Der Sämann

Gott begleitet die Menschen, in jeden von uns ist so etwas wie göttlicher Same gelegt, und gleichzeitig haben Menschen auch die Freiheit, sich selbst zu entwickeln

Predigttext: Lukas 8,4-15
Kirche / Ort: Christuskirche / Karlsruhe / Evangelische Landeskirche in Baden
Datum: 15.02.2009
Kirchenjahr: Sexagesimae (60 Tage vor Ostern)
Autor/in: Privatdozent Pfarrer Dr. Wolfgang Vögele

Predigttext: Lukas 8,4-15 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, redete er in einem Gleichnis: Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen's auf. Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten's. Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre! Es fragten ihn aber seine Jünger, was dies Gleichnis bedeute. Er aber sprach: Euch ist's gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen, den andern aber in Gleichnissen, damit sie es nicht sehen, auch wenn sie es sehen, und nicht verstehen, auch wenn sie es hören. Das Gleichnis aber bedeutet dies: Der Same ist das Wort Gottes. Die aber auf dem Weg, das sind die, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort aus ihrem Herzen, damit sie nicht glauben und selig werden. Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an. Doch sie haben keine Wurzel; eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Was aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin und ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens und bringen keine Frucht. Das aber auf dem guten Land sind die, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.

Hinweis zu Materialien für die Predigt

Das Gleichnis vom Sämann hat durch Vincent van Gogh einen hervorragenden Platz in der Kunstgeschichte erhalten: Sämann bei untergehender Sonne (1888). Im Internet sind viele Reproduktionen des kleinformatigen Vincent van Gogh-Bildes zu finden. Eine sehr detailreiche, allerdings sehr große jpg-Datei findet sich unter: http://www.philipphauer.de/galerie/vincent-van-gogh/werke-gr/der-saemann(nach-millet)2.jpg. Das Gleichnis vom Sämann wurde auch von Gottfried Keller in seinem Gedicht "Spielmannslied" aufgenommen. Im Internet findet sich das Gedichtvon Gottfried Keller unter http://www.zeno.org/Literatur/M/Keller,+Gottfried/Gedichte/Gesammelte+Gedichte/Buch+der+Natur/Spielmannslied.

Spielmannslied

Von Gottfried Keller Im Frührot stand der Morgenstern Vor einem hellen Frühlingstag, Als ich, ein flüchtig Schülerkind, Im silbergrauen Felde lag; Die Wimper schwankte falterhaft, Und ich entschlief an Ackers Rand. Der Sämann kam gemach daher Und streute Körner aus der Hand. Gleich einem Fächer warf er weit Den Samen hin im halben Rund, Ein kleines Trüppchen fiel auf mich Und traf mir Augen, Stirn und Mund, Erwachend rafft ich mich empor Und stand wie ein verblüffter Held. Vorschreitend sprach der Bauersmann: »Was bist du für ein Ackerfeld? Bist du der steinig harte Grund, Darauf kein Sämlein wurzeln kann? Bist du ein schlechtes Dorngebüsch, Das keine Halme läßt hinan? Du bist wohl der gemeine Weg, Der wilden Vögel offner Tisch! Bist du nicht dies und bist nicht das, Am End nicht Vogel und nicht Fisch?« Unfreundlich schien mir der Gesell Und drohend seiner Worte Sinn; Ich ging ihm aus den Augen sacht Und floh behend zur Schule hin. Dort gab der Pfarr den Unterricht Im Bibelbuch zur frühen Stund; Von Jesu Gleichnis eben sprach Erklärend sein beredter Mund. – Die Jahre schwanden, und ich zog Als Zitherspieler durch das Land, Als ich in einer stillen Nacht Die alte Fabel wiederfand Vom Sämann, der den Samen warf; Da ward mir ein Erinnern licht, Ich spürte jenen Körnerwurf Wie Geisterhand im Angesicht. Was bist du für ein Ackerfeld? Hört wieder ich, als wär's ein Traum; Ich seufzte, sann und sagte dann: O Mann, ich weiß es selber kaum! Ich bin kein Dornbusch und kein Stein Und auch kein fetter Weizengrund; Ich glaub, ich bin der offne Weg, Wo's rauscht und fliegt zu jeder Stund. Da wächst kein Gras, gedeiht kein Korn, Statt Furchen ziehn Geleise hin, Von harten Rädern ausgehöhlt, Und nackte Füße wandern drin; Das kommt und geht, doch fällt einmal Ein irrend Samenkörnlein drauf, So fliegt ein hungrig Vöglein her Und schwingt sich mit zum Himmel auf.

zurück zum Textanfang

Predigt

Liebe Gemeinde!

Mit einer Ausnahme ist der Sämann dem gegenwärtigen kulturellen Gedächtnis verloren gegangen. Wir haben ihn nicht mehr vor Augen, den Bauern oder die Gärtnerin, die im großen Schwung Samenkörner auf die fruchtbare Erde verteilt. Die Maschinen, die heute die Arbeit der Aussaat mechanisch und präzise übernommen haben, sind des Nachdenkens und Erinnerns nicht mehr wert. Die eine Ausnahme ist das bekannte Bild des Malers Vincent van Gogh.

