Grenzerfahrungen

Es fällt uns schwer, Gott und das Leiden in dieser Welt zusammenzudenken, aber wir dürfen uns nicht mit der Realität, die sich in Krankheit, Schmerz und Leid uns zeigt, zufrieden geben

Predigttext: Matthäus 8,5-13
Kirche / Ort: Schornsheim/Udenheim (Rheinhessen)
Datum: 25.1.2009
Kirchenjahr: 3. Sonntag nach Epiphanias
Autor/in: Pfarrer Kurt Rainer Klein

Predigttext: Matthäus 8,5-13 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

5 Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn 6 und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen. 7 Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. 8 Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, daß du unter mein Dach gehst, sondern spri ch nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. 9 Denn auch ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er's. 10 Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden! 11 Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; 12 aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern. 13 Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.

Vorbemerkungen zum Predigttext

Wir stehen mit der Geschichte des Hauptmanns von Kapernaum an Grenzen. An der Grenze von Kranksein und Gesundwerden, an der Grenze von Befehlen und Gehorchen, an der Grenze von Glauben und Erfüllen, an der Grenze von Dazugehören (Glaubensgenosse) und Fremdsein (Heide). Und es kommt zu Grenzüberschreitungen: Der Heide geht auf Jesus zu: Mein Knecht ist gelähmt und leidet große Qualen. Jesus verweigert sich dem Heiden nicht, sondern gibt sich offen: Soll ich kommen und ihn gesund machen! Der Hauptmann glaubt und überwindet darin sein Leiden: Der Knecht wird schließlich wieder gesund. Die Alltagskategorien von Befehlen und Gehorchen überträgt der Hauptmann auf Jesus: „Sprich nur ein Wort!“ und Jesus antwortet: „Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast.“ Jesus staunt über den Glauben des Hauptmanns, den er angeblich in dieser Art unter seinesgleichen nicht gefunden hat. Die vermeintliche Wundergeschichte ist eine Glaubensgeschichte. Das Wunder liegt darin, dass der Glaube „Berge versetzen kann“ und Grenzen überschreitet.

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Predigt

Glauben

Mit dem Glauben ist das so eine Sache. Einer Umfrage unter 1000 Frauen und Männern ab 14 Jahren in Deutschland zufolge glauben 65% der Deutschen an einen Gott. 70 Prozent der Deutschen bezeichnen Gott gar als eine allgegenwärtige Kraft in ihrem Leben. Grundsätzlich schätzt die überwältigende Mehrheit ihren Glauben als positives Element, das ihnen ein Gefühl von Schutz gibt, ihrem Leben Sinn verleiht oder es interessanter macht. Messbar aber ist bei keinem Menschen sein Glauben. Es mag Zeiten geben, in denen ein Mensch seinen Glauben intensiver empfindet, dagegen aber auch Zeiten, in denen man wenig davon spürt. Wenn wir im Einzelnen genauer hinschauen und fragen, was die Inhalte des Glaubens sind, dann werden wir mitunter sehr unterschiedliche Ausprägungen wahrnehmen können. Eines können wir mit Bestimmtheit sagen: Der Glauben lässt sich nicht befehlen!

Damit sind wir beim Hauptmann von Kapernaum. Er ist ein Mann, der einerseits im Befehlen und Gehorchen zuhause ist. Er denkt und handelt in diesen Strukturen. Das hat er so gelernt und das ist sein Beruf. Aber andererseits finden wir bei ihm auch einen Glauben, der selbst Jesus in Staunen versetzt. Ein Glauben, der aus seinem tiefsten Inneren kommt. Ein praktischer Glaube, der von Lehrmeinungen und kirchlichen Dogmen weit entfernt ist. Ein Glauben, der sich dadurch zeigt, dass er Handlungsbedarf spürt und nicht zögert, aktiv zu werden.

Sein Glauben hilft dem Hauptmann von Kapernaum aus dem Raum seiner begrenzten Erfahrungen herauszutreten. In seinem Alltag ist er gewohnt, Menschen zu befehlen. Er kann etwas anordnen und es geschieht. Weil er die Macht des Befehls hat, treffen seine Anordnung auf Gehorsam und werden von Menschen ausgeführt. Aber im Blick auf seinen Knecht ist der Hauptmann von Kapernaum an seine Grenzen gestoßen. Sein Knecht liegt zuhause, gelähmt und hat große Schmerzen. Er, der Hauptmann, hat nicht die Kompetenz und das Vermögen, seinem Knecht die Heilung und Genesung zu befehlen.

Leiden

Aber sich abfinden mit dem leidvollen gesundheitlichen Zustand seines Knechts, das kann der Hauptmann auch nicht. Er nimmt das Leiden nicht einfach hin. Es ist anzunehmen dass er seinen Knecht sehr mag. Darum will er, dass ihm geholfen wird und sein Knecht bald wieder auf die Beine kommt. Darum will er sich nicht zufrieden geben mit dem, wie es ist. Es muss doch möglich sein, die Krankheit zu überwinden. Und wenn er selbst nicht die Macht hat, darüber zu befehlen, muss ein Anderer imstande sein, dies zu tun. Darum setzt er sich in Bewegung und geht auf Jesus zu.

