Vom Heiligen berührt

Plötzlich erscheint das ganz Alltägliche in einem anderen Licht

Predigttext: Matthäus 17,1-9
Kirche / Ort: Nicolaikirche / Elstorf (21629 Neu Wulmstorf)
Datum: 01.02.2009
Kirchenjahr: Letzter Sonntag nach Epiphanias
Autor/in: Pastor Dr. habil. Günter Scholz

Predigttext: Matthäus 17, 1-9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1 Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. 2 Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. 3 Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. 4 Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. 5 Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! 6 Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. 7 Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! 8 Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. 9 Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.

Exegetische (I.) und homiletische (II.) Bemerkungen zum Predigttext

I. Die Verklärungsgeschichte (Mk 9,2-8 parr.) ist eine ins Leben Jesu zurückverlegte Oster-geschichte. Über den irdischen Jesus wird dem Leser/der Leserin bzw. dem Hörer/der Hörerin schon jetzt gesagt, wie diese/r ihn zu sehen hat bzw. wer er in Wahrheit (Mk 15,39) ist. Obwohl diese Szene bei Mt in einer längeren Passage steht, die – abgesehen vom jeweiligen Sondergut – weitgehend mit Mk parallel läuft (Mt 13,53 –18,9 // Mk 6,1 – 9,50), ist sie bei beiden Evangelisten ihren je eigenen redaktionellen Intentionen dienstbar gemacht. Bei Markus dient sie den geheimen Epiphanien des sich erst am Kreuz endgültig entbergenden Gottessohnes („Messias-geheimnismotiv“), bei Matthäus ist sie Bestätigung des Petrusbekenntnisses Mt 16,16. Weil Petrus schon seit Mt 16,16 klar sieht und darum dort auch schon zum Fels der Kirche ernannt wird, kann er auch hier (Mt 17,1-9) Jesus im Lichte des „Herrn“ sehen (17,4) – eine „neue“ Sicht gegenüber Markus („Rabbi“; 9,5). Furcht ist Petrus an dieser Stelle – im Unterschied zu Mk – fern, die wird stattdessen nach der Gottesstimme eingeschoben, zusammen mit dem Zu-Boden-Werfen. Furcht und Niederwerfen wie auch Aufgehoben-Werden und Mutzuspruch sind Elemente von Berufungsgeschichten. Soll damit die Jüngerberufung Mt 4,18-22 in dem Sinne überhöht werden, dass es sich nicht allein um ein Rabbi-Schüler-Verhältnis handelt, sondern um ein Christus-Apostel-Verhältnis? Alle Überhöhung findet doch immer wieder ihre Begrenzung durch die Menschlichkeit des Petrus. Ihr – und nicht dem sich allmählich lüftenden Geheimnis (Mk) – ist es zuzurechnen, dass seine Fehlinterpretationen immer wieder die Einzigartigkeit des Augenblicks (zer) -stören: nach der 1. Leidensweissagung: „Gott bewahre...“ (Mt 16,22), hier: lasst uns Hütten bauen. Theologisch allerdings ist diese Fehlinterpretation des Augenblicks bedeutsam. Das Berührt-Werden durch das Heilige ist nicht konservierbar, fotografierbar, be-greifbar (vgl. Fausts Betrachtung des „Augenblicks“). II. Die Verklärungsgeschichte ist hat etwas enorm Widerständiges - zu schön, um wahr zu sein? Auf der anderen Seite weiß ich auch: Alles, was in der Bibel erzählt ist, ist auch und gerade für mich erzählt. Wenn der Erzähler sich nicht sicher wäre, dass auch ich es erfahren kann, und wenn es nicht seine Intention wäre, dass ich es erfahren soll, hätte er es nicht erzählt. Welche Grunderfahrung kann ich im Bannkreis der Verklärungsgeschichte machen? Offenbar die: Du siehst es einem Menschen an, wenn er sich verändert. So muss es bei Petrus, Jakobus und Johannes auch gewesen sein. Vielleicht ist es ja nur meine subjektive Sicht; ein anderer Mensch stellt gar nichts fest. Aber wie dem auch sei, ich sehe den Menschen in einem neuen Licht (vgl. die Lichtvergleiche in v 2). Welche Grunderfahrung soll ich im Bannkreis der Verklärungsgeschichte machen? Offenbar die: So wahr dieser Jesus als der Christus erscheint, so wahr ist das Heilige in der Welt. Das Heilige hat sich manifestiert in dem Heiligen (Lk 1,35). Und das Heilige, das „Sohn Gottes“ genannt (werden) wird, lebt. Jederzeit kann auch ich vom Heiligen (in seiner masculinen oder neutrischen Form) berührt werden, wann und wo auch immer (das kann auch im „Resonanzraum“ der Predigt geschehen, vgl. F. Muchlinsky, Predigen im Plural, Hamburg 2001, S. 175ff; und ders., „Predigt als Resonanzgeschehen“ in: C. Thierfelder, D.H. Eibach (Hgg.), Resonanzen, Stuttgart 2002, S. 17ff). Vom Heiligen berührt zu werden, ist ein Wert an sich. Es belässt mich in der Normalität der Welt („Steht auf und fürchtet euch nicht!“) und gibt meinem Leben einen neuen Impuls („Jesus... rührte sie an...“).