Tiefe Symbolik

Es trägt den Titel „Der Sämann“, und van Gogh hat es 1888 während seines Aufenthalts in Arles in der Provence gemalt. Das ganze Bild beherrscht die tief und groß über der Erde stehende, untergehende Sonne. Sie taucht die dunkle Ackerlandschaft in ein goldenes und orangefarbenes Licht. Im Vordergrund ragt ein vom Mistral gekrümmter, mehrfach beschnittener Baum ins Bild. Links neben dem Baum, im Gegenlicht, ist der Sämann bei der Arbeit zu sehen. Er trägt dunkle Kleidung, um die Schultern und den Bauch hat er sich ein Tuch geschlungen, in dem er die Samenkörner trägt. Mit der linken Hand hält er das Tuch so, daß sich eine sackförmige Vertiefung bildet. Mit der rechten Hand wirft er die Körner auf die Erde und verteilt sie. Das Bild wirkt, als habe van Gogh zufällig und fast achtlos eine provencalische bäuerliche Landschaftsszene festgehalten. Aber das täuscht. Denn ganz raffiniert hat van Gogh in dieses Bild eine tiefe Symbolik hineingelegt. Sie ist bestimmt von der Sonne, aber genauso schöpft sie aus dem lukanischen Gleichnis vom Sämann.

Hinter dem konzentriert arbeitenden und auf den Boden blickenden Sämann ist die Sonne zu sehen, fast bildet sie für den Bauern so etwas wie einen Heiligenschein. Im Untergehen begriffen, wird das grelle, für das Auge unerträgliche Sonnenlicht allererst wahrnehmbar. Der Sämann aber beachtet die Sonne in seinem Rücken nicht; er hat nur Augen für den Boden vor ihm und für das Saatgut. Als erfahrener Bauer weiß er schon, was sich der Betrachter erst noch erschließen muß. Der Bauer als Sämann kann die Sonne getrost im Rücken stehen lassen, denn er ist sich seiner Arbeit sicher. Der Betrachter des Bildes allerdings blickt offenen Auges in die Sonne und deren beim Untergehen erträgliches Licht. Die Sonne schafft durch Wärme und Energie das Wachstum, das auch die in die Erde fallenden Saatkörner des Sämanns zum Leben erwecken wird.

Umdeutung?

Will man van Goghs Bild theologisch deuten, so scheint er das Bild aus dem Gleichnis umzudeuten: Der Sämann als Arbeiter auf fruchtbarer Erde lebt von der göttlichen und lebensspendenden Sonne. Ob van Gogh sich das so gedacht hat, wissen wir nicht. Obwohl er der Sohn eines Pfarrers war, hielt er sich mit unmittelbaren religiösen Symbolen in seinen Bildern stets sehr zurück. Bleiben wir einen Moment lang beim Sämann: Er ist ein Bauer oder Gärtner, der sich arbeitend einspielt in den Kreislauf von Säen, Wachsen und Ernten. Der Sämann ist ein Pflanzer, und das Pflanzen und Aussäen ist an eine ganze Reihe von Voraussetzungen gebunden. Der Sämann muß mit der Natur vertraut sein. Er kennt die Beschaffenheit des Bodens und weiß, welchen Samen er an welchem Ort ausbringen kann. Er ist mit den klimatischen Bedingungen der Gegend vertraut. Er kann einschätzen, ob das Wetter, Wind und Regen und Wärme das Wachstum der gesäten Pflanzen zulassen. Weil er das Wetter der Gegend kennt, kann er auch den richtigen Zeitpunkt für die Aussaat bestimmen. Schon der Prediger Salomo wußte (Pred 3,2): „…Pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit.“

Wer im Frühjahr aussäen will, muß schon im Herbst davor den Boden vorbereiten, pflügen oder umgraben, jäten und rechen, vielleicht auch düngen und lockern. Wer säen will, kann das auf gut Glück tun; aber der Sämann vergrößert seine Chancen, wenn er all sein Wissen zusammennimmt und mit Bedacht alles tut, um am Ende mit der Ernte den verdienten Erfolg einzufahren. Neben dem Wissen braucht der Sämann aber auch Hoffnung, Geduld und Zuversicht. Denn jede Saat ist gefährdet: Sturm, Hagel, Frost, aber auch Dürre und Trockenheit können jede Hoffnung auf Ernte zunichte machen. Die Saat muß vor Tieren, pickenden Staren oder hungrigen Hühnern geschützt werden. Der Sämann kennt die Natur aus langer Erfahrung, und genauso weiß er um ihre Gefahren. Wer aussät, erhält damit keine Garantie für eine gelungene Ernte. Wer aussät, der weiß auch darum, daß der Erfolg der Ernte nicht allein in seiner Macht steht.

