Hören und sehen

Jesus braucht keine Bewunderung, sondern Menschen, die ihm nachfolgen

Predigttext: Johannes 12,20-26
Kirche / Ort: Lübeck
Datum: 22.03.2009
Kirchenjahr: Lätare (4. Sonntag der Passionszeit)
Autor/in: Pastor em. Heinz Rußmann

Predigttext: Johannes 12,20-26 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

20 Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. 21 Die traten zu Philippus, der von Betsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollten Jesus gerne sehen. 22 Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen's Jesus weiter. 23 Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, daß der Menschensohn verherrlicht werde. 24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. 25 Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt haßt, der wird's erhalten zum ewigen Leben. 26 Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.

Vorbemerkungen zum Predigttext und zur Predigt

Die Einleitung des Predigttextes kann man gut verstehen. Jesus war unter großem Jubel in Jerusalem eingezogen. Einige sogenannte gottesfürchtige Griechen, die sich dem Judentum angeschlossen hatten und die das Passahfest miterleben wollten, wollten Jesus gerne sehen. Sie fragen dazu als Vermittler die beiden Apostel Philippus und Andreas. Schwer zu verstehen ist dann, dass Jesus mit den Griechen nicht direkt redet. Stattdessen spricht er davon, daß er verherrlicht werden wird und dass das Weizenkorn sterben muss, um Frucht zu bringen und dass es um Selbstaufgabe und Nachfolge gehe. Die entscheidende Frage für das Verständnis des Predigttextes und der Predigt ist deswegen, wie man den Zusammenhang beider Teile V 20-22 und V 23-26 interpretiert und bewertet. Zur Einzelexegese verweise ich auf die Kommentare, besonders von R. Bultmann und U. Wilckens. Neben dem Problem, wie sich der Abschnitt V20-22 zu der rätselhaften Antwort Jesu verhält, müsste in der Predigt beantwortet werden: Wie soll man den Hass auf das eigene Leben (V25) verstehen? Möglichkeiten der Predigt: Über unseren Text wird seit je mit sehr verschiedenen Schwerpunkten gepredigt. R. Bultmann schlägt vor: Die Bitte der Griechen, zum historischen Jesus geführt zu werden, erweist sich als falsch. Es geht darum, eine Beziehung zum erhöhten Christus zu gewinnen. Der Weg zu ihm ist der Weg der Nachfolge und des Dienstes. Ein mögliches Thema ist, daß die göttliche Antwort – hier von Jesus – seit je für alle Gottsucher immer anders ist als erwartet, s. schon Josua 5,13ff u.ö. Viele übergehen die Frage der Griechen, weil Jesus sie ja auch nicht beachtet hat, und sie stellen das sehr tiefsinnige Symbol vom Weizenkorn in den Mittelpunkt der Predigt – „Stirb und werde“, das Gesetz der Schöpfung. Andere thematisieren das Kreuztragen und Verzichten und interpretieren den Hass auf sein egoistisches Ich als Freiheit von der Welt. Auch begegnet man dem Thema: Jesus wird zum Herrn der Welt durch sein Sterben. Originell ist die Liedpredigt über „Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt“ (EG 98). Mein früherer Vikarsleiter, Pastor Dr. Gunnar von Schlippe, predigte in Hamburg, dass der Text dem Ablauf eines Gottesdienstes folge: Wir möchten gern Jesus sehen. Wir erfahren seine Herrlichkeit (Doxa). Wir werden ermutigt, Jesus nachzufolgen. Besonders textbezogen, originell und überzeugend finde ich die Predigt von Walter Lüthi: Die Vertreter der geistigen Welt der Griechen möchten Jesus kennenlernen, um ihn zu bewundern. Für Jesus ist das die größte Versuchung, dass er nicht nur von Jerusalem beim Einzug, sondern auch von Athen bejubelt wird und danach einen Fanclub ohne nachhaltige Überzeugungskraft um sich versammelt. Erst nach Kreuz und Auferstehung kann die nächste Stufe der Heilsgeschichte und die Mission für alle Völker überzeugend beginnen! Statt kurzfristig begeisterter Bewunderer kann es dann Jünger geben, die mit Jesus das Kreuz auf dem Weg zur Vollendung tragen! Jesus braucht keine Bewunderer, sondern Nachfolger, wie der christliche Philosoph Sören Kierkegaard immer wieder betonte. Diesem Thema möchte ich in meiner Predigt folgen.

