Sich entscheiden

Was wir wirklich brauchen, wird uns geschenkt

Predigttext: Lukas 9,57-62
Kirche / Ort: Osterholz-Scharmbeck
Datum: 15.03.2009
Kirchenjahr: Okuli (3. Sonntag der Passionszeit)
Autor/in: Pastorin Theda Wolthoff

Predigttext: Lukas 9,57-62 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

57 Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst. 58 Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. 59 Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. 60 Aber Jesus sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! 61 Und ein anderer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind. 62 Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Gedanken zum Predigttext

Zum Kasus

Der Name des Sonntags „Okuli“ stammt aus dem Psalm 25,15: „Meine Augen sehen stets auf den Herrn“. Der 3. Sonntag der Passionszeit steht mitten in der Fastenzeit. Thema des Sonntages ist die Nachfolge. Der Wochenspruch Lk 9,62 stammt aus dem Predigttext und bringt das Stichwort „Reich Gottes“ ein, das eng mit dem Thema Nachfolge verbunden ist. Nachfolge heißt: dieses Ziel, das Reich Gottes, fest vor Augen zu haben, aus ihm heraus und für es zu leben und zu handeln. Mit der Nachfolge sind Konsequenzen verbunden, das klingt auch in den Lesungen an: der Abbruch von gewohnten Bindungen, von selbstverständlichen Verpflichtungen, vom alten verlässlichen Leben. Der Predigttext Lk 9,57-62 wird den Anspruch und die Bedingungen von Nachfolge aus dem Munde Jesu kompromisslos und hart zur Sprache bringen.

Zur Exegese

Das Verb „folgen, nachfolgen“ (griech. akolouthein) heißt im übertragenen Sinne auch „Folge leisten“, „sich von etwas leiten lassen“. Drei Nachfolger – drei Bedingungen, so konstruiert Lukas die Perikope, die wohl im Kern aus der Logienquelle stammt und von ihm um die Verse 61f ergänzt worden ist. Bekannt sind andere Berufungsgeschichten (vgl. Mk 1,16ff par), in denen die Jünger „widerstandslos“ Jesus folgen- hier dagegen bleiben die Jünger anonym, fragen zum Teil selbst nach der Nachfolge und lassen das Resultat ihrer Entscheidung im Dunkeln. Der Text steht am Anfang des lukanischen Reiseberichtes und macht damit deutlich, worum es bei der Nachfolge Jesu geht: um das Aufbrechen, um das Unterwegssein ohne jede Sicherheit und Bequemlichkeit, um die Verkündigung des Reiches Gottes unter Einsatz der gesamten Person. Zu dieser Zeit, so macht Lukas deutlich, steht Jesus das Ende seines Lebens schon vor Augen (V 51), er befindet sich in einer „Situation existentieller… Zuspitzung und finaler Dringlichkeit – eben in einer End-scheidungszeit“ (R. Leicht, GPM 63/2 2009, 180). Diese Situation Jesu vor Augen wird deutlicher, warum er dem ersten Menschen, der auf ihn zugeht, keine herzliche Einladung ausspricht, sondern auf den ersten Blick befremdlich reagiert. Dieser Erste, der in seiner Begeisterung an Petrus erinnert (vgl. Lk 22,33) und Jesus anbietet , ihm „überall hin“ zu folgen, „wohin du auch gehst“, bekommt von Jesus eine nüchterne, nichts beschönigende Antwort. Jüngerschaft ist entbehrungsreich; selbst der Menschensohn ist in Wahrheit auf seinem Weg ein Obdachloser, ein Unbehauster, der von der Hand in den Mund lebt. Selbst die Tiere haben ein Zuhause, haben Nester und Höhlen, aber er, der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlegen kann. Solch ein Leben müssen auch die teilen, die ihm nachfolgen. Doch dass dies oft nicht einmal den Menschen gelingt, die die größte Bereitschaft mitbringen, wissen die Leserinnen und Leser von der Geschichte des Petrus (22,34.54-62). Nachfolge bedeutet auch Bruch, Abbruch. Das bekommt auch der zweite potentielle Nachfolger zu spüren, den Jesus unmittelbar in die Nachfolge ruft. Seine Bitte, zuerst seinen Vater begraben zu dürfen (V 59), weist Jesus schroff ab. Sein Anspruch bzw. der Anspruch des anbrechenden Reiches geht über Gesetz und religiöse Pflicht hinaus. Jesus nachzufolgen heißt, nach vorne zu schauen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, ungeteilt mit Jesus zu leben. Eltern, Familie, allen will der Dritte noch Lebewohl sagen. Doch für Jesus kommt das nicht in Frage. Jesus sieht die Unfähigkeit zur Trennung dahinter, die Sehnsucht, die diesen Menschen immer noch ein Stück an sein Zuhause bindet. Schon im AT wird der Blick zurück kritisch gesehen (vgl. Lot und seine Familie, Gen. 19,17.26). Jesus antwortet auf das Anliegen dieses Menschen mit einem Weisheitswort, das deutlich macht, dass Leben in der Nachfolge nicht rückwärtsgewandt sein darf, sondern konzentriert das Ziel in den Blick nimmt, das Reich Gottes.

