Glauben lernen
Mit Menschen, die anders glauben wollen als wir, vorsichtiger, gelassener und jesusgemäßer umgehen
Predigttext: Matthäus 8,5-13 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
5 Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn 6 und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen. 7 Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. 8 Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, daß du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. 9 Denn auch ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er's. 10 Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden! 11 Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; 12 aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern. 13 Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde. Lied nach der Predigt: „Ich steh vor dir mit leeren Händen…“ (EG 382)Predigt
Liebe Gemeinde!
Glauben
Glauben Sie so wie dieser heidnische Hauptmann in Kapernaum? Heute, wenn Sie diese Evangeliumsgeschichte hören und annehmen, können Sie glauben lernen, so glauben, wie es Jesus recht war und Gott recht ist. Denn dass dieser Soldat, der gar kein Jude war und auch nicht zur Gemeinde in Kapernaum zählte, dass dieser Außenseiter wahrhaft und recht glaubte, das hat Jesus gesagt; und seinem erstaunten und erstaunlichen Urteil können wir Christen wohl kaum widersprechen! Wir können uns allenfalls darüber ärgern, wie sich vermutlich die Leute damals neben Jesus geärgert haben, als sie den Hauptmann als Bittsteller vor Jesus erlebten und Jesu Antwort hörten: Solchen Glauben wie den des Hauptmanns habe ich in ganz Israel nicht gefunden! Wenn Sie können, dann vergessen Sie jetzt bitte einmal all das, was Sie selbst sich unter „richtigem Glauben“ vorstellen oder was Sie seinerzeit darüber gelernt haben. Oder aber Sie gehören selbst zu den Menschen, die sagen: Ich kann einfach nicht glauben, was man da in der Kirche, im Religionsunterricht oder im Konfirmandenunterricht gesagt bekommt, dass man es glauben müsse: Das Glaubensbekenntnis mag ja alt und wohl-formuliert sein; aber schon gegen das Wort Schöpfer habe ich meine Bedenken; und die späteren Aussagen über die Auferstehung und die Wiederkunft Jesu zum Gericht kann ich einfach nicht ehrlich mitsprechen… – So denken und reden übrigens nicht nur Konfirmanden; und so ein Glaubensbekenntnis hatte der Hauptmann in Kapernaum ja wohl auch nicht. Aber dann begegnen wir andererseits plötzlich Leuten, die uns strahlend oder auch streng ins Gesicht schauen und sagen: Das musst du eben glauben, einfach glauben so wie ich: Was Gott spricht, das geschieht, und wenn er gebietet, dann stehts da! Hat es wohl der Hauptmann so gemeint und deshalb gesagt: Du, Jesus, sprich nur ein Wort, nur ein einziges Wort, dann wird mein Knecht gesund! – Das klingt zwar ein bisschen nach Kasernenhof: „…Gott und der Herr Hauptmann haben befohlen, dann wird’s auch so gemacht!“
Den eigenen Glauben wagen
Ist das also richtiger Glaube? Müssen wir so glauben? – Nein, liebe Gemeinde, ein klares Nein! So müssen Sie und ich nicht glauben! Wir müssen überhaupt nicht glauben, wir dürfen aber alle glauben und dabei von jenem Hauptmann lernen, ohne ihn zu kopieren: Jeder/jede von uns muss und kann seinen eigenen Glauben wagen, täglich neu zu glauben versuchen, im Alter anders als in der Jugend, im 21. Jahrhundert anders als zu Luthers Zeiten. Martin Luther hat diese Evangeliumsgeschichte oft und gern gepredigt und hat dazu einmal gesagt: „Der Glaube ist eine lebendige, verwegene Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiss, dass er tausendmal dafür sterben würde, und solche Zuversicht macht fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und alle Kreaturen, das wirkt der Heilige Geist…“ Das klingt nun wieder frömmer und theologischer und beschreibt doch genau das, was jener Hauptmann getan hat: In großem Freimut und gar nicht unterwürfig oder demütig, wie manche Bibelleser/innen entdeckt haben wollen, mit dem Mut eines Hilfesuchenden und gar nicht besonders religiös, aber in fürsorglicher Sorge um seinen kranken Knecht oder gar Sohn, dem er nicht mehr helfen konnte. So sprach er Jesus an und bat ihn: Herr, hilf! Kyrie eleison!