Es fällt uns schwer, Gott und das Leiden in dieser Welt zusammenzudenken. Wenn es Krankheit, Schmerz und Leiden gibt, dann – sagen wir – kann es doch keinen Gott geben. Umgekehrt, wenn Gott existiert – so meinen wir – dürfte es doch keine Krankheit, Schmerz und Leiden in unserer Welt geben. Schließt also das Eine das Andere aus? Oder stoßen wir hier an die Grenzen unseres Verstehens?! Es ist in der Tat so, dass wir eine Sehnsucht nach heiler Welt haben. Aber steckt darin nicht die Ahnung, dass wir nicht nur Produkte der Evolution sind, sondern uns einem Schöpfer verdanken, der uns die Vorstellung einer heilen Welt gibt.

Der Hauptmann von Kapernaum wendet sich an Jesus. Er überträgt auf ihn die Kategorien von “Befehlen und Gehorchen”, die er aus seinem Berufsalltag kennt. “Sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund!” Er traut Jesus zu, dass im Blick auf seinen Knechten funktioniert, was tagtäglich in seinem Alltag funktioniert. Ein Wort, ein Befehl und alles gehorcht nach seinem Willen. Es wird so, wie gewollt. Nur auf einer höheren Ebene. In einer anderen Dimension. Mit einer tieferen Wirkung und mit nachhaltigeren Folgen.

Grenzüberschreitung

Der Glaube des Hauptmanns von Kapernaum überschreitet Grenzen. Er macht nicht Halt bei der Vorstellung, dass alles so ist wie es ist. Er findet sich nicht ab mit dem Unabänderlichen oder Zufälligen, das in unser Leben einbricht. Er gibt sich nicht zufrieden mit der Realität, die sich in Krankheit, Schmerz und Leid uns zeigt. Darum geht er auf Jesus zu. Dabei überschreitet er die Grenze, die einen Heiden von Jesus trennt. So nennt der Hauptmann den Grund, der ihn bewegt. Seine Liebe zu seinem Knecht lässt ihn in seiner Bitte an Jesus die Grenze überschreiten, die einen Kranken vom Gesundsein trennt.

Da kann sich Jesus über solchen Glauben nur wundern. Ob sich der Hauptmann von Kapernaum dessen bewusst gewesen ist?! Von abgrundtiefer Liebe bewegt, vertraut er sich einem an, dessen Befehlsgewalt über seine weit hinaus geht. Weil er selbst nicht helfen kann, muss ein Anderer zur Hilfe kommen. Dafür muss dieser nicht einmal in sein Haus kommen, wo der Knecht liegt. Ein Wort soll genügen. Alle Hoffnung setzt er auf den umherziehenden Wundertäter Jesus: “Sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund!” Das wird des Knechtes Schicksal wenden und ihn wieder dem Leben zurückgeben. Bei genauem Hinsehen fällt uns auf: Jesus hat sich nicht in das Schema von “Befehlen und Gehorchen” hineindrängen lassen. So sehr ihm der Hauptmann die Befehlsgewalt über die Krankheit zugetraut hat, so wenig hat Jesus das erwartete Machtwort gesprochen. Er hat sich nicht als Befehlshaber über die Natur gezeigt. Am Ende sagt Jesus nur: “Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast.” Und der Hauptmann zu Kapernaum findet seinen Knecht zur selben Stunde gesund. Es ist der Glaube, der sich nicht befehlen lässt und dem man auch nicht befehlen kann.

Der Glaube des Hauptmanns von Kapernaum vertraut sich Jesus an. Aber seiner Vorstellung, dass Jesus einfach gebietend auftritt und seinen Knecht mit einem Machtwort heilt, verweigert sich Jesus. Er zeigt sich nicht als Wunderheiler, der mit einem magischen Wort einen Kranken heilt. Am Ende ist es der Glaube des Hauptmanns selbst, der zur Genesung des Knechts führt. Dieser Glaube allein ist der Grund für die Gesundung des kranken Knechts. “Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast.”

„Sprich nur ein Wort!“

Manchmal,
wenn wir
am Ende
unserer Möglichkeiten
angekommen sind,
wenn wir
nicht mehr
weiter wissen,
wenn wir
am dunklen Abgrund
stehen,
dann
„sprich nur ein Wort!“

Wenn uns
dann Einer sagt:
„Geh hin;
dir geschehe,
wie du
geglaubt hast“,
spüren wir
neue Kräfte,
die langsam
in uns
erwachen
und in uns
lebendig werden.

Kurt Rainer Klein

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