Zur Predigt

Unzumutbar dieser Text. Haben wir nicht das Recht, ab und zu den Kopf hinzulegen und auszuruhen? Bei unseren Toten zu wachen? Wie sieht es mit der Verantwortung aus gegenüber der Familie? Warum all dieser Verzicht? Ist das Reich Gottes wirklich so unbarmherzig? Sind diese Ansprüche Jesu auf heute übertragbar oder nur Ausdruck einer Interimsethik in Erwartung der Gottesherrschaft? Darauf gibt der Text erst einmal keine Antwort, aber er stellt den Menschen bis heute die Frage: Welche Prioritäten setzen wir im Leben? Wo kommt Gott vor? Welche Konsequenzen hat der Glaube für unser Leben? Der Wunsch nach Gemeinschaft mit Jesus ist zwar eine gute Voraussetzung, reicht aber nicht. Erst muss man begreifen und realisieren, welche Folgen diese Nachfolge hat. Nachfolge heißt für den einen, sich aus dem Wunsch nach Schutz und Sicherheit zu verabschieden und im Vertrauen auf Gott in der Gemeinschaft mit Jesus zu leben. Glaube bedeutet für den anderen im Zweifel auch den Bruch mit der Vergangenheit, mit den Vorfahren, den Wurzeln, den Traditionen. Nachfolge kann für jemanden heißen, das ganze soziale Netz hinter sich zu lassen, es soll kein Hin- und Hergezogen sein geben zwischen zwei Welten. Nachfolge kann für wieder andere bedeuten, die vertraute Vergangenheit hinter sich zu lassen, um frei zu sein für Gott, um fähig zu sein, ganz und gar in die Zukunft mit ihm zu schauen. Der Text will in die Nachfolge rufen, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussehen mag. Entscheide dich für Jesus, für ein Leben mit Gott! Darum macht er deutlich, dass sich die Nachfolge unmittelbar auf das Leben auswirkt. Dass Nachfolge praktische Konsequenzen auf das Leben hat, die sich, wie man im Text lesen kann, bei jedem anders auswirken. Nur eins steht fest: Das Reich Gottes und seine Verkündigung hat erste Priorität.

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Predigt

Liebe Gemeinde!

Fasten

„Ich will mit dem Rauchen aufhören. Das ist ein kleines Selbst-Experiment. Ich verspreche mir davon eine Verbesserung meines Lebens und meiner Gesundheit. Und ich wäre sehr stolz auf mich, freier zu sein und etwas für mich persönlich geschafft zu haben.“ So schreibt Meike, eine Frau Anfang 40, in einem Fastenforum. Kaum zu glauben, aber diese uralte Tradition des Fastens ist wieder populär. Fast jede und jeder kennt in unserer evangelischen Kirche die Aktion „Sieben Wochen ohne!“ Menschen werden Woche für Woche durch die Fastenzeit von Aschermittwoch bis zum Ziel, bis zum Osterfest hin, begleitet. Manche verzichten aufs Rauchen, andere auf Schokolade, wieder andere auf den Fernseher. Das sind die Klassiker modernen Fastens. Es gibt aber auch ungewöhnliche Formen wie z.B. das „Nörgel-Fasten“. Einer, der sich das in diesem Jahr vorgenommen hat, kam selbst auf die Idee, denn ihm fiel auf, dass er fast jeden Abend, wenn ihn seine Frau nach dem Tag fragte, sofort losnörgelte. Der Kollege war wieder unzuverlässig. Die Straßenbahn unpünktlich.. Und sein Lieblingsbrot ausverkauft. Mit der Aufzählung all dieser Unstimmigkeiten soll jetzt Schluss sein. Sieben Wochen ohne Nörgeln. In der kommenden Zeit will er es so halten: bevor er wieder losnörgelt, beißt er sich lieber auf die Zunge und denkt einmal kurz nach. Worüber will ich eigentlich wirklich ins Gespräch kommen? Was war heute wichtig?