“Was bist du für ein Ackerfeld?”

Wenn ich nun auf das Gleichnis im Lukasevangelium zurückkomme, so gefällt mir sehr der Gedanke, daß ich mir Gott wie einen Sämann vorstelle. Der Sämann kümmert sich um seinen Samen, er tut alles, was in seiner Macht steht, damit er wächst, aber ein gutes Stück bleibt der Samen auch sich selbst überlassen. Gott begleitet die Menschen, in jeden von uns ist so etwas wie göttlicher Same gelegt, und gleichzeitig haben Menschen auch die Freiheit, sich selbst zu entwickeln. Nicht nur Vincent van Gogh hat das Gleichnis vom Sämann aufgenommen, auch der Schweizer Dichter Gottfried Keller hat darüber ein Gedicht geschrieben, das uns für die Predigt hilfreich werden kann. Das Gedicht heißt „Spielmannslied“, es ist ein paar Jahre vor van Goghs Bild entstanden. Keller erzählt von einem Schulkind, das auf dem Weg zur Schule auf einem Feld einschläft. Es wacht davon auf, daß ein Sämann Saatgut ausbringt, und ein paar Körner fallen auch auf das schlafende Kind. Das Kind geht zur Schule und dort erzählt der Pfarrer das Gleichnis vom Sämann. Die Jahre vergehen, und aus dem Schüler wird ein Musiker und Zitherspieler, der durch die Lande zieht und sich mühsam sein Geld verdient. Eines Nachts erinnert er sich mit Wehmut und Sehnsucht an die Episode aus der Schulzeit. Ihm ist, als seien ein zweites Mal die Saatkörner auf sein Gesicht gefallen. Und er fragt sich, was aus ihm geworden ist. Er fragt sich, ob der eigene Same aufgegangen ist. Resignierend muß er feststellen:

„(…) Was bist du für ein Ackerfeld?
Hört wieder ich, als wär’s ein Traum;
Ich seufzte, sann und sagte dann:
O Mann, ich weiß es selber kaum!
Ich bin kein Dornbusch und kein Stein
Und auch kein fetter Weizengrund;
Ich glaub, ich bin der offne Weg,
Wo’s rauscht und fliegt zu jeder Stund.

Da wächst kein Gras, gedeiht kein Korn,
Statt Furchen ziehn Geleise hin,
Von harten Rädern ausgehöhlt,
Und nackte Füße wandern drin;
Das kommt und geht, doch fällt einmal
Ein irrend Samenkörnlein drauf,
So fliegt ein hungrig Vöglein her
Und schwingt sich mit zum Himmel auf.

Botschaft

Lassen wir nun die resignative Stimmung beiseite, in die der alternde Spielmann geraten ist. Mir ist etwas anderes wichtiger. Der Spielmann hört das Gleichnis so, daß der „Same“ des Wortes Gottes nicht auf verschiedene Menschengruppen fällt, sondern nur auf den Glaubenden selbst. Im Gleichnis wäre danach nicht die Menschheit oder die Gemeinde in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Vielmehr gilt: Das Wort Gottes geht in jeden einzelnen Menschen ein und manches trägt reiche Frucht, anderes fällt auf felsigen Grund und so fort. Dann ändert sich auch die zentrale Botschaft des Gleichnisses. Sie heißt nicht mehr: Gott erwählt die einen und verwirft die anderen. Entscheidend ist: Gott kümmert sich um jeden einzelnen Menschen. Er führt ihn nicht wie eine Marionette an sechs oder acht Fäden. Stattdessen gibt er ihm Samen und hofft, daß aus diesem Samen des Wortes Gottes etwas wächst. Gott und die Menschen verhalten sich wie ein Sämann zu den Pflanzen, die er als Saatgut ausgebracht hat. Das Gleichnis vom Sämann können wir darum wie eine Lupe verstehen: Mit dieser Lupe können wir einen genaueren und deutlicheren Blick auf das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen werfen. Das Bild von Vincent van Gogh und das Spielmannslied von Gottfried Keller haben uns dabei geholfen, die Geschichte aufzuschlüsseln und ihr eine Wendung des Trostes und der Geduld zu geben.

Gott wendet sich den Menschen zu wie ein Sämann: In ihnen geht etwas auf, das Jesus Gottes Wort nennt. Es ist ein tröstendes und barmherziges Wort. Dort, wo es auf fruchtbaren Boden fällt, verwandelt sich das Herz eines Menschen: An die Stelle von Mißgunst tritt Geduld. An die Stelle von Härte tritt Warmherzigkeit. Und an die Stelle von Zweifel treten Vertrauen und Glauben. Nicht jedes Wort aus Gottes Mund kommt bei den Menschen an. Das muß auch berücksichtigt werden. Nicht jeder Same geht auf, das ist wohl wahr. Aber es gehen genügend Samen auf, um dem Menschen zum Vertrauen und zum Glauben an Gott zu bringen.

Amen.

zurück zum Textanfang

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.