Zum Gottesdienst

Zum Predigttext passt gut das Franz von Assisi zugeschriebene Gebet „Herr, mache mich zum Werkzeug Deines Friedens“, es kann gesprochen oder gesungen werden (EG 416). An die Gottesdienstteilnehmer/innen verteile ich nach dem Gottesdienst Weizenkörner, sie sollen sie zu Hause aussäen, das Vergehen des Korns und die Ernte sehen und diesen Vorgang meditieren. Zur Meditation über die Verherrlichung des Menschensohns (V23) empfehle ich das Gebet von Pierre Teilhard de Chardin (in: Günther Schiwy, Kosmische Gebete des Teilhard de Chadin, Hildesheim 1986, S.11 ) : O ja, Jesus, ich glaube es, und ich will es von den Dächern und auf den öffentlichen Plätzen ausrufen, Du bist nicht nur der äußere Herr der Dinge und der unmittelbare Glanz des Universums: Mehr als das bist Du, der beherrschende Einfluß, der uns durchdringt, uns hält, uns anzieht durch die Triebkraft unserer unbezwinglichsten und tiefsten Wünsche; Du bist das kosmische Sein, das uns umfängt und uns in seiner vollkommenen Einheit vollendet. Gewiß ist es so, und gewiß ist es deshalb, daß ich Dich über alles liebe!

zurück zum Textanfang

Predigt

Erkennen und verstehen

Zu den schönsten Komplimenten unter Freunden gehört der Satz: Ich sehe dich gern! – Weil griechisch sprechende Heiden, die sich für die jüdische Religion interessierten, von Jesus sehr fasziniert waren, wollten sie Jesus gerne sehen! Sie erlebten, dass er in Jerusalem mit Jubel empfangen wurde. Sie spürten die Ausstrahlung seiner Persönlichkeit, seine Liebe zu Gott und den Menschen. Deswegen wollten sie ihn genauer kennenlernen. Dieser Wunsch bringt übrigens auch heute Menschen zum Glauben an Jesus. Deswegen sollten alle in der Mission Tätigen, ja alle Christinnen und Christen überall so von Jesus sprechen, dass unsere Kinder, Jugendlichen und alle Zeitgenossen Genaueres von Jesus erfahren möchten. Aber auch für uns, die wir in die christliche Tradition hineingeboren wurden, geht es immer wieder darum, Jesus zu erkennen, ihn so zu verstehen, dass er weiter der Hauptratgeber im inneren Team unserer Seele ist. Im Jesus-Musical Godspell singt eine Jüngerin: Tag für Tag, Tag für Tag, Herr, ich Dir drei Wünsche sag! Dich klarer zu sehen, wahrer zu lieben, näher Dir zu gehen, Tag für Tag…

Vergebene Chance?

Es fällt nun auf und kann einen aufregen, dass Jesus gegen seine Art überhaupt nicht mit den neugierigen Griechen spricht. Wie sollen wir das verstehen? Es ist doch die größte Chance für das Reich Gottes, wenn Jesus gerade die Menschen für seine Botschaft gewinnt, die schon als sogenannte Gottesfürchtige sich so für den Gott und die Religion der Juden interessieren, dass sie am Passahfest am Tempel beten. Sie repräsentieren als Griechen mit ihrer Kunst und Philosophie die geistige Elite im ganzen römischen Reich. Jesus könnte den Glauben der jüdischen Bibel (des Alten Testaments) mit der griechischen Bildung versöhnen. Hinzu kommt, dass wohl schon etwa sieben Prozent der Bevölkerung im ganzen römischen Reich sich damals für die jüdische Religion interessierten und sich ihr locker anschlossen. Welche Chance vergibt Jesus hier? Der Apostel Paulus wird dann später nicht unter den Juden, sondern unter sogenannten Gottesfürchtigen seine größten Erfolge als Missionar haben. Heidenchristen und nicht die immer sehr kleine Gruppe der Judenchristen bestimmten die Zukunft der Kirche und überlieferten auch uns den christlichen Glauben. Warum ergreift Jesus hier nicht diese Chance, selbst auf die Griechen und die Völkerwelt zuzugehen? Das weite Völkertor steht Dir, Jesus, offen, die alte biblische Hoffnung, dass die Völker der Heiden in Jerusalem den Messias anbeten und Frieden schließen, könnte sich doch schon erfüllen!

Hören und/oder sehen

Jesus aber hat vor Augen, dass sein eigentlicher Auftrag noch nicht erfüllt ist. Wenn er sich jetzt den griechischen Gottesfürchtigen zuwendet, wird er sicher viel Begeisterung auslösen und als Guru der Seelen bewundert werden. Ähnlich wie die Stadt Jerusalem ihn eben als Messias feierte, würde vermutlich die aufgeschlossene und am jüdischen Glauben interessierte Heidenwelt ihn feiern. Jesus weiß, dass Jerusalem ihm am Palmsonntag begeistert zujubelte. Er ahnt, dass die jüdische Oberschicht in Jerusalem ihn ablehnen und töten wird. Er ahnt auch, dass die griechisch sprechende Welt ihn als Geistesgröße bewundern und dann ebenso schnell beiseite schieben würde. Sehr typisch ist übrigens, dass die Griechen Jesus sehen wollen.

Während die Juden in erster Linie Gottes Wort hören und es in ihrer Seele wahrnehmen, geht es den Griechen um das Sehen und Schauen, um das Theoretisieren und Erkennen. Nach Platos Höhlengleichnis wenden sich die Gottsucher von der Schattenwelt ab und schauen das Licht der Welt. Griechen können sich begeistern, dass „das Wort Fleisch wurde und wir seine Herrlichkeit sahen“, wovon im ersten Kapitel des Johannesevangeliums die Rede ist. Voller Bewunderung möchten sie Jesus gerne als einen göttlichen Menschen sehen! Sie möchten an Jesus das Ideal des wahren Menschen sehen, das Gute, Schöne, Zeitlose und die Weisheit. Aber nur ein Jesus, der nicht auf Begeisterung aus ist, sondern die Menschen so liebt, dass er auch sein Leben für sie opfert, ist zutiefst glaubwürdig. Dazu das Beispiel: Zu Napoleon kam ein Philosoph, der mit Vernunft in einem Buch einen Glauben an Gott konstruiert hatte. Napoleon sagte lakonisch zu ihm: Jetzt müssten sie nur noch bereit sein, für ihre Lehre zu sterben! Schließlich weiß Jesus auch, dass nur ein Messias, der stirbt, aber von Gott nicht getrennt wird durch den Tod, zutiefst glaubwürdig und überzeugend ist. Ohne die Auferstehung ist der Tod eines Idealisten eine Niederlage! Aus all diesen Gründen kann Jesus nicht in Jerusalem auf die Griechen zugehen! Deswegen erklärt er seinen Jüngern seinen bevorstehenden Tod und seine Auferstehung mit dem Bild vom Weizenkorn, welches in der Erde erstirbt und nur so durch seine Ähre reiche Frucht bringen kann! Erst wenn Jesus sein Werk vollendet hat, können wir ihm nachfolgen.

Frucht

Paulus und die Apostel und die ersten Christen ernteten deshalb bei ihrer Mission unter den Griechen, Heiden und Gottesfürchtigen und Proselyten erst nach Jesu Tod und Auferstehung und nach Pfingsten reiche Früchte für Gottes Reich! Paulus war so begeistert durch den Heiligen Geist, dass ihm (nach dem Buch von Franz Berger und Harald Gleissner) die erfolgreichste Marketingstrategie der Weltgeschichte gelang. Paulus erkannte, dass seine Botschaft von vom gekreuzigten und zu Gott auferstandenen Heiland nicht nur ihn selbst begeisterte, sondern die tiefste Sehnsucht gerade der griechisch sprechenden Weltbürger im römischen Reich erfüllte. Erst nach Jesu Auferstehung war die Zeit reif, die Menschen für Christus zu gewinnen! Jesus hat deswegen ja selbst gesagt, dass erst das erstorbene Weizenkorn reiche Frucht bringen wird! Die Früchte seines Kreuzestodes sind so gewaltig, daß heute dreißig Prozent der Weltbevölkerung zum christlichen Kulturkreis gehören!

Leuchtkraft

Der Kern unseres Predigttextes, dass wir erst durch den Auferstandenen zu Gott finden, ist heute besonders aktuell! Einer gut gemeinten liberalen Auffassung, die bestrebt scheint, dem modernen Menschen den christlichen Glauben zu erleichtern, fehlt nach meinem Empfinden die Faszination und die Tiefe. In den Tiefenschichten unserer Seele kann Jesus als ein reines Vorbild nicht entfernt die Leuchtkraft erreichen wie der Gottessohn. Er ist zu uns gekommen, ist für unsere Sünden gestorben und auferstanden zu Gott. Als kosmischer, alles umfassender, Christus führt Jesus, der Gottessohn, uns und die Welt zum Ziel. Vor seinem Tod und seiner Auferstehung wandte sich deswegen Jesus den Griechen nicht zu. Erst danach konnten Paulus und die anderen Apostel fasziniert und wie besessen, begleitet von Leiden und Feindschaft, von Hass und Qual, mit leuchtenden Augen begeistert und erfolgreich für Jesus und das Reich Gottes missionieren. Nur der Auferstandene kann uns bis heute versprechen: Fürchtet euch nicht, siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Befreit von Selbstbezogenheit

Wie aber haben die begeisterten Jünger Jesu und Apostel dann das schwer verständliche Wort Jesu vom Hass auf das eigene Leben verstanden? Gott hat uns doch das Leben geschenkt. Wir sollten ihm doch dafür danken und es lieben und bewahren. Ich verstehe die Rede vom Hass auf sich selbst so: Manche Menschen sind nur verliebt in sich und ihr eigenes Leben und sehen sonst niemanden. Alle Fehlverhalten führen in die Einsamkeit, sagte Pastor Dr. von Schlippe. So verliert man durch ausschließliche Eigenliebe seine Beziehungen zu seinen Mitmenschen, vereinsamt und verliert sich selbst. Wer dagegen übertriebenen Egoismus und Narzissmus als sein Fehlverhalten im Blick hat, verabscheut, hasst und abtötet, kann sein Leben nach Jesu Gebot verwandeln: Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst! Er kann sich festhalten und auch verschenken! Er ist befreit von der Selbstbezogenheit und kann sich und seine vielen Nächsten von Herzen lieben und sich engagieren für das Reich Gottes.

Lieben und leiden

Jesus ermutigt uns, ihm nachzufolgen. Das ist heute besonders gut für uns, für Gott und sein Reich und für unsere Welt. Ein Psychotherapeut sagte mir dazu: Früher waren meine Klienten häufig angeschlagen durch zu strenge Gebote, Erziehung und Sexualmoral. Durch ihr gnadenloses Gewissen litten ihre Beziehungen. Heute leiden die Menschen eher durch eine zu große Freiheit, Gewissenlosigkeit und Beliebigkeit. Deswegen gibt es heute so viel Beziehungslosigkeit und Einsamkeit. Von Jesus lerne ich: Wer liebt, kann auch Leiden in Kauf nehmen. Zum Beispiel ist eine glückliche Ehe mit das schönste für zwei Menschen auf dieser Erde. Allerdings gehört dazu, auch die Schattenseiten und Eigenheiten des Partners zu akzeptieren und seine „Ecken und Kanten“ gelassen zu ertragen. Ohne Konflikte und Schmerzen wird es dabei gewöhnlich nicht abgehen. Eheberater/innen sagen: Mit der Ehe heiratet man nicht nur das Glück, sondern auch einige nicht lösbare Probleme – und: Keine Ehe ohne Krise! Ebenso gehören Kinder und Enkelkinder zu unserem höchsten Glück! Allerdings stellen sich auch hier, besonders mit Trotzphase und Pubertät, vielfältige leidvolle Probleme ein. Unter jedem Dach ein Ach, sagt das Sprichwort. Auch wer sich heute in irgendeiner Organisation für die Hungernden und Armen einsetzt, wird mit Konflikten konfrontiert werden.

Unser Glück als Christen/innen besteht immer wieder darin, dass wir bei den Konflikten nicht allein sind. Wir können Jesus immer um Rat fragen: Was würdest Du, Jesus, jetzt raten, was würdest Du an meiner Stelle tun? Er gibt uns die Gewissheit, dass er uns wie Gott begleitet und uns seine Schutzengel schickt. Im Predigttext verspricht er uns: Wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren. Durch Jesus wissen wir, dass wir Kinder des Lichts sind, entronnen der Finsternis, entflohen dem Tod, einzig in Gottes Hand geborgen. Deswegen denken wir gern an Jesus und sehen ihn gern in Gedanken vor uns. Im Lied heißt es: Tag für Tag, Tag für Tag, Herr ich Dir drei Wünsche sag, Dich klarer zu sehen, wahrer zu lieben, näher Dir zu gehen, Tag für Tag!

Amen.

zurück zum Textanfang

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.