In allen Religionen ist das Fasten Bestandteil des Glaubens. Auch in der Bibel ist von Fastenden die Rede: Mose, Elia und Jesus haben viele Tage gefastet und sich so auf die Begegnung mit Gott vorbereitet. Fasten – das ist eine Form, wie sich der Glaube, wie sich Nachfolge nach außen ausdrücken kann. In der Begegnung mit Jesus, so erzählt es der Predigttext aus dem Lukasevangelium, lernen Menschen noch ganz andere Anforderungen kennen, die die Nachfolge Jesu an ihr Leben stellt.

(Lesung des Predigttextes)

Abschreckung statt Einladung?

Ein Mensch, ganz und gar begeistert von Jesus und seiner Sache, kommt auf ihn zu und bietet ihm an: „Ich geh mit dir, Jesus. Ganz egal wohin! Mit mir kannst du rechnen!“ Und Jesus? Er erscheint ganz weit weg zu sein, vollkommen distanziert. „Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.“ Das ist alles, was er ihm antwortet. Sieht so eine Einladung zum Glauben aus? Was will er ihm damit sagen? Will Jesus diesen Mann abschrecken mit dem Hinweis auf ein Leben voller Entbehrungen? Und einem Zweiten, den Jesus selbst in die Nachfolge ruft, dem verbietet er, seinen eigenen Vater zu begraben und fordert ihn auf: „Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes“. Warum ist nicht beides möglich? Warum soll der Sohn nicht zuerst seine religiöse Pflicht erfüllen? Danach ist doch noch genug Zeit, die gute Nachricht weiter zusagen. Oder? Der Dritte, wieder ein Glücksfall sollte man meinen, will in die Nachfolge Jesu eintreten. Ja, Jesus, ich geh mit dir mit. Aber lass mich zuerst noch von denen Abschied nehmen, die in meinem Haus wohnen. Ja, selbstverständlich. Wer könnte diesen Wunsch nicht nachvollziehen. Warum eigentlich nicht? Warum darf sich einer, der Jesus nachfolgen will, nicht noch von seinen Leuten verabschieden? Aber Jesus antwortet schroff: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes“.

Keine gewohnten Sicherheiten

Drei Menschen, die Jesus folgen wollen. Sie werden von ihm darüber aufgeklärt, was diese Nachfolge für ihr Leben bedeutet. Jesus selbst steht in dieser Zeit schon sein eigener Weg vor Augen, ein Weg, der in den Tod führen wird. Es ist eine Zeit der Entscheidung, die Zeit drängt. Darum reagiert Jesus derart hart und kompromisslos, dass wir es heute kaum nachvollziehen können. Wer mir nachfolgen will, so meint Jesus, der muss meinen Weg mitgehen und diesen Weg kann nur der bewältigen, der weiß, dass es keine gewohnten Sicherheiten gibt, ohne zu wissen, wo er am Abend sein Haupt zum Schlafen hinlegt. Der kann diesen Weg nur gehen in dem Vertrauen, dass jeder Tag für sich selbst sorgt, in der Gemeinschaft mit mir, mit den anderen, die mir nachfolgen und im Vertrauen auf den Vater. Wer mir nachfolgen will, so meint Jesus, der kann auf religiöse Pflichten keine Rücksicht nehmen. Das Reich Gottes bricht an, verkündigt es! Da spielen Traditionen und Gesetze im Zweifel keine Rolle mehr, auch wenn viele, die mit euch gelebt haben, das nicht verstehen können. Ja, es kann sein, dass ihr ihnen fremd werdet, dass ihr euer altes Leben abbrechen müsst. Wer mir nachfolgen will, der kann nicht mehr in der Vergangenheit leben! Die Zukunft bricht doch schon an! Lebt im Hier und Jetzt, lebt heute und auf die Zukunft mit Gott hin!