zurück zum Textanfang

Predigt

Liebe Gemeinde!

Ein Mensch – wie verwandelt

87 Jahre alt ist sie. In einer großen zur Diele umgebauten Scheune sitzt sie ganz vorn am Spinnrad. Aus Schafwolle spinnt sie Wollfäden, aus denen sie Socken, Handschuhe und Mützen strickt. Neben ihr drei Musiker, die zum Akkordeon Volkslieder singen. Die Diele ist voller Menschen, von Bussen herbeigefahren. Die Musiker füllen sich zum Chor auf, mittendrin die 87jährige, die jetzt fröhlich mitsingt und sich im Rhythmus dazu bewegt. „Die hättest du mal vor drei Jahren sehen sollen“, bedeutet man mir, „da war sie völlig deprimiert, ganz ruhig und sah ziemlich alt aus. Gar kein Vergleich mit heute.“ – „Wie das?“ fragte ich. Die Ehe ihres Sohnes war auseinandergegangen, und das habe sie sehr belastet, erklärte man mir. Nun habe sie eine neue Schwiegertochter, die sei so nett, und die habe sie mit ins Haus geholt. Jetzt sei sie nicht mehr allein und habe wieder eine Familie.

Es ist schön, dass man das sehen kann: Irgendetwas ist anders geworden. Und am schönsten ist es, wenn es sich zum Besseren hin gewandelt hat. Da kann man sich wirklich mitfreuen. Sehen Sie nicht auch an Ihren Kindern und an Ihren Enkeln: Irgendwie erscheint er mir in einem anderen Licht: Er ist erwachsener geworden; irgendwie wirkt sie verändert: Sie ist reifer geworden.

Der Rabbi Jesus – (wie) verwandelt

So muss es auch damals den drei Jüngern Petrus, Jakobus und Johannes mit Jesus gegangen sein. Irgendwie erschien er ihnen plötzlich in einem anderen Licht. Irgendetwas war anders geworden. Irgendetwas hatte sich an Jesus verändert: Er war nicht mehr nur ihr Rabbi (Mk 9,5), er war mehr. Matthäus hat die Veränderung, die die drei Jünger an Jesus wahrnahmen, in eine Erzählung gefasst, die zu denken gibt.

(Lesung des Predigttextes)

Petrus und die anderen Jünger – vom Heiligen berührt

Was Petrus schon immer geahnt hatte, das war ihm nun zur Gewissheit geworden: Dieser Jesus ist der Sohn des lebendigen Gottes (Mt 16,16). Er ist dessen inne geworden, weil er vom Heiligen berührt worden ist. Auf einmal konnte er es ihm ansehen, dass auch etwas Göttliches in seinem Angesicht lag, etwas, was man nicht beschreiben kann, was man aber vielleicht mit „Glanz“ wiedergeben kann? Hatte sich Jesus verändert oder hatten Petrus und die beiden anderen Jünger nur eine neue Sicht auf Jesus? – Egal wie, sie sahen etwas, weil sie vom Heiligen berührt waren. Unwillkürlich entfährt dem Petrus jene Anrede: „Herr“, im griechischen Wortlaut: „Kyrie“. Nicht „Rabbi“, sondern „Herr/Kyrie“. Die drei waren vom Heiligen berührt: Eine lichte Wolke überschattete sie.

Geheimnis Jesus Christus

Die Berührung mit dem Heiligen gibt Gewissheit. Damals wurden Petrus, Jakobus und Johannes dessen inne, dass der Mensch Jesus von Nazareth Gottes Sohn ist – so erzählt Matthäus. Er erzählt es auch für uns, damit auch wir des Geheimnisses Jesu Christi inne werden. Und das Geheimnis ist: Der, der damals als Mensch in der Welt war, er lebt! Jesus lebt! Das ist die frohe Botschaft für uns und zugleich das Geheimnis.

