nahe liegend und ermöglicht ein „Mitgehen“ des Lebensweges Jesu im lukanischen Sinn.Predigt
Da hätten wir doch gleich nachsehen können
„Auch das noch!“, war meine erste Reaktion auf der Konfirmandenfreizeit. Wir hatten wie immer einen freien Stadtrundgang dabei und einen festen Treffpunkt samt Uhrzeit zur Fortsetzung des Programms vereinbart. Bisher hatte es nie Probleme gegeben. Alle Konfirmandinnen und Konfirmanden waren pünktlich erschienen. Diesmal nicht. Diesmal fehlte einer, nennen wir ihn Hans. Ausgerechnet Hans, von dem wir das am wenigsten erwartet hätten. Er war einer der Stillen und Unauffälligen in der Gruppe, keiner, der das Betreuerteam mal eben testen oder vor den anderen der große King sein wollte. Und Hans war einer der wenigen aus der Gruppe, der kein Mobiltelefon bei sich hatte.
„Was nun?“, fragten wir uns im Team, als der Überfällige auch nach zwanzig Minuten noch nicht aufgetaucht war. Die Gruppe ging mit den anderen Teamern ins Quartier, ich blieb am Treffpunkt, einem übersichtlichen großen Platz mitten in der Stadt und wurde doch langsam unruhig. Ich begann, den Platz abzulaufen und in die Seitenstraßen hineinzuschauen, ob ich Hans nicht irgendwo sehen könnte. Die Minuten wurden zu Stunden. Gerade als ich zum Treffpunkt zurück ging, kam Hans um die Ecke. Nicht sehr schnell, mit fast erstauntem Blick, dass die anderen nicht da waren. Ich blickte auf die Uhr und sagte nichts. „Tschuldigung“, murmelte er, „war im Internetcafé, ist bisschen spät geworden.“ Das hätte ich mir doch denken können. Hans, der stille Computerfreak. Da hätten wir doch gleich nachsehen können! Zum Glück war er wieder da, alle im Team waren erleichtert und auf dieser Freizeit gab es dann auch Gott sei Dank keine vergleichbare Aufregung mehr. Wenn Hans und seine Kollegen ein bisschen bibelfester gewesen wären, hätten sie uns noch ein bisschen herausfordern können. Denn bei Lukas im 2. Kapitel, in den Versen 41-52, wird eine Geschichte erzählt, die Hans als Vorbild für seine Aktion hätte dienen können, wenn er sie nur gekannt hätte. Aber hören Sie selbst, liebe Gemeinde. (Lesung des Predigttextes)
Warum habt ihr mich gesucht
Der erste Eindruck sagt: Schon wieder ein Teenager, oder besser „Pubertät(!)er“, auf Abwegen. Einer, der die Freiheit genoss, selbständig und eigenverantwortlich in der großen Stadt unterwegs zu sein. Einer, dem seine Eltern sehr viel zutrauten, auf den sie sich verlassen konnten. Den sie zu kennen meinten. Der schon fast erwachsen war und als vollgültiges Mitglied der Gemeinde zählte. Der auch nicht zum ersten Mal auf der Wallfahrt zum Tempel dabei war. Kurz: Jesus kannte sich aus, da konnte eigentlich nichts schief gehen, weil in den Jahren zuvor auch immer alles gut ging. Doch dann kam alles anders: Erst nach einer Tagesreise bemerkten sie sein Fehlen in der Pilgergruppe, beschlossen, nach Jerusalem zurück zu laufen und ihn zu suchen. Sie brauchen in Jerusalem noch Tage und nicht nur Stunden, bis sie ihn im Tempel finden, wie Lukas erzählt. Und dann mischen sich Erleichterung und Freude über das glückliche Ende mit Vorwurf und Ärger über den Sprössling und Ärger über die eigene Einfallslosigkeit, nicht gleich im Tempel gesucht zu haben und sich damit quälend lange Stunden der Suche erspart zu haben. Das alles mündet in die Frage Marias an den halbwüchsigen Jesus: „Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.“
Jeder Leser und jede Leserin dieser Geschichte des Lukas, jede Mutter, jeder Vater, jede Betreuerin und jeder Betreuer eines Jugendlichen erwartet in dieser Situation eine Erklärung und mehr oder weniger deutlich ausgesprochene Bitte um Entschuldigung, so wie sie Hans über die Lippen kam. Doch der halbwüchsige Jesus erfüllte diese Erwartung nicht. Haben Sie seine brüske Antwort noch im Ohr, liebe Gemeinde? „Und Jesus sprach zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“ Nein, das ist keine Antwort auf die Frage der besorgten Maria. Das ist auch nicht mit pubertärem Abgrenzungsverhalten zu erklären, was Jesus da sagte. Das ist der Satz, auf den hin Lukas alles andere erzählt. Jesus im Hause seines Vaters. Er, der Sohn Gottes, tritt zum ersten Mal als solcher in die Öffentlichkeit, und zwar im Tempel, am zentralen Ort des Glaubens. Das geschieht eher unspektakulär, wenn wir von den Ängsten, der Erleichterung und der Verwunderung seiner Eltern über seine Antwort einmal absehen.
Weiter auf dem an Weihnachten begonnenen Weg
Und dennoch gibt es keinen Zweifel, sagt Lukas: Jesus ist der Sohn Gottes. Und das wird deutlich noch vor seiner Taufe, vor dem Beginn seines Wirkens in Wort und Tat. Als Heranwachsender, der Thora liest und mit den Theologen/Thoralehrern und Priestern am Tempel über die Auslegung der heiligen Schrift debattiert, setzt er den Weg fort, der mit seiner Geburt in Bethlehem begonnen hat. Untrennbar ist sein Weg, der Weg des Gottessohnes, mit der Heiligen Schrift und dem Glauben seines Volkes verbunden. Diese Gedanken sind dem Lukas so wichtig, dass er als einziger der biblischen Evangelisten uns die kurze Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel aufgeschrieben hat. Wir hören sie heute an diesem ersten Sonntag im neuen Jahr 2009 als Fortsetzung der Weihnachtsgeschichte, an die wir vor wenigen Tagen erinnert wurden. So bleiben wir mit Jesus auf dem Weg ins neue Jahr, begleiten ihn und dürfen uns begleitet wissen. Und noch eines ist mir sehr sympathisch an dieser kurzen Geschichte: Jesus überrascht uns immer wieder. Seine Worte sprengen unseren Horizont. Das macht Mut fürs neue Jahr.
Amen.