Zum Narren werden

„Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden“ (Römer 12,15) - eine Fasnachtspredigt

Predigttext: Römer 12,15
Kirche / Ort: Emmauskirche / Karlsruhe / Evangelische Landeskirche in Baden
Datum: 22.02.2009
Kirchenjahr: Estomihi
Autor/in: Pfarrer Klaus Paetzholdt

Predigttext: Römer 12,15 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden.

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Predigt

Jetzt ist der Kerl doch aus der Kirche ausgetreten. Und schämt sich nicht. Hat sich abgeschnitten vom Born der Gnade, vom Grund des Glaubens, von der Quelle lebendigen Wassers. Und merkt das nicht einmal. Das waren noch Zeiten, wo jemand gespürt hat oder zu spüren bekam, was ihm fehlt, wenn er weggeht. Heute merkt jemand, was ihm fehlt, wenn er dabei bleibt: 8% der Lohnsteuer als Kirchensteuer.

Der Kerl schämt sich nicht einmal. Dabei sind wir per Du. Seit Jahren schon. Bei den Vereinen laufen wir uns ja ständig über den Weg. Wir mussten uns das Du gar nicht erst angewöhnen. Da wäre das Sie einfach komisch gewesen. Eigentlich hätte ich Lust, das jetzt umzukehren: Du, Michel, ich möchte dir das Sie anbieten!

Will er doch mit mir und meinem Laden, der Kirche, der Gemeinde, nichts mehr zu tun haben. Vermutlich würde er sich herausreden: „Ich kann auch glauben, wenn ich nicht zur Kirche gehöre! Beten kann ich für mich auch so! Und Gott spüre ich außerhalb der Kirche genauso, in der Natur zum Beispiel!“

Soll ich ihm dann mit dem Heiligen Tertullian kommen? Der hat gesagt: „Außerhalb der Kirche kein Heil!“ Aber der war katholisch. Seine Reliquien müssten sich in den Altären und Schreinen, wo sie drin stecken, herum drehen, wenn der mitbekäme, wie leicht jemand heute zu Kirche und Gemeinde Tschüss sagen kann.

Ist aus der Kirche ausgetreten. Ich möchte bloß wissen, warum. Habe ich ihm irgend einen Anstoß gegeben? Im Gegenteil: Ich habe alles versucht, ihn so wenig wie möglich zu provozieren, ihm so nahe zu kommen wie möglich. Wenn ich jetzt ein engstirniger Fundi wäre, rechthaberisch in meiner Frömmigkeit, kleinlich in meinen Erwartungen an andere – aber so? Immer schön angepasst habe ich mich in meinem Denken, in meinem Verhalten, in meinem Auftreten…

Der Sabbat ist für den Menschen und nicht der Mensch für den Sabbat. Also. Und Bekenntnis und Katechismus sind für die Menschen da und nicht die Menschen für Bekenntnis und Katechismus. Also. Und Gott hat den Menschen so angenommen, wie er ist. Also. Deshalb war auch ich immer ganz von dieser Welt. Der Mensch lebt nicht vom Wort allein.

Angepasst: Da soll doch einer kommen und behaupten, ich lebte auf einem anderen Stern. Ich kann ja bei dem bunten Vereinsleben hier im Dorf nicht überall Mitglied werden, aber was mir möglich ist, mache ich mit: Tanzclub und Fasnachtsverein, Schützen- und Gesangsverein. Also.

Wenn die anderen am Stammtisch sitzen, habe ich nicht immer Zeit. Aber manchmal sitze ich auch dabei – unter der sinnigen Inschrift: Do hocke die, wo immer do hocke! – und diskutiere mit. Also. Und im Sommer grille ich an dem Baggersee, der unserem Ort am Nächsten liegt. Also.

In der Gemeinde habe ich immer wieder zu zeigen versucht: Das Wort Gottes begegnet uns als ein menschliches Wort! Also. Und für uns Evangelische bleibt das Abendmahlsbrot Brot wie anderes Brot und der Abendmahlssaft normaler Traubensaft und das Taufwasser normales Wasser aus demselben Wasserhahn wie anderes Wasser sonst. Also.

Meine Frau geht genauso nach der Mode wie die anderen. Also. Und unser Sohn spielt hier im Fußballverein. Also. Die Gemeinde weist ja ähnliche Verhältnisse auf wie ein Verein und unterliegt den gleichen Gesetzen wie andere Vereine: Do hocke die, wo immer do hocke!

…oder wie ein Unternehmen: Da ist die Kundschaft, die Clientel, da wird investiert, da wird geworben, und am Ende muss was dabei herauskommen: als Produkt der Glaube oder die Zufriedenheit der Kunden oder der Konfirmanden – wenn ihnen der Unterricht Spaß macht – oder der Schüler – die hoffentlich nicht schlecht über meinen Religionsunterricht reden. Also. Und rechnen soll sich das Ganze auch. Die Kasse muss stimmen. Es muss sich lohnen: bei Gemeindefest, Tombola, Bazar und Gemeindespenden. Also.

Christen sind doch auch Menschen. Und Pfarrer auch. Und je weniger wir uns unterscheiden von den anderen, desto glaubwürdiger werden wir in der Gesellschaft. Also. Für die Zeitgenossen so wenig Anstoß wie möglich. Also.

Und der Kerl ist doch ausgetreten. Soll ich mich trauen, ihn zu fragen, warum? Was ihn geärgert hat? An mir oder an der Gemeinde? Oder an meiner Arbeit? Was ihm zum Anstoß geworden ist? Er läuft mir ja ständig über den Weg, da kann ich nicht einfach drüber hinweg gehen. Also frage ich ihn – per Du, nicht per Sie.

Und was antwortet der mir? „Ich bin nicht ausgetreten, weil du mich geärgert hast. Ich bin ausgetreten, weil es zwischen dir und mir keine Unterschiede mehr gibt. Weißt du“, hat er zu mir gesagt, „ich bin kein Kirchgänger; aber wenn du als Funktionär der Kirche genauso bist wie wir alle, dann weiß ich nicht, warum ich da dabei bleiben soll. Ich habe meinen Beruf und bin spezialisiert in Bereichen, wo ich mehr verstehe als andere.

Du aber bestreitest mit deinem Verhalten und Reden, dass es das Besondere, worauf du spezialisiert bist, überhaupt gibt. Also. Wenn dir nur wichtig ist, dass der Wein beim Abendmahl Wein ist wie anderer auch, Brot wie anderes Brot, bei der Taufe das Wasser wie anderes Wasser und das Wort Gottes kaum mehr als unser dummes Geschwätz sonst, dann weiß ich nicht, wozu ich die Kirche und ihre Vertreter überhaupt noch brauche.

Wenn du Schiffchen im Taufwasser schwimmen lässt, damit die kleinen Kinder ruhig sind bei der Taufe, Gummibärchen und Chips verteilst an die Konfirmanden, wenn sie dich die Konfirmandenstunde heil überleben lassen, dann weiß ich wirklich nicht, was du anderes machst, als Personen und Gruppen ruhig zu stellen, die nicht einsehen, wozu sie das brauchen, was du ihnen anbietest.“

Ich wollte ihm gerade sagen: In unserer Religion wird Gott ganz menschlich! Und das göttliche Wort ist eben menschliches Wort! Aber bevor ich zum Reden kam, machte er schon weiter: „Weißt du, wenn sich der Glaube und das kirchliche Leben und deine Arbeit in nichts mehr unterscheiden von unserem normalen Leben, dann brauche ich das alles nicht mehr. Es muss doch irgend etwas geben, was mehr ist und nicht von dieser Welt! Irgend etwas muss dir und uns doch heilig sein.“

„Amen“ hat er nicht gesagt nach seiner kurzen Predigt an mich. Mir war auch nicht nach dem „Amen“ zumute. So wird man zum Narren; denn er ist ausgetreten, weil ich alles Erdenkliche tue, um ihn am Austreten zu hindern. Er ärgert sich nicht über zu viel Kirchlichkeit, sondern weil ich alles tue, um ihn nicht mit zu viel Kirchlichkeit zu ärgern. Da wird man zum Narren. Du lässt den lieben Gott nicht im Himmel oder im Jenseits oder in einer anderen Welt und holst ihn mitten in unsere Welt, in unsere Verhältnisse, in unsere Familien, Büros, Fabriken – und da sagt dir einer: „Es muss doch noch irgend was Heiliges geben“!

Ja, liebe Mitnarren und Mitnarrinnen in Christus, was soll ich machen, wenn sich Gott selber um unsretwillen zum Narren macht, ununterscheidbar Mensch wird, ein Narr wie wir? Und was soll ich machen, wenn mich einer zum Narren macht, weil er das Heilige, Jenseitige, Himmlische, Göttliche sucht?

Es ist wirklich zum Närrisch-Werden, so herum oder so herum: Ich begebe mich im Glauben auf eine Art Himmelfahrt und spüre die Erdanziehung mich mit Wucht auf den Boden der Tatsachen herunterholen. Sage ich: Wir sind Menschen wie alle anderen auch und leben dasselbe glückliche oder bescheuerte Leben wie sie, kommt bestimmt einer, dem fehlt das Himmlische, Jenseitige, Heilige.

Oder muss ich es erst wieder lernen, zu lachen für die, die nur noch weinen können, oder zu weinen über die Lache derer, die sich nur noch amüsieren können? Ganz von dieser Welt – nicht von dieser Welt. Du kannst wirklich zum Narren werden!

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