Jesus lebt! Das darfst du ruhig sagen und bekennen. Das ist nicht falsch. Inne wirst du dessen allerdings erst, wenn du vom Heiligen berührt wirst. Wie gut, dass du darauf keinen Einfluss hast, es widerfährt dir. Ich kann es für dich nicht richten, und du kannst nichts dazu tun. Es ist reine Gnade. Aber es gibt Beispiele, wo Menschen vom Heiligen berührt wurden; und jeder von ihnen könnte seine Geschichte erzählen. – Da erzählt jemand, wie er gesegnet wurde und wie ihm dieser Segen durch und durch ging, wie er den Segen im ganzen Körper spürte. Ich glaube, der Heilige hat ihn berührt, und das Bekenntnis „Jesus lebt“ ist nicht mehr nur richtig, sondern für ihn wahr geworden. Und der Segnende? Auch er erschrickt. Kann durch seine Hände solch eine Kraft gehen? Nur, weil der Heilige ihn berührt; nur, weil Jesus lebt! Die Kraft des Segens ist unbegreiflich. Könnte ich sie begreifen, dann könnte ich sie beschreiben, dann könnte ich sie langsam aufbauen und durch Techniken oder Rituale eine Zeitlang auf einer bestimmten Höhe halten, gleichsam konservieren. Das aber geht ebenso wenig wie das Festhalten des himmlischen Augenblicks durch Hütten-Bauen. Der Kraft des Segens inne zu werden, sowohl als Segnende/r wie auch als Gesegnete/r, ist immer nur ein Geschenk des Moments. Er vergeht sofort, wenn ich ihn festhalten will. Die Berührung durch das Heilige ist un-begreif-lich. Der Heilige allerdings ergreift mich, denn er lebt; und ich bin ergriffen; die drei Jünger waren sogar zu Boden geworfen.

Was ich über den Segen gesagt habe, das gilt gelegentlich auch für ein Wort, einen Satz, einen Gedanken aus meiner Predigt. Ich habe das nicht in der Hand, dass ein Mensch manchmal dadurch zutiefst berührt wird, erschrickt und sich fragt: „Hat es einen Sinn, dass ich dies heute hören sollte?“ Und nachdenklich oder befreit verlässt er die Kirche. Vom Heiligen berührt! Ich, der es sprach? Oder jene/r, der/die es hörte? Oder beide? Jesus lebt! Das ist nicht nur richtig, das ist wahr. Und wenn das Wort des Lebendigen uns nicht berühren sollte, was war es dann? War es doch schon damals das Wort aus der Wolke, das den heiligen Schauer über die Jünger brachte.

Das Heilige ist in der Welt

Die Berührung mit dem Heiligen: Du kannst sie überall haben. Du kannst sie haben auf dem Jakobsweg oder auf jedem anderen Pilgerweg auch. Denn seit Jesus Christus und durch ihn ist klar: Das Heilige ist in der Welt. Darum: Überall auf der Welt kannst du die Begegnung mit dem Heiligen haben. Warum haben Bergsteiger wohl ein Kreuz auf dem Gipfel der 2000er errichtet? In alten Zeiten, etwa zur Zeit des Mose, galt: „Ziehe deine Schuhe aus, denn der Boden, auf dem du stehst, ist heilig“ (nach 2.Mose 3,5). Seit Jesus Christus und durch ihn gilt: Alles ist heilig; denn „die Erde ist des Herrn“ (Psalm 24,1). In alten Zeiten galt: Es gibt reine und unreine Speisen; seit Jesus Christus aber und durch ihn gilt: „Alles, was mit Danksagung empfangen wird, ist gut und geheiligt durch Gottes Wort und Gebet“ (nach 1.Timotheus 4,4f). Alles ist heilig; alles vom Heiligen durchdrungen. Denn das Heilige hat die Welt berührt. Petrus, Jakobus und Johanns haben es in ihrem Rabbi erkannt. Er, der Rabbi, erscheint ihnen plötzlich im Licht des Herrn. Auf einem Berg. Vielleicht gibt es Orte, wo das Heilige sich verdichtet; aber grundsätzlich kannst du überall vom Heiligen berührt werden; denn der Heilige ist überall in der Welt, Jesus lebt!

Darum steh auf und geh! Geh deinen Weg. Und wenn es sein soll, dann lass dich vom Heiligen berühren. Es kommt nicht daher wie eine verzauberte Welt, es kommt ganz normal daher. Und doch wirst du des Heiligen inne, vielleicht, weil dir das Normale plötzlich in einem anderen Licht erscheint. Fürchte dich nicht, sondern freue dich, wenn du erkennst: Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde… heilige Dinge.

Amen.

zurück zum Textanfang

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.