Ruf zur Entscheidung

Auch wenn wir es kaum hören können, Jesus will hier nicht abschrecken! Jesus will Menschen in die Nachfolge rufen und er tut es ja auch. Aber er macht eines ganz deutlich: Mensch, wenn du mit mir leben willst, dann entscheide dich! Entscheide dich mit deinem ganzen Herzen für mich! Wenn du das tust, dann hat diese Entscheidung auch Folgen für dein Leben- nach innen wie nach außen. Das ist es, worauf es Jesus ankommt. Wovon lasst ihr euch in eurem Leben leiten? Was und wer ist die Mitte eures Denkens und Handelns? Wenn ihr mit mir geht, dann seid zuerst Jüngerinnen und Jünger! Dieser Blickwinkel hat ganz automatisch auch Auswirkungen auf euer restliches Leben. Dann kann es nötig sein, dass ihr euer Leben anders führt als bisher, dass ihr sogar euer bisheriges Leben loslasst, abbrecht.

Keine halben Sachen

Und wenn wir von Jesus gefragt werden? „Komm, folge mir nach!“ Was sagen wir dann? Vielleicht überlegen wir erst… „Ein Leben mit Gott – ist das etwas für mich? Nachfolge – kann man das lernen?“ Ja! Zum Beispiel in diesen sieben Wochen im Jahr kann man diesen Weg einüben. Sieben Wochen mit – mit Jesus, mit Gott. 28 Tage sind es für uns noch bis Ostern. In diesem Jahr heißt die Fastenaktion der evangelischen Kirche übrigens ganz passend: Sich entscheiden! Sieben Wochen ohne Zaudern. Sich entscheiden – darum ging es Jesus. Mensch, entscheide dich! Mach keine halben Sachen! Folge mir nach!

Frei werden

Auch beim Fasten geht es darum, konsequent zu sein. Körper und Seele sollen wieder zusammen kommen, das braucht Zeit. Nachfolge und Fasten haben einiges gemeinsam. Bei beiden geht es darum, darauf zu vertrauen, dass meine Bedürfnisse, meine Sehnsüchte gestillt werden. Bei beiden geht es darum, dass wir im Vertrauen auf Gott leben. „Sorgt nicht um euer Leben“, fordert uns Jesus in der Bergpredigt auf, sorgt nicht um euren Leib. „Ist das Leben nicht mehr als Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?“ Ja, werden wir antworten. Sicher, das wissen wir. Unser Leben ist unendlich viel mehr als Nahrung und Kleidung. Aber es ist ganz schön schwer loszulassen und zu vertrauen, dass uns geschenkt wird, was wir wirklich brauchen. Gut, dass uns mal einer wie Jesus daran erinnert. Die Fastenzeit – eine Zeit, die uns jedes Jahr einlädt frei zu werden. Frei von Zwängen, frei von alten, manchmal lästigen Gewohnheiten, frei von allem, was uns gefangen halten will. Frei zur Begegnung mit uns selbst und mit Gott. Wie das geht?

Jeden Tag wieder neu anfangen

Der Mystiker Nikolaus von Flüe aus dem 15. Jh. hatte einen guten Weg für sich gefunden, vielleicht können wir ihn mitgehen. Er betete: „Mein Herr und mein Gott, nimm alles mir, was mich hindert zu dir. Mein Herr und mein Gott, nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir“. Andere beten einfach jeden Tag einen Psalm oder nehmen sich 5 Minuten Zeit, um die Tageslosung zu lesen. Ja, dazu gehört etwas Übung, aber es ist ja noch kein Meister vom Himmel gefallen. Man kann ja jeden Tag wieder neu anfangen!

Amen.

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