Universaler Glaube
Ist denn Gott und sein Heil nicht für alle Menschen da, also auch für mich und meinen kranken Knecht, auch wenn wir Heiden sind? Diese Einstellung, wenn das überhaupt eine Einstellung ist, die kann man mit Martin Luther tatsächlich verwegen und trotzig nennen, eine gewagte Gottes-Begegnung und Gottes-Beziehung, aus Not und Sorge; so stehts ja schon in den Psalmen: Rufe mich an in der Not, so will ich dich erhören und erretten! Aber kannte der Hauptmann diesen Bibelvers? Jesus hat das Verhalten des Hauptmanns Glaube genannt, Glaube auch außerhalb des bisherigen Gottesvolkes, Glaube auch außerhalb der Kirche; den gibt es nämlich auch in Deutschland, hier im Westen genauso wie im angeblich atheistischen Osten. Die in unserer Kirche immer noch praktizierte Buchführung über die Zahl der wirklichen Gläubigen und der Abendmahlsgäste und der Kirchensteuerzahler, die hat seit Jesus eigentlich kein Recht und keinen Sinn mehr, denn: „Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen“. Dies glaubte und sagte Jesus schon damals seinem Volk. Also hat niemand den wahren, ganzen Glauben für sich gepachtet. Das Glauben hat man sowieso nie wie einen erworbenen Besitz. Aber jeder Mensch kann das Glauben erfahren und wagen und üben. So will es Gott, der unser aller Nothelfer sein will, wie Jesus bei seinen Krankenheilungen deutlich gemacht hat.
Der Glaube jenes Hauptmanns war für Jesus genug. Jesus hat nicht mehr gefordert! Daher finden wir im ganzen Matthäus-Evangelium später keinen Satz mehr über diesen Hauptmann – wie er nun nach der wunderbaren Heilung seines Knechtes weitergelebt hat, ob er sich der jüdischen Gemeinde angeschlossen hat oder vielleicht ihr Sponsor wurde. Genauso wenig erfahren wir noch etwas von jener Syrophönizierin, deren Tochter Jesus geheilt hatte, als sie nicht aufhörte, ihn darum zu bitten und zu bedrängen. „Frau, dein Glaube ist gross! Dir geschehe, wie du geglaubt hast“, sagte Jesus, genauso wie zum römischen Hauptmann: „Dir geschehe, wie du geglaubt hast“, und sein Knecht wurde gesund zur selben Stunde…
Also sollten wir Kirchenchristen mit der Messlatte des Glaubens vorsichtiger und jesusgemäßer umgehen, auf jeden Fall gelassener, wenn wir Menschen begegnen, die anders glauben oder gläubig sein wollen als wir, seien sie nun Mitchristen aus unserer Kirche oder aus einer anderen Kirchengemeinschaft. Und wenn sie nun gar keine Christen sind und trotzdem Gott und seine Hilfe und Güte suchen und brauchen? Der frühere Fernsehpfarrer Jörg Zink hat schon vor dreißig Jahren in einem Buch (Erfahrungen mit Gott, 1975, S 131 f.) dazu geschrieben: „Wir sind als christliche Abendländer gewohnt, falsche von richtigen Anreden an Gott zu trennen. Wir stellen uns vor, das Gebet eines Christen höre Gott, während das Gebet eines frühen Stammes zu irgendeinem Gott nicht zum wirklichen Gott gelange. Bei den Magandscha, einem afrikanischen Stamm, betet die Priesterin: „Höre, du o Mpambu, sende uns Regen!“ – und der versammelte Stamm antwortet mit leisem Klatschen und in singendem Ton: „Höre, o Mpambu!“ – Soll ich nun annehmen, da es den Regengott Mpambu wohl „nicht gibt“, dieses Gebet gehe ins Leere? Der religiöse Anruf werde von niemandem gehört? Ich meine natürlich nicht, der Regengott werde antworten. Wer aber, so frage ich mich, hört den Ruf der Priesterin und die Bitte der Menschen wirklich? Wer sieht die beschwörenden Tänze? Wird es nicht der eine Gott sein, der jedem Menschen auf dieser runden Erde nahe ist und der jede Stimme hört, die irgendwo im Guten oder im Bösen laut wird, und der sie immer gehört hat? Oder wird er, der eine wirkliche Gott, sein Ohr verschließen, weil er nicht mit seinem korrekten Namen angeredet wird? …Ich stelle mich also neben irgendeinen fremden Menschen aus irgendeiner fernen Weltgegend und aus irgendeiner fremden Religion und rufe mit ihm zusammen Gott an – ich mit den Worten, die ich gelernt habe, er mit den seinen. Ich muss seine Vorstellungen nicht teilen; ich weiß aber, wenn Gott mich hört, so wird er auch für ihn nicht taub sein“. Und ich füge nur noch hinzu: Es genügt, es genügt Gott und Jesus, wenn Sie und ich so glauben und zu glauben versuchen wie jener Hauptmann von Kapernaum. Das ist die gute Nachricht für uns alle heute